Fast ein Viertel der Akademikerinnen und Akademiker in Deutschland übt eine berufliche Tätigkeit aus, für die sie überqualifiziert sind. Besonders betroffen sind Frauen, Migranten und Personen aus nicht akademischen Elternhäusern. Entscheidend dafür, ob eine Überqualifizierung vorliegt, ist jedoch die spezifische Kombination dieser soziodemografischen Merkmale.

Rund 23 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland sind nicht entsprechend ihrer beruflichen Qualifikation beschäftigt. Dies zeigen Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahre 2016. Deutschland liegt damit leicht über dem Durchschnitt aller OECD-Staaten.

Überqualifizierung liegt vor, wenn die in der Ausbildung erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen die Anforderungen der ausgeübten Beschäftigung übersteigen. Das bedeutet, dass individuelle und gesellschaftliche Bildungsinvestitionen nur teilweise beruflich verwertet werden können. Nach Befunden unter anderem von Ralf Rukwid aus dem Jahr 2012 haben dabei Personen mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium ein höheres Risiko, überqualifiziert beschäftigt zu sein, als Personen mit einer beruflichen Ausbildung.

Für die Betroffenen hat dies oft zur Folge, dass sich ihre Bildungsanstrengungen nicht in der erwarteten Höhe auszahlen. Sie müssen dann möglicherweise neben einem geringeren beruflichen Status auch ein niedrigeres Einkommen in Kauf nehmen. Empirische Befunde weisen außerdem auf eine im Durchschnitt geringere Arbeitszufriedenheit hin, wie etwa eine Studie von Francesco Berlingieri und Daniel Erdsiek aus dem Jahre 2012 zeigt. Auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ergeben sich dadurch ungenutzte Potenziale, letztlich zahlen sich staatliche Investitionen in das Bildungssystem auf dem Arbeitsmarkt nicht entsprechend aus.

Hinzu kommt: Das Phänomen der Überqualifizierung betrifft Personengruppen in unterschiedlicher Weise. Beispielsweise tragen Frauen ein höheres Risiko als Männer, wie Untersuchungen von Felix Büchel aus dem Jahr 2001 und Ralf Rukwid aus dem Jahr 2012 zeigen. Allerdings gab es lange keine Untersuchung, welche die Wirkung des gleichzeitigen Auftretens verschiedener Merkmale in den Fokus rückt. Eine solche Betrachtungsweise ist jedoch notwendig, da Menschen immer mehrere soziale Merkmale gleichzeitig aufweisen und daher differenzierter betrachtet werden müssen.

In der Studie, die diesem Beitrag zugrunde liegt, wurde untersucht, wie die Merkmale „Geschlecht“, „Bildungsniveau des Elternhauses“ und „Migrationsstatus“ sowie deren Kombination das Auftreten von Überqualifizierung beeinflussen. Auf Basis der Erwachsenenbefragung des Nationalen Bildungspanels (NEPS) zeigt sich für den Zeitraum 2010/11, dass nahezu jeder vierte Akademiker in Deutschland überqualifiziert beschäftigt war.

Frauen, Migranten und Personen aus einem nicht akademischen Elternhaus sind häufiger überqualifiziert als die entsprechenden Vergleichsgruppen (Männer, Einheimische und Personen aus akademisch geprägten Elternhäusern, siehe Abbildung 1). Dabei ist der Anteil überqualifiziert Beschäftigter bei Menschen mit Migrationshintergrund mit 38 Prozent am größten. Bei Menschen ohne Migrationshintergrund beläuft sich dieser nur auf knapp 18 Prozent.

Abb. 1: Überqualifiziert beschäftigte Akademiker

Kombination verschiedener Merkmale

Welcher Einfluss ergibt sich nun, wenn jeweils zwei dieser Personenmerkmale vorliegen? Es zeigt sich, dass eine solche Kombination die Wahrscheinlichkeit einer Überqualifizierung nicht notwendigerweise erhöht. So sind Migrantinnen aufgrund ihres Geschlechts und ihres Migrationshintergrundes nicht häufiger überqualifiziert als ihr männliches Pendant. Auch das Bildungsniveau der Eltern hat bei Menschen mit Migrationshintergrund keinen zusätzlich verstärkenden – aber auch keinen mindernden – Einfluss. Die Bedeutung der Bildungsherkunft variiert allerdings mit dem Geschlecht: Männer sind seltener überqualifiziert, wenn sie aus einem akademischen Elternhaus stammen.

Kombiniert man nun alle drei Personenmerkmale, so zeigt sich, dass Männer mit einem nicht akademischem Bildungs- und einem Migrationshintergrund mit rund 37 Prozent am häufigsten überqualifiziert sind. Die Gruppe, in der Überqualifizierung am seltensten auftritt, bilden interessanterweise ebenfalls Männer mit Migrationshintergrund, und zwar dann, wenn sie aus einem akademisch geprägten Elternhaus kommen. Die Wahrscheinlichkeit beläuft sich in diesem Fall nur auf 17 Prozent, liegt also nicht einmal halb so hoch (siehe Abbildung 2).

Für die Überqualifizierungswahrscheinlichkeit männlicher Migranten macht es also einen deutlichen Unterschied, ob diese aus einem akademischen Elternhaus stammen oder nicht. Bei weiblichen Migranten hingegen ist das Elternhaus praktisch irrelevant. Die Kombination ausgewählter soziodemografischer Merkmale ist also entscheidend, um die individuelle Wahrscheinlichkeit einer Überqualifizierung einschätzen zu können.

Abb. 2: Überqualifiziert beschäftigte Akademiker – Geschätzte Wahrscheinlichkeit nach Kombination ausgewählter Personenmerkmale

Fazit

Wenn Menschen auf Stellen tätig sind, für die sie eigentlich überqualifiziert sind, kann dies nicht nur für sie selbst von Nachteil sein, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt, da dies meistens mit Wohlstandsverlusten verbunden ist. Allerdings sind nicht alle gesellschaftlichen Gruppen gleichmäßig betroffen. Die Wahrscheinlichkeit einer Überqualifizierung hängt vielmehr sehr stark von der Kombination individueller soziodemografischer Merkmale ab. Wird hingegen nur ein einziges soziodemografisches Merkmal betrachtet, so besteht die Gefahr, dass die Wahrscheinlichkeit deutlich über- oder unterschätzt wird.

 

Literatur

Kracke, Nancy (2016). Unterwertige Beschäftigung von AkademikerInnen in Deutschland. Die Einflussfaktoren Geschlecht, Migrationsstatus und Bildungsherkunft und deren Wechselwirkungen. Soziale Welt, 67(2), S.177-204. doi 10.5771/0038-6073-2016-2-177