Auch wenn sich der deutsche Ausbildungsmarkt in den ersten Jahren nach der Corona-Krise etwas erholt hat, ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge 2024 wieder leicht zurückgegangen. Die Herausforderung, Ausbildungsangebot und -nachfrage zusammenzuführen, ist nach wie vor groß. Denn einer hohen Zahl von unbesetzten Ausbildungsplätzen steht eine wachsende Zahl an Jugendlichen gegenüber, die keinen Ausbildungsplatz finden.

Diese Problematik stand auch im Mittelpunkt des gemeinsamen Webinars des OECD Berlin Centre und des IAB, das am 1. April dieses Jahres in der Reihe „OECD-Gesellschaftssalon“ stattfand. Dabei wurden insbesondere mögliche Wege diskutiert, um wieder mehr Jugendliche für eine betriebliche Ausbildung zu gewinnen. Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion lag auf den speziellen Herausforderungen für Jugendliche, die über keinen Schulabschluss oder nur über einen (mäßigen) Hauptschulabschluss verfügen. Dass sich rund 300 Personen zugeschaltet hatten, belegt das starke Interesse an einem Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis auf diesem Themenfeld.

Fitzenberger: „Der Einbruch am Ausbildungsmarkt während der Corona-Krise ist noch nicht überwunden“

In ihrem einleitenden Vortrag berichteten IAB-Direktor Professor Bernd Fitzenberger und IAB-Forscherin Dr. Ute Leber über aktuelle Trends am Ausbildungsmarkt. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zum Stichtag 30. September 2024 war gegenüber dem Vorjahr leicht rückläufig. Sie liegt damit um 7,2 Prozent niedriger als im Vor-Corona-Jahr 2019. Daten des IAB-Betriebspanels 2024 zeigen gegenüber dem Vorjahr zudem einen Anstieg der Betriebe, die trotz einer Ausbildungsberechtigung nicht ausbilden.

Der Anteil unbesetzter Ausbildungsplätze sank 2024 leicht. Er beträgt jedoch immer noch 33 Prozent (2023: 35 %) – mit deutlichen Unterschieden je nach Wirtschaftsbereich. Der Anteil der vorzeitig gelösten Ausbildungsverträge bewegt sich im zweiten Jahr in Folge auf einem hohen Niveau von fast 30 Prozent. Die Übernahmequote wiederum erreichte 2024 mit 79 Prozent ein Rekordhoch. Parallel zur sehr hohen Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen ist festzustellen, dass viele junge Menschen keine Berufsausbildung beginnen. So hat die Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss ein neues Rekordniveau erreicht.

Aufschlussreich sind hier die Ergebnisse der Studie „BeYou – Berufswahl und Du“, einer neuen Online-Panel-Befragung des IAB zur beruflichen Orientierung von Schüler*innen aus den Abschlussklassen der ersten und zweiten Sekundarstufe. Sie belegen ein durchweg großes Interesse an betrieblicher Berufsausbildung von Schülerinnen und Schülern, die die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch nehmen. Wichtig sind den an einer betrieblichen Ausbildung Interessierten kurze Wegezeiten und der Austausch mit Kolleg*innen und anderen Auszubildenden. Abschreckend wirken hingegen eintöniges Arbeiten und ungünstige Arbeitszeiten.

Laut Bernd Fitzenberger ist es eine große Herausforderung, junge Menschen für eine betriebliche Ausbildung zu gewinnen. Die befragten Jugendlichen sehen insbesondere Praktika, Ferienjobs und Betriebsbesuche als als besonders hilfreich an.  Aber auch Einzelgespräche in der Berufsberatung oder persönliche Gespräche im eigenen sozialen Umfeld werden als sehr nützlich erachtet. Als weitaus weniger hilfreich werden demgegenüber Social Media, institutionalisierte und unpersönliche Informationsangebote oder Eignungstests am Computer eingeschätzt.

In der anschließenden Diskussion erörterten Karsten Froböse von der Agentur für Arbeit Thüringen Nord, Petra Gaede von der Handwerkskammer Lübeck, Hubert Ertl vom Bundesinstitut für Berufsbildung und Robert Grundke von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Problematik. In der von Nicola Brandt vom OECD Berlin Centre moderierten Runde berichteten sie außerdem über die Erfahrungen mit eigenen Projekten zur Gewinnung von Auszubildenden.

Gaede: „Freiwilliges Handwerksjahr ist ein Beispiel für eine erfolgreiche Berufsorientierung“

Petra Gaede berichtete über das Pilotprojekt „Freiwilliges Handwerkerjahr“ (FHJ) der Handwerkskammer Lübeck. Es stößt bei Jugendlichen auf großes Interesse als Orientierungshilfe für ihre Berufsorientierung, so die Fachberaterin für das Freiwillige Handwerksjahr. Im FHJ lernen Ausbildungsinteressierte während eines Jahres vier Ausbildungsberufe in je dreimonatigen Praktika kennen. Die teilnehmenden Jugendlichen erhalten eine Aufwandsentschädigung von monatlich 450 Euro von den beteiligten Betrieben. Mit Blick auf „schwierige“ Jugendliche plädierte Gaede für eine gezielte Unterstützung, um deren „versteckte“ Potenziale zu heben und damit auch die eher skeptischen Betriebe von einer Teilnahme zu überzeugen.

Grundke: „Das Fachkräfteproblem ist in Deutschland besonders groß“

Robert Grundke, Senior Economist bei der OECD, wies darauf hin, dass laut einer neuen OECD-Studie kein Land innerhalb der OECD ein größeres Fachkräfteproblem als Deutschland hat. Aus internationaler Perspektive spielt hierfür neben der Alterung der Bevölkerung und dem hohen Anteil an Frauen, die in Teilzeit arbeiten, auch die fehlende Attraktivität der Arbeitsbedingungen vor allem für ältere Arbeitnehmer eine bedeutende Rolle. Wichtig sei auch die Stärkung der frühkindlichen und schulischen Bildung. Denn sie schaffe die Basis für die Entwicklung von Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung und der Weiterbildung.

Froböse: „Vom „Tag in der Praxis“ profitieren alle Beteiligten

Über den „Tag in der Praxis“ (TiP) berichtete Karsten Froböse, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Thüringen Nord. Das Projekt TiP bietet Schülerinnen und Schülern in Thüringen während der Schulzeit die Möglichkeit, ein Jahr lang an einem Tag pro Woche praktische Einblicke in verschiedene Unternehmen zu gewinnen. Getragen wird die Initiative von einem Netzwerk aus Schulamt, Arbeitsagentur, regionaler IHK und den Kreishandwerkerschaften Nordthüringens.

Das Programm startete in kleinem Umfang in der Corona-Zeit und wurde aufgrund des steigenden Interesses inzwischen stark ausgeweitet. Nach Froböses Einschätzung verbessert das Programm unter realen Bedingungen nicht nur die Berufsorientierung der Schülerinnen und Schüler. Auch Schulen und Betriebe profitieren davon (lesen Sie dazu ein aktuelles Interview mit Karsten Froböse im IAB-Forum).

Ertl: „Ausbildungsbotschafter werden als besonders authentisch erlebt“

Professor Hubert Ertl, Forschungsdirektor und Ständiger Vertreter des Präsidenten beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB), ging auf den Rückgang bei der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ein. Nach seiner Einschätzung müssen sich Jugendliche in einer unübersichtlichen Vielfalt von Möglichkeiten beim Übergang von der Schule in den beruflichen Werdegang erst zurechtfinden, was oft zu einer Verschiebung der Entscheidung über den Berufseinstieg führt. Ein vielversprechender Ansatz sei es, mit Ausbildungsbotschaftern zu arbeiten, die von den Jugendlichen als besonders authentisch erlebt werden.

In der abschließenden Diskussion ging es unter anderem um die Schwierigkeiten junger Menschen mit Migrationserfahrungen. Bernd Fitzenberger wies darauf hin, dass der Anteil der Jugendlichen mit Migrationsgeschichte, die keinen Berufsabschluss erreichen, wesentlich größer ist als bei Jugendlichen ohne Migrationsgeschichte. Robert Grundke betonte, dass es in anderen Ländern mehr Möglichkeiten gibt, Teile der beruflichen Erstausbildung auf Englisch zu absolvieren. In Deutschlandgebe es außerdem seltener Angebote für Teilqualifikationen. So sieht Grundke denn auch Vorteile in einer stärkeren Modularisierung der Berufsausbildung, um den Einstieg von jungen Erwachsenen zu erleichtern, die über Arbeitserfahrung verfügen, aber nicht über einen Berufsabschluss.

Eine Aufzeichnung des Webinars und weitere Informationen finden Sie auf der OECD-Webseite.

Literatur

Keitel, Christiane (2025): Tag in der Praxis: Innovatives Netzwerk in Nordthüringen hilft bei der Fachkräftesicherung. In: IAB-Forum, 8.4.2025.

 

Bild: Robert Kneschke/stock.adobe.com

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20250417.01

 

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