16. Dezember 2019 | Betriebliche Arbeitswelt
Ingenieur- und Naturwissenschaften: In manchen MINT-Fächern dominieren Frauen
Luisa Braunschweig , Bernhard Christoph , Franziska Schreyer
Bereits seit den 1970er Jahren bemühen sich Politik, Hochschulen, Wirtschaft und Arbeitsverwaltung, den Anteil von Studentinnen in den sogenannten MINT-Fächern zu erhöhen. Zum einen will man damit dem wachsenden Bedarf an Fachkräften aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik Rechnung tragen. Zum anderen werden gleichstellungspolitische Ziele verfolgt, denn MINT-Berufe sind vielfach mit sehr guten Arbeitsmarkt- und Verdienstchancen verbunden. In jüngerer Zeit wird beispielsweise mit dem Nationalen Pakt für Frauen in MINT-Berufen versucht, junge Frauen für ein Studium solcher Fächer zu gewinnen.
In Deutschland ist der Frauenanteil im MINT-Bereich gering
Diese Bemühungen haben bislang nur bedingt gefruchtet. Überraschenderweise ist gerade in Ländern wie Deutschland, in denen die Gleichstellung der Geschlechter schon relativ weit gediehen ist, der Frauenanteil in MINT-Fächern gering. Dies belegt eine Studie von Gijsbert Stoet und David C. Geary aus dem Jahr 2018.
Die Gründe dafür sind vielfältig, wie eine Expertise von Heike Solga und Lisa Pfahl aus dem Jahr 2009 zeigt. So prägt bereits die vorschulische Sozialisation das geschlechtsspezifische Technikinteresse. Dies setzt sich während der Schulzeit fort, in der sich häufig eine an geschlechtsspezifischen Stereotypen orientierte Identität entwickelt. Sie führt dazu, dass Mädchen ihre naturwissenschaftlichen Leistungen geringer einschätzen als Jungen. Neben Geschlechterstereotypen können von Männern dominierte Fachkulturen das Interesse von Frauen an MINT-Fächern ebenfalls mindern. Zudem mangelt es an Rollenvorbildern beim Übergang in Studium, Ausbildung und Erwerbstätigkeit.
Gleichwohl gibt es ingenieur- und naturwissenschaftliche Teilbereiche, in denen Frauen relativ stark vertreten sind. Welche dies sind und was diese für Frauen attraktiv zu machen scheint, wird im Weiteren näher ausgeführt. Zur besseren Einordnung erfolgt jedoch zunächst ein kurzer Überblick über die Entwicklung des Frauenanteils in den MINT-Fächergruppen Ingenieurswissenschaften sowie Naturwissenschaften insgesamt.
Frauen sind in den Ingenieurwissenschaften selten, in den Naturwissenschaften häufig vertreten
In den Ingenieurwissenschaften ist der Anteil weiblicher Studienanfänger seit Ende der 1990er Jahre leicht gestiegen (siehe Abbildung 1). Lag dieser im Wintersemester 1998/99 noch bei 19 Prozent, so waren es knapp 20 Jahre später, im Wintersemester 2017/18, 25 Prozent. Damit sind die Ingenieurswissenschaften nach wie vor stark männerdominiert.
In den naturwissenschaftlichen Fächern hingegen sind Frauen ähnlich präsent wie Männer: Mit 51 Prozent entsprach der Frauenanteil an den Neuimmatrikulierten im Wintersemester 2017/18 exakt dem Anteil der Frauen an allen Neueinschreibungen an deutschen Hochschulen.
Der im Vergleich zu den Ingenieurwissenschaften hohe Frauenanteil in den Naturwissenschaften hängt unter anderem damit zusammen, dass manche naturwissenschaftlichen Fächer wie Chemie, Biologie oder Mathematik auch als Lehramtsstudiengänge angeboten werden, die traditionell überproportional häufig von Frauen belegt werden. So waren im Wintersemester 2017/18 von den neuimmatrikulierten Lehramtsstudierenden in den Naturwissenschaften nach Angaben des Statistischen Bundesamts aus 2018 fast zwei Drittel weiblich.
Die Frauenanteile haben sich bei den Studierenden der Naturwissenschaften im ersten Hochschulsemester über den gesamten Beobachtungszeitraum wenig verändert. Allerdings sanken zu Anfang der 2010er Jahre die Frauenanteile unter den Neuimmatrikulierten vorübergehend. Insbesondere aufgrund des besonders deutlich abweichenden Wertes im Jahr 2011 steht zu vermuten, dass hierbei die im selben Jahr in Kraft getretene Aussetzung der Wehrpflicht und die dadurch höhere Zahl männlicher Studierender eine Rolle gespielt hat.
Der Frauenanteil in den einzelnen MINT-Studienfächern variiert stark
Bei den MINT-Studiengängen, in denen der Anteil weiblicher Erstsemester am geringsten ist, handelt es sich ausschließlich um ingenieurwissenschaftliche Fächer. Darunter sind auch quantitativ sehr bedeutende Fächer wie Maschinenbau oder Elektrotechnik. Den niedrigsten Frauenanteil weist mit 8 Prozent die Fahrzeugtechnik auf (siehe Abbildung 2).
Im Vergleich dazu fällt auf, dass sich Frauen eher für Fächer, die technische mit nicht technischen Inhalten kombinieren, entscheiden als für technische Kernfächer alleine oder Fächer, die unterschiedliche technische Disziplinen kombinieren. So ist beispielsweise im Wirtschaftsingenieurwesen (nicht abgebildet) der Frauenanteil mit 25 Prozent deutlich höher als in klassischen Ingenieursdisziplinen wie Elektrotechnik mit 14 Prozent und Maschinenbau mit 12 Prozent oder in Fächern, die unterschiedliche technische Disziplinen kombinieren wie die Mechatronik mit 11 Prozent.
Ein vergleichsweise hoher Frauenanteil findet sich auch in MINT-Studienfächern, die bereits im Titel ökologische, medizinisch-gesundheitliche oder kreative Bezüge zum Ausdruck bringen, wie etwa Geoökologie, Umwelttechnik oder Medieninformatik. So beträgt etwa der Anteil der weiblichen Erstsemester in der Medieninformatik immerhin 37 Prozent (siehe Abbildung 3). In die Gesundheitstechnik (nicht abgebildet) schreiben sich mit 52 Prozent sogar geringfügig mehr weibliche als männliche Studierende ein.
Wie Joachim Ulrich, Andreas Krewerth und Tanja Tschöpe bereits in einer Studie aus dem Jahr 2004 für Ausbildungsberufe gezeigt haben, scheinen also auch technische Studienfächer für Frauen dann attraktiver zu sein, wenn diese nicht nur technisch ausgerichtet sind, sondern weitere Inhalte aufweisen, die Frauen tendenziell ansprechen.
Unter den 15 MINT-Fächern mit dem höchsten Anteil an Frauen sind sechs Fächer, die in der Hochschulstatistik den Ingenieurwissenschaften zugeordnet werden (siehe Abbildung 4). Spitzenreiter unter den ingenieurwissenschaftlichen Fächern sind Innenarchitektur sowie Textil- und Bekleidungstechnik/-gewerbe: Hier beträgt der Anteil an Studentinnen mehr als 80 Prozent. Bei Architektur und Raumplanung liegt er deutlich über 50 Prozent.
Studiengänge mit gestalterisch-kreativen Elementen scheinen generell für Frauen besonders attraktiv zu sein. Auch dies ist in ähnlicher Weise im Bereich der technischen Ausbildungsberufe zu beobachten, wie ein Bericht von Stephan Kroll aus dem Jahr 2017 zeigt.
Davon abgesehen finden sich unter den MINT-Fächern mit dem höchsten Anteil an weiblichen Studierenden vor allem naturwissenschaftliche Fächer. Darunter sind auch solche, die wie die Biomedizin, die Biotechnologie oder die Geoökologie im Regelfall nicht für das Lehramt studiert werden. Insbesondere die Verbindung mit dem Fach Biologie scheint die Attraktivität eines Studiengangs für Frauen zu steigern. Dies ist auch bei den Fächern Chemie mit 43 Prozent und Geografie mit 54 Prozent (beide nicht abgebildet) zu beobachten: In Kombination mit dem Fach Biologie steigt der Frauenanteil in der Biochemie auf 61 Prozent und in der Biogeografie auf 68 Prozent.
Zu ähnlichen Befunden kommen Heike Solga und Lisa Pfahl in ihrer bereits erwähnten Expertise. Demnach sind es innerhalb der MINT-Fächer vor allem „weiche“ Naturwissenschaften“ – also beispielsweise Lehramtsstudiengänge oder Biologie anstatt Physik – und „’soziale‘ oder ‚kreative‘ Ingenieurwissenschaften“, für die sich Frauen bei ihrer Studienwahl entscheiden. Zudem sehen Frauen dieser Studie zufolge ihre Interessen in den interdisziplinären Studienfächern besser vertreten und gehen davon aus, den dort „weniger geschlechterstereotypen Zuschreibungen von nötigen „Kompetenzen“ eher gerecht werden zu können“.
Der Frauenanteil in der Bioinformatik ist um ein Vielfaches höher als in der Ingenieurinformatik
Der Frauenanteil unterscheidet sich auch bei fachlich relativ eng verwandten Fächern zum Teil erheblich. Das lässt sich am Beispiel der Fächer verdeutlichen, die in der Hochschulstatistik dem Studienbereich Informatik zugeordnet werden. So erfolgten im Wintersemester 2017/18 lediglich 18 Prozent der Einschreibungen im Fach Informatik durch Frauen (siehe Abbildung 5). Im Fach Ingenieurinformatik/Technische Informatik war der Anteil der weiblichen Erstsemester mit 15 Prozent noch niedriger. Ähnlich wie etwa bei der Mechatronik scheint die Verknüpfung zweier technischer Disziplinen – Informatik mit Ingenieurwissenschaften – Frauen wenig anzusprechen.
Wird die Informatik aber mit Themen und Disziplinen außerhalb von Technik und Ingenieurwissenschaften verbunden, scheint dies studieninteressierte junge Frauen oftmals eher anzusprechen. So sind sie beispielsweise in der Bioinformatik und der Medizinischen Informatik ähnlich häufig vertreten wie Männer. Bei den Computer- und Kommunikationstechniken und der Medieninformatik gehen fast vier von zehn Einschreibungen auf Frauen zurück.
Das ändert allerdings nur wenig an der Männerdominanz im gesamten Studienbereich Informatik, wo sich der Frauenanteil auf insgesamt 22 Prozent beläuft. Dies liegt vor allem daran, dass sich im Wintersemester 2017/18 nur knapp 5.000 junge Menschen in die vier Informatik-Fächer mit einem relativ hohen Anteil an Frauen eingeschrieben haben, was im Vergleich zu den insgesamt 34.000 Erstsemestern des Studienbereichs Informatik eine geringe Zahl ist. Es sind bislang also vor allem die kleineren Informatikfächer, die für Männer und Frauen ähnlich interessant sind.
Fazit
Innerhalb der MINT-Studiengänge ist die Fächergruppe der Ingenieurwissenschaften nach wie vor stark männerdominiert, auch wenn der Anteil der weiblichen Studierenden leicht steigt. In die Naturwissenschaften schreiben sich hingegen ähnlich viele Frauen wie Männer ein. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Fächer wie Chemie, Geografie oder Mathematik auch für das Lehramt studiert werden können.
Eine Reihe von MINT-Studiengängen verbindet Elemente unterschiedlicher Disziplinen miteinander. Werden technisch-naturwissenschaftliche Fächer mit Inhalten aus anderen, für Frauen oftmals interessanteren Themenbereichen kombiniert, scheint dies für sie den Studiengang attraktiver zu machen. Beispiele hierfür sind die Gesundheitstechnik, die Wirtschaftsmathematik oder die Medieninformatik, in denen der Anteil der Frauen vergleichsweise hoch ist.
Studiengänge wie Raumplanung, Medizinische Informatik, Geoökologie oder Umwelttechnik lassen darüber hinaus bereits in ihrer Bezeichnung eine gestalterisch-kreative, ökologische oder medizinisch-gesundheitliche Ausrichtung erkennen, was sie für Frauen besonders interessant zu machen scheint. Ähnliches gilt innerhalb der Naturwissenschaften für eine Kombination mit dem Fach Biologie, denn Fächer wie Biochemie oder Biogeographie werden von Frauen vergleichsweise stark nachgefragt.
Zu diskutieren wäre, inwieweit solche Studiengänge ausgebaut werden könnten, um mehr Frauen für ein Studium der MINT-Fächer zu gewinnen. Dabei ist selbstverständlich zu beachten, welche Arbeitsmarktchancen mit solchen Fächern verbunden sind. So haben Absolventinnen und Absolventen des Wirtschaftsingenieurwesens als Beispiel für einen kombinierten Studiengang vergleichsweise gute Karriere- und Verdienstchancen, wie eine Studie von Thorsten Euler und Koautoren aus dem Jahr 2018 zeigt. Inwieweit sich dieses Ergebnis auf andere kombinierte Fächer übertragen lässt, ist jedoch unklar.
Studiengänge, die Elemente mehrerer Disziplinen kombinieren und/oder bereits im Titel eine kreative oder ökologisch-gesundheitliche Ausrichtung erkennen lassen, haben zudem oft nur relativ wenige Studierende. Auch deswegen gibt es bislang kaum wissenschaftliche Befunde zu den mit ihnen verbundenen Arbeitsmarktperspektiven.
Insofern birgt ein Ausbau solcher für Frauen oftmals attraktiver MINT-Studiengänge im Hinblick auf die damit verbundenen Arbeitsmarktperspektiven sowohl Risiken als auch Chancen. So kann ein Studium der Medizinischen Informatik anstelle der allgemeinen Informatik oder der Gesundheitstechnik anstelle des allgemeinen Maschinenbaus einerseits die später möglichen Berufsfelder eingrenzen. Absolventinnen und Absolventen dieser Studiengänge könnten zudem aufgrund ihrer hohen Spezialisierung zumindest bei einigen Arbeitgebern auf Vorbehalte stoßen.
Andererseits ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Arbeitsmarktchancen in manchen spezialisierten oder interdisziplinär ausgerichteten Studienfächern in Zukunft eher steigen dürften. Angesichts der Alterung der Gesellschaft dürften sich zum Beispiel die medizinisch ausgerichteten MINT-Fächer einer großen und steigenden Nachfrage seitens der Arbeitgeber erfreuen. Ökologisch und an Nachhaltigkeit ausgerichtete Berufe werden ebenfalls zunehmend wichtiger.
Die künftigen Arbeitsmarktchancen, die mit kleineren, spezialisierten und/oder interdisziplinär ausgerichteten MINT-Fächern verbunden sind, sollten daher aufmerksam beobachtet werden – nicht zuletzt unter Gleichstellungsgesichtspunkten.
Literatur
Brück-Klingberg, Andrea; Dietrich, Ingrid (2012): Karriere in MINT-Berufen: Begrenzte Aussichten für Frauen. In: IAB-Forum, Nr. 2, S. 44–51.
Euler, Thorsten; Trennt, Fabian; Trommer, Maximilian; Schaeper; Hildegard (2018): Werdegänge der Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen 2005. Dritte Befragung des Prüfungsjahrgangs 2005 zehn Jahre nach dem Abschluss, Hannover.
Kroll, Stephan (2017): Technikberufe: Nicht immer nur reine Männersache. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis. H. 2; S. 4–5.
Schreyer, Franziska (2008): Akademikerinnen im technischen Feld. Der Arbeitsmarkt von Frauen aus Männerfächern. Frankfurt/New York: Campus.
Solga, Heike; Pfahl, Lisa (2009): Doing Gender im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich. In: Milberg, Joachim (Hrsg.), Förderung des Nachwuchses in Technik und Naturwissenschaft. Berlin: Springer, S. 155–219.
Statistisches Bundesamt (2019): Genesis-Online Datenbank. Download von: https://www.destatis.de/DE/Home/_inhalt.html. Download im Juni und Juli 2019.
Statistisches Bundesamt (2018): Bildung und Kultur. Studierende an Hochschulen. Fachserie 11, Reihe 4.1. Wintersemester 2017/2018.
Stoet, Gijsbert; Geary, David C. (2018): The Gender-Equality Paradox in Science, Technology, Engineering, and Mathematics Education. In: Psychological Science, Jg.29, H. 4, S. 581–593.
Ulrich, Joachim Gerd; Krewerth, Andreas; Tschöpe, Tanja (2004): Berufsbezeichnungen und ihr Einfluss auf das Interesse von Mädchen und Jungen. In: Sozialwissenschaften und Berufspraxis 27(4); S. 419-434.
IAB-Infoplattform „MINT-Berufe“
Weitere Literaturhinweise sowie Zugang zu weiterführenden Informationen zu MINT-Studienfächern und MINT-Berufsfeldern finden Sie auf der IAB-Infoplattform „MINT-Berufe“.
Braunschweig, Luisa; Christoph, Bernhard; Schreyer, Franziska (2019): Ingenieur- und Naturwissenschaften: In manchen MINT-Fächern dominieren Frauen, In: IAB-Forum 16. Dezember 2019, https://www.iab-forum.de/ingenieur-und-naturwissenschaften-in-manchen-mint-faechern-dominieren-frauen/, Abrufdatum: 18. December 2024
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Autoren:
- Luisa Braunschweig
- Bernhard Christoph
- Franziska Schreyer