7. November 2024 | Migration und Integration
Betriebe beschäftigen ukrainische Geflüchtete vor allem in einfachen Tätigkeiten
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind laut Statistischem Bundesamt mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland geflüchtet. Deren Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ist angesichts der substanziellen Versorgungs- und Unterbringungskosten und der weiterhin bestehenden Arbeits- und Fachkräftelücken in Deutschland von hoher gesellschafts- und arbeitsmarktpolitischer Relevanz – zumal sich bislang kein Ende des Krieges abzeichnet.
Eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration und die damit verbundene wirtschaftliche Unabhängigkeit verbessert nicht nur die gesellschaftliche Akzeptanz und Integration von geflüchteten Menschen. Sie trägt auch dazu bei, deren berufliche Kompetenzen zu erhalten und weiterzuentwickeln – unabhängig davon, ob sie nach Kriegsende in Deutschland bleiben oder in ihr Heimatland zurückkehren (lesen Sie dazu auch den IAB-Forschungsbericht 16/2024 von Yuliya Kosyakova und anderen).
Deutschland liegt bei der Beschäftigungsquote von ukrainischen Geflüchteten im europäischen Mittelfeld
Die Arbeitsmarktintegration von ukrainischen Geflüchteten wurde bislang überwiegend aus der Perspektive der Geflüchteten und ihrer Arbeitsmarktchancen untersucht. Laut dem IAB-Kurzbericht 14/2023 von Yuliya Kosyakova und anderen liegt die Erwerbstätigenquote ukrainischer Geflüchteter elf Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland zwischen 15 und 19 Prozent. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit im Mittelfeld.
Dass Deutschland hier nicht besser abschneidet, liegt unter anderem an der zu geringen Kinderbetreuungsquote und an einer fehlenden langfristigen Planungsperspektive. Denn aktuell gilt der vorübergehende Schutzstatus für Ukrainer*innen in Deutschland nur bis zum 4. März 2026. Das erschwert sowohl den Geflüchteten selbst als auch potenziellen Arbeitgebern eine längerfristige Planung.
Der Hauptgrund dürfte allerdings sein, dass Deutschland im Gegensatz zu manchen anderen Ländern nicht auf eine möglichst schnelle, sondern auf eine möglichst nachhaltige Integrationsstrategie setzt. Länder, in denen die Erwerbstätigenquoten ukrainischer Geflüchteter höher sind, verfolgen typischerweise eine „Arbeit zuerst“-Strategie. Die schnellstmögliche Integration in den Arbeitsmarkt, auch wenn es sich nur um einfache Jobs handelt, hat dort höhere Priorität als etwa Spracherwerb oder Weiterqualifizierung.
Deutschland hingegen verfolgt eher eine „Sprache zuerst“-Strategie mit dem Ziel einer längerfristigen Integration in qualifizierte Tätigkeiten. Geflüchtete, die an Sprachkursen oder Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen, stehen dem Arbeitsmarkt aber naturgemäß noch nicht oder nur in begrenztem Umfang zur Verfügung.
Mit Blick auf die Erwerbsintegration von Geflüchteten ist die Arbeitgeberseite bislang weitestgehend unerforscht. Um mehr darüber herauszufinden, welche Betriebe ukrainische Geflüchtete einstellen, wurden 2023 entsprechende Informationen im IAB-Betriebspanel erhoben. Dabei wurden die Betriebe gefragt, ob sie seit Beginn des russischen Angriffskriegs von ukrainischen Geflüchteten wegen eines Arbeits-, Ausbildungs- oder Praktikumsplatzes angefragt wurden. Falls dies der Fall war, wurden sie zusätzlich gefragt, ob sie bis Mitte 2023 eine oder mehrere dieser Personen zumindest zeitweise beschäftigt haben.
9 Prozent der Betriebe erhielten Beschäftigungsanfragen von Geflüchteten
Insgesamt gaben auf Basis dieser Fragen 9 Prozent der Betriebe an, Anfragen von ukrainischen Geflüchteten erhalten zu haben. Zu Beschäftigungsverhältnissen kam es in knapp 4 Prozent aller Betriebe beziehungsweise 39 Prozent der angefragten Betriebe (siehe Abbildung 1). Damit hat sich der Anteil derjenigen Betriebe, die Geflüchtete aus der Ukraine beschäftigten, gegenüber 2022 deutlich erhöht. Laut einer Studie von Patrick Gleiser und anderen, die 2022 im IAB-Forum veröffentlicht wurde, stellten in jenem Jahr rund 2 Prozent der Betriebe Geflüchtete aus der Ukraine ein.
Sowohl die Zahl der Anfragen als auch die der realisierten Beschäftigungsverhältnisse variiert jedoch je nach Branche und Betriebsgröße erheblich. Außerdem zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen privat-gewerblichen, öffentlichen und gemeinnützigen Betrieben (siehe Abbildung 1). So haben 32 Prozent der Großbetriebe (mehr als 250 Beschäftigte) Anfragen von Geflüchteten erhalten und 20 Prozent diese auch eingestellt, bei Kleinbetrieben mit weniger als 10 Beschäftigten waren es 2 Prozent. Zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen hingegen keine größeren Unterschiede.
Im Gastgewerbe, in der Arbeitnehmerüberlassung, im Wirtschaftszweig „Wachdienste, Garten- und Landschaftsbau sowie Reisegewerbe“ und im Verarbeitenden Gewerbe berichten besonders viele Betriebe von Anfragen durch ukrainische Geflüchtete und vom Abschluss entsprechender Beschäftigungsverhältnisse. Zugleich erfolgen sowohl Anfragen als auch realisierte Beschäftigungen deutlich häufiger in privat-gewerblichen und privat-gemeinnützigen Betrieben (der sogenannte Dritte Sektor) als im öffentlichen Dienst. Dort dürften Anforderungen in Bezug auf anerkannte Zertifikate und Sprachkenntnisse ein zentrales Hindernis darstellen.
Die Beschäftigung von ukrainischen Geflüchteten konzentriert sich auf einzelne Branchen
In der 2023er-Welle des IAB-Betriebspanels wurde nicht nur erfasst, welche Betriebe ukrainische Geflüchtete beschäftigt haben, sondern auch die Zahl und Verteilung der aus der Ukraine geflüchteten Beschäftigten. Demnach waren in Betrieben in Deutschland bis Mitte 2023 rund 150.000 Geflüchtete aus der Ukraine beschäftigt. Im Folgejahr waren es laut der amtlichen Statistik der Bundesregierung bereits 175.000. Dies entspricht einer Beschäftigtenquote ukrainischer Geflüchteter von etwa 20 Prozent.
Die Beschäftigung ukrainischer Geflüchteten konzentriert sich auf spezifische Branchen und unterscheidet sich deutlich von der Verteilung der Beschäftigten in Deutschland insgesamt (siehe Tabelle 1). So sind 25 Prozent aller beschäftigten ukrainischen Geflüchteten in der Arbeitnehmerüberlassung und im Wirtschaftszweig „Wachdienste, Garten- und Landschaftsbau sowie Reisegewerbe“ zu finden. Bei den Beschäftigten insgesamt sind es dagegen nur 7 Prozent. Die Arbeitnehmerüberlassung lässt sich zwar hier aufgrund geringer Fallzahlen nicht getrennt ausweisen. Weitere Analysen legen jedoch nahe, dass sie für die Beschäftigung von Geflüchteten eine wichtige Rolle spielt.
Auch im Gastgewerbe sind ukrainische Geflüchtete überproportional vertreten (18 versus 4 Prozent). Im Baugewerbe liegt ihr Anteil ebenfalls etwas über dem Anteil der Beschäftigten insgesamt (8 versus 6 Prozent). Unterdurchschnittlich häufig sind sie dagegen in den Branchen „Gesundheit und Soziales“ sowie „Erziehung und Unterricht“ tätig (12 versus 19 Prozent). Gleiches gilt für das Verarbeitende Gewerbe (11 versus 17 Prozent).
Ukrainische Geflüchtete sind zudem überproportional häufig in der Privatwirtschaft beschäftigt (89 versus 77 Prozent) und nur sehr vereinzelt im öffentlichen Sektor (1 versus 11 Prozent). Sie sind außerdem im Vergleich zum deutschen Durchschnitt eher selten in Betrieben mit mehr als 250 Beschäftigten angestellt (14 versus 32 Prozent), vor allem weil sie häufig in Branchen mit sehr kleinteiliger Betriebsstruktur wie dem Gastgewerbe arbeiten. Zwischen Ost- und Westdeutschland zeigen sich hingegen keine nennenswerten Abweichungen gegenüber den Beschäftigten insgesamt.
Eine geschlechtsspezifische Betrachtung der Verteilung zeigt zudem, dass ukrainische Frauen deutlich häufiger im Gastgewerbe und ukrainische Männer häufiger im Baugewerbe tätig sind. Ukrainische Frauen sind außerdem mit 18 Prozent seltener in den Branchen „Gesundheit und Soziales, Erziehung und Unterricht“ tätig als Frauen in Deutschland insgesamt mit 30 Prozent.
Die derzeitige branchenspezifische Verteilung der ukrainischen Geflüchteten lässt sich vor allem dadurch erklären, dass für einen Großteil der Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland anerkannte Berufsabschlüsse und gute oder sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache vorausgesetzt werden. Insgesamt werden die Geflüchteten bislang eher in Branchen eingestellt, in denen einfache Tätigkeiten oder Tätigkeiten dominieren, für die keine formale Qualifikation oder anerkannte Zertifikate benötigt werden, und die zudem – wie das Gastgewerbe – Probleme haben, ihren Arbeitskräftebedarf zu decken.
Wo Tätigkeiten dominieren, die anerkannte Berufsabschlüsse und vertiefte deutsche Sprachkenntnisse erfordern, ist der Arbeitsmarkteintritt deutlich schwerer. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch in einer multivariaten Analyse, also dann, wenn man Betriebe in derselben Branche oder derselben Größe betrachtet. Die Beschäftigungschancen von Geflüchteten aus der Ukraine steigen mit dem Anteil an einfachen Tätigkeiten in den Betrieben (nicht dargestellt).
Drei Viertel der beschäftigten ukrainischen Geflüchteten üben einfache Tätigkeiten aus
Angesichts der Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen und Sprachbarrieren ist es in der relativ kurzen Frist nicht überraschend, dass der Anteil der geflüchteten Ukrainer*innen in einfachen Tätigkeiten mit 75 Prozent bislang sehr hoch ist. Zum Vergleich: Bezogen auf alle Beschäftigten liegt der Anteil nur bei 24 Prozent (siehe Abbildung 2).
Wie Herbert Brücker und andere im IAB-Forschungsbericht 2/2023 gezeigt haben, verfügen rund 72 Prozent der ukrainischen Geflüchteten über tertiäre Bildungsabschlüsse und sind damit für ihre aktuelle Tätigkeit nicht selten überqualifiziert. In der Arbeitnehmerüberlassung, den Wachdiensten und im Garten- und Landschaftsbau sowie im Gastgewerbe üben sogar bis über 90 Prozent der ukrainischen Beschäftigten einfache Tätigkeiten aus.
Aber auch in den übrigen Branchen erfordern die Tätigkeiten der ukrainischen Geflüchteten mehrheitlich keine berufliche oder akademische Ausbildung. Selbst im öffentlichen Dienst, in dem lediglich 9 Prozent der Beschäftigten insgesamt einfache Tätigkeiten ausüben, liegt der Anteil der einfachen Tätigkeiten bei den ukrainischen Geflüchteten bei knapp 50 Prozent.
Fazit
9 Prozent der im Jahr 2023 befragten Betriebe erhielten Anfragen von ukrainischen Geflüchteten, wobei in knapp 4 Prozent der Betriebe tatsächlich Beschäftigungsverhältnisse zustande kamen. Besonders häufig fanden sich diese in privat-gewerblichen Betrieben und in Branchen wie dem Gastgewerbe, in der Arbeitnehmerüberlassung sowie in Bereichen wie Wachdiensten und dem Garten- und Landschaftsbau. Der öffentliche Sektor stellte bisher kaum ukrainische Geflüchtete ein, was auf höhere Anforderungen an deutsche Sprachkenntnisse und anerkannte Zertifikate zurückzuführen sein dürfte.
Die Beschäftigung von ukrainischen Geflüchteten konzentriert sich bislang auf bestimmte Branchen. Im Vergleich zur gesamten Beschäftigungsverteilung sind ukrainische Frauen unter anderem häufiger im Gastgewerbe tätig, während ukrainische Männer beispielsweise überproportional im Baugewerbe beschäftigt sind.
Ein Großteil der beschäftigten ukrainischen Geflüchteten arbeitet derzeit – der deutschen Strategie einer längerfristigen Integration in qualifizierte Tätigkeiten zum Trotz – in einfachen Tätigkeiten, die keine formale Qualifikation erfordern. IAB-Studien zufolge ist dies insbesondere auf Sprachbarrieren, fehlende Berufserfahrung in Deutschland und Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen zurückzuführen.
Die Integration ukrainischer Geflüchteter in den deutschen Arbeitsmarkt ist eine komplexe Herausforderung. Bislang haben die meisten Geflüchteten noch keine Arbeit gefunden oder sind in einfachen Jobs beschäftigt, die oft keine formale Qualifikation erfordern. Insbesondere der Erwerb der deutschen Sprache erfordert Zeit, ist aber ein zentraler Baustein, um eine nachhaltige Integration auch in höherwertige Jobs zu gewährleisten.
Um die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen und die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Geflüchteten zu fördern, sind weiterhin gezielte Maßnahmen erforderlich, die Sprachförderung, die Anerkennung von Berufsabschlüssen und die Unterstützung bei der Jobsuche umfassen. Arbeitgeber könnten ebenfalls dazu beitragen, die Integration zu verbessern und das Potenzial der geflüchteten Menschen in Deutschland besser zu nutzen, indem sie gezielte Maßnahmen wie die Teilnahme an Sprachkursen ermöglichen.
In aller Kürze
- 9 Prozent der im Jahr 2023 befragten Betriebe erhielten seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine Anfragen von Geflüchteten aus der Ukraine.
- Knapp 4 Prozent der Betriebe haben bis Mitte 2023 ukrainische Geflüchtete eingestellt.
- Privat-gewerbliche Betriebe stellten häufig ukrainische Geflüchtete ein, Betriebe des öffentlichen Sektors selten.
- Drei Viertel der Geflüchteten arbeiten bislang in einfachen Tätigkeiten, die keine formale Qualifikation erfordern.
Literatur
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Brücker, Herbert; Gatskova, Kseniia; Kosyakova, Yuliya; Schwanhäuser, Silvia (2023): Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter: Erwerbstätigkeit steigt ein Jahr nach dem Zuzug. IAB-Kurzbericht Nr. 14.
Statistisches Bundesamt (Destatis) (2024): Nettozuwanderung von 121 000 Menschen aus der Ukraine im Jahr 2023. Pressemitteilung Nr. 065 vom 22.2.2024.
Bild: Medienzunft Berlin/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240711.01
Bellmann, Lisa; Hohendanner, Christian; Zimmermann, Florian (2024): Betriebe beschäftigen ukrainische Geflüchtete vor allem in einfachen Tätigkeiten, In: IAB-Forum 7. November 2024, https://www.iab-forum.de/betriebe-beschaeftigen-ukrainische-gefluechtete-vor-allem-in-einfachen-taetigkeiten/, Abrufdatum: 7. November 2024
Autoren:
- Lisa Bellmann
- Christian Hohendanner
- Florian Zimmermann