13. Dezember 2021 | Erwerbsbeteiligung, Armut und Sozialpolitik
Vereinfachter Zugang zur Grundsicherung: Wer von einer Schonfrist bei Vermögensanrechnung und Aufwendungen für die Unterkunft profitieren würde
In der 2018 und 2019 im IAB-Forum publizierten Serie zur „Zukunft der Grundsicherung“ wurde neben zahlreichen anderen Reformvorschlägen auch ein vereinfachter Zugang zur Grundsicherung diskutiert. Während der Covid-19-Pandemie wurde diese Idee – zumindest vorübergehend – auch in die Tat umgesetzt. Im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampelparteien ist sie im Rahmen des zukünftigen „Bürgergelds“ ebenfalls vorgesehen.
Da nur hilfebedürftige Personen Arbeitslosengeld II (ALG II) bekommen, müssen diese nach den bisherigen gesetzlichen Regelungen zunächst ihre eigenen Mittel einsetzen, bevor sie finanzielle Unterstützung erhalten. Dies betrifft somit auch Vermögen, das die gesetzlichen Freibeträge überschreitet.
Zudem werden die Bedarfe für Unterkunft und Heizung nur dann in voller Höhe übernommen, wenn diese Kosten von der zuständigen Behörde als angemessen angesehen werden (siehe Infokasten „Gesetzliche Regelungen“). Dies kann dazu führen, dass Betroffene umziehen müssen, wenn sie nicht in der Lage sind, den Differenzbetrag aufzubringen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat Anfang dieses Jahres einen Entwurf für eine Reform des Sozialgesetzbuchs II vorgelegt, der neben Änderungen der Sanktionsvorschriften eine Reihe weiterer Änderungen für Leistungsberechtigte umfasst. So sieht der Referentenentwurf bezüglich der beiden oben genannten Punkte einen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung vor. Danach soll in den ersten beiden Jahren des Leistungsbezugs kein Vermögen angerechnet werden. Außerdem sollen in diesem Zeitraum Aufwendungen der Leistungsberechtigten für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe anerkannt werden.
Auch im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP ist festgehalten, dass in den ersten beiden Jahren die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens gewährt und die Angemessenheit der Wohnung grundsätzlich anerkannt wird. Wer von einem solchen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung profitieren würde, lässt sich mithilfe von Daten aus dem Panel „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) untersuchen (siehe Infokasten „Daten“). Nähere Informationen zum Datensatz lassen sich aus einem 2019 verfassten Beitrag von Mark Trappmann und anderen entnehmen.
Mithilfe dieser Daten lässt sich die Frage beantworten, welcher Anteil der Leistungsbeziehenden in der Vergangenheit vor dem Erhalt finanzieller Hilfen eigene Mittel aufbrauchen und/oder aufgrund eines unangemessenen Wohnraums umziehen musste. Zudem geben sie Aufschluss darüber, welche Haushalte von diesen Regelungen bisher besonders betroffen waren.
Keine Aussagen lassen sich dagegen für solche Haushalte treffen, die aufgrund der derzeitigen Anrechnungsregeln nie Grundsicherungleistungen bezogen haben, weil sie bereits während des Vermögensabbaus wieder ein ausreichendes Einkommen erzielen konnten oder trotz rechnerischer Bedürftigkeit keine Leistungen in Anspruch genommen haben.
9 Prozent der Neuzugänge in die Grundsicherung für Arbeitsuchende mussten zuvor eigenes Vermögen aufbrauchen
Um zu untersuchen, in welchem Ausmaß Bedarfsgemeinschaften vor dem Erhalt von Leistungen zunächst eigene Mittel aufbrauchen mussten, wurden Stichproben von Neuzugängen in die Grundsicherung aus den Jahren 2013 bis 2019 verwendet. Darin enthalten sind nur solche Bedarfsgemeinschaften, die am Stichtag im Juli des betreffenden Jahres Grundsicherungsleistungen erhalten haben, aber an keinem der vorherigen Stichtage im Juli der Jahre seit 2006. In den betrachteten Jahren gab es jährlich hochgerechnet zwischen 210.000 und 440.000 Erwachsene in Bedarfsgemeinschaften, die nach dieser Definition als Neuzugänge gelten können.
Es sei darauf hingewiesen, dass die Neuzugänge, auf die hier Bezug genommen wird, nur einen kleinen Teil der Gesamtzugänge in die Grundsicherung für Arbeitsuchende ausmachen. Bei der großen Mehrheit der laut einem 2021 erschienenen Kurzbericht von Kerstin Bruckmeier, Katrin Hohmeyer und Torsten Lietzmann jährlich zuletzt 1,1 bis 1,3 Millionen Zugänge handelt es sich nämlich um erneute Zugänge.
Insgesamt 9 Prozent (95%-Konfidenzintervall KI: 7,9 bis 9,7) der neuzugegangenen Bedarfsgemeinschaften antworteten in der Befragung, vor dem Zugang in die Grundsicherung zunächst Vermögen aufgebraucht zu haben. Bemerkenswert ist, dass beinahe die Hälfte der hiervon Betroffenen angab, diese Phase habe nur ein oder zwei Monate gedauert (siehe Abbildung 1). Lediglich etwa 8 Prozent nannten einen Zeitraum von über einem Jahr. Im Durchschnitt verzögerte sich der Bezug der Leistungen um knapp fünf Monate.
Selbst unter Neuzugängen in die Grundsicherung würde also nur ein sehr kleiner Teil profitieren, wenn die Prüfung und Anrechnung von Vermögen ausgesetzt würde. Unter den vielen Wiederzugängen, die regelmäßig in den SGB-II-Leistungsbezug zurückkehren, dürfte dieser Anteil noch deutlich geringer sein, da sie etwa vorhandene Mittel ja bereits vor dem erstmaligen Leistungsbezug abschmelzen mussten. Zudem fehlen den Betroffenen Anreize, (wieder) Vermögen aufzubauen, wenn sie davon ausgehen, erneut auf finanzielle Hilfen angewiesen zu sein.
Wenn man unterstellt, dass die Anrechnung von Vermögen unter Wiederzugängen praktisch nicht vorkommt, läge der Anteil unter allen Zugängen, also Neu- und Wiederzugänge, mit 2 bis 3 Prozent erheblich niedriger als die oben genannten 9 Prozent. Zudem haben 57 Prozent (95%-KI: 49,6 bis 64,0) der Bedarfsgemeinschaften, die zunächst eigene finanzielle Mittel aufbrauchen mussten, zwei Jahre nach dem Zugang in die Grundsicherung immer noch Leistungen bezogen. Diese Gruppe würde folglich temporär von einer Schonfrist bei der Vermögensprüfung profitieren, denn diese soll nach Ablauf der Karenzzeit laut Referentenentwurf nachgeholt werden.
Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften, die Vermögen aufbrauchen müssen, sind besser qualifiziert und haben längere Erwerbshistorien
Um ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, welche Haushalte von einer Anrechnung betroffen waren, wurden für unterschiedliche demografische Gruppen die Anteile derjenigen bestimmt, die angaben, zunächst eigene Mittel aufgebraucht zu haben (siehe Abbildung 2).
Zwischen verschiedenen Typen von Bedarfsgemeinschaften gibt es kaum Unterschiede. Lediglich der Unterschied zwischen Paaren mit Kind(ern) (7 %) und Alleinstehenden (10 %) ist statistisch signifikant. Auch regionale Unterschiede sind nicht sehr ausgeprägt: Keine Unterschiede gibt es zwischen neuen und alten Bundesländern (je 9 Prozent). Statistisch signifikant unterscheiden sich dagegen die Bedarfsgemeinschaften in den kleinsten Gemeinden (unter 20.000 Einwohner) mit etwa 14 Prozent von denen in größeren Gemeinden (8 %).
Ein Blick auf die Merkmale der in den Bedarfsgemeinschaften lebenden Personen zeigt insgesamt ein in sich schlüssiges und zu erwartendes Bild. Zunächst ist anzumerken, dass zwar 9 Prozent (95%-KI: 7,9 bis 9,7) der Bedarfsgemeinschaften, aber nur 8 Prozent (95%-KI: 6,8 bis 8,8) der in Bedarfsgemeinschaften lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eigene Mittel aufbrauchen mussten, bevor sie Grundsicherungsleistungen erhielten, da größere Bedarfsgemeinschaften seltener betroffen waren.
Obwohl für ältere Leistungsempfänger ab 46 Jahren höhere Freibeträge bei der Anrechnung von Vermögen gelten, waren sie mit 11 Prozent am häufigsten betroffen (siehe Abbildung 3). Personen ohne Schulabschluss (5 %) oder mit Schul-, aber ohne Ausbildungsabschluss (7 %) mussten seltener eigene Mittel aufbrauchen als Personen mit Berufsausbildung (10 %) oder Studium (9 %).
Eine Vermögensanrechnung betrifft zudem Personen, die nie hauptberuflich erwerbstätig waren (6 %), seltener als solche, die über Erwerbserfahrung verfügen. Auch bei Aufstockern, die erwerbstätig sind und ergänzend SGB-II-Leistungen beziehen (10 %), kommt sie etwas öfter vor als bei Inaktiven oder Arbeitslosen (je 7 %). Zudem spielt die Dauer der Erwerbserfahrung eine große Rolle. So liegt der Anteil bei denjenigen, die über mehr als 25 Jahre Erwerbserfahrung verfügen, bei 13 Prozent.
Personen in den Berufen der oberen und mittleren Dienstklasse müssen mit einem Anteil von 12 Prozent am häufigsten eigene Mittel aufbrauchen. Zur oberen Dienstklasse gehören Personen mit einer akademischen Ausbildung wie leitende Angestellte, zur mittleren Dienstklasse solche mit höherer Fachausbildung wie Buchhalter oder Erzieherin. Auch sind nach Deutschland zugezogene Personen (6 %) seltener betroffen als Personen ohne Migrationshintergrund (11 %) beziehungsweise Personen, bei denen mindestens ein Elternteil zugezogen ist (10 %).
Auch die Dauer des Vermögensaufbrauchs ist bei den soziodemografischen Gruppen am längsten, die am häufigsten Vermögen aufbrauchen müssen
Nimmt man zusätzlich in den Blick, wie lange sich der Zugang in die Grundsicherung bei denjenigen verzögert, die zunächst Vermögen aufbrauchen müssen, so sind wiederum die bereits genannten gesellschaftlichen Gruppen überproportional betroffen. Diese Dauer beträgt beispielsweise bei Personen mit und ohne berufliche Ausbildung 144 versus 88 Tage, bei Personen ohne und mit Migrationserfahrung 146 gegenüber 94 Tage und bei hauptberuflich und niemals Erwerbstätigen 134 versus 91 Tage (siehe Abbildung 4).
Naheliegend ist auch der starke Zusammenhang mit der Haushaltsgröße, in dem sich die unterschiedlich hohen Bedarfe widerspiegeln dürften: Insbesondere bei Einpersonenhaushalten ist die durchschnittliche Dauer relativ lang (166 Tage), während Paare mit Kindern ihr Vermögen schneller aufbrauchen (104 Tage). Ebenso plausibel sind die deutlich längeren Dauern bei älteren Leistungsbeziehenden: Während 18- bis 30-Jährige ihr Vermögen in durchschnittlich 84 Tagen aufbrauchen, sind es bei 46- bis 65-Jährigen 179 Tage.
Jährlich zieht knapp ein Prozent der SGB-II-Haushalte um, weil es das Jobcenter von ihnen verlangt
Während die Logik der Vermögensprüfung vorsieht, dass der Bezug von SGB-II-Leistungen erst möglich ist, nachdem eventuell vorhandene Mittel aufgebraucht wurden, erfolgen Entscheidungen zu Umzügen aufgrund von nicht angemessenem Wohnraum nach und nach. Haushalte, die Grundsicherungsleistungen beziehen, haben zumindest temporär immer auch die Möglichkeit, Differenzen zwischen den erstattungsfähigen Kosten und den tatsächlichen Kosten der Unterkunft selbst aus ihrem Regelsatz oder Restvermögen zu decken. Zudem werden Umzüge in der Regel nur dann veranlasst, wenn ein günstigeres Objekt in der Region zur Verfügung steht. Mit dem Eintritt in die Grundsicherung ist deshalb nicht sofort ein Umzug verbunden. So lässt sich anhand der Daten feststellen, dass nur ein Viertel aller veranlassten Umzüge im ersten Jahr nach dem Zugang in die Grundsicherung stattfindet. Im Schnitt vergehen mehr als drei Jahre, bis ein solcher stattfindet.
Bei der Analyse müssen daher stets alle Leistungsbeziehenden berücksichtigt werden, nicht nur Neuzugänge. Im Folgenden werden daher die Angaben aller Haushalte verwendet, die in einem der Jahre zwischen 2008 und 2020 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten haben. Sie wurden danach gefragt, ob sie seit der letzten Befragung umgezogen sind, und wenn ja, aus welchem Grund.
Etwa 9 Prozent (95%-KI: 8,6 bis 9,7) aller Haushalte, die ALG II erhalten, gaben an, im vorangegangenen Jahr umgezogen zu sein. Davon nannten wiederum 10 Prozent (95%-KI: 8,4 bis 11,4) als Grund, dass der Umzug durch einen Sozialleistungsträger verlangt wurde. Somit mussten insgesamt pro Jahr 0,9 (95%-KI: 0,7 bis 1,0) Prozent aller Leistungsbeziehenden aufgrund von nicht angemessenem Wohnraum umziehen.
Das klingt zunächst deutlich weniger als die 9 Prozent, die Vermögen aufbrauchen mussten. Im Gegensatz dazu handelt es sich hier jedoch um eine jährliche Rate. Für Haushalte, die über viele Jahre hinweg finanzielle Hilfen erhalten, besteht diese Wahrscheinlichkeit durchschnittlich in jedem Jahr in dieser Größenordnung.
Die Wohnqualität verschlechtert sich bei Umzügen, die das Jobcenter fordert, nur marginal
Die jährliche Zahl der durch die Jobcenter veranlassten Umzüge in den PASS-Daten ist gering. Es ist daher nicht wie bei den Vermögen möglich, zu analysieren, ob verschiedene Gruppen davon unterschiedlich stark betroffen sind. Stattdessen lassen sich die Auswirkungen der von Jobcentern geforderten Umzüge auf die Wohnqualität mit den Auswirkungen der (meist freiwilligen) Umzüge von Grundsicherungsbeziehenden aus anderen Gründen vergleichen.
Ist ein Haushalt, der Arbeitslosengeld II bezieht, im vorangegangenen Jahr freiwillig umgezogen, dient dies häufig einer Verbesserung der Wohnqualität. So nimmt beispielsweise die Wohnfläche um acht Quadratmeter zu (95%-KI: 6,9 bis 9,0). Dagegen nimmt sie bei erzwungenen Umzügen um drei Quadratmeter ab (95%-KI: -7,4 bis 2,1).
Die Qualität des Wohnraums wird im PASS mit einem Index aus fünf Indikatoren gemessen: Sind weniger Zimmer als Bewohner vorhanden, gibt es feuchte Wände oder Fußböden, fehlt eine Innentoilette, fehlt ein Außenbereich (Balkon, Garten oder Terrasse) oder fehlt ein separates Badezimmer mit Badewanne oder Dusche, dann erhöht sich der Index der materiellen Unterversorgung im Bereich Wohnen jeweils um einen Punkt, sodass maximal ein Wert von fünf erreichbar ist, der als Hinweis auf eine hohe Unterversorgung und damit auf eine sehr schlechte Wohnqualität zu interpretieren wäre.
Bei freiwilligen Umzügen von Leistungsberechtigten sinkt dieser Index um 0,1 Punkte (95%-KI: -0,12 bis -0,08), die Wohnqualität hat sich also verbessert. Bei erzwungenen Umzügen steigt der Index dagegen im Schnitt leicht um 0,06 Punkte (95%-KI: -0,04 bis 0,16).
Fazit
In der derzeitigen Diskussion um einen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung liegt der Fokus insbesondere auf Schonfristen bei der Anrechnung von Vermögen und bei Aufwendungen für die Unterkunft. Etwa 9 Prozent der Bedarfsgemeinschaften, die seit 2013 neu in die Grundsicherung für Arbeitsuchende zugegangen sind, mussten zuvor eigene Mittel aufbrauchen. Davon waren überproportional Personen betroffen, denen man in verschiedener Hinsicht eine größere Lebensleistung attestieren könnte: Sie sind besser ausgebildet, sind neben dem Grundsicherungsbezug häufiger erwerbstätig und verfügen über eine größere Erwerbserfahrung als Personen, die vor dem Bezug von Leistungen kein Vermögen aufbrauchen mussten.
Jedes Jahr müssen etwas weniger als ein Prozent der SGB-II-Leistungsbeziehenden umziehen, weil die Kosten für Unterkunft und Heizung von den Behörden nicht als angemessen anerkannt werden. Die Wohnqualität verschlechtert sich durch solche Umzüge zumindest in Bezug auf die in PASS erhobenen Qualitätsmerkmale, wie Größe oder Ausstattung der Wohnung, nur geringfügig.
Obwohl in der Vergangenheit nur ein kleiner Teil aller Neuzugänge und ein noch viel geringerer Teil aller Zugänge in die Grundsicherung von einer Schonfrist profitiert hätten, ist die Gruppe, an die sich die Reformvorschläge richten, doch erheblich größer. Denn sie umfasst außerdem all jene, die – etwa aufgrund ihres Vermögens – bisher nicht anspruchsberechtigt waren, oder die vielen Haushalte, die trotz einer rechnerischen Bedürftigkeit bisher keine Leistungen beansprucht haben. Dies sind laut einer 2018 publizierten Untersuchung von Kerstin Bruckmeier und Jürgen Wiemers immerhin 43 Prozent aller Anspruchsberechtigten.
Die Analyse, welche Personen bisher vor dem Leistungsbezug Vermögen aufbrauchen mussten, gibt aber Hinweise darauf, welche Gruppen auch außerhalb des Leistungsbezugs von einer Neuregelung profitieren könnten. Wenn es also um das politische Ziel geht, Lebensleistung stärker zu honorieren und Abstiegsängsten der Mittelschicht entgegenzuwirken, dürfte ein vereinfachter Zugang zur Grundsicherung durchaus dazu geeignet sein, diesem Ziel näher zu kommen.
Gesetzliche Regelungen
Bei einer Bedarfsgemeinschaft, die einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellt, wird jedweder Besitz, der in Geld messbar ist, als Vermögen gewertet. Zudem wird Vermögen als „verwertbar“ klassifiziert, wenn es für den Lebensunterhalt direkt verwendbar oder sein Geldwert durch Verbrauch, Verkauf, Beleihung, Vermietung oder Verpachtung für den Lebensunterhalt nutzbar ist. Hierunter fallen unter anderem Bargeld, Guthaben auf Anlagekonten und Sparguthaben, aber auch Wertpapiere, Sachwerte (beispielsweise Fahrzeuge) und Haus- oder Grundeigentum. Es gibt verschiedene Freibeträge, die sich nach der jeweiligen Vermögensart richten. Hierzu gehören Grundfreibeträge von 150 Euro pro Lebensjahr für Altersvorsorge und ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 Euro.
Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden vom Jobcenter in vollständiger Höhe nur übernommen, soweit diese „angemessen“ sind. Welche Kosten als angemessen angesehen werden, regeln die jeweiligen lokalen kommunalen Richtlinien, Richtwerte oder Satzungen nach § 22a SGB II. Zu den Kosten der Unterkunft gehören auch die mit dem Bewohnen eines Eigenheimes oder einer Eigentumswohnung verbundenen Belastungen. Sollten die Aufwendungen in ihrer Höhe unangemessen sein, sind Leistungsempfänger verpflichtet, die Kosten der Unterkunft zu mindern, wenn dies in ihren Möglichkeiten liegt. Auch ein Umzug in eine günstigere Wohnung kann dann als notwendig erachtet werden.
Daten
Das Panel „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) ist eine jährliche Haushaltsbefragung der Wohnbevölkerung in Deutschland mit den Schwerpunktthemen Arbeitsmarkt, Armut und soziale Sicherung, in der Personen überrepräsentiert sind, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten.
Jährlich wird die Befragung durch eine Zugangsstichprobe von Bedarfsgemeinschaften ergänzt, die zum Stichtag im Juli des Vorjahres, aber an keinem der vorangegangenen Stichtage, Leistungen der Grundsicherung bezogen haben. Die Zugangsstichproben aus den Jahren 2014 bis 2020 mit insgesamt 9.043 befragten Personen in 6.824 Haushalten wurden für die Analysen zum Aufbrauchen von Vermögen genutzt.
Mit diesem Stichtagskonzept wird ein kleiner Teil der Zugänge (laut Analysen mit Prozessdaten circa 18 %), die ausschließlich sehr kurze Bezüge zwischen den Stichtagen aufweisen, nicht erfasst. Für die Untersuchung der durch das Jobcenter veranlassten Umzüge wurden dagegen alle Haushalte aus allen Teilstichproben herangezogen, die zum Befragungszeitpunkt der Wellen 2 bis 14 den Bezug von Grundsicherungsleistungen angegeben haben (14.065 Haushalte).
Mit den von PASS bereitgestellten Gewichtungsfaktoren lassen sich die Ergebnisse auf die jeweiligen Grundgesamtheiten (Neuzugänge zur Grundsicherung auf Haushalts- oder Personenebene beziehungsweise Haushalte oder Personen mit Grundsicherungsbezug) hochrechnen.
Literatur
Bruckmeier, Kerstin; Hohmeyer, Katrin; Lietzmann, Torsten (2021): Zugänge in die Grundsicherung für Arbeitsuchende: Aus Erwerbstätigkeit kommen mehr Personen als aus dem Arbeitslosengeldbezug. IAB-Kurzbericht Nr. 17.
Bruckmeier, Kerstin; Wiemers, Jürgen (2018): Benefit take-up and labor supply incentives of interdependent means-tested benefit programs for low-income households. In: Comparative Economic Studies, Vol. 60, No. 4, S. 583–604.
Trappmann, Mark; Bähr, Sebastian; Beste, Jonas; Eberl, Andreas; Frodermann, Corinna; Gundert, Stefanie; Schwarz, Stefan; Teichler, Nils; Unger, Stefanie; Wenzig, Claudia (2019): Data Resource Profile: Panel Study Labour Market and Social Security (PASS). In: International Journal of Epidemiology, Volume 48, Issue 5, S. 1411–1411g.
Beste, Jonas; Trappmann, Mark; Wiederspohn, Jens (2021): Vereinfachter Zugang zur Grundsicherung: Wer von einer Schonfrist bei Vermögensanrechnung und Aufwendungen für die Unterkunft profitieren würde, In: IAB-Forum 13. Dezember 2021, https://www.iab-forum.de/vereinfachter-zugang-zur-grundsicherung-wer-von-einer-schonfrist-bei-vermoegensanrechnung-und-aufwendungen-fuer-die-unterkunft-profitieren-wuerde/, Abrufdatum: 26. December 2024
Diese Publikation ist unter folgender Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Autoren:
- Jonas Beste
- Mark Trappmann
- Jens Wiederspohn