13. März 2024 | Migration und Integration
Kommunikation mit Geflüchteten: Wie Jobcenter mit sprachlicher Diversität umgehen
Katja Hartosch , Peter Kupka , Christopher Osiander , Angela Rauch , Franziska Schreyer
„Die Amtssprache ist deutsch“ – so steht es in § 19 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X), das die Sozialverwaltungsverfahren in Deutschland formell regelt. Dies gilt auch für das SGB II, also die Grundsicherung für Arbeitsuchende beziehungsweise das „Bürgergeld“. Für dessen Umsetzung sind die Jobcenter zuständig.
Aber auch wenn die Amtssprache formell deutsch ist: Es ist eine Einwanderungsgesellschaft, innerhalb derer die Jobcenter agieren. Sie betreuen häufig Menschen, die (noch) wenig Deutsch sprechen. Darunter sind auch Geflüchtete. Sofern diese eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, werden sie bei Leistungsberechtigung durch das SGB II unterstützt und von den Jobcentern betreut.
Die Jobcenter sollen nach Möglichkeit ihre Leistungen so erbringen, dass sie für alle hilfebedürftigen Menschen zugänglich sind. Dies gilt auch bei Beratungs- und Vermittlungsdienstleistungen für Personen, die Deutsch (noch) nicht beherrschen. Das ist eine Herausforderung, da die Leistungserbringung an Sprache gebunden ist: In den Gesprächen zwischen den Fachkräften und den Klient*innen wird ausgehandelt, wie die Ausgangssituation ist und wie es weitergehen soll. Verständigungsprobleme können daher auch die Zugänglichkeit zu Leistungen beeinflussen (detaillierte Analysen zur Kommunikation in Arbeitsverwaltungen finden Sie in den Studien von Daniela Böhringer und Ute Karl aus dem Jahr 2012 sowie von Clara Holzinger und Anna-Katharina Draxl aus dem Jahr 2023).
Die Geflüchteten, die im Jobcenter betreut werden, entstammen sehr unterschiedlichen Sprachregionen. Viele sprechen zum Beispiel Ukrainisch, Kurdisch, Arabisch, Farsi oder Tigrinya, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Diejenigen, die zusätzlich eine sogenannte „Brückensprache“ wie Englisch oder Französisch sprechen, haben es möglicherweise leichter, sich im Kontakt mit den Jobcentern verständlich zu machen und die Anforderungen dort zu verstehen. Vorausgesetzt, die dortigen Fachkräfte sprechen diese Sprachen ebenfalls und sind bereit, sich in einer anderen Sprache als Deutsch zu verständigen.
Geflüchtete mit ukrainischer Staatsangehörigkeit werden sehr bald nach ihrer Einreise von den Jobcentern betreut. Über Deutschkenntnisse verfügen sie zu diesem frühen Zeitpunkt aber selten, wie der IAB-Forschungsbericht 02/2023 zeigt. Geflüchtete aus anderen Ländern leben dagegen oft bereits längere Zeit in Deutschland, bevor sie eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und von den Jobcentern betreut werden. In dieser Zeit haben sie vielfach bereits einen Integrations- und Sprachkurs besucht oder auf anderen Wegen Deutschkenntnisse erworben.
Deutschkompetenz ist ein wesentlicher Schlüssel für eine erfolgreiche Erwerbsintegration
Deutschkenntnisse haben hohe Bedeutung für eine gelingende Integration in den Arbeitsmarkt (lesen Sie dazu unter anderem den IAB-Kurzbericht 05/2019). Jobcenter sind daher gehalten, etwa über Maßnahmen die Deutschkompetenz ihrer Klient*innen zu fördern. Die sprachliche Diversität der Geflüchteten stellt aber auch in der alltäglichen Arbeit eine Herausforderung für die Jobcenter dar.
Wie gehen Jobcenter als prinzipiell einsprachige Institutionen mit dieser sprachlichen Diversität um? Wie erleben sie die Kommunikation mit Geflüchteten? Wie verständigen sich Fachkräfte mit geflüchteten Klient*innen? Zu diesen und anderen Fragen werden nachfolgend empirische Befunde aus dem IAB-Projekt „Jobcenter und psychische Gesundheit von Menschen mit Fluchterfahrung (PsyF)“ präsentiert. Dafür wurden im ersten Quartal 2023 alle Jobcenter in Deutschland (gemeinsame Einrichtungen und Jobcenter in kommunaler Trägerschaft) mittels eines standardisierten Online-Surveys befragt.
256 Jobcenter, also rund 63 Prozent, beteiligten sich an der Umfrage. Pro Jobcenter wurde jeweils die Einschätzung einer Person eingeholt, die dort als Expert*in für das Thema Flucht gilt. Das waren in vielen Fällen Teamleitungen, gelegentlich arbeitnehmerorientierte Vermittlungsfachkräfte oder speziell für die Beratung Geflüchteter zuständige Spezialist*innen, in seltenen Fällen auch die Geschäftsführung.
Wie Jobcenter die sprachliche Verständigung mit Geflüchteten einschätzen
Für rund drei Viertel der Jobcenter zählen fehlende Deutschkenntnisse zu den drei größten Herausforderungen bei der Beratung und Vermittlung von Geflüchteten. Daneben benennen Jobcenter nicht verwertbare Qualifikationen aus dem Herkunftsland und – allerdings nur bei Frauen – familiäre Betreuungspflichten häufig als die größten Herausforderungen.
71 Prozent der Jobcenter bewerten die Kommunikation mit Geflüchteten als eher schwierig, 10 Prozent als sehr schwierig (siehe Abbildung 1). Umgekehrt erachtet knapp jedes fünfte befragte Jobcenter den Austausch als eher einfach oder sehr einfach. Dabei fällt auf, dass dies häufig Jobcenter mit mindestens einem auf die Betreuung von Geflüchteten spezialisiertem Team sind.
Dass die Covid-19-Pandemie die Kommunikation mit Geflüchteten erschwert hat, sehen etwa drei Viertel der Jobcenter so (nicht in Abbildung 1 enthalten; zur Kommunikation zwischen Arbeitsverwaltung und Klient*innen während der Pandemie allgemein lesen Sie den Aufsatz von Andrea Kirchmann und anderen aus dem Jahr 2022 und die englischsprachige Studie von Asbjørn Ammitzbøll Flügge und Naja Holten Møller, die ebenfalls 2022 erschienen ist).
Jobcentermitarbeiter*innen sprechen teils selbst Sprachen von Geflüchteten oder setzen Brückensprachen ein
Eine Möglichkeit, Kommunikationsschwierigkeiten abzubauen, besteht für Jobcenter darin, Personal zu beschäftigen, das Sprachen von Geflüchteten selbst spricht. 85 Prozent der Jobcenter geben an, dass mindestens eine Fachkraft neben Deutsch noch eine Sprache (oder mehrere) spricht, die auch Muttersprache von vielen Geflüchteten ist. Das kann pro Jobcenter aber auch nur eine einzige Fachkraft sein.
11 Prozent der Jobcenter geben an, genügend Fachkräfte mit entsprechenden Sprachkompetenzen zu beschäftigen, 65 Prozent verneinen dies (siehe Abbildung 2). Zu ersteren zählen wiederum oftmals Jobcenter, die über ein spezielles Team zur Betreuung von Geflüchteten verfügen. Auch wenn Jobcenter mitunter mehrsprachige Fachkräfte beschäftigen, scheint dies aber in den meisten Fällen nicht auszureichen, um sprachliche Verständigung zu gewährleisten.
Eine weitere Möglichkeit, Kommunikationsbarrieren abzubauen, ist der Einsatz von weit verbreiteten Brückensprachen wie Englisch. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) fördert grundsätzlich entsprechende Weiterbildungen ihrer Fachkräfte. 36 Prozent der Jobcenter stimmen der Aussage zu, dass sie in der Beratung von Geflüchteten viel mit Brückensprachen wie Englisch, Französisch oder Türkisch arbeiten. 37 Prozent stimmen teilweise zu, 27 Prozent eher nicht oder überhaupt nicht zu (siehe Abbildung 2).
Letzteres kann unter anderem mit Unsicherheit in einem rechtlich komplexen Kontext zusammenhängen: In ihrer aktuellen Studie über den österreichischen Arbeitsmarkt-Service stellen Clara Holzinger und Anna-Katharina Draxl fest, dass Berater*innen etwa die Kommunikation auf Englisch teils als belastend empfinden, wenn sie sich aufgrund (vermeintlich) unzureichender eigener Englischkenntnisse unwohl fühlen.
96 Prozent der Jobcenter arbeiten bei der Beratung von Geflüchteten mit übersetzenden Dritten zusammen
Mit 96 Prozent greifen fast alle befragten Jobcenter bei der Beratung von Geflüchteten auf übersetzende Dritte zurück (nicht in den Abbildungen enthalten). Dies können Ehrenamtliche, Privatpersonen oder professionelle Dolmetscher*innen sein, die vor Ort oder telefonisch übersetzen.
So finanziert die BA unter bestimmten Voraussetzungen Dolmetscherdienstleistungen, die persönlich vor Ort erbracht werden. Seit 2016 können Arbeitsagenturen und Jobcenter, sofern letztere gemeinsame Einrichtungen von Arbeitsagentur und Kommune sind, zudem eine telefonische Dolmetscher-Hotline nutzen. Damit will die BA Qualitätskriterien wie Neutralität, Fachlichkeit und Wahrung des Datenschutzes sicherstellen. Bei der telefonischen Dolmetscher-Hotline steht grundsätzlich eine Vielzahl an Sprachen wie Arabisch, Dari, Farsi, Französisch, Kurdisch-Kurmandschi, Kurdisch-Sorani, Paschtu, Russisch, Tigrinya und Ukrainisch zur Verfügung. Aktuell wird eine telefonische Übersetzung in 22 Sprachen angeboten. Unter bestimmten Voraussetzungen finanziert die BA auch schriftliche Übersetzungsdienstleistungen.
Fast alle Jobcenter (93 Prozent) halten Dolmetscherdienste für unverzichtbar, weisen diesen also sehr hohe Bedeutung zu. Aber nahezu ein Drittel der befragten Jobcenter hat nach eigenen Angaben keinen (11 Prozent) oder nur teilweise Zugang (21 Prozent) zu diesen Diensten (siehe Abbildung 2). Dies könnte auch an den Engpässen bei Dolmetscherdienstleistungen liegen, auf die die BA selbst hinweist.
Teils kommen auch ehrenamtliche Übersetzer*innen zum Einsatz. Dies können zum Beispiel Mitglieder von Migrantenorganisationen und anderen sozialen Verbänden sein, aber auch Familienangehörige oder Bekannte. Gerade letzteres kann allerdings problematisch sein, etwa wenn es um komplexe rechtliche und institutionelle Informationen geht. Dadurch können wichtige Informationen sowohl für das Jobcenter als auch für die Klient*innen verloren gehen, wie Dorothee Frings und Matthias Knuth in einem 2010 erschienenen Beitrag darlegen.
Besondere Risiken bestehen zudem bei sensiblen individuellen Problemlagen. So kann es gerade bei Dolmetschenden aus dem privaten Umfeld schwierig sein, mit der Fachkraft etwa über Schulden, psychische Krankheiten oder Suchtprobleme offen zu sprechen (lesen Sie dazu eine 2019 veröffentlichte Studie von Bernhard Boockmann und Tobias Scheu zur Betreuung von Geflüchteten in Jobcentern). Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass 84 Prozent der Jobcenter die Unterstützung durch professionelle persönliche Dolmetscher*innen bei der Kommunikation über psychische Probleme von Geflüchteten als „hilfreich“ oder „sehr hilfreich“ ansehen, während es bei ehrenamtlich Dolmetschenden (61 Prozent) und Dolmetscher-Telefon-Hotlines (52 Prozent) deutlich weniger sind (siehe Abbildung 3).
Fazit
Auch wenn die Amtssprache in Sozialverwaltungsverfahren formell Deutsch ist: Viele Jobcenter stellen sich den Herausforderungen einer sprachlich diversen Einwanderungsgesellschaft. Dies geht aus einer Online-Befragung von Jobcentern zur Betreuung von Menschen mit Fluchterfahrung hervor. So ist die Mitarbeiterschaft mitunter selbst sprachlich divers, setzt teils Brückensprachen wie Englisch, Französisch oder Türkisch ein oder nutzt vielfach professionelle Dolmetscherdienste. Gleichzeitig gibt aber jedes dritte Jobcenter an, keinen ausreichenden Zugang zu Dolmetscher*innen für die wichtigsten Sprachen Geflüchteter zu haben.
Auch bei der weiteren Qualitätssicherung von professionellen Dolmetscherdiensten besteht Handlungsbedarf: Angesichts eines rechtlich komplexen Kontexts in einem vielleicht noch unvertrauten Zufluchtsland gehen diese Dienste über eine reine Übersetzungstätigkeit hinaus und können sehr herausfordernd sein. Es geht um „more than words“, wie Clara Holzinger und Anna-Katharina Draxl ihre aktuelle Studie überschrieben haben.
Gerade die Übersetzung von komplexen rechtlichen und institutionellen Informationen oder die Thematisierung von sensiblen Aspekten wie Schulden oder psychischen Erkrankungen können problematisch sein. Risiken birgt hier insbesondere die Übersetzung durch Personen, die dies privat oder ehrenamtlich tun, etwa Verwandte oder Bekannte, auch wenn diese Variante oft einfach und naheliegend erscheint. Die BA empfiehlt und fördert den Einsatz professioneller Dolmetscherdienstleistungen, weist aber auch auf Engpässe bei diesen Leistungen hin.
Mit den hier präsentierten Befunden ist die Frage, wie sich Fachkräfte in ihrem Arbeitsalltag mit Geflüchteten konkret verständigen und welche Schwierigkeiten insbesondere bei der Thematisierung von psychischen Belastungen auftreten, noch nicht abschließend beantwortet. Näheren Aufschluss sollen die im Projekt noch laufenden qualitativen Erhebungen in ausgewählten Jobcentern sowie in Gesundheits- und Beratungseinrichtungen geben.
In aller Kürze
- Jobcenter als im Kern monolinguale Institutionen sind durch die sprachliche Diversität ihrer Klient*innen herausgefordert. Dies gilt auch bei der Betreuung von geflüchteten Menschen, aktuell unter anderem bei der Betreuung von Geflüchteten aus der Ukraine.
- Gleichzeitig ist Deutschkompetenz ein wichtiger Schlüssel zur erfolgreichen Integration in Ausbildung und Arbeitsmarkt.
- Dass es vielen Geflüchteten (noch) an Deutschkompetenz mangelt, ist aus Sicht vieler Jobcenter eine große Herausforderung bei der Beratung und Vermittlung dieser Personengruppe.
- Fast jedes fünfte befragte Jobcenter bezeichnet die Kommunikation mit Geflüchteten als eher einfach. Dies sind häufig Jobcenter mit spezialisierten Teams für die Betreuung von Geflüchteten.
- Beschäftigte in den Jobcentern sprechen mitunter selbst Sprachen von Geflüchteten. Teils setzen die Jobcenter Brückensprachen wie Englisch, Französisch oder Türkisch ein. Vor allem aber nutzen sie vielfach dolmetschende Dritte.
- Fast alle Jobcenter schreiben Dolmetscherdiensten eine hohe Bedeutung in der Kommunikation zu. Allerdings hat ein Drittel nach eigenen Angaben keinen ausreichenden Zugang zu Dolmetschenden für wichtige Sprachen.
Literatur
Bähr, Sebastian; Beste, Jonas; Wenzig, Claudia (2019): Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Syrern und Irakern im SGB II: Gute Sprachkenntnisse sind der wichtigste Erfolgsfaktor. IAB-Kurzbericht Nr. 5.
Bernhard, Sarah; Bernhard, Stefan; Helbig, Laura (2021): Erfahrungen von Geflüchteten beim Deutschlernen: Langer Weg mit Stolpersteinen. IAB-Kurzbericht Nr. 26.
Böhringer, Daniela; Karl, Ute 2012: Gestalt und Gestaltung von Gesprächen in Jobcentern und der Berufsberatung. In: Neue Praxis, Heft 3, S. 274–293.
Frings, Dorothee; Knuth, Matthias (2010): Weiterentwicklung des SGB II und seiner Organisationspraxis in integrationspolitischer Perspektive. In: Knuth, Matthias (Hrsg.): Arbeitsmarktintegration und Integrationspolitik – zur notwendigen Verknüpfung zweier Politikfelder. Eine Untersuchung über SGB II-Leistungsbeziehende mit Migrationshintergrund. S. 213–234. Baden-Baden: Nomos.
Holzinger, Clara (2020): ‘We don’t worry that much about language’: streetlevel bureaucracy in the context of linguistic diversity. Journal of Ethnic and Migration Studies 46(9), S. 1792–1808.
Holzinger, Clara; Draxl, Anna-Katharina (2023): More than words: Eine mehrsprachigkeitsorientierte Perspektive auf die Dilemmata von Street-level Bureaucrats in der Klient*innenkommunikation. In: Zeitschrift für Soziologie 52, Heft 1, S. 89–104.
Bild: vegefox.com/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240313.01
Hartosch, Katja ; Kupka, Peter ; Osiander, Christopher; Rauch, Angela; Schreyer, Franziska (2024): Kommunikation mit Geflüchteten: Wie Jobcenter mit sprachlicher Diversität umgehen, In: IAB-Forum 13. März 2024, https://www.iab-forum.de/kommunikation-mit-gefluechteten-wie-jobcenter-mit-sprachlicher-diversitaet-umgehen/, Abrufdatum: 21. November 2024
Autoren:
- Katja Hartosch
- Peter Kupka
- Christopher Osiander
- Angela Rauch
- Franziska Schreyer