25. März 2020 | Serie „Corona-Krise: Folgen für den Arbeitsmarkt“
Homeoffice in Zeiten von Corona: In vielen Berufen gibt es bislang ungenutzte Potenziale
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben die Arbeitswelt mit voller Wucht erreicht. Mehr und mehr Arbeitgeber schicken ihre Beschäftigten zumindest temporär ins Homeoffice. Das gilt in zunehmendem Maße auch dort, wo bisher nicht von zu Hause aus gearbeitet wurde. Die Zahl der im Betrieb anwesenden Beschäftigten wird teils stark reduziert und rotierende Anwesenheit eingeführt, um den Vorgaben des Gesundheitsschutzes möglichst zu entsprechen. Mancherorts werden gar ganze Betriebe geschlossen und die noch anfallende Arbeit ins Homeoffice verlegt.
Homeoffice hat in den letzten Jahren generell weiter an Bedeutung gewonnen. Dennoch wurde das Potenzial bislang bei Weitem nicht ausgeschöpft. Denn ein erheblicher Teil der Tätigkeiten, die prinzipiell ortsunabhängig durchgeführt werden könnten, wurde immer noch in den Betrieben erledigt. Dies liegt neben technischen Hürden unter anderem an der Anwesenheitskultur bei manchen Arbeitgebern und dem Wunsch vieler Beschäftigter, Beruf und Privatleben zu trennen (lesen Sie hierzu auch den IAB-Kurzbericht 11/2019 oder die ZEW-Kurzexpertise 19-03). Diese Hürden dürften angesichts der Corona-Krise schnell fallen, wenn auch zum Teil wohl nur vorübergehend.
Ob Homeoffice möglich ist, hängt entscheidend von der Art der Tätigkeit ab
Entscheidend für die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten, ist letzten Endes die Art der Tätigkeit. Homeoffice ist keine Option für die überwiegende Mehrheit der Jobs in denjenigen Bereichen, die derzeit von den Einschränkungen des öffentlichen Lebens ganz oder stark betroffen sind – wie etwa Gastronomie und Einzelhandelsgeschäfte, Sportstätten und Unterhaltungsbetriebe. Dies gilt aber auch für die meisten als systemrelevant eingestuften Tätigkeiten im Gesundheitssektor und im Bereich der Grundversorgung.
Weniger eindeutig ist die Situation indes bei Arbeitsplätzen in größeren privatwirtschaftlichen Betrieben. Ob Homeoffice dort möglich ist oder nicht, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab: Handelt es sich um Tätigkeiten in der Produktion? Wird an Maschinen und Anlagen gearbeitet? Ist ein direkter, persönlicher Kundenkontakt notwendig? In solchen Fällen ist Homeoffice in der Regel nicht umsetzbar.
Bei Tätigkeiten, die sich prinzipiell für Homeoffice eignen, weil sie beispielsweise überwiegend am Computer stattfinden, können technische Hürden eine Rolle spielen: Verfügen Beschäftigte zu Hause über die notwendige Hard- und Software? Sind die Datenzugänge sicher? Stehen Internetverbindungen mit ausreichender Bandbreite sowohl auf Seite der Unternehmen als auch der Beschäftigten zur Verfügung?
Gut ein Fünftel der Beschäftigten arbeitet gelegentlich von zu Hause aus
Im Jahr 2017 haben 22 Prozent der Beschäftigten aus privatwirtschaftlichen Betrieben mit mindestens 50 Beschäftigten (zur genauen Abgrenzung siehe Infokasten „Daten und Methoden“) zumindest gelegentlich von zu Hause gearbeitet. Dabei variieren die Anteile je nach Berufssegment.
Am stärksten wird Homeoffice mit 43 Prozent in den unternehmensnahen Dienstleistungsberufen genutzt (siehe Abbildung 1). Auch in weiteren, eher administrativen Berufen sowie in IT- und naturwissenschaftlichen Berufen ist Homeoffice vergleichsweise häufig. In Fertigungsberufen und dort, wo Dienstleistungen direkt beim oder auf dem Weg zum Kunden erbracht werden, fällt dieser Anteil dagegen wesentlich geringer aus. Im Bereich von Verkehr und Logistik arbeiten sogar nur 3 Prozent ab und zu von zu Hause aus.
Einen wesentlichen Unterschied macht das Tätigkeitsniveau. Die Mehrheit der Beschäftigten arbeitet in Jobs mit fachlichen Tätigkeiten. Dies betrifft vor allem Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung. 23 Prozent der Beschäftigten aus dieser Gruppe haben im Jahr 2017 von zu Hause gearbeitet. Bei den Beschäftigten mit Spezialisten- oder Experten-Tätigkeiten, etwa Meister oder Akademiker, ist der Anteil mit 61 Prozent mehr als doppelt so hoch.
Die entscheidende Frage für die nächsten Wochen und Monate wird sein, in welchem Ausmaß der Anteil der Beschäftigten, die im Homeoffice arbeiten, gesteigert werden kann. Die in vielen Unternehmen nach wie vor vorherrschende Anwesenheitskultur oder Vorbehalte und Präferenzen der Beschäftigten dürften diesem Ziel zumindest derzeit kaum mehr entgegenstehen. Damit bleiben die generelle Eignung der Tätigkeiten sowie technische Voraussetzungen als wesentliche Hürden.
Dabei ist klar: Bei Tätigkeiten, die nicht ortsunabhängig durchgeführt werden können, ist Homeoffice keine Option. Allerdings kann es dabei auf die Kombination der Tätigkeiten ankommen. Momentan überlegen viele Unternehmen, ihre Beschäftigten zumindest zeitweise zu Hause arbeiten zu lassen, um einerseits die Anzahl der anwesenden Personen zu reduzieren und andererseits sicherzustellen, dass die ortsgebundenen Tätigkeiten weiterhin erledigt werden können.
In klassischen Bürojobs könnten bis zu 30 Prozent der Beschäftigten zusätzlich im Homeoffice arbeiten
Die Zahl der Beschäftigten, die Homeoffice nutzen könnten, übersteigt deutlich die Zahl der Beschäftigten, die es bislang tatsächlich genutzt haben (siehe Abbildung 1, zur näheren Erläuterung siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Dies gilt vor allem in denjenigen Berufssegmenten, in denen Homeoffice schon recht verbreitet war. So könnten – verglichen mit dem Stand vor der Corona-Krise – in den klassischen Bürojobs noch einmal bis zu 30 Prozent der Beschäftigten zusätzlich von zu Hause arbeiten. In der Gruppe der Spezialisten und Experten lässt sich Homeoffice ebenfalls noch deutlich ausbauen.
Zugleich verhindern derzeit an vielen Stellen noch technische Hürden einen schnellen Umstieg auf Homeoffice. Das aus diesen Gründen ungenutzte Potenzial scheint zwar aus der Sicht der Beschäftigten selbst verhältnismäßig gering zu sein. Allerdings können vermutlich nicht alle Beschäftigten richtig einschätzen, welche technischen Voraussetzungen für das Arbeiten von zu Hause nötig sind. Selbst wenn Beschäftigte zu Hause mit der erforderlichen Hardware ausgestattet sind, könnten immer noch technische Hindernisse bestehen. So könnte es an der nötigen Software oder einer ausreichenden Infrastruktur für eine intensive Nutzung fehlen. Außerdem könnte die Arbeit im Homeoffice an datenschutzrechtlichen Hürden scheitern. Andere Hürden wie der Wunsch, Arbeit und Freizeit zu trennen oder der direkte Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sowie den Vorgesetzten, dürften aktuell allerdings keine große Rolle mehr spielen.
88 Prozent der Beschäftigten nutzen digitale Informations- und Kommunikationstechnologien
Manche Tätigkeiten können grundsätzlich ortsunabhängig durchgeführt werden. Dies gilt zumindest dann, wenn die dafür notwendigen mobilen Endgeräte und eine Remote-Verbindung zur Verfügung stehen. Das betrifft die Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen, Kundinnen und Kunden oder Auftraggebern sowie die Erledigung von Aufgaben mittels Computer. Bereits 88 Prozent der Beschäftigten nutzen digitale Informations- oder Kommunikationstechnologien wie Computer, Laptops, Tablets oder Smartphones.
Ein weiterer Hinweis auf das noch ungenutzte Homeoffice-Potenzial ergibt sich aus der Befragungswelle von 2019. Dort sollten Beschäftigte den Umfang verschiedener Tätigkeiten für einen repräsentativen Tag benennen. Diese Tätigkeiten wiederum lassen sich in drei Kategorien zusammenfassen: Kommunikation, Arbeit am Computer sowie Arbeit mit Werkzeugen und an Maschinen und Anlagen.
Die ersten beiden Tätigkeitsarten erfolgen vergleichsweise häufig entweder bereits digital (zum Beispiel E-Mails) oder lassen sich schnell und unbürokratisch digitalisieren (zum Beispiel in Form von Web-Meetings). Bei der Arbeit mit Werkzeugen und an Maschinen oder Anlagen ist dies meist nicht oder noch nicht möglich. Obwohl der technische Fortschritt auch hier neue Möglichkeiten eröffnen wird, ist das Potenzial für Homeoffice in produktionsnahen Tätigkeiten gegenwärtig noch relativ gering.
Dies zeigen auch die vorliegenden Daten: Je mehr Zeit ein Beschäftigter mit Kommunikation oder Arbeit am Computer verbringt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie oder er von zu Hause arbeitet. Bei einem höheren Anteil der Arbeit an Maschinen und Geräten ist diese Wahrscheinlichkeit dagegen geringer.
Die durchschnittlichen Anteile der drei Tätigkeits-Kategorien fallen je nach Berufssegment sehr unterschiedlich aus (siehe Abbildung 2). Ein Arbeitstag kann allerdings auch aus weiteren Tätigkeiten bestehen, die nicht erhoben wurden und daher hier nicht dargestellt werden können. Darunter fallen zum Beispiel das Steuern eines Lastwagens oder Autos oder persönlicher Kundenkontakt. Insofern dürften die in Abbildung 2 dargestellten Anteile an „Homeoffice-nahen“ Tätigkeiten tendenziell etwas zu hoch sein. Nichtsdestotrotz liefern sie einen wichtigen Hinweis auf das Potenzial an Tätigkeiten, die zu Hause erledigt werden könnten.
Das Potenzial für Homeoffice ist insbesondere bei Spezialisten- und Expertentätigkeiten sehr hoch
Der Anteil der Tätigkeiten, die auf Kommunikation und Arbeit am Computer entfallen, ist bei Beschäftigten, die bislang nicht im Homeoffice arbeiten, erwartungsgemäß geringer als bei solchen, die bereits von zu Hause arbeiten. Dies gilt auch innerhalb eines Berufssegments. Ein geringes Potenzial dürften solche Berufssegmente aufweisen, die für die Erledigung ihrer Arbeit in hohem Maße auf Maschinen und Anlagen angewiesen sind. Dies betrifft zuvorderst Berufe aus den Bereichen Bau/Ausbau und Fertigung.
Demgegenüber ist der Anteil Homeoffice-naher Tätigkeiten in den Bereichen Handel, Unternehmensbezogene Dienstleistungen sowie Unternehmensführung und -organisation vergleichsweise hoch. Das Potenzial zur Verlagerung ins Homeoffice fällt auch hier bei Spezialisten- und Expertentätigkeiten besonders hoch aus.
Fazit
Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie gab es in Deutschland ein bislang ungenutztes Potenzial an Homeoffice-Möglichkeiten, das nun für einen Anstieg bei Arbeiten von zu Hause führen dürfte. Diese Möglichkeiten hängen jedoch stark von der Tätigkeitsstruktur der Arbeitsplätze ab. Dort, wo verstärkt mit Maschinen und Anlagen gearbeitet wird, sind die Hürden zumindest bislang noch relativ hoch. Dies zeigt sich auch in der aktuellen Krise. So haben die großen Automobilhersteller ihre Produktionswerke bereits geschlossen oder die Produktion stark heruntergefahren. Dies könnte in der Folge auch dazu führen, dass Arbeitsplätze in der Administration in dieser Zeit unbesetzt bleiben, obwohl diese Tätigkeiten nach Hause verlagert werden könnten.
Ein Abbau der technischen Hürden, etwa durch eine bessere Ausstattung mit Hard- und Software und eine bessere Breitbandversorgung, könnte dennoch dazu beitragen, einen Teil der deutschen Wirtschaft in Gang zu halten.
Daten und Methoden
Datengrundlage ist das Linked Personnel Panel, das repräsentativ für Betriebe der Privatwirtschaft mit mindestens 50 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist (Ruf et al. 2019). Diese Längsschnittdaten beinhalten neben einer Befragung der Arbeitgeber eine Befragung einzelner Beschäftigter, die alle zwei Jahre durchgeführt wird und verschiedene Schwerpunktthemen hat.
Es wird zwischen verschiedenen Berufssegmenten unterschieden, die eine Aggregation der Klassifikation der Berufe 2010 darstellen (Mattes et al. 2015). Darüber hinaus wird zwischen Arbeitsplätzen unterschieden, die vorwiegend fachliche Tätigkeiten (die eine Ausbildung erfordern) beinhalten, und solchen, die Spezialisten- und Experten-Tätigkeiten (die einen Meisterabschluss oder ein Studium erfordern) beinhalten. Beschäftigte, die Hilfstätigkeiten ausüben, sind von den Analysen ausgeschlossen.
Außerdem wurden aufgrund zu geringer Fallzahlen fünf Berufssegmente nicht berücksichtigt: Forst- und Landwirtschaft, Sicherheit, Reinigung, Medizinische und nicht-medizinische Gesundheit sowie kulturelle und soziale Dienstleistungen.
Anmerkung zu Abbildung 1: Der blaue Balken umfasst alle Beschäftigten, die zumindest gelegentlich zu Hause arbeiten. Die Befragten konnten außerdem eine Reihe an möglichen Gründen dafür nennen, warum sie nicht von zu Hause aus arbeiten (für eine ausführliche Darstellung vergleiche Grunau et al. 2019). Im türkisen Balken werden diejenigen Beschäftigten zusammengefasst, die unter anderem angeben, dass die technischen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Der grüne Balken fasst diejenigen zusammen, die aus anderen Gründen nicht zu Hause arbeiten. Darunter fallen Vorbehalte wie beispielsweise die Trennung von Beruf und Privatleben, der erschwerte Kontakt zu Kollegen oder eine fehlende Erlaubnis des Vorgesetzten. Die Restgruppe (ohne Balken) enthält alle Beschäftigten, die angeben, dass ihre Tätigkeit nicht für Homeoffice geeignet ist (und ggf. noch andere Gründe nennen).
Literatur
Grunau, Philipp; Ruf, Kevin; Steffes, Susanne; Wolter, Stefanie (2019): Mobile Arbeitsformen aus Sicht von Betrieben und Beschäftigten: Homeoffice bietet Vorteile, hat aber auch Tücken. IAB-Kurzbericht Nr. 11. (bzw. ZEW-Kurzexpertise Nr. 19-03)
Matthes, Britta; Meinken, Holger; Neuhauser, Petra (2015): Berufssektoren und Berufssegmente auf Grundlage der KldB 2010. Methodenbericht der Statistik der BA, Nürnberg.
Ruf, Kevin; Mackeben, Jan; Grunau, Philipp; Wolter, Stefanie (2019): A unique Employer-Employee Study: the Linked Personnel Panel (LPP) – Design, Extensions and Research Potential. In: Journal of Economics and Statistics, Volume 240 (issue 1), S. 133–145.
Grunau, Philipp; Steffes, Susanne; Wolter, Stefanie (2020): Homeoffice in Zeiten von Corona: In vielen Berufen gibt es bislang ungenutzte Potenziale, In: IAB-Forum 25. März 2020, https://www.iab-forum.de/homeoffice-in-zeiten-von-corona-in-vielen-berufen-gibt-es-bislang-ungenutzte-potenziale/, Abrufdatum: 18. December 2024
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Autoren:
- Philipp Grunau
- Susanne Steffes
- Stefanie Wolter