8. April 2022 | IAB-Debattenbeiträge
Wirtschaftshilfen zu Zeiten des Ukraine-Kriegs: Maßgeschneiderte Instrumente für multiple Herausforderungen
Die geopolitische Zeitenwende hat schlagartig die weltwirtschaftlichen Bedingungen verändert. Die Folgen von Krieg und Sanktionen stellen die deutsche Wirtschaft gleichzeitig vor mehrere Herausforderungen:
- Die weltweiten Lieferengpässe, die sich aus den Verwerfungen während der Corona-Krise ergaben, verschärfen sich mit den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs.
- In dessen Folge sind viele Industriebranchen mit Exportausfällen konfrontiert – gegenüber Russland und der Ukraine, aber auch gegenüber anderen Abnehmern, die ihrerseits wiederum unter den wirtschaftlichen Kriegsfolgen leiden.
- Die steigenden Energiekosten werden vor allem für energieintensive Betriebe existenziell.
- Darüber hinaus besteht das Risiko eines Energie-Lieferstopps oder Embargos mit der möglichen Folge einer Rationierung fossiler Energieträger.
- Schließlich muss die Wirtschaft dekarbonisiert werden, aus klimapolitischen wie aus geopolitischen Gründen.
Diesen Herausforderungen ist mit jeweils maßgeschneiderten Instrumenten zu begegnen. Die Ziele sollten dabei sein, Beschäftigung zu sichern, die Produktion soweit wie möglich aufrechtzuerhalten und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern schnell zu reduzieren.
Kurzarbeit, um Lieferengpässe und Exportausfälle abzufedern
Im Falle von Lieferengpässen und Exportausfällen ist es den Betrieben in der kurzen Frist nicht möglich, die wirtschaftliche Aktivität vollständig fortzuführen. Deshalb sind hier Instrumente angemessen, die den Ausfall abfedern. Dazu gehört das Kurzarbeitergeld. Kurzarbeit ist sinnvoll, um vorübergehende und von außen kommende wirtschaftliche Schocks am Arbeitsmarkt abzufangen. Die Belegschaft kann an Bord gehalten werden, bis das Geschäft wieder anzieht.
Bei Exportausfällen war Kurzarbeit in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 und in der Corona-Krise eine große Hilfe, wie Hermann Gartner und andere in einem IAB-Kurzbericht argumentieren. Jüngste Forschungsergebnisse von Markus Hummel und anderen zeigen, dass die Betriebe auch auf Lieferengpässe bisher hauptsächlich mit Kurzarbeit und deutlich weniger mit Beschäftigungsabbau reagiert haben. Wichtig bei der Nutzung von Kurzarbeit sind Anreize und flexible Möglichkeiten für Weiterbildung, um die Zeit des Stillstands für die Kompetenzentwicklung der Belegschaften zu nutzen, damit sich diese auf die rasch ändernden Anforderungen am Arbeitsmarkt einstellen können. Enzo Weber hat in einem Artikel für den Wirtschaftsdienst dafür ein Konzept dargelegt.
Kurzarbeit entlastet die betroffenen Betriebe bei Arbeitskosten. Darüber hinaus könnten bei Lieferengpässen und Exportausfällen auch Fixkosten teilweise ausgeglichen werden, wenn Betriebe in hohem Maße von den Folgen des Kriegs und der Sanktionen betroffen sind. Dafür könnte das erprobte Prinzip der Corona-Überbrückungshilfen vorübergehend ausgeweitet werden.
Kurzarbeit und Überbrückungshilfen greifen als Ausfallinstrumente explizit nur dann, wenn wirtschaftliche Tätigkeit für einen voraussichtlich vorübergehenden Zeitraum zurückgefahren wird. Als Reaktion auf hohe Energiepreise wären sie daher nicht das Mittel der Wahl, wie Enzo Weber in einem Beitrag für SPIEGEL-Online begründet. Denn im Falle hoher Energiekosten könnte die Produktion auch weitergeführt werden. Das rechnet sich möglicherweise betriebswirtschaftlich nicht, es würde sich aber volkswirtschaftlich rechnen: Bei Produktionsstopps sänken Einkommen und Nachfrage, die öffentliche Hand müsste für Kurzarbeitergeld aufkommen sowie Steuer- und Beitragsausfälle hinnehmen – potenziert im Falle von Insolvenzen.
Zudem würden die Lieferengpässe durch die Ausfälle weiter verschärft, und gerade energieintensive Branchen wie Chemie, Stahl, Papier, Glas oder auch Logistik befinden sich am Beginn von Lieferketten. Christian Schneemann und andere rechnen in einem Beitrag aus dem Jahr 2020 vor, dass Produktionsausfälle in einer Branche zu einem gesamtwirtschaftlich vielfach höheren Schaden führen. Wenn man die energieintensive Wirtschaft unterstützen möchte, dann sollte man also zu Instrumenten greifen, die den Fortgang der Produktion unterstützen – und nicht den Arbeitsausfall.
Produktionsprämien für energieintensive Betriebe
Eine offensichtliche Möglichkeit wäre, die Energiepreise durch Steuernachlässe zu senken. Damit würde man automatisch Vielverbraucher stärker erreichen als andere. Allerdings ist unklar, inwieweit die Steuersenkung auf Energie überhaupt an die Verbraucher weitergegeben werden würde. Vor allem nähme das auch den Anreiz, die Energieeffizienz wegen der hohen Preise zu steigern und die Dekarbonisierung voranzubringen. Genau das aber ist aus klimapolitischen und geopolitischen Gründen für die Volkswirtschaft als ganze dringender denn je. Entlastung muss daher auf anderem Wege erfolgen.
Um beides zu erreichen, die Weiterführung der Produktion und den Marktanreiz, ist es ökonomisch sinnvoll, bei der finanziellen Unterstützung mit pauschalen Prämien zu arbeiten. Betriebe würden also, je nach Umsatz, einen Festbetrag erhalten – vorausgesetzt, dass sie Produktion und Beschäftigung nicht zurückfahren. Die Anreizwirkung hoher Energiepreise bliebe so für alle Marktteilnehmer vollständig erhalten.
Um gezielt die Vielverbraucher zu erreichen und um Mitnahmeeffekte zu begrenzen, sollten nur sehr energieintensive Betriebe gefördert werden. In Anlehnung an existierende Definitionen wie im Erneuerbare-Energien-Gesetz oder im EU-Emissionshandel könnte dafür die Kostenstruktur aus einem vergangenen Jahr herangezogen werden. Man könnte sich dabei auch an Branchenwerten orientieren, um nicht einzelne Betriebe mit besonders niedriger Energieeffizienz zu belohnen, und um das Verfahren zu vereinfachen.
Auch hier sind nicht alle Kostensteigerungen auszugleichen, denn unternehmerische Risiken liegen nicht beim Staat. Wichtig bei der Ausgestaltung ist aber, dass die Fortführung der Produktion hinreichend attraktiv wird. Orientieren kann man sich bei der Bemessung am Anteil von Energie an den Gesamtkosten und der Energieverteuerung seit Kriegsbeginn, unter Abzug von üblichen Gewinnmargen sowie Marktpreissteigerungen der produzierten Güter. Als positiver Nebeneffekt würde die Produktionsprämie die Finanzierungsfähigkeit energieintensiver Betriebe für Dekarbonisierung-Investitionen stärken.
Die Produktionsprämie wäre als Betriebseinnahme zu verbuchen. Falls die Unternehmen dann trotz der hohen Energiekosten Gewinn machen, würde ein Teil der Zahlung über Steuern an den Staat zurückfließen. Der Netto-Umfang der Unterstützung würde sich also automatisch danach differenzieren, wie stark Betriebe in Bedrängnis sind. Mit der Auszahlung sollte eine öffentliche Institution beauftragt werden, die bereits in Förder- und Finanzbeziehungen zu den Unternehmen steht.
Investitionsförderprogramm zur Dekarbonisierung
Eine Produktionsprämie würde kurzfristig Unterstützung gewähren und gleichzeitig den Marktanreiz zur Dekarbonisierung erhalten. Dieser sollte durch einen positiven Anreiz ergänzt werden, um die Wirtschaft ökologisch zu transformieren und damit auch geopolitische Abhängigkeiten zu reduzieren. Dafür ist ein Investitionsförderprogramm das richtige Mittel. In der Breite der Wirtschaft kann man das effektiv organisieren über Sonder-Sofortabschreibungsmöglichkeiten bei Investitionen für Energieeffizienz und Dekarbonisierung. Über die zusätzlichen Abschreibungen würde sich die Steuerlast reduzieren und ein Teil der Investitionen unmittelbar finanzieren lassen.
Derartige Regeln sind bereits erprobt: So könnte man sich an den bestehenden Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes für Sonderabschreibungen bei Anlageinvestitionen kleiner und mittlerer Unternehmen orientieren. Falls durch die Abschreibung buchhalterisch Verluste entstehen, sollten diese mit früheren Gewinnen verrechnet werden können, die Möglichkeit für Verlustrückträge wäre dafür zu verlängern.
Derartige Energie-Abschreibungen würden fiskalisch einen Vorzieheffekt bewirken, denn die Abschreibung würde anderenfalls über einen längeren Zeitraum verteilt erfolgen. Auf mittlere Sicht gingen also keine Steuereinnahmen verloren. Aber kurzfristig können in einer kritischen Situation die entscheidenden Investitionen zusätzlich angeschoben werden. Bei Infrastrukturinvestitionen für die Dekarbonisierung ist zudem der Staat direkt in der Pflicht. Zudem sollten Genehmigungsverfahren vereinfacht werden. Solche Regeländerungen für Neuprojekte könnten zeitlich befristet gelten, um die Auswirkungen zunächst zu begutachten, bevor über Verlängerungen oder Anpassungen entschieden wird.
Wirtschaftshilfen im Falle von Energierationierung
Falls es kurzfristig zu einem Lieferstopp oder Embargo aller fossilen Energieträger aus Russland kommt, wären Energie-Rationierungen voraussichtlich unvermeidbar. Auch in diesem Szenario wäre das Instrument der Produktionsprämien weiterhin sinnvoll: Der Kohle- und Ölbedarf und teilweise der Gasbedarf könnten oft anderweitig gedeckt werden, es würde jedoch weitere Energiepreissteigerungen geben.
Im Rationierungsfall wären wieder Ausfallinstrumente wie Kurzarbeit und Überbrückungshilfen relevant. Für von Rationierung betroffene Betriebe wäre bei Kurzarbeit auch die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge zu empfehlen, da es dann zudem um Liquiditätssicherung ginge. Britta Gehrke und Brigitte Hochmuth zeigen in einer Studie, dass solche Sonderregelungen bei gravierenden wirtschaftlichen Schocks positive Beschäftigungseffekte haben.
Für den Extremfall sollten Möglichkeiten von Kreditgarantien und Rekapitalisierungen im Sinne des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) vorgehalten werden, um Insolvenzen zu vermeiden und zu signalisieren, dass ein industrieller Kollaps politisch verhindert würde. Zusätzlich wäre es in diesem Szenario essenziell, die Zeit bis zu einer tatsächlichen Energieverknappung so intensiv wie irgend möglich zu nutzen. Die Energie-Abschreibungen könnten dann vorübergehend durch direkte Zuschüsse für Investitionen in Dekarbonisierung und Umstellung energieintensiver Produktionsverfahren ergänzt werden.
Eine beschleunigte Dekarbonisierung wird zusätzliche Anforderungen an die Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Arbeitsmarkt stellen. Aktuelle Forschungsergebnisse von Gerd Zika und anderen zeigen dabei, dass Klimapolitik keineswegs ein Jobkiller ist. Im Gegenteil, schon die Umsetzung der klimapolitischen Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag trifft auf Engpässe etwa in Bau-, Handwerks- und Energietechnikberufen. Fachkräftesicherung über eine Stärkung von Ausbildung, Qualifizierung, Erwerbsbeteiligung, Migration und Integration wird daher noch entscheidender.
Fazit
Durch die geopolitischen Ereignisse steht die Wirtschaft vor multiplen Herausforderungen. Um Lieferengpässe, Exportausfälle, steigende Energiekosten, einen möglichen Energie-Lieferstopp und die Dekarbonisierung meistern zu können, sind jeweils maßgeschneiderte wirtschaftspolitische Instrumente erforderlich. In der aktuellen Lage kommt es dabei auf situationsgerechtes wie auch strategisches Handeln an.
Literatur
Gartner, Hermann; Hutter, Christian; Weber, Enzo (2021): Große Rezession und Corona-Krise: Wie der Arbeitsmarkt zwei sehr unterschiedliche Krisen bewältigt. IAB-Kurzbericht Nr. 27.
Gehrke, Britta; Hochmuth, Brigitte (2021): Counteracting Unemployment in Crises: Non-Linear Effects of Short-Time Work Policy. Scandinavian Journal of Economics, 123, S. 144–183.
Hummel, Markus; Hutter, Christian; Weber, Enzo (2022): Wie die Materialengpässe den Arbeitsmarkt treffen. In: Wirtschaftsdienst, Vol. 102, No. 4, S. 1-4.
Schneemann, Christian; Weber, Enzo; Wolter, Marc Ingo; Zika, Gerd (2020): Welche Branchen sind ökonomisch systemrelevant? In: Wirtschaftsdienst, Vol. 100, No. 9, S. 687–693.
Weber, Enzo (2022): Rasant steigende Energiekosten: Wie helfen wir der Industrie? In: SPIEGEL, 31.03.2022.
Weber, Enzo (2021): Qualifizierung: Weiterbildungskonzept für Krisen. In: Wirtschaftsdienst, Vol. 101, No. 3, S. 154.
Zika, Gerd; Maier, Tobias; Mönnig, Anke; Schneemann, Christian; Steeg, Stefanie; Weber, Enzo; Wolter, Marc Ingo; Krinitz, Jonas (2022): Die Folgen der neuen Klima- und Wohnungsbaupolitik des Koalitionsvertrags für Wirtschaft und Arbeitsmarkt. IAB-Forschungsbericht Nr. 3.
In aller Kürze
- Die Folgen von Krieg und Sanktionen stellen die deutsche Wirtschaft gleichzeitig vor mehrere Herausforderungen, denen mit maßgeschneiderten Instrumenten zu begegnen ist. Die Ziele sollten dabei sein, Beschäftigung zu sichern, die Produktion soweit wie möglich aufrechtzuerhalten und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern schnell zu reduzieren.
- Wenn es Betrieben im Falle von Lieferengpässen und Exportausfällen in der kurzen Frist nicht möglich ist, die wirtschaftliche Aktivität fortzuführen, werden Instrumente benötigt, die den Ausfall abfedern. Dazu gehören das Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen.
- Um bei steigenden Energiepreisen die Weiterführung der Produktion zu erreichen und den Marktanreiz zu erhalten, sollten energieintensive Betriebe finanziell mit Produktionsprämien unterstützt werden.
- Falls es kurzfristig zu einem Lieferstopp oder Embargo aller fossilen Energieträger aus Russland kommt, wären Energierationierungen voraussichtlich unvermeidbar. Auch in diesem Szenario wären Produktionsprämien sinnvoll, ebenso Ausfallinstrumente wie Kurzarbeit und Überbrückungshilfen. Zudem sollten Möglichkeiten von Kreditgarantien und Rekapitalisierungen vorgehalten werden.
- Die Produktionsprämie sollte durch einen positiven Anreiz zur Dekarbonisierung ergänzt werden, um die Wirtschaft ökologisch zu transformieren. Dafür ist ein Investitionsförderprogramm das richtige Mittel.
- Eine beschleunigte Dekarbonisierung wird zusätzliche Anforderungen an die Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Arbeitsmarkt stellen. Fachkräftesicherung wird dabei herausragende Bedeutung haben.
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20220408.02
Weber, Enzo (2022): Wirtschaftshilfen zu Zeiten des Ukraine-Kriegs: Maßgeschneiderte Instrumente für multiple Herausforderungen, In: IAB-Forum 8. April 2022, https://www.iab-forum.de/wirtschaftshilfen-zu-zeiten-des-ukraine-kriegs-massgeschneiderte-instrumente-fuer-multiple-herausforderungen/, Abrufdatum: 18. December 2024
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Autoren:
- Enzo Weber