15. Juni 2018 | Podium
Vorbild für Tschechien? Auf einem Symposium in Prag stellt das IAB sich und seine Arbeit vor
Uwe Blien , Linda Borrs , Veronika Hecht , Hannah Illing , Michael Moritz
In Tschechien gibt es bisher kein Arbeitsmarktforschungsinstitut mit breiter Aufgabenstellung, das Öffentlichkeit und Politik auf der Grundlage unabhängiger Forschung berät. Es fehlt sowohl eine breite Aufbereitung amtlicher Daten wie auch darauf basierende Forschung. Von wissenschaftlicher Seite besteht nun der Wunsch, in Tschechien eine solche Forschungseinrichtung aufzubauen. Vor allem der Zugang zu den administrativen Daten der tschechischen Arbeitsverwaltung würde sowohl die tschechische Arbeitsmarktforschung als auch die daraus resultierende Politikberatung enorm bereichern.
Aufbau, Aufgaben und Erfahrungen des IAB standen im Fokus
Aus diesem Grund wurde das IAB nach Prag eingeladen, um am 11. April 2018 bei einem Symposium in den Räumlichkeiten des Centers for Economic Research and Graduate Education – Economics Institute (CERGE-EI) den Aufbau und die Arbeit des Instituts zu erläutern, über seine Erfahrungen in der Arbeitsmarktforschung zu berichten und die Bedeutung der Forschungsergebnisse des IAB für die deutsche Arbeitsmarktpolitik darzustellen.
Forscherinnen und Forscher des IAB gaben den Vertretungen aus tschechischen Ministerien, Wirtschaft, Gewerkschaften und Arbeitsverwaltung einen Überblick über die Struktur des Instituts und stellten Forschungsgebiete vor, die sowohl in Deutschland als auch in Tschechien derzeit besonders relevant für die Politikberatung sind.
Gemeinsames Forschungsprojekt gab den Anstoß für das Symposium
Die eintägige Veranstaltung wurde von Prof. Daniel Münich, Geschäftsführer des Institute for Democracy and Economic Analysis (IDEA), einem Think-Tank von CERGE-EI, von CERGE-EI-Direktor Prof. Michal Kejak und von IAB-Forscher Dr. Michael Moritz, der ein Kooperationsprojekt zwischen IAB und CERGE-EI leitet, eröffnet. Dieses Projekt befasst sich mit den Arbeitsmarkteffekten ausländischer Direktinvestitionen und wird von der Bayerisch-Tschechischen Hochschulagentur gefördert. Zuvor hatten die beiden Forschungseinrichtungen bereits einige Jahre erfolgreich im Rahmen eines Vorgängerprojekts zum gleichen Themenkomplex zusammengearbeitet.
Aus dieser Kooperation heraus war die Idee für das Symposium entstanden. Die Veranstaltung sollte nicht nur einen Austausch zu arbeitsmarktrelevanten Themen zwischen den beiden Ländern ermöglichen, sondern – wie Daniel Münich sich wünschte – auch eine Inspiration für die tschechische Politik sein.
Rolle des IAB für die deutsche Arbeitsmarktforschung und -politik
In der anschließenden Plenarsitzung erläuterte IAB-Direktor Prof. Joachim Möller zunächst die Rolle des IAB für die deutsche Arbeitsmarktforschung und -politik. Die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit (BA) zählt in Deutschland zu den wichtigsten Instituten im Bereich der Arbeitsmarktforschung. Insbesondere der Zugang zu den administrativen Prozessdaten der BA und der Sozialversicherungsträger ermöglicht es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, den Arbeitsmarkt in umfassender Weise zu analysieren.
Die Ergebnisse dieser Forschung wirken nicht nur in die Wissenschaft hinein, sondern sind zudem die Grundlage für eine empirisch fundierte Politikberatung. Die Politikberatung des IAB deckt dabei die gesamte Bandbreite an arbeitsmarktpolitischen Themen ab. Die wichtigsten Beratungsempfänger sind die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Dreiklang aus Forschung, Daten und Beratung prägt die Arbeit des IAB
Joachim Möller hob insbesondere den Dreiklang des IAB aus Forschung, Daten und Beratung hervor. Er betonte, dass das Institut als besondere Dienststelle zwar Teil der BA, gleichzeitig aber in seiner Forschung unabhängig sei. Diese Unabhängigkeit sei eine wichtige Grundlage für die Glaubwürdigkeit der Forschungsergebnisse und habe mit dazu beigetragen, dass das IAB heute zu den führenden Arbeitsmarktforschungsinstituten in Deutschland gehöre.
Zur Glaubwürdigkeit trügen unter anderem die freie Wahl der Forschungsfragen und Forschungsmethoden sowie die Freiheit, alle Forschungsergebnisse veröffentlichen zu können, wesentlich bei, ergänzte Dr. Martin Dietz, Leiter der Forschungskoordination am IAB. Evidenzbasierte Forschung sei eine wichtige Bedingung für gute Beratung, betonte Dietz, und erläuterte, wie die Politikberatung am IAB organisiert ist.
Silvina Copestake vom Geschäftsbereich „Daten- und IT-Management“ am IAB ging hauptsächlich auf die Bereitstellung von prozessgenerierten Daten am IAB ein. Sie stammen vornehmlich aus zwei Quellen: den Prozessdaten der Bundesagentur für Arbeit und den Daten der Sozialversicherungsträger, die sich aus den Beschäftigungsmeldungen aller Betriebe in Deutschland speisen.
Aufgabe des Daten- und IT-Management am IAB ist es, die Daten für die Forschung aufzubereiten. Dazu gehören unter anderem die Integration von Daten aus verschiedenen Quellen, die Erstellung von Zeitreihen auf Personenebene und, in Zusammenarbeit mit dem Forschungsdatenzentrum der BA im IAB, deren Bereitstellung im Rahmen der datenschutzrechtlichen Vorgaben.
Diskussion zur Rolle der Wissenschaft für die Arbeitsmarktpolitik
Bei der folgenden Podiumsdiskussion diskutierten Teilnehmer aus Wissenschaft, Politik und der Arbeitsverwaltung beider Länder über die Rolle der Wissenschaft für die Arbeitsmarktpolitik. Neben IAB-Direktor Joachim Möller vertrat Prof. Štepán Jurajda von CERGE-EI die Wissenschaft. Außerdem nahmen die Grünen-Politikerin Kerstin Celina, Mitglied des Bayerischen Landtags, sowie für die Arbeitsverwaltung Gertraud Lankes-Müller, Beraterin beim europaweiten Netzwerk „European Employment Services“, das die innereuropäische Mobilität im Bereich des Arbeitsmarktes über Grenzen hinweg fördert, und Jan Karmazín von der tschechischen Arbeitsverwaltung teil.
Evidenzbasierte Forschung ist für gute Politikberatung unabdingbar
Einigkeit herrschte bei den Diskutanten insbesondere darüber, dass evidenzbasierte Forschung für gute Politikberatung unabdingbar ist. Gleichzeitig sei es für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wichtig, Feedback von der Politik und den zu beratenden Institutionen zu erhalten. Denn nur durch den permanenten Austausch zwischen Wissenschaft und Politik könne sichergestellt werden, dass sich die Wissenschaft der relevanten und aktuellen Fragestellungen annimmt und ihre Ergebnisse für politische Entscheidungen relevant sind.
Forschungsergebnisse des IAB mit hoher Relevanz für die Politikberatung
In vier Vorträgen präsentierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IAB zudem Forschungsergebnisse, welche aktuell von besonderer Relevanz für die Politikberatung des Instituts sind. Dr. Mario Bossler, Leiter der Arbeitsgruppe „Mindestlohn“, stellte die Mindestlohnforschung am IAB vor. Er betonte, dass es gerade in diesem Forschungsfeld darauf ankomme, die Auswirkungen des Mindestlohns von anderen Effekten zu isolieren, um nicht die falschen arbeitsmarktpolitischen Schlüsse zu ziehen.
Effekte des Mindestlohns auf Löhne, Beschäftigung und Lohnzufriedenheit
Bossler ging auf mehrere Studien zu den Effekten des Mindestlohns, unter anderem auf Löhne und Beschäftigung sowie Lohnzufriedenheit, ein. Diese Studien nutzen einen Differenz-in-Differenzen-Ansatz, wobei sie vom Mindestlohn betroffene Betriebe vor und nach der Einführung vergleichen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Löhne nach der Einführung des Mindestlohns signifikant gestiegen sind, genauso wie die Zufriedenheit der Arbeitnehmer mit der Entlohnung. Gleichzeitig kam es nur zu sehr moderaten Beschäftigungsverlusten.
Dr. Florian Lehmer, Leiter der Arbeitsgruppe „Arbeit in der digitalisierten Welt“, präsentierte aktuelle Forschungsergebnisse zur Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Der technologische Wandel bringt massive Entwicklungen unter anderem im Bereich der Künstlichen Intelligenz und Robotik mit sich. Eine zentrale Frage ist daher, welche Auswirkungen diese Prozesse auf den Arbeitsmarkt haben.
Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitsplätze, Tätigkeiten und Berufe
Auf Basis einer repräsentativen Befragung von deutschen Betrieben lässt sich prognostizieren, dass durch die Digitalisierung tatsächlich Arbeitsplätze verloren gehen werden, gleichzeitig aber im selben Umfang neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Allerdings sind verschiedene Tätigkeitsbereiche (sogenannte Tasks) und verschiedene Berufe unterschiedlich stark von einer Substituierbarkeit durch digitale Technologien betroffen, wie eine Auswertung des Informationsportals „BERUFENET“ der Bundesagentur für Arbeit darlegt.
Die IAB-Forscher Dr. Michael Oberfichtner und Dr. Malte Sandner stellten zwei Forschungsprojekte vor, die sich mit den Effekten von öffentlicher Kinderbetreuung und frühen Erziehungshilfen auf die Arbeitsmarktpartizipation von Müttern und die kindliche Entwicklung befassen.
Effekte öffentlicher Kinderbetreuung auf die kindliche Entwicklung
Oberfichtner war der Frage nachgegangen, ob Kinder, die früher eine Kindertagesstätte (Kita) besuchen, sich beispielsweise hinsichtlich ihrer kognitiven Fähigkeiten anders entwickeln als solche, die erst später in eine Kita gehen. Er stellte allerdings keinen Effekt fest, das heißt, Kinder profitieren weder von einem früheren Kita-Besuch noch schadet er ihnen.
Auswirkungen früher Hilfen
Im Vortrag von Sandner standen Mütter im Vordergrund. Gegenstand seiner Forschung war das Hausbesuchsprogramm „Pro Kind“, bei dem Familienbegleiterinnen Mütter, die Transferleistungen vom Staat beziehen, von der Schwangerschaft bis zum zweiten Geburtstag des Kindes begleiten.
Die Studie zeigt, dass das Programm die mentale Gesundheit und die Lebenszufriedenheit der Mütter verbesserte. Dies führte dazu, dass sich die teilnehmenden Mütter in den ersten drei Jahren nach der Geburt häufiger für ein weiteres Kind und für einen längeren Zeitraum ohne Erwerbstätigkeit entschieden.
Evaluation von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen
Zum Abschluss präsentierte Prof. Gesine Stephan, Leiterin des Forschungsbereichs „Arbeitsförderung und Erwerbstätigkeit“, beispielhaft einige Forschungsprojekte zur Evaluation von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, bei denen das IAB eng mit der Bundesagentur für Agentur zusammengearbeitet hat.
Stephan gab zudem eine Reihe von Empfehlungen für eine evidenzbasierte Arbeitsmarktpolitik. Dazu gehören der Aufbau qualitativ hochwertiger Prozessdatenbestände sowie die Erprobung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen vor einer Flächeneinführung. Will man Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik wissenschaftlich evaluieren, ist es zudem zentral, dass die Wissenschaft bereits bei der Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen mit einbezogen wird.
Weitere Informationen zum Arbeitsmarktsymposium finden Sie auf der Webseite des Institute for Democracy & Economic Analysis (IDEA) . Ein Video von der Veranstaltung können Sie auf YouTube anschauen.
Fotos (2): Veronika Hecht | IAB
Blien, Uwe; Borrs, Linda ; Hecht, Veronika ; Illing, Hannah; Moritz, Michael (2018): Vorbild für Tschechien? Auf einem Symposium in Prag stellt das IAB sich und seine Arbeit vor, In: IAB-Forum 15. Juni 2018, https://www.iab-forum.de/vorbild-fuer-tschechien-auf-einem-symposium-in-prag-stellt-das-iab-sich-und-seine-arbeit-vor/, Abrufdatum: 21. November 2024
Autoren:
- Uwe Blien
- Linda Borrs
- Veronika Hecht
- Hannah Illing
- Michael Moritz