16. Juli 2018 | Betriebliche Arbeitswelt
Frauen stoßen noch immer an die gläserne Decke – trotz betrieblicher Förderung der Chancengleichheit
Mit dem Entgelttransparenzgesetz, das im Juli 2017 in Kraft trat, wurde der Abbau der Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen erneut auf die politische Tagesordnung gesetzt. Vor allem größere Betriebe sollen in die Pflicht genommen werden, regelmäßig über den erreichten Stand der Gleichstellung und ihr geschlechtsspezifisches Lohngefüge zu berichten – mit dem Ziel, die bestehende Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen zu reduzieren. Dass dies weiterhin notwendig ist, zeigen neueste Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Danach lag der durchschnittliche Bruttostundenlohn von Frauen im Jahr 2016 immer noch um knapp 21 Prozent unter dem der Männer.
Oft genannte Gründe für den Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern sind das im Durchschnitt immer noch niedrigere Bildungsniveau, die Konzentration von Frauen in schlechter entlohnten Berufen sowie Teilzeiterwerbstätigkeit und Erwerbsunterbrechungen durch Elternzeit, die Frauen deutlich häufiger betreffen als Männer.
Doch wie Hermann Gartner in einer IAB-Studie aus dem Jahr 2016 zeigt, verdienten sozialversicherungspflichtig beschäftigte Frauen gleichen Alters im Jahr 2010 selbst bei gleicher Qualifikation und im gleichen Beruf innerhalb des gleichen Betriebs etwa 12 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Corinna Frodermann, Alexandra Schmucker und Dana Müller kommen in einem 2018 veröffentlichten IAB-Forschungsbericht zu ähnlichen Ergebnissen und können darüber hinaus zeigen, dass der Lohnunterschied in größeren Betrieben zwischen 200 und 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am höchsten ausfällt.
Woher rührt diese Diskrepanz? Die Suche nach Erklärungen und Lösungsansätzen muss genau dort ansetzen, wo schlussendlich über Löhne entschieden wird: in den Betrieben. Daher nimmt auch das Entgelttransparenzgesetz die Betriebe in die Pflicht.
Unterschiedlich hohe Löhne von Männern und Frauen in den Betrieben sind nicht zwingend das Ergebnis einer bewussten Strategie. Die Erklärungen sind so vielfältig wie komplex. Als die beiden Hauptgründe für geschlechtsspezifische Benachteiligungen werden jedoch häufig statistische Diskriminierung und soziale Schließung in Führungsetagen angeführt.
Frauen werden bestimmte Merkmale zugeschrieben
Von statistischer Diskriminierung spricht man, wenn einzelnen Personen Merkmale einer ganzen Gruppe attestiert werden. So kann Bewerberinnen beispielsweise eine niedrigere Produktivität zugeschrieben werden, auch wenn diese im Einzelfall höher ist als der Durchschnitt. Da Personalverantwortliche die tatsächliche Produktivität nicht immer abschätzen können, orientieren sie sich behelfsweise an der durchschnittlichen Produktivität aller Frauen.
Und genau hier beginnt das Problem: Denn die durchschnittlich niedrigere Entlohnung, der häufigere Teilzeiterwerb von Frauen und die Tatsache, dass diese seltener in Führungspositionen vertreten sind, können bei manchen Personalverantwortlichen den Eindruck erwecken oder zumindest verstärken, dass Frauen im Schnitt weniger produktiv sind als Männer. In der Folge räumen ihnen manche Personalentscheider weniger Chancen im Betrieb ein und stufen sie in niedrigere Gehaltsklassen ein.
Diese Negativeinschätzungen können also zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden: Die Annahme der niedrigeren Produktivität bestätigt sich, weil viele Frauen schon a priori die schlechteren Jobs bekommen. Diese Art der Diskriminierung lässt sich nur schwer messen. Als Folge sollte sich aber zeigen, dass das Geschlecht besonders bei Neueinstellungen eine Rolle spielt – also genau dann, wenn Personalverantwortlichen nur wenige Informationen zur Verfügung stehen.
Frauen wird der Zugang zu Führungspositionen erschwert
Soziale Schließung geht davon aus, dass bestimmten Gruppen systematisch Zugänge zu sozialen Positionen verwehrt bleiben, zum Beispiel durch die Einführung formaler Zugangsvoraussetzungen oder durch informelle Kontrolle der Zugänge seitens derjenigen, die diese Positionen besetzen.
Konkret heißt dies, dass Frauen der Zugang zu Führungspositionen erschwert wird, weil diese vorwiegend mit Männern besetzt sind, die – bewusst oder unbewusst – eher Männer einstellen. Die Konsequenzen für die betroffenen Frauen sind in beiden Fällen die gleichen: geringere Aufstiegschancen innerhalb der Betriebe und damit auch eine im Schnitt niedrigere Entlohnung.
„Sticky Floor“-Effekt und gläsernere Decke
Diese strukturelle Benachteiligung zeigt sich bereits daran, dass Frauen im Schnitt geringere Einstiegslöhne erzielen als Männer – wohlgemerkt unter sonst gleichen Bedingungen. Hinzu kommen verringerte Aufstiegschancen – und dies in zweierlei Hinsicht:
- Frauen verharren häufiger als Männer in niedrig bezahlten Jobs. Dieses Phänomen wird auch als „Sticky-Floor“-Effekt bezeichnet (zu Deutsch etwa: klebriger Boden).
- Frauen bleibt der Zugang zu Führungspositionen häufiger verwehrt als Männern. Sie stoßen gleichsam an eine „gläserne Decke“.
Eine Studie von Matt Huffman, Joseph King und Malte Reichelt aus dem Jahr 2017 zeigt, dass diese Effekte auch in Deutschland bestehen. Mit Hilfe von Betriebs- und Sozialversicherungsdaten lässt sich für das Jahr 2008 ein sehr genaues Bild der geschlechtsspezifischen Lohnungleichheit hierzulande zeichnen. Insbesondere lässt sich damit feststellen, welche Einkommenssegmente am stärksten betroffen sind. Da die geschlechtsspezifische Lohnlücke über die letzten Jahre relativ konstant blieb, ist davon auszugehen, dass die gleichen Einkommenssegmente auch heute in ähnlicher Weise betroffen sind.
Auch hier zeigt sich, dass vollzeiterwerbstätige, sozialversicherungspflichtig beschäftigte Frauen im Schnitt rund 21 Prozent weniger verdienen als Männer. Denn Frauen arbeiten überproportional häufig in den unteren Lohnbereichen und zugleich seltener in höheren Lohnbereichen als Männer. Lediglich in den mittleren Lohnbereichen sind beide Geschlechter annähernd gleichmäßig vertreten (siehe Abbildung 1).
Auch der bereinigte Lohnunterschied beträgt noch zwölf Prozent
Ähnlich wie in anderen Studien, lässt sich ein Teil des Lohnunterschiedes zwischen Frauen und Männern darauf zurückzuführen, dass Frauen im Durchschnitt immer noch weniger qualifiziert sind als ihre männlichen Kollegen. Auch nach Kontrolle weiterer beobachtbarer Faktoren, die den Lohn beeinflussen, etwa Qualifikation, Alter, Arbeitsmarkerfahrung, Betriebsgröße und Branche, beträgt der so bereinigte durchschnittliche Lohnunterschied noch rund zwölf Prozent.
Nach Berücksichtigung dieser Faktoren lässt sich jedoch weiterhin feststellen, dass der Effekt des Geschlechts in den unteren Lohnbereichen besonders ausgeprägt ist. Anders ausgedrückt: Unabhängig von Qualifikation, Branche und anderen bekannten Einflussfaktoren ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen in besonders niedrig entlohnten Jobs arbeiten nach wie vor größer als bei Männern.
In den mittleren Lohnbereichen ist der Geschlechtereffekt hingegen nicht stark ausgeprägt; diese Jobs sind bei Männern und Frauen mit ähnlichen Anteilen vertreten. In den obersten Bereichen der Lohnverteilung zeigen sich wieder deutliche Geschlechtereffekte, denn auch nach Berücksichtigung bekannter Einflussfaktoren ist die Wahrscheinlichkeit, einen besonders hoch dotierten Job zu haben, für Männer größer.
Die Daten für Deutschland bestätigen demnach sowohl den Effekt einer „gläsernen Decke“ wie auch einen „Sticky Floor“-Effekt. Die Wahrscheinlichkeit, in den unteren Bereichen der Lohnverteilung zu arbeiten, ist für Frauen nach wie vor höher als für gleich ausgebildete Männer mit der gleichen Arbeitsmarkterfahrung und in der gleichen Branche. Die Wahrscheinlichkeit, in den oberen Bereichen der Lohnverteilung zu arbeiten, ist auffällig kleiner. Frauen steigen seltener in solch hoch entlohnte Positionen auf.
Ein Bruchteil der Betriebe fördert gezielt die Chancengleichheit von Frauen und Männern
Betriebliche Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit sollen genau diese Lohnunterschiede verringern und Frauen und Männern den Zugang zu den gleichen Positionen ermöglichen. Doch vermögen sie tatsächlich, die gläserne Decke zu durchbrechen und Frauen den Aufstieg aus dem Niedriglohnbereich zu erleichtern?
Mit 11,5 Prozent setzt bislang nur ein Bruchteil der Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten, die mindestens eine Frau und einen Mann einstellen, Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit und der Familienfreundlichkeit um. Dabei handelt es sich meist um Angebote für Beschäftigte, die wegen Elternzeit freigestellt sind (siehe Abbildung 2). Gezielte Förderprogramme werden hingegen eher selten angeboten.
Dennoch arbeiten rund 33 Prozent der Beschäftigten in Betrieben, die diese Maßnahmen anbieten, da vor allem größere Betriebe beispielsweise weiblichen Nachwuchs fördern, betriebliche Kinderbetreuung anbieten oder Quotierungen einsetzen. Dadurch sollten zumindest theoretisch die Chancengleichheit gefördert und Lohnungleichheiten reduziert werden, indem Frauen der berufliche Aufstieg erleichtert wird.
Darüber hinaus sollten formalisierte Personalpraktiken bei der Stellenbesetzung dem Phänomen impliziter Diskriminierung von Frauen entgegenwirken. Formalisierte Personalprozesse reichen von Stellenbeschreibungen bis hin zu schriftlich fixierten Zielvereinbarungen und Personalentwicklungsplänen. Solche Personalpraktiken werden in 48 Prozent der Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten angewendet.
Formalisierte Personalprozesse zeigen vor allem im unteren Lohnbereich Wirkung
Aber mindern diese Maßnahmen tatsächlich die Lohnungleichheit in Deutschland? Generell scheint der Effekt von Formalisierung auf den Lohn der Frauen größer zu sein als auf den der Männer. Je zusätzlich eingeführter Maßnahme steigt der Lohn von Frauen durchschnittlich um 2,4 Prozent – der von Männern nur um 0,9 Prozent. Das heißt: Der Lohnabstand zwischen Männern und Frauen ist in der Tat umso geringer, je mehr Personalprozesse in den Betrieben formalisiert sind. Dies gilt indes vor allem für die unteren Lohnbereiche. Formalisierte Personalprozesse scheinen dazu zu führen, dass sich die Wahrscheinlichkeit, in niedrig entlohnten Jobs zu arbeiten, bei vergleichbaren Merkmalen zwischen Frauen und Männern angleicht. Die obere Hälfte der Lohnverteilung bleibt davon unberührt. Mit anderen Worten: Formalisierte Personalprozesse wirken dem „Sticky Floor“ entgegen, nicht aber der gläsernen Decke.
Eine mögliche Erklärung hierfür besteht darin, dass besser entlohnte Positionen häufig betriebsintern besetzt werden und betriebsinterne Arbeitsmärkte weniger stark formalisiert sind. Ein weiterer Grund kann sein, dass besser entlohnte Stellen seltener zu besetzen sind, allgemeinere Stellenanforderungen aufweisen und die Einstellungen somit weitaus stärker an die Entscheidungen einzelner Personen gebunden sind.
Wie bereits beschrieben, können soziale Schließungsprozesse dazu führen, dass Männer besser entlohnte Stellen vor allem mit ihresgleichen besetzen. Gerade hier sollten Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit, etwa die gezielte Förderung des weiblichen Nachwuchses, Mentoring-Programme oder Quotierungen, gegensteuern.
Die „gläserne Decke“ bleibt unberührt
Erstaunlicherweise haben Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit ebenso wie Formalisierungsprozesse vor allem in den unteren Bereichen der Lohnverteilung einen positiven Effekt auf die Angleichung der Löhne von Männern und Frauen, aber kaum im Hochlohnsegment.
Während formalisierte Personalprozesse die Lohnlücke teilweise verkleinern können und das Lohnniveau von Frauen und Männern im Betrieb insgesamt heben können, scheinen Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit die Löhne im Betrieb aber eher umzuverteilen: Die Wahrscheinlichkeit, in niedrig entlohnten Jobs zu arbeiten, ist in Betrieben mit Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Frauen und Männer relativ ähnlich; daher gleicht sich hier der Lohn an. In Betrieben ohne diese Maßnahmen haben Frauen eine höhere Wahrscheinlichkeit in niedrig entlohnten Jobs zu arbeiten.
Sie haben jedoch ähnlich wie formalisierte Personalprozesse keinen erkennbaren Effekt auf die Wahrscheinlichkeit von Frauen, in einem Job in den oberen 60 Prozent der Lohnverteilung zu arbeiten. Sie mögen daher ein wirksames Mittel darstellen die Lohnungleichheit im Niedriglohnbereich zu verringern – die gläserne Decke können Frauen jedoch damit nicht durchbrechen.
Fazit
Der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen ist in Deutschland noch immer groß. Selbst wenn eine Vielzahl an beobachtbaren Faktoren herausgerechnet wird, beläuft er sich auf knapp zwölf Prozent. Dabei zeigt sich, dass die Geschlechtszugehörigkeit vor allem in den unteren und in den obersten Lohnregionen eine große Rolle spielt. Frauen sind überproportional häufig in gering entlohnten und selten in den am höchsten entlohnten Jobs zu finden. Die Gründe hierfür sind vielfältig und komplex. Sie reichen von statistischer Diskriminierung bis hin zu sozialen Schließungsprozessen, die Zugänge zu Führungspositionen erschweren.
Eine neue Studie zeigt nun: Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern können durch betriebliche Maßnahmen zur Chancengleichheit und formalisierte Personalprozesse in Teilbereichen des Arbeitsmarktes verringert werden. Vor allem im unteren Lohnbereich gleicht sich die Wahrscheinlichkeit in unteren Lohnregionen zu arbeiten für Frauen und Männer an; die oberen 60 Prozent der Lohnverteilung bleiben davon aber nahezu unberührt.
Die Gründe für die beständige Kluft im oberen Lohnbereich können vielfältig sein. Eine starke soziale Schließung mag Aufstiege ebenso verhindern wie erwartete oder tatsächliche Erwerbsunterbrechungen. In jedem Fall sprechen die Ergebnisse aber für Lösungsansätze, die über rein betriebliche Maßnahmen hinausgehen. Denn sie haben bislang augenscheinlich wenig dazu beitragen, die gläserne Decke zu durchbrechen. Eine Verpflichtung zur Entgelttransparenz kann hier hilfreich sein, doch weitere Schritte scheinen notwendig.
Daten
Als Datengrundlage für die Studie dienen die Linked-Employer-Employee-Daten des IAB (LIAB). Der Datensatz verknüpft Angaben des IAB-Betriebspanels, einer jährlichen repräsentativen Betriebsumfrage, mit den administrativen Personendaten des IAB.
Im IAB-Betriebspanel wurden im Jahr 2008 Informationen zur Chancengleichheit und Maßnahmen in circa 16.000 Betrieben erhoben; 2007 wurden sie zu formalisierten Personalprozessen befragt. Um die Lohnverteilung und die Effekte auf diese Verteilung zu analysieren, werden Lohnangaben aller vollzeiterwerbstätigen Personen in den Betrieben verknüpft. Teilzeiterwerbstätige Personen werden wegen fehlender Angaben zu gearbeiteten Stunden ausgeschlossen.
Weitere Informationen finden Sie unter: https://fdz.iab.de/de/Integrated_Establishment_and_Individual_Data/LIAB.aspx
Literatur
Frodermann, Corinna; Schmucker, Alexandra; Müller, Dana (2018): Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern in mittleren und großen Betrieben. IAB-Forschungsbericht Nr. 3.
Gartner, Hermann (2016): Löhne von Frauen und Männern. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Aktuelle Berichte Nr. 7.
Huffman, Matt; King, Joseph; Reichelt, Malte (2017): Equality for Whom? Organizational Policies and the Gender Gap across the German Earnings Distribution. ILR Review, 70(1), S. 16–41.
Statistisches Bundesamt (2017): Drei Viertel des Gender Pay Gap lassen sich mit Strukturunterschieden erklären, Pressemitteilung Nr. 094, 14.03.2017.
Reichelt, Malte (2018): Frauen stoßen noch immer an die gläserne Decke – trotz betrieblicher Förderung der Chancengleichheit, In: IAB-Forum 16. Juli 2018, https://www.iab-forum.de/frauen-stossen-noch-immer-an-die-glaeserne-decke-trotz-betrieblicher-foerderung-der-chancengleichheit/, Abrufdatum: 18. November 2024
Autoren:
- Malte Reichelt