20. Dezember 2023 | Arbeitsmarktpolitik
Eine Mehrheit in der Bevölkerung befürwortet Sanktionen mit Augenmaß
Matthias Collischon , Jens Stegmaier , Markus Wolf , Joachim Wolff
Im Vorfeld der Bürgergeldreform wurde eine kontroverse politische Debatte über das Für und Wider von Sanktionen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende geführt. Anlass war unter anderem ein im Juli 2022 eingeführtes Sanktionsmoratorium, das bis zur Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar 2023 in Kraft war.
Die Gegner von Leistungsminderungen argumentierten unter anderem, dass Sanktionen für die Arbeitsmarktintegration kontraproduktiv seien, weil so keine „Kooperation auf Augenhöhe“ zwischen Jobcentern und deren Kund*innen möglich sei. Befürworter von Leistungsminderungen hingegen sehen in Sanktionen ein notwendiges Instrument, um notfalls Druck auf Leistungsbeziehende ausüben zu können, die ihren Pflichten gegenüber dem Jobcenter nicht nachkommen.
Auch in der Bevölkerung und unter den Leistungsempfänger*innen selbst sind die Meinungen dazu uneinheitlich. Dies zeigt eine webbasierte Umfrage, die im Herbst 2022 – also wenige Monate nach Einführung des Sanktionsmoratoriums – im Rahmen des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) durchgeführt wurde. Dabei wurden auch Fragen zu verschiedenen Aspekten von Sanktionen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt.
Die Befragung richtete sich sowohl an Personen in Haushalten, die zum Zeitpunkt der Befragung Arbeitslosengeld II (ALG II) bezogen haben, als auch an solche, die keine Leistungen bezogen haben. Dies ermöglicht ein differenziertes Bild zur Einstellung der Bevölkerung beim Thema Sanktionen (siehe Infokasten „Daten und Methoden“).
Moderate Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen werden mehrheitlich befürwortet
Ein guter Teil der Befragten befürwortet Kürzungen des ALG II bei Pflichtverletzungen (siehe Abbildung 1). 75 Prozent der Personen ohne aktuellen ALG-II-Bezug stimmen dieser Aussage zu, mehr als 11 Prozent stimmen nicht zu und gut 13 Prozent haben dazu keine Meinung. Unter denen, die ALG II beziehen, fällt die Zustimmung mit rund 43 Prozent zwar deutlich geringer aus. Dennoch befürwortet auch unter ihnen eine relative Mehrheit etwaige Kürzungen. Rund 29 Prozent lehnen diese ab, etwa 28 Prozent haben dazu keine Meinung.
In beiden Gruppen zeigen sich allerdings deutliche Altersunterschiede (siehe Abbildung 2):
- Unter den Personen ohne ALG-II-Bezug stimmen bei den Älteren (über 50 Jahre) rund 82 Prozent zu. Bei den jüngeren Altersgruppen (bis zu 30 Jahre und 31 bis 50 Jahre) sind es weniger als 70 Prozent.
- Unter den ALG-II-Beziehenden hingegen ist die Zustimmung der bis zu 30-Jährigen mit 26 Prozent mehr als 20 Prozentpunkte niedriger als in den höheren Altersgruppen. Bei den bis zu 30-jährigen ALG-II-Beziehenden liegt der Anteil der ablehnenden Antworten bei mehr als 39 Prozent, während es bei den 31- bis 50-Jährigen mehr als 21 Prozent und bei den über 50-Jährigen mehr als 31 Prozent sind. Anders als für die beiden anderen Altersgruppen findet sich unter den bis zu 30-jährigen ALG-II-Beziehenden keine relative Mehrheit, die sich für die Möglichkeit von Pflichtverletzungen ausspricht.
Bei den ALG-II-Beziehenden im Alter von bis zu 30 Jahren finden sich auch Personen, die noch die sehr viel höheren Leistungsminderungen für unter 25-Jährige kennen. Diese wurden aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom November 2019 in den letzten Jahren jedoch nicht mehr angewendet. In Verbindung mit der Tatsache, dass unter 25-Jährige im Vergleich zu Personen in anderen Altersgruppen besonders häufig sanktioniert wurden, dürfte dies dazu beitragen, dass gerade junge Leistungsbeziehende Sanktionen nur selten zustimmen.
Dass 29 Prozent der ALG-II-Beziehenden laut Befragung die Kürzungen ablehnen, weicht stark von den Befunden einer 2022 publizierten Studie von Fabian Beckmann und anderen ab. Hierfür waren erwerbsfähige Leistungsberechtigte in acht Jobcentern in Nordrhein-Westfalen befragt worden. Dabei hatten sich über 50 Prozent der Leistungsberechtigten für einen Verzicht auf Sanktionen ausgesprochen. Die etwas abweichende Fragestellung („Fänden Sie den grundsätzlichen Verzicht auf Sanktionen gut oder schlecht?“) und andere Antwortmöglichkeiten, aber auch die Tatsache, dass hier Zahlen für Deutschland insgesamt erhoben wurden, könnten die unterschiedlichen Ergebnisse zumindest teilweise erklären.
In der PASS-Befragung wurde auch die Zustimmung zu weiteren Aussagen zum Thema Sanktionen erhoben:
- „Wer Leistungen vom Staat erhält, sollte auch etwas dafür tun.“ Etwas weniger als 89 Prozent der Befragten ohne und rund 77 Prozent der Befragten mit ALG-II-Bezug stimmen dieser Aussage zu.
- „Wenn Sanktionen abgeschafft werden, werden mehr ALG-II-Beziehende ihre Pflichten gegenüber dem Jobcenter vernachlässigen.“ Mehr als 81 Prozent der Befragten ohne ALG-II-Bezug stimmen dieser Aussage zu, aber nur rund 47 Prozent der ALG-II-Beziehenden. 53 Prozent der ALG-II-Beziehenden antworten ablehnend.
Zugleich stimmen deutlich über 90 Prozent derjenigen, die kein ALG II beziehen, und fast alle ALG-II-Beziehenden der Aussage zu, dass das Existenzminimum unter allen Umständen gesichert werden sollte (siehe Abbildung 3).
Insgesamt können die Aussagen insbesondere derjenigen, die kein ALG II beziehen, als Zustimmung für die Möglichkeit moderater Leistungsminderungen gewertet werden, die das Existenzminimum nicht ernsthaft gefährden.
Diese Position deckt sich durchaus mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2019. In dessen Folge wurde eine Regelung in Kraft gesetzt, die außergewöhnliche Härten durch Leistungsminderungen vermeiden soll. Zugleich können die Befunde nicht als Zustimmung zu einer bedingungslosen Grundsicherung gewertet werden.
84 Prozent der ALG-II-Beziehenden sagen, dass sie sich unabhängig davon, ob die Leistungen gekürzt werden können, an die Pflichten halten würden
Einige Fragen wurden nur ALG-II-Beziehenden gestellt (siehe Abbildung 4). Der Aussage „Ich halte mich an die mit dem ALG-II-Bezug verbundenen Pflichten unabhängig davon, ob meine Leistungen gekürzt werden können“ stimmen knapp 84 Prozent der Befragten zu.
Wie weiter oben bereits erwähnt, stimmen rund 47 Prozent der Aussage zu: „Wenn Sanktionen abgeschafft werden, werden mehr Arbeitslosengeld-II-Beziehende ihre Pflichten gegenüber dem Jobcenter vernachlässigen.“ Dies steht im Einklang mit Befunden einer qualitativen Befragung von Integrationsfachkräften zu den Sanktionsregeln, die infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils entschärft wurden.
Auch die Integrationsfachkräfte äußern die Befürchtung, dass die Fühlbarkeit von Sanktionen und damit ihre Verhaltenswirksamkeit nachlassen könnte (lesen Sie dazu einen aktuellen Beitrag von Stefan Bernhard und anderen). Sowohl Leistungsbeziehende als auch Integrationsfachkräfte gehen folglich zum Teil davon aus, dass eine Abschaffung oder Entschärfung von Sanktionen häufigere Pflichtverstöße wahrscheinlich werden lassen.
Der Aussage „Wenn mehr und mehr Arbeitslosengeld-II-Beziehende ihren Pflichten nicht mehr nachkommen, werde ich das auch nicht mehr machen“ stimmen 12 Prozent der befragten ALG-II-Beziehenden zu. Beschränkt man sich auf diejenigen ALG-II-Beziehenden, die sich nach eigenen Angaben unabhängig von Leistungskürzungen (derzeit) an die mit dem ALG-II-Bezug verbundenen Pflichten halten würden, stimmen ebenfalls 12 Prozent zu.
Demnach dürfte nur ein kleiner Teil der Leistungsberechtigten bei einer Abschaffung – und vermutlich auch bei einer deutlichen Entschärfung – von Sanktionsregeln unmittelbar gegen Pflichten der Grundsicherung verstoßen. Ihr Anteil dürfte allerdings über die Zeit größer werden.
Gleichwohl ist angesichts dieser Ergebnisse davon auszugehen, dass sich die große Mehrheit der Leistungsbeziehenden weiterhin an ihre Pflichten halten wird. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass Antworten teils auf soziale Erwünschtheit zurückzuführen sind. Dies trifft auch auf weitere Fragen zu, insbesondere wenn diese hypothetisch sind.
Ohne Sanktionen könnte sich das Verhältnis vieler Leistungsberechtigter zum Jobcenter verbessern, nicht aber unbedingt der Integrationsprozess selbst
Ohne Leistungskürzungen würden rund 53 Prozent der befragten ALG-II-Beziehenden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Jobcenter nach eigener Einschätzung eher vertrauen. Das bestätigt frühere Ergebnisse einer 2013 erschienenen Studie von Helmut Apel und Dietrich Engels. Kommt es zu Sanktionen, so das Ergebnis der Studie, verliert ein Teil der Sanktionierten ihr Vertrauen in die Integrationsfachkraft, die sie betreut hat.
Zudem gehen etwa 70 Prozent der ALG-II-Beziehenden davon aus, dass die Jobcenter sie eher bevormunden können, wenn es Sanktionen gibt. Ferner antworten rund 73 Prozent der befragten ALG-II-Beziehenden, dass der Umgang mit dem Jobcenter weniger belastend ist, wenn es keine Sanktionen gibt. Insofern dürften abgemilderte Leistungskürzungen bei einer Mehrheit der Leistungsberechtigten dazu führen, dass sich ihr Verhältnis zur zuständigen Integrationsfachkraft und zum Jobcenter verbessert.
Auch wenn sich das Verhältnis vieler erwerbsfähiger Leistungsberechtigter zum Jobcenter ohne Sanktionen verbessern würde, könnte eine Abschaffung von Sanktionen den Integrationsprozess und die Arbeit der Jobcenter erschweren. Rund 36 Prozent der ALG-II-Beziehenden geben an, dass sie mehr tun würden, um ihren ALG-II-Bezug zu beenden, wenn ihre Leistungen gekürzt werden können. Hier sind die Zustimmungsanteile bei den bis zu 30-Jährigen mit 53 Prozent deutlich höher als im Durchschnitt. Dies dürfte unter anderem daran liegen, dass jüngere Menschen leichter eine Arbeit und Ausbildung finden können als ältere. Eine verstärkte Arbeitsuche führt bei ihnen also eher ans Ziel.
Zudem stimmen rund 29 Prozent der ALG-II-Beziehenden der Aussage zu: „Wenn es keine Sanktionen gibt, sind Vereinbarungen mit meiner Beraterin bzw. meinem Berater im Jobcenter für mich unverbindlich.“ Aufschlussreich ist hier der Unterschied zwischen Personen mit und ohne Berufsausbildung, da erstere breiter vermittelt werden könnten als Personen ohne Berufsausbildung. Die Zustimmung zu dieser Aussage fällt bei ALG-II-Beziehenden mit Berufsausbildung mit über 62 Prozent weit höher aus als bei solchen ohne Berufsausbildung (24 Prozent).
Die Bürgergeldreform, die Leistungsminderungen weiter entschärft hat, könnte demnach dazu führen, dass eher erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit Berufsausbildung als solche ohne abgeschlossene Berufsausbildung verstärkt Vereinbarungen mit dem Jobcenter als nicht mehr verbindlich erachten.
Auch wenn ein Teil der Befragten angibt, ihren Pflichten beim Wegfall von Sanktionen seltener nachzukommen, könnte dies den Befragten mehr Zeit für die Arbeitsuche verschaffen und so dazu beitragen, dass sie Beschäftigungsverhältnisse mit höherer Qualität aufnehmen. So gehen knapp drei Viertel der befragten ALG-II-Beziehenden davon aus, eher eine Arbeitsstelle zu suchen, die ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht, wenn es keine Leistungskürzungen gibt.
Ob die Betroffenen eine Berufsausbildung haben, scheint für diese Einschätzung nur von untergeordneter Bedeutung zu sein: Personen ohne oder mit unbekanntem Berufsausbildungsabschluss stimmen dieser Aussage mit gut 72 Prozent fast ebenso häufig zu wie Personen mit Berufsausbildung. Für die Befragten sind bei dieser Aussage sehr wahrscheinlich auch Kompetenzen ausschlaggebend, die nicht mit einem formalen Berufsausbildungsabschluss zusammenhängen.
Das Sanktionsmoratorium ist vielen Leistungsbeziehenden nicht bekannt
Die Befragung wurde zu einer Zeit durchgeführt, als ein Sanktionsmoratorium galt. Dieses trat im Juli 2022 in Kraft und sah ein Aussetzen der Sanktionen wegen Pflichtverletzungen vor. Solche Regelungen sind der Zielgruppe allerdings nicht notwendigerweise bekannt, insbesondere in der Zeit unmittelbar nach der Einführung einer neuen Regelung. Untersuchungen, die kurz nach einer solchen Reform einsetzen, können also kaum die Reformeffekte beleuchten, die mittel- bis langfristig eintreten, wenn alle die neuen Regelungen kennen und ihr Handeln darauf ausrichten.
Die Befragung sollte daher feststellen, ob die Leistungsbeziehenden, aber auch andere Personen das Sanktionsmoratorium kennen. Dabei zeigte sich: Rund 36 Prozent der ALG-II-Beziehenden war das Moratorium bekannt, etwa 44 Prozent nicht. Knapp 20 Prozent waren sich unsicher. Mit rund 31 Prozent nur wenig geringer fällt der Bekanntheitsgrad unter den Befragten aus, die kein ALG II beziehen.
Dies spricht dafür, dass die Zielgruppe nicht gesondert über das Moratorium informiert wurde. Die kurzfristigen Wirkungen dieser Politik dürften vor allem dadurch entstanden sein, dass konkrete Pflichtverletzungen nicht sanktioniert wurden.
Der geringe Bekanntheitsgrad kann womöglich auch damit zu tun haben, dass Sanktionen aufgrund von Pflichtverletzungen für viele Leistungsberechtigte in der Vergangenheit ohnehin kaum eine Rolle gespielt haben. Darauf deutet auch eine 2022 publizierte Studie von Veronika Knize hin. Demnach lag die Wahrscheinlichkeit für 18- bis 54-jährige Leistungsberechtigte, innerhalb eines Quartals mindestens eine Sanktion wegen Pflichtverletzungen erhalten zu haben, zwischen 2013 und 2016 für Frauen unter 0,7 Prozent, für Männer bei weniger als 2 Prozent.
Fazit
Aus Sicht der meisten Befragten sind Sanktionen weiterhin ein notwendiges Instrument. Sie dürfen aber nach fast einhelliger Überzeugung aller Befragten nicht das Existenzminimum gefährden. Die moderateren Leistungsminderungen von 10 bis zu 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs und die tendenziell kürzere Dauer der Leistungsminderungen, wie sie durch die Bürgergeldreform eingeführt wurden, sind damit sicher eher vereinbar als die weit höheren Leistungsminderungen (insbesondere die Sanktionen bei wiederholten Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres) mit einer Regeldauer von drei Monaten, wie sie vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2019 in Kraft waren.
Dieses Ergebnis deckt sich tendenziell mit den Befunden mehrerer sogenannter Vignettenstudien. Demnach werden „moderate“ Sanktionen (nicht mehr als 30 Prozent des Regelsatzes) mehrheitlich als ein prinzipiell gerechtes Instrument angesehen. Neben einer Studie von Martin Abraham und anderen, die als IAB-Kurzbericht 19/2018 erschienen ist, sei an dieser Stelle auf eine Studie von Philipp Linden aus dem Jahr 2021 sowie auf eine 2020 publizierte Analyse von Nadine Reibling et al. verwiesen.
Die Angaben der befragten ALG-II-Beziehenden zeigen zudem, dass ein Verzicht auf Sanktionen zwei Seiten hat. Einerseits könnten Leistungsberechtigte teils mehr Vertrauen zu den für sie zuständigen Mitarbeitenden in den Jobcentern fassen und bei der Arbeitssuche stärker darauf achten, inwieweit Jobangebote zu ihren Kompetenzen passen. Andererseits birgt ein Aussetzen von Sanktionen das Risiko, dass sich Leistungsberechtigte zum Teil weniger darum bemühen, den Leistungsbezug durch Erwerbsarbeit zu verlassen, und zum Teil Vereinbarungen mit dem Jobcenter nicht mehr als bindend empfinden.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass entschärfte Sanktionen tatsächlich solche Folgen nach sich ziehen können. Dennoch zeigt die vorliegende Analyse, dass die überwiegende Mehrheit der Leistungsbeziehenden sich ihres Erachtens an die in der Grundsicherung geregelten Pflichten auch dann halten würde, wenn es keine Sanktionsmöglichkeiten gäbe.
Daten und Methoden
Um die Einstellungen zu Sanktionen zu untersuchen, wurden Daten des Websurveys aus der Welle 16 des Panels Arbeitsmarkt und soziale Sicherung (PASS) ausgewertet. Dabei handelt sich um eine jährliche Panelbefragung der Wohnbevölkerung in Deutschland ab 15 Jahren. Einen kurzen Überblick über die Methodik der Haupterhebung gibt ein Artikel von Trappmann und anderen (2019).
Für das Websurvey wurden alle Befragten der Haupterhebung eingeladen, einen kurzen Onlinefragebogen auszufüllen, der ihnen im Herbst nach der Haupterhebung im Jahr 2022 zugesandt wurde. Im Sommer 2022 wurden Fragen zu Sanktionen im Grundsicherungsbezug neu entwickelt. Konkret wurden die Befragten danach gefragt, ob sie grundsätzlich der Meinung sind, dass es möglich sein sollte, bei Pflichtverletzungen Leistungskürzungen zu verhängen und ob sie bestimmten, im Text beschriebenen Aussagen zu Sanktionen zustimmen oder nicht. Zudem wurden sie gefragt, ob ihnen das im Juli 2022 in Kraft getretene Sanktionsmoratorium bekannt ist.
In aller Kürze
- Eine Befragung vom Herbst 2022 hat sich mit Einstellungen zu Sanktionen und der Bekanntheit des im Juli 2022 in Kraft getretenen Sanktionsmoratoriums beschäftigt.
- Jeweils eine Mehrheit von 75 Prozent der Befragten ohne aktuellen ALG-II-Bezug und 43 Prozent der Befragten im ALG-II-Bezug befürwortet Leistungsminderungen bei Verletzungen von Pflichten der Grundsicherung.
- Die Sicherung des Existenzminimums ist aus Sicht der überwiegenden Mehrheit der Befragten zu gewährleisten.
- Ein Abschaffung von Sanktionen würde aus Sicht der Befragten dazu führen, dass ein größerer Teil der Leistungsberechtigten Vertrauen zu den Mitarbeitenden der Jobcentern aufbaut und eher Jobs suchen könnte, die den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechen.
- Allerdings bestätigen die Antworten auch die Befürchtung, dass ein Teil der Leistungsberechtigten sich weniger an Pflichten halten würde, wenn Sanktionen abgeschafft würden. Das würde die Integrationsarbeit der Jobcenter beeinträchtigten.
- Die Aussagen weisen auf mögliche Folgen der Bürgergeldeinführung hin, da die Reform das Sanktionsinstrumentarium entschärft hat.
Literatur
Abraham, Martin; Rottmann, Miriam; Stephan, Gesine (2018): Sanktionen in der Grundsicherung: Was als gerecht empfunden wird. IAB-Kurzbericht Nr. 19.
Apel, Helmut; Engels, Dietrich (2013): Zentrale Ergebnisse der unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung zur Erforschung der Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II und nach dem SGB III in NRW. Endbericht, Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik.
Bernhard, Stefan; Röhrer, Stefan; Senghaas, Monika (2023): Auf dem Weg zum Bürgergeld: Die Sanktionspraxis nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und ‚in Zeiten von Corona‘. In: Sozialer Fortschritt, Jg. 72, H. 3, S. 257-273.
Beckmann, Fabian; Heinze, Rolf G.; Schad, Dominik; Schupp, Jürgen (2022): Bürgergeld statt Hartz IV: Was sich Langzeitarbeitslose von der geplanten Reform erhoffen. DIW-Wochenbericht 31+32, S. 412-420.
Knize, Veronika (2022): What gender-neutral activation? Understanding the gender sanction gap in Germany’s welfare System. In: Social Politics, Jg. 29, H. 4, S. 1286-1313.
Linden, Philipp (2021): Wie viel Geld ist angemessen? Eine Vignettenstudie zur Akzeptanz von Sanktionen im SGB II. WSI Mitteilungen. Jg. 74, H. 6, S. 454-462.
Reibling, Nadine; Ariaans, Mareike; Bleckmann, Lisa; Hamel, Lucas; Krayter, Stephan; Linden, Philipp (2020): Kranke Arbeitslose – Gleiche Leistung aber weniger Sanktionen – Ergebnisse des faktoriellen Surveys aus der Nachwuchsgruppe „Medikalisierung und Psychologisierung sozialer Probleme. FIS-Briefing Nr. 7.
Trappmann, Mark et al (2019). Data resource profile: panel study labour market and social security (PASS). International Journal of Epidemiology, Jg. 48, H. 5, S. 1411-1411g.
Bild: Xaver Klaussner/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20231220.01
Collischon, Matthias; Stegmaier, Jens; Wolf, Markus; Wolff, Joachim (2023): Eine Mehrheit in der Bevölkerung befürwortet Sanktionen mit Augenmaß, In: IAB-Forum 20. Dezember 2023, https://www.iab-forum.de/eine-mehrheit-in-der-bevoelkerung-befuerwortet-sanktionen-mit-augenmass/, Abrufdatum: 18. December 2024
Diese Publikation ist unter folgender Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Autoren:
- Matthias Collischon
- Jens Stegmaier
- Markus Wolf
- Joachim Wolff