Welche Veränderungen bringt der Wandel zu einer CO2-neutralen Wirtschaft für den Arbeitsmarkt? Welche Fachkräfte und Kompetenzen sind besonders gefragt, um diesen Wandel zu bewältigen?  Was sind die Lösungsansätze, um die Unternehmen mit den notwendigen Fachkräften zu versorgen? Welche Chancen kann eine kluge Aus- und Weiterbildungspolitik bieten? Wie steht es um die Qualität der grünen Jobs? Und was können Deutschland und andere OECD-Länder voneinander lernen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines gemeinsamen Webinars des OECD Berlin Centre und des IAB vom 11. Juli 2024.

Neben der vergleichenden Beschreibung der Arbeitsmarktentwicklung ist der kürzlich veröffentlichte alljährliche Beschäftigungsausblick (Employment Outlook) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt gewidmet, die mit dem angestrebten Wandel zu einer CO2-neutralen Wirtschaft verbunden sind. In dem Bericht werden unter anderem folgende Fragen diskutiert: Welche Kompetenzen sind besonders gefragt? Welche Fachkräfte fehlen? Welche Chancen und Risiken bestehen für die Beschäftigten und welche Lösungsansätze sind am besten geeignet, diese Herausforderungen zu bewältigen?

Die Arbeitsmarktlage in Deutschland im OECD-Vergleich

Um diese Themen ging es auch in einem gemeinsamen Webinar des OECD Berlin Centre und des IAB, das am 11. Juli 2024 in der Reihe „OECD-Gesellschaftssalon“ stattfand. Der OECD Arbeitsmarktexperte Stéphane Carcillo zeigte in seinem einleitenden Vortrag, dass sich der Arbeitsmarkt in den OECD-Ländern aktuell immer noch gut entwickelt – trotz des sich abschwächenden Wirtschaftswachstums. Es bestehen nach wie vor Schwierigkeiten bei der Besetzung der offenen Stellen, wenn auch in etwas geringerem Ausmaß als in den letzten Jahren. Die Beschäftigungsquote der 15- bis 64-Jährigen ist in fast allen OECD-Ländern zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem ersten Quartal 2024 gestiegen. Im Durchschnitt der OECD-Länder betrug die Beschäftigungsquote im ersten Quartal 2024 70,2 Prozent und lag damit um 1,3 Prozentpunkte höher als noch im vierten Quartal 2019. Deutschland wies im ersten Quartal 2024 mit 77,4 Prozent eine der höchsten Beschäftigungsquoten aller OECD-Länder auf, mit einem Plus von 1,6 Prozentpunkten seit dem vierten Quartal 2019. Die Beschäftigungsentwicklung hat OECD-weit die Corona-Delle nahezu vollständig überwunden. Legt man die standardisierte Arbeitslosenquote der OECD zugrunde, dann wies Deutschland trotz eines leichten Anstiegs in der jüngsten Vergangenheit im April 2024 mit 3,2 Prozent (im Vergleich hierzu weist die Bundesagentur für Arbeit aufgrund einer anderen Zählweise eine Arbeitslosenquote von 6,0 Prozent aus) weiterhin eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten OECD-weit aus, die Arbeitslosenquote in der OECD insgesamt betrug im gleichen Monat 4,9 Prozent. Angesichts der guten Arbeitsmarktlage und des Rückgangs der Inflation stiegen in den meisten OECD-Ländern im letzten Jahr die realen Stundenlöhne an, so auch in Deutschland – und hier etwa ähnlich stark wie in der OECD insgesamt. Allerdings liegen die realen Stundenlöhne in Deutschland – im Gegensatz zur OECD insgesamt – noch immer etwa 2 Prozent niedriger als unmittelbar vor der Corona-Krise. Nur der reale Mindestlohn ist seit 2019 in Deutschland etwas stärker als in der OECD insgesamt gestiegen. Die Arbeitszeit pro Beschäftigten ist in den allermeisten OECD-Ländern zwischen 2005 und 2024 zurückgegangen (ein Minus von knapp 5 Prozent OECD-weit), und der längerfristige Rückgang hat sich in der Corona-Krise fortgesetzt. Der Arbeitszeitrückgang fällt in Deutschland mit etwas über 5 Prozent leicht überdurchschnittlich aus. Die OECD weist darauf hin, dass Deutschland trotz der aktuell verschlechterten Arbeitsmarktlage hinsichtlich der Beschäftigungsentwicklung im OECD-Vergleich weiterhin recht gut abschneidet.

Herausforderungen der grünen Transformation

Der diesjährige Beschäftigungsausblick der OECD legt seinen Schwerpunkt auf die grüne Transformation, die mit Effekten auf die Struktur von Berufen, Sektoren und Regionen verbunden ist. Grüne Berufe und grüne Jobs nehmen in ihrer Bedeutung in allen OECD-Ländern schnell zu, und sie sind gut bezahlt. Wer  die Bedeutung von grünen Berufen messen möchte, ist nach Carcillos Einschätzung mit verschiedenen Problemen konfrontiert. Neben der Art der Tätigkeiten in einem Beruf und deren Veränderung hin zu umweltfreundlicheren Tätigkeiten gehen in die Betrachtung auch Berufe ein, die an der Produktion umweltfreundlicher („grüner“) Produkte beteiligt sind. Nach dieser breiten Definition war zwischen 2015 und 2019 etwa jeder fünfte Beschäftigte in der OECD in einem grünen Beruf tätig. Demgegenüber sind noch 7 Prozent in Berufen tätig, die mit hohen umweltschädlichen Treibhausgasemissionen einhergehen. Hierbei entsprechen die Zahlen für Deutschland in etwa dem OECD-Durchschnitt.

Beschäftigte in Branchen mit hohen Treibhausemissionen sehen sich angesichts der grünen Transformation mit großem Anpassungsdruck konfrontiert, zumal diese Branchen stark auf einzelne Regionen konzentriert sind und dort nicht immer gute Beschäftigungs- oder Verdienstmöglichkeiten in grünen Berufen bestehen. Arbeitsplatzverluste in diesen Branchen gehen mit stärkeren längerfristigen Verdienstverlusten der betroffen Beschäftigten einher als in anderen Branchen. Die Verluste werden von der OECD sechs Jahre nach dem Jobverlust OECD-weit auf etwa 27 Prozent geschätzt, in Deutschland sind es etwa 23 Prozent.

Die OECD plädiert sehr stark dafür, den Übergang in grüne Jobs durch entsprechende Weiterbildung zu unterstützen. Insbesondere Beschäftigte mit niedrigem Qualifikationsniveau sind im Fall der neuen grünen Jobs mit einem höheren Anforderungsniveau konfrontiert, als dies in Branchen mit hohen Treibhausemissionen bisher der Fall war. Der daraus resultierende Qualifizierungsbedarf betrifft dabei sowohl fachliche als auch überfachliche Skills. Angesichts der bisher niedrigen Weiterbildungsbeteiligung von Beschäftigten in Jobs mit niedrigem Anforderungsniveau ist es für die Arbeitsmarktpolitik eine besondere Herausforderung, Arbeitslosigkeits- und Einkommensrisiken  für diese Personengruppen zu minimieren.

Breite Diskussion zur Arbeitsmarktlage und zur grünen Transformation

Im Anschluss an das Eingangsreferat wurde die Thematik in einer Expertenrunde aus Politik und Praxis vertieft, die von Nicola Brandt, Leiterin des OECD Centre Berlin moderiert wurde. An der Runde beteiligten sich Jana Fingerhut von der Bertelsmann Stiftung, Anke Hassel, Professorin für Public Policy an der Hertie School, Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und IAB-Direktor Professor Bernd Fitzenberger.

Bernd Fitzenberger wies mit Blick auf die Lohnentwicklung in Deutschland auf den hierzulande besonders starken Anstieg der Teilzeitbeschäftigung hin. Die Entwicklung der grünen Berufen ist nach seiner Einschätzung OECD-weit weitaus dynamischer, als dies in der Öffentlichkeit oftmals vermutet werde. Es sei gleichzeitig bemerkenswert, wie stark sich die Entwicklung grüner Berufe in den OECD-Ländern ähnelt. Hinsichtlich der Schwierigkeiten der Messung von grünen Skills und grünen Jobs betonte er, dass auch die Herstellung eines umweltfreundlichen Produktes mit Tätigkeiten verbunden sein könnten, die für sich genommen die Umwelt belasten. Es müssten sowohl die Tätigkeiten als auch die Wertschöpfungskette betrachtet werden. Das IAB hat als tätigkeitsbasiertes Maß den Greenness-of-Jobs-Index (GoJI) entwickelt, der unter anderem in einem IAB-Kurzbericht (19/2023) zum Ausbildungsinteresse junger Menschen von Udo Brixy, Markus Janser und Andreas Mense verwendet wurde.

Jana Fingerhut wies auf die Zusammenhänge zwischen digitaler und grüner Transformation hin, etwa bei der Weiterbildung. Es sei wichtig zu wissen, welche Fachkräfte und Kompetenzen genau benötigt werden, damit entsprechende Qualifizierungen möglich sind.

Achim Dercks betonte, dass gut qualifizierte Arbeitskräfte auch außerhalb der „grünen“ Wirtschaftsbereiche benötigt werden. Das Gute bei der beruflichen Bildung in Deutschland sei, dass sie „von denjenigen gemacht wird, die sie auch nachfragen“. Die Spannbreite der angebotenen Qualifizierungen für Berufserfahrene sei sehr groß.

Die Bedeutung der Sozialpartner in der grünen Transformation unterstrich Anke Hassel in ihrem Diskussionsbeitrag. Ältere Männer, die in der „braunen Industrie“ gut gewerkschaftlich organisiert waren und ihren Job verlieren, hätten teils deutliche Einkommensverluste. Es gehe aber nicht nur um Anpassungsleistungen, sondern auch um Investitionen in den betroffenen Regionen.

Etwaige Befürchtungen, dass zu wenig junge Menschen ein Interesse an einer beruflichen Ausbildung in „grünen Berufen“ haben könnten, erscheinen jedenfalls für Deutschland unbegründet. Denn Udo Brixy, Markus Janser und Andreas Mense haben im oben erwähnten IAB-Kurzbericht nachgewiesen, dass in Deutschland das Ausbildungsinteresse junger Menschen in grünen Berufen in den letzten zehn Jahren stark gestiegen ist – entgegen dem allgemeinen negativen Trend bei der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge.

Insgesamt war sich das Podium einig, dass der „grüne Bereich“ an Bedeutung gewinnt, sowohl gemessen am Output als auch an der Zahl der „grünen“ Tätigkeiten. Die grüne Transformation, so die einhellige Auffassung, bietet auch für den Arbeitsmarkt sehr viele Chancen. Wie gut die Anpassung gelingt, sei aber auch eine Frage des Transformationstempos: Je disruptiver und schneller die Entwicklung verläuft, desto schwieriger werde es für die Betroffenen und die Sozialpartner, mit den Veränderungen Schritt zu halten.

Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ist abrufbar unter https://blog.oecd-berlin.de/beschaeftigungsausblick-gruenen-transformation.

Literatur

Brixy, Udo, Markus Janser & Andreas Mense (2023): Ausbildungsmarkt und ökologische Transformation: Auszubildende entscheiden sich zunehmend für Berufe mit umweltfreundlichen Tätigkeiten. (IAB-Kurzbericht 19/2023), Nürnberg.

OECD (2024), OECD Employment Outlook 2024: The Net-Zero Transition and the Labour Market, OECD Publishing, Paris.

 

Bild: iamchamp/stock.adobe.com

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240730.01

Bellmann, Lutz; Fitzenberger, Bernd (2024): OECD-Beschäftigungsausblick: Der deutsche Arbeitsmarkt im Vergleich und Arbeitsmarktwirkungen der Grünen Transformation, In: IAB-Forum 30. Juli 2024, https://www.iab-forum.de/oecd-beschaeftigungsausblick-der-deutsche-arbeitsmarkt-im-vergleich-und-arbeitsmarktwirkungen-der-gruenen-transformation/, Abrufdatum: 17. November 2024