2. Februar 2018 | Bildung vor und im Erwerbsleben
Glücksförderung lohnt sich! Wer benachteiligten Jugendlichen den Weg ins Erwerbsleben erleichtern will, muss positive Impulse setzen
Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland liegt im europäischen Vergleich auf sehr niedrigem Niveau und sinkt tendenziell weiter. Dennoch schafft ein Teil der jungen Menschen den Übergang von der Schule in die Berufsausbildung zunächst nicht. Diese nehmen daher an einer oder mehreren Maßnahmen im sogenannten Übergangssystem teil, wie beispielsweise einem Berufsvorbereitungsjahr.
Die Auswirkungen eines gescheiterten Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung sind für die Betroffenen gravierend, wie Hans Dietrich in einem 2015 erschienenen IAB-Discussion Paper aufzeigt. Sie reichen von verzögerten Sozialisationsprozessen, beispielsweise einer verspäteten selbstständigen Finanzierung des Lebensunterhalts, bis hin zur Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit.
Weitere Untersuchungen weisen darauf hin, dass bei diesen Problemen häufig auch spezifische gesellschaftliche und soziale Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Dazu zählen etwa die soziale oder ethnische Herkunft, die Bildungsaspirationen des Elternhauses sowie körperliche oder psychische Beeinträchtigungen.
Junge Menschen, die solchen Risikofaktoren ausgesetzt sind, werden in der Fachsprache als vulnerabel, also verletzlich oder gefährdet, bezeichnet. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) sieht daher zu Recht die Notwendigkeit, solche Jugendliche entsprechend zu fördern. In ihren Fachkonzepten hat sie daher einschlägige Maßnahmen für das Übergangssystem etabliert.
Während sich die Wissenschaft lange Zeit auf die Risikofaktoren konzentrierte, richtet sich die Aufmerksamkeit seit der Jahrtausendwende vermehrt auf vorhandene Erfolgsfaktoren. Dabei geht es um die Frage, wie sich Menschen trotz etwaiger Risikofaktoren gesund und erfolgreich entwickeln und ihre persönlichen Potenziale für ein erfülltes Leben nutzen können. Damit werden vor allem zwei zentrale Konstrukte – das Wohlbefinden und die psychische Widerstandsfähigkeit – angesprochen.
Individuelles Wohlbefinden wirkt sich positiv auf zentrale Lebensbereiche aus
Die Ursachen und Folgen von individuellem Wohlbefinden rücken seit geraumer Zeit vermehrt in den Fokus empirischer Forschung. Glücklichere Menschen sind zumeist erfolgreicher im Beruf, haben mehr und innigere soziale Beziehungen und weisen eine bessere psychische und physische Gesundheit auf. Entscheidend ist dabei, dass individuelles Wohlbefinden nicht nur ein Ergebnis äußerer Umstände ist, sondern sich auch selbst positiv auf zentrale Lebensbereiche auswirkt. Dies zeigt die Auswertung einer Vielzahl von Experimental- und Längsschnittstudien, die ein Wissenschaftlerteam um den renommierten Glücksforscher Ed Diener im Jahr 2005 publiziert hat.
Psychische Widerstandsfähigkeit wird als die Fähigkeit von Menschen verstanden, sich trotz vorhandener Risikofaktoren positiv – im Sinne einer erfolgreichen und gesunden Lebensbewältigung – zu entwickeln. Die Psychologie macht dafür sogenannte Schutzfaktoren verantwortlich, die eine Pufferfunktion gegenüber potenziell negativen Einflüssen durch objektiv vorhandene Risikofaktoren ausüben. Derartige Schutzfaktoren wurden beispielsweise in der Kauai-Studie von Emmy Werner und Ruth Smith aus dem Jahr 1992 analysiert.
Wie Wohlbefinden und Widerstandsfähigkeit junger Menschen, denen der Übergang in Arbeit oder Ausbildung nicht gelungen ist, gefördert werden können, war Gegenstand einer qualitativ angelegten, explorativen Forschungsarbeit, deren Ergebnisse hier zusammengefasst werden. Insbesondere ging es darum, welche Ressourcen vulnerabler Jugendlicher besonders förderbedürftig erscheinen und wie die didaktische Umsetzung der Fördermaßnahme zu gestalten ist. Ressourcen können dabei verstanden werden als personenbezogene Faktoren, die eine positive Entwicklung fördern können, etwa ein stabiles Selbstwertgefühl. Die Erprobung der Maßnahme erfolgte im Rahmen eines bestehenden Förderangebots zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung Jugendlicher und junger Erwachsener.
Jugendliche im Übergangssystem haben mehrfach die Erfahrung des Scheiterns gemacht
Basis der Studie waren Interviews mit Sozialpädagogen, Coaches und Lehrkräften, die in Maßnahmen des Übergangssystems tätig sind. Mit deren Hilfe wurden zentrale Ressourcen und besondere Merkmale der Zielgruppe identifiziert.
Nach Einschätzung der Experten weisen junge Menschen in Übergangsmaßnahmen nicht selten vielfältige persönliche Probleme auf wie prekäre Elternhäuser, Probleme bei der Alltagsbewältigung, psychische Belastungssymptome, Gewalterfahrungen, frühe Schwangerschaften, Delinquenz oder Verschuldung. Hinzu kommen berufs- und schulbezogene Probleme wie motivationale, kognitive und sprachliche Defizite, fehlende Ausbildungsreife, fehlende Berufsorientierung, unrealistische Berufsvorstellungen, fehlende Arbeitstugenden, gescheiterte Schullaufbahnen und Schulmüdigkeit.
Charakteristisch für die Zielgruppe ist eine große Heterogenität: In Maßnahmen des Übergangssystems finden sich typischerweise Jugendliche und junge Erwachsene verschiedenster Alters- und Entwicklungsstufen, mit unterschiedlichen Vorbildungen und aus sehr unterschiedlichen Herkunftsfamilien.
Während sich nach Ansicht der Experten keine typische Biografie beziehungsweise kein spezifischer Typus für diesen Personenkreis bestimmen lässt, so eint ihn doch, dass alle meistens mehrfach die Erfahrung des Scheiterns gemacht haben. Daraus wiederum können sich individuelle verhaltensbezogene, emotionale und kognitive Probleme entwickeln. Dazu gehören Antriebslosigkeit, Resignation, Perspektiv- und Ziellosigkeit, Pessimismus, geringer oder defensiver Selbstwert, ein negatives Selbstkonzept oder psychische Belastungssymptome.
Übergangsmaßnahmen sollten sich stärker auf die Förderung persönlicher Stärken konzentrieren
Die interviewten Experten wiesen explizit auf den Bedarf zur Entwicklung von Fördermaßnahmen hin, die sich speziell auf persönliche Stärken konzentrieren. Ihrer Meinung nach standen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Übergangsmaßnahmen solche Maßnahmen nur punktuell zur Verfügung.
Aufbauend auf dieser Analyse wurden die zu Fördernden identifiziert und im Rahmen einer Forschungs-Praxis-Kooperation eine entsprechende Fördermaßnahme entwickelt und erprobt. Diese setzte sich aus fünf Modulen zusammen (zwei Einheiten zu je zwei Stunden, verteilt auf zwei Tage), die im Wochenrhythmus stattfanden. Insgesamt erstreckte sich die Maßnahme über fünf Wochen. Dabei ging es für die Teilnehmenden beispielsweise darum, ihre eigenen Stärken zu entdecken und Pläne zu entwickeln, um diese gezielt einzusetzen (siehe Abbildung).
Die spezifischen Bedingungen der Zielgruppe müssen berücksichtigt werden
Die Förderung individueller Stärken und die Persönlichkeitsentwicklung erfordern von den Beteiligten, ihre eigenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen zu identifizieren, zu reflektieren und gegebenenfalls weiterzuentwickeln. Allerdings fällt es vielen in der Zielgruppe aufgrund früherer belastender Erfahrungen schwer, sich zu öffnen – insbesondere im Rahmen einer Gruppenintervention.
Überschreiten die Übungen oder die Verhaltensweisen der Betreuenden eine persönliche Grenze, droht entweder die Gefahr der Verweigerung oder starker emotionaler Reaktionen. Beides ist für die Erreichung der angestrebten Ziele hinderlich. Viele Betroffene weisen zudem eine hohe Schulmüdigkeit auf und haben zum Teil kognitive und sprachliche Defizite. Auch ihre Methodenkompetenzen sind sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Werden die spezifischen Bedingungen der Zielgruppe nicht berücksichtigt, kann dies die Wirksamkeit einer Maßnahme stark beeinträchtigen. Während der Entwicklung und Erprobung der Maßnahme wurden deswegen Prinzipien abgeleitet, die bei der Durchführung zu beachten sind. So gilt es beispielsweise, den Fokus auf positive Inhalte zu legen und problembehaftete Themengebiete zu vermeiden, offene, entdeckende und kreative Methoden in der Gruppe zu praktizieren, den Nutzen aller Übungen für die persönliche Entwicklung aufzuzeigen, eine niveaudifferenzierende Betreuung zu gewährleisten, ein prozessuales und positives Feedback zu geben, Beispiele anhand geeigneter Rollenmodelle aufzuzeigen sowie eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre zu schaffen.
Schließlich sollten die Unterrichtsmaterialien adressatengerecht gestaltet sein, indem sie ein ansprechendes und modernes Layout aufweisen und die unterschiedlichen Sprachniveaus der Teilnehmenden berücksichtigen.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beurteilen die Fördermaßnahme positiv
Das subjektive Erleben der Teilnehmenden während und nach der Maßnahme wurde mit Hilfe schriftlicher und mündlicher Interviews erfasst. Darin berichteten alle befragten Teilnehmerinnen und Teilnehmer über emotionale, verhaltensbezogene und kognitive Veränderungen. Besonders häufig wurde ein „geändertes Bewusstsein zu den eigenen Stärken“ genannt, während sich die Befragten früher primär auf vermeintliche Defizite konzentrierten:
„ […] das fand ich eigentlich gut, dass man so mal komplett anderen Einblick bekommen hat. Weil sonst ist es wirklich – so war‘s auch bei mir – man schaut eher immer auf seine Schwächen und merkt manchmal gar nicht, was man so für Stärken an sich hat.“
Die Kenntnis der eigenen Stärken und die damit verbundene Akzeptanz der eigenen Person in Gänze wirken sich positiv auf das Selbstwertgefühl und das Selbstkonzept aus. Viele der Befragten berichteten über eine optimistischere Einstellung, die – zusammen mit einer gesteigerten Selbstwirksamkeitserwartung – auch dabei hilft, Rückschläge besser verarbeiten zu können und mit Ungewissheit besser umzugehen:
„So denke ich nur seit den Workshops. So dieses positive sein. Dieses ‚das schaffe ich schon‘. Dass, EGAL, was passieren wird, auch wenn‘s jetzt nicht klappt, irgendwann wird’s klappen […]“
Die Reflexion eigener Zuschreibungen, Bewertungen und Denkmuster führte zu einer gesteigerten Eigenverantwortung für die persönliche und berufliche Weiterentwicklung. Eine gesteigerte Zielklarheit und die Motivation, die neu gesetzten Ziele durch eigene Anstrengungen zu erreichen, hängen eng damit zusammen:
„Es hat mir wirklich sehr viel gebracht. Ich bin auch motivierter gewesen und habe mich sogar für das Bildungszentrum beworben, um halt meinen Englischkurs zu machen, was ich auch jetzt mache.“
Alle Beteiligten berichteten über ein gesteigertes emotionales Wohlbefinden und eine positivere Einstellung. Viele Befragten wandten in belastenden oder negativen Situationen bewusst erlernte Methoden an, um ihre Emotionen oder Gedanken zu regulieren. Dies steht im Einklang mit einer gesteigerten Selbstfürsorge.
„Aber das kann man echt JEDEN Tag machen und da hat man einfach bessere Laune. Auch abends irgendwie, da kann man besser schlafen. Weil man kennt das ja: Abends, wenn man dann im Bett liegt, kreisen die ganzen Gedanken.“
Fazit
Die bislang erhobenen Befunde weisen darauf hin, dass sowohl die Widerstandsfähigkeit als auch das Wohlbefinden junger Menschen in Übergangsmaßnahmen mit Hilfe einer gezielten und kontextsensitiven Intervention beeinflusst werden können. Die berichteten vielfältigen positiven Auswirkungen auf die Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen der Betroffenen zeigen: Glücksförderung lohnt sich!
Literatur
Bundeministerium für Bildung und Forschung (2016): Berufsbildungsbericht 2016.
Dietrich, Hans (2015): Jugendarbeitslosigkeit aus eine europäischen Perspektive. Theoretische Ansätze empirische Konzepte und ausgewählte Befunde. IAB-Discussion Paper Nr. 24.
Reißig, Birgit (2013): Das Ende der „Normalbiografie“. In: DJI-Impulse: Ausgegrenzt, benachteiligt, marginalisiert. Junge Menschen zwischen Inklusion und Exklusion. 104 (4), S. 4–6.
Schropp, Helen (2018): Ressourcenorientierte Förderung von jungen Menschen in Übergangsmaßnahmen * Entwicklung einer prototypischen Fördermaßnahme für vulnerable Jugendliche und junge Erwachsene. IAB-Discussion Paper Nr. 5
Schropp, Helen (2018): Glücksförderung lohnt sich! Wer benachteiligten Jugendlichen den Weg ins Erwerbsleben erleichtern will, muss positive Impulse setzen, In: IAB-Forum 2. Februar 2018, https://www.iab-forum.de/gluecksfoerderung-lohnt-sich-wer-benachteiligte-jugendliche-gezielt-foerdern-will-muss-positive-impulse-setzen/, Abrufdatum: 18. November 2024
Autoren:
- Helen Schropp