15. April 2020 | Internationale und regionale Arbeitsmärkte
Deutsche Ausfuhren in das Vereinigte Königreich gehen seit dem Brexit-Referendum zurück
Ende Januar dieses Jahres trat das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union (EU) aus. In einer Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 bleibt das Handelsverhältnis zu den übrigen EU-Ländern zunächst unverändert. Danach ist allerdings ein Austritt des Vereinigten Königreichs auch aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion denkbar, was zu höheren Handelskosten für beide Seiten führen würde.
Da das Vereinigte Königreich bislang sehr enge Handelsbeziehungen mit Deutschland pflegt, hätte dies auch Folgen für die hiesige Exportindustrie. Es war im Jahr 2018 das fünftwichtigste Exportland für die deutsche Wirtschaft. Wie im IAB-Kurzbericht 1/2020 beschrieben, hängen knapp 460.000 Arbeitsplätze in Deutschland direkt und indirekt mit Ausfuhren in das Vereinigte Königreich zusammen. Daher ist es aus beschäftigungspolitischer Sicht wichtig, die Entwicklung der Handelsströme zwischen den beiden Volkswirtschaften zu beobachten.
Obwohl sich die Regelungen zum freien Warenaustausch nach dem Brexit-Referendum 2016 bislang nicht geändert haben, ist der Wert der deutschen Exporte in das Vereinigte Königreich seitdem rückläufig (siehe Abbildung 1). Das kann als ein Hinweis auf eine steigende Unsicherheit bei den exportierenden Unternehmen betrachtet werden.
Ein wesentlicher Teil des internationalen Handels findet in Wertschöpfungsketten statt. Infolgedessen kann Unsicherheit über die künftigen Handelsbedingungen Unternehmen dazu veranlassen, ihre Lieferketten frühzeitig umzustrukturieren. Auch die Investitionsentscheidungen von Unternehmen im Vereinigten Königreich wurden durch die zunehmende Unsicherheit infolge des Referendums negativ beeinflusst. Dies zeigt eine Studie von Nicholas Bloom und Koautoren aus dem Jahr 2019.
Das britische Pfund hat nach dem Referendum gegenüber dem Euro stark an Wert verloren
Die Aufwertung des Euros gegenüber dem britischen Pfund könnte eine weitere mögliche Erklärung für die rückläufigen Exporte in das Vereinigte Königreich sein. Denn das Pfund hat nach dem Referendum deutlich an Wert gegenüber dem Euro verloren. Seitdem bewegt sich die britische Währung im Vergleich zum Zeitraum vor dem Referendum auf einem spürbar niedrigeren Niveau. Dadurch sind deutsche Produkte im Vereinigten Königreich teurer geworden. Das könnte die Nachfrage nach importierten Produkten gedämpft haben – umso mehr, wenn Importe durch billigere einheimische Produkte ersetzt werden konnten.
Die deutschen Exporte insgesamt haben nach 2016 deutlich zugelegt
Vor dem Referendum sind die deutschen Exporte in das Vereinigte Königreich tendenziell gestiegen, danach setzt ein klarer Abwärtstrend ein. Neben der mit dem Brexit verbundenen Unsicherheit über die zukünftigen Handelsbeziehungen und der starken Aufwertung des Euros gegenüber dem Pfund sind andere Erklärungen für die Trendwende denkbar. Sie könnte auch eine allgemeine Abschwächung des Welthandels widerspiegeln. In diesem Fall wären niedrigere Ausfuhren in das Vereinigte Königreich kein Sonderfall, sondern würden dem weltweiten Gesamttrend folgen.
Tatsächlich aber haben die deutschen Exporte insgesamt nach 2016 deutlich zugelegt, wenn auch mit starken monatlichen Schwankungen (siehe Abbildung 2). Ein genauer Blick auf Handelsströme mit den größten Exportpartnern Deutschlands – den USA, Frankreich, China und den Niederlanden – lässt den gleichen positiven Trend vor und nach dem Referendum erkennen. Demnach konnten die seit 2016 sinkenden Exporte Deutschlands in das Vereinigte Königreich durch steigende Exporte in die restliche Welt mehr als wettgemacht werden. Mit der Corona-Pandemie ist indes ein starker Einbruch der deutschen Exporte auch in die anderen Länder zu erwarten.
Die Exporte in das Vereinigte Königreich haben sich je nach Branche sehr unterschiedlich entwickelt
Die Entwicklung der Exporte in das Vereinigte Königreich fällt allerdings je nach Branche unterschiedlich aus. In einigen Wirtschaftszweigen sind die Exporte auch nach dem Referendum deutlich gestiegen (siehe Abbildung 3). So haben die Ausfuhren von Maschinen, Apparaten und mechanischen Geräten zwischen 2016 und 2018 um ungefähr zwei Milliarden Euro zugenommen. Im gleichen Zeitraum ist der Export von Kraftfahrzeugen um fünf Milliarden Euro und der von pharmazeutischen Erzeugnissen um zwei Milliarden Euro gesunken. Der Export elektronischer Erzeugnisse blieb dagegen nahezu konstant. Die Frage, warum einzelne Wirtschaftszweige so unterschiedlich auf das Referendum reagiert haben, bedarf weiterer Forschung.
Fazit
Einerseits spielen Währungseffekte bei der Entwicklung der deutschen Exporte in das Vereinigte Königreich eine Rolle. Andererseits ist die rückläufige Tendenz auch durch die Unsicherheit über die zu erwartenden Handelsvereinbarungen zu erklären.
Ein großer Teil des internationalen Handels ist in globalen Wertschöpfungsketten organisiert. Zwischenprodukte werden in unterschiedlichen Ländern hergestellt, oft weit entfernt von dem Standort, an dem das Endprodukt zusammengebaut wird. Diese Produktionsstruktur ist von der Stabilität und Vorhersehbarkeit der Handelsregeln und Rahmenbedingungen abhängig. Auch externe Schocks, so lässt sich angesichts der aktuellen Corona-Krise hinzufügen, können diese globale Wertschöpfungsketten empfindlich stören oder sogar zeitweise außer Kraft setzen.
Das Brexit-Referendum hat große Unsicherheit in Bezug auf die zukünftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geschaffen. Diese Unsicherheit bezieht sich nicht nur auf den Inhalt der neuen Regeln, sondern auch auf den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die globalen Wertschöpfungsketten als Ergebnis dieser Unsicherheit umstrukturiert werden. Weitere Studien sind notwendig, um diese Neuausrichtung der Handelsströme zu erklären und ihre Auswirkungen zu erfassen.
Ungeachtet der mit der Brexit-Entscheidung einhergehenden Unsicherheit für die deutsche Exportwirtschaft ist es wichtig zu betonen, dass die deutschen Exporte insgesamt nach 2016 bis zur Corona-Krise weiter gestiegen sind.
Literatur
Bloom, Nicholas; Bunn, Philip; Chen, Scarlet; Mizen, Paul; Smietanka, Pawel; Thwaites, Gregory (2019): The impact of Brexit on UK firms, National Bureau of Economic Research Working Paper No. 26218.
Keita, Sekou; Stepanok, Ignat; Vallizadeh, Ehsan (2020): Beschäftigungsrelevanz des Handels mit dem Vereinigten Königreich: Exportabhängige Arbeitsplätze sind über Branchen und Regionen ungleich verteilt. IAB-Kurzbericht Nr. 1.
Keita, Sekou; Stepanok, Ignat (2020): Deutsche Ausfuhren in das Vereinigte Königreich gehen seit dem Brexit-Referendum zurück, In: IAB-Forum 15. April 2020, https://www.iab-forum.de/deutsche-ausfuhren-in-das-vereinigte-koenigreich-gehen-seit-dem-brexit-referendum-zurueck/, Abrufdatum: 18. December 2024
Diese Publikation ist unter folgender Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Autoren:
- Sekou Keita
- Ignat Stepanok