17. Dezember 2020 | Internationale und regionale Arbeitsmärkte
Weniger Exporte, steigende Nettozuwanderung, viele Einbürgerungen – erste Folgen des Brexits für Deutschland
Am 31. Dezember 2020 endet die Übergangsfrist, auf die sich die Europäische Union (EU) und die britische Regierung im Austrittsvertrag geeinigt haben. Bis Redaktionsschluss (16.12.2020) wurde auch noch kein Abkommen über die künftigen Beziehungen ausgehandelt. Damit steigt die Gefahr eines harten Brexits, also eines scharfen Bruchs der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ohne Anschlussregelung. Doch auch im Falle einer Übereinkunft müssen sich die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger der EU auf die wirtschaftlichen und rechtlichen Folgen vorbereiten, die mit dem Ende der Übergangsphase einhergehen.
Zum jetzigen Zeitpunkt können die gesamtwirtschaftlichen Folgen des Brexits noch nicht genau eingeschätzt werden, insbesondere dann, wenn es einen harten Brexit ohne Abkommen geben sollte. Wie eine 2019 im IAB-Forum erschienene Analyse von Enzo Weber zeigt, dürfte sich ein harter Brexit zumindest vorübergehend negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland auswirken. Erste Indikatoren zeigen, dass die zunehmende Unsicherheit über die künftigen wirtschaftlichen und rechtlichen Regelungen bereits jetzt die Handels- und Migrationsströme beeinflusst.
Die Unsicherheit über die künftigen Regelungen belastet die Exportwirtschaft
Wie im IAB-Kurzbericht 1/2020 ausführlicher beschrieben, pflegte das Vereinigte Königreich bislang sehr enge Handelsbeziehungen mit Deutschland. Es war im Jahr 2018 der drittgrößte Absatzmarkt für deutsche Waren in der EU. Seit dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 hat sich das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern jedoch verringert. Wie beispielsweise die Auswertungen von Sekou Keita und Ignat Stepanok in einem 2020 erschienen Beitrag für das IAB-Forum zeigen, sind die deutschen Exporte in das Vereinigte Königreich zwischen 2016 und 2019 um rund acht Prozent zurückgegangen, obwohl sich die Handelsregeln bislang nicht geändert haben. Dies kann als eine Folge der Anpassungsreaktionen bei den exportierenden Unternehmen betrachtet werden. Allerdings könnte hier auch die starke Abwertung des britischen Pfunds seit dem Referendum gegenüber dem Euro eine Rolle spielen. Ein schwächeres Pfund kann die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen beeinflussen und sich damit auf die Investitionsentscheidungen von Unternehmen auswirken.
Die Nettozuwanderung aus dem Vereinigten Königreich nach Deutschland ist seit 2016 deutlich gestiegen
Das Vereinigte Königreich war zudem bis dato eines der wichtigsten Zielländer für Migration innerhalb Europas. Ähnlich wie in der Finanzkrise könnte ein harter Brexit dazu führen, dass sich die Migrationsströme in der EU verlagern. Davon könnten Deutschland und andere Zielländer profitieren.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hat sich die Nettozuwanderung aus dem Vereinigten Königreich nach Deutschland seit dem Referendum mehr als verdoppelt. Im Jahr 2015 verzeichnete das Vereinigte Königreich noch einen Wanderungsüberschuss gegenüber Deutschland. Doch schon im Jahr darauf zogen mehr Menschen aus dem Vereinigten Königreich nach Deutschland als umgekehrt. Im Jahr 2019 verzeichnete Deutschland einen positiven Wanderungssaldo von 4.000 Personen (siehe Abbildung 1).
Wie Herbert Brücker und Ehsan Vallizadeh in einem 2016 erschienenen Beitrag beschrieben haben, kann die Ungewissheit über die künftigen wirtschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen aufgrund des Brexits dazu führen, dass mehr EU-Staatsbürger wieder in ihre Heimatländer zurückkehren.
Immer mehr britische Staatsangehörige lassen sich in Deutschland einbürgern
Je nach Verhandlungsergebnis dürfte sich der Brexit zudem auf die migrations- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen für britische Staatsangehörige in Deutschland auswirken. Ähnliches gilt für EU-Staatsangehörige im Vereinigten Königreich. Mit einer Einbürgerung in Deutschland laufen britische Staatsangehörige keine Gefahr mehr, das Land im Falle eines harten Brexits verlassen oder andere Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
Tatsächlich hat sich die Zahl der Einbürgerungen britischer Staatsbürger in Deutschland seit 2016 verfünffacht (siehe Abbildung 2). Zum Vergleich: Die Zahl der Einbürgerungen aus anderen Ländern der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft blieb im selben Zeitraum nahezu unverändert.
Fazit
Allein die Möglichkeit eines harten Bruchs der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen hat in den Jahren seit dem Brexit-Referendum für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Dies betrifft sowohl importierende und exportierende Unternehmen als auch Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs und der EU, die sich in einem Land auf der jeweils anderen Seite des Ärmelkanals aufhalten.
Dies wirkte sich auch auf die Migrationsströme zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich aus, da mittlerweile deutlich mehr Menschen aus dem Vereinigten Königreich nach Deutschland ziehen als umgekehrt. Auch die rasant gestiegene Zahl der Einbürgerungen von Personen mit britischer Staatsangehörigkeit in Deutschland zeigt, dass viele Betroffene bereits auf die vorübergehend negativen persönlichen Auswirkungen eines harten Brexits reagiert haben. Doch selbst wenn sich Unternehmen und viele direkt betroffene Bürgerinnen und Bürger so gut wie möglich auf den Brexit einstellen, dürfte dies die negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zwar abfedern, aber nicht vollständig kompensieren. Allerdings könnten spätere Abkommen und Regelungen durchaus dazu führen, dass sich das Volumen des grenzüberschreitenden Handels und Personenverkehrs perspektivisch wieder normalisiert – und damit auch die negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt langfristig gering bleiben.
Literatur
Brücker, Herbert; Vallizadeh, Ehsan (2016): Brexit: Mögliche Folgen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Arbeitsmigration, Aktuelle Berichte Nr. 16.
Keita, Sekou; Stepanok, Ignat (2020): Deutsche Ausfuhren in das Vereinigte Königreich gehen seit dem Brexit-Referendum zurück. In: IAB-Forum vom 15.4.2020.
Keita, Sekou; Stepanok, Ignat; Vallizadeh, Ehsan (2020): Beschäftigungsrelevanz des Handels mit dem Vereinigten Königreich: Exportabhängige Arbeitsplätze sind über Branchen und Regionen ungleich verteilt, IAB-Kurzbericht Nr. 1.
Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020): Brexit Monitor, Zugriff am 28.9.2020.
Weber, Enzo (2019): Folgen des Brexit für Deutschland: Dämpfer für die Konjunktur, nicht für den Arbeitsmarkt. In: IAB-Forum vom 7.2.2019.
Autoren:
- Sekou Keita
- Ehsan Vallizadeh