11. Februar 2021 | Projekte
Kompetenz-Kompass: Mit einem neuen Verfahren lassen sich die Kompetenzanforderungen in Stellenanzeigen systematisch abbilden
Aktuelle Informationen darüber, wie sich Kompetenzanforderungen berufsspezifisch verändern, sind für die Bildungs- und Arbeitsmarktakteure von großer Relevanz. Bildungseinrichtungen können prüfen, ob sich daraus für ihre Arbeit neue Anforderungen ableiten lassen. Den Arbeitgebern kann die erhöhte Markttransparenz helfen, ihre Rekrutierungs- und Weiterbildungsstrategien sowie ihre Einarbeitungsprogramme zu optimieren. Für die Beschäftigten können sie hilfreich sein, um ihre persönlichen Karrierepläne stärker an den konkreten Bedürfnissen des Arbeitsmarkts auszurichten. Institutionellen Akteuren auf Bundes- und Landesebene, die mit der Ausrichtung und Umsetzung der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik befasst sind, erlauben diese Informationen ein zielgenaueres Vorgehen.
Zu der Frage, wie solche Kenntnisse systematisch generiert werden können, hat das IAB im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die „Machbarkeitsstudie: Kompetenz-Kompass“ durchgeführt. In einem der Teilprojekte wurde ein Verfahren entwickelt, um aktuelle fachliche und überfachliche Kompetenzanforderungen aus veröffentlichten Stellenangeboten der BA-Jobbörse zu identifizieren und ihre Entwicklung zu beobachten. Im Folgenden werden einige ausgewählte Ergebnisse vorgestellt. Alle Ergebnisse und weitere Informationen zum Vorgehen können der Studie selbst entnommen werden.
In der Studie werden „Kompetenzen“ als individuelle Fähigkeiten verstanden, Aufgaben und Sachverhalte im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit selbstständig und eigenverantwortlich zu bewältigen. „Fachliche Kompetenzen“ beziehen sich inhaltlich auf bestimmte berufliche Tätigkeiten und werden daher häufig auch als berufstypisch angesehen, beispielsweise Kenntnisse in einer Programmiersprache bei Informatikern. „Überfachliche Kompetenzen“ beziehen sich hingegen nicht auf bestimmte berufliche Tätigkeiten. So werden Kompetenzen wie „Teamfähigkeit“ oder auch „Zuverlässigkeit“ in einer großen Zahl verschiedener beruflicher Tätigkeiten erwartet, ohne dass diese als „berufstypisch“ angesehen werden. „Kompetenzanforderungen“ sind nun die in den Stellenanzeigen von Arbeitgebern formulierten Erwartungen über die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen der Arbeitskräfte, die rekrutiert werden sollen. Diese Definition schließt Tätigkeitsbeschreibungen mit ein, da sehr häufig keine begriffsscharfe Trennung vorgenommen wird.
Bisherige Ansätze zur Identifikation aktueller oder künftig bedeutsamer Kompetenzanforderungen basieren typischerweise auf Projektionen, bei denen vergangene Entwicklungen in die Zukunft fortgeschrieben werden, sowie auf Expertendatenbanken oder Befragungen. In jüngster Zeit wurden zu diesem Zweck aber auch verstärkt Stellenanzeigen ausgewertet. Diese informieren zwar nicht immer vollständig über die Tätigkeitsinhalte der ausgeschriebenen Jobs. Sie enthalten aber die Kompetenzanforderungen, die Arbeitgeber als besonders wichtig ansehen. Zudem können Stellenanzeigen über konkrete Kompetenzanforderungen in Einzelberufen und Regionen Auskunft geben.
Der Fokus der „Machbarkeitsstudie: Kompetenz-Kompass“ liegt dabei auf drei Berufsgruppen, welche die Hauptbetätigungsfelder der Branchen Maschinenbau, Informationsdienstleistungen und Gesundheits- und Sozialwesen abdecken. Diese drei Branchen wurden deswegen ausgewählt, weil sie sehr viele Beschäftigte umfassen und zu erwarten war, dass sie sich in den Kompetenzanforderungen relativ stark voneinander unterscheiden. Somit lässt sich eine sehr große inhaltliche Bandbreite an Stellenanzeigen abdecken.
Mit dem neu entwickelten Verfahren (siehe auch Infokasten „Methode“) lassen sich Kompetenzanforderungen nach Berufen, Regionen und Anforderungsniveaus auswerten. Im Rahmen der Analyse wurden Stellenanzeigen ausgewertet, die im April und Mai 2019 sowie im Oktober und November 2019 neu in die BA-Jobbörse aufgenommen wurden.
In Stellenanzeigen dominieren die fachlichen Anforderungen
In den Stellenanzeigen für die drei Berufsgruppen wurden im Durchschnitt 3,4 fachliche und 0,7 überfachliche Anforderungen gefunden. Damit spielen fachliche Anforderungen also eine wesentlich stärkere Rolle als überfachliche. Erwartungsgemäß werden vor allem diejenigen fachlichen Anforderungen genannt, die für die jeweils betrachtete Berufsgruppe typisch sind (siehe Abbildung 1).
In den im Oktober und November 2019 erschienenen Stelleninseraten für die Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe wurden beispielsweise die Kompetenzanforderungen „Wartung, Reparatur, Instandhaltung“ (in 23 % dieser Stellen), „Industriemechanik“ (20 %), „Mechatronik“ (17 %), „Arbeit nach Zeichnung“ (11 %) und „Mechanik“ (11 %) am häufigsten genannt. Bei den Informationsdienstleistungen dominierten „Entwicklung“ (29 % der Stellen für die Informations- und Kommunikationstechnikberufe), „Analyse“ (14 %), „Management“ (14 %), „Software-Implementierung“ (13 %) und die „Programmiersprache Java“ (13 %). Bei den Berufen des Gesundheits- und Sozialwesens waren das „Krankenpflege“ (24 %), „Altenpflege“ (15 %), „Behandlungspflege“ (15 %), „Pflegedokumentation“ (7 %) und „Grundpflege“ (6 %).
Darüber hinaus lassen weitere Auswertungen im Forschungsbericht erkennen, dass sich der Abstraktionsgrad der genannten Kompetenzen teilweise nach dem Anforderungsniveau unterscheidet: Für die Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe wurden beim Anforderungsniveau „Helfer- und Anlerntätigkeiten“ eher sehr konkrete, einfache Tätigkeiten häufig nachgefragt (beispielsweise „Bestücken“, „Entgraten“, „Verpacken“). Demgegenüber wurden beim Anforderungsniveau „Komplexe Spezialistentätigkeiten“ häufig „Mechatronik“, „Mechanik“ oder „Konstruktion“ genannt.
Bei den Berufen der Informations- und Kommunikationstechnik und des Gesundheits- und Sozialwesens ist ein solches Muster gar nicht oder nur ansatzweise ersichtlich. So wurde „Waschen“ als sehr konkrete, einfache Anforderung häufig bei den „Helfer- und Anlerntätigkeiten“ genannt, während „Aufsicht/Leitung“ bei den „hochkomplexen Tätigkeiten“ sehr häufig genannt wurde.
Nur wenige überfachliche Anforderungen sind in allen Berufen relevant
Nur sehr wenige überfachliche Anforderungen werden bei allen drei Berufsgruppen häufig genannt. Hierzu gehören „Teamfähigkeit“, „Zuverlässigkeit“ oder „Kommunikationsfähigkeit“ (siehe Abbildung 2). Auch „Selbstmanagement“, „Belastbarkeit“, „Einsatzbereitschaft“ und „Lernbereitschaft“ werden – wenn auch etwas seltener – häufig gefordert.
Die Tabelle enthält ergänzend Angaben zur Zahl der Nennungen dieser beziehungsweise der zehn am häufigsten genannten überfachlichen Kompetenzen. Dabei zeigen sich weitere Unterschiede. So gab es zwei Kompetenzanforderungen, „Projektmanagement“ und „Dialogfähigkeit Kundenorientierung“, die zwar für die Berufe der Maschinen- und Fahrzeugtechnik sowie die Berufe der Informationsdienstleistungen häufig genannt wurden, nicht aber für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen.
Schließlich gab es Anforderungen, die in den Ranglisten der meistgenannten Kompetenzanforderungen nur in einer der drei Berufsgruppen vorkamen. Dies waren „Mobilität“ für die Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe, „Analytische Fähigkeiten“ für die Berufe der Informationsdienstleistungen sowie „Fachwissen“ und „soziales Engagement“ im Gesundheits- und Sozialwesen.
Die Zahl der Nennungen einzelner überfachlicher Anforderungen unterscheidet sich zwischen den drei Berufsgruppen recht deutlich. So ist für die Stellenzugänge im Oktober und November 2019 die in den drei Berufsgruppen mit am häufigsten genannte Anforderung „Teamfähigkeit“ in fast 24 Prozent der Stellen für die Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe zu finden. Hingegen wird diese Anforderung nur in etwa 13 Prozent der Stellen für die Berufe der Informationsdienstleistungen und in etwa 12 Prozent der Stellen für die Berufe des Gesundheits- und Sozialwesens genannt (siehe Tabelle). Dabei ist keine typische Kombination von überfachlichen Kompetenzanforderungen erkennbar, die für die untersuchten Berufsgruppen oder Anforderungsniveaus gleichermaßen relevant ist.
Fazit
Mit dem hier vorgestellten Auswertungsverfahren des IAB lassen sich Stand und Entwicklung von Kompetenzanforderungen in Stellenanzeigen nachzeichnen. Bei den drei hier betrachteten Berufsgruppen haben fachliche Anforderungen ein weit höheres Gewicht als überfachliche. Dabei nimmt die Zahl der in der Studie erfassten fachlichen Kompetenzanforderungen mit höherem Anforderungsniveau zu. Für die überfachlichen Anforderungen trifft dies nicht zu.
Mit dem Verfahren lässt sich auch ermitteln, wie relevant spezifische Kompetenzanforderungen für bestimmte Berufe in bestimmten Regionen sind. So lässt sich feststellen, welche fachlichen Kompetenzen beispielsweise bei der Suche nach Maschinenbauingenieuren im Saarland gefragt sind. Das kann dazu beitragen, die Transparenz am Arbeitsmarkt zu erhöhen und die inhaltliche Ausrichtung von Aus- und Weiterbildung zu unterstützen. Allerdings wäre auch zu berücksichtigen, ob und inwieweit die Arbeitsuchenden schon jetzt die Kompetenzen aufweisen, die gerade gefragt sind.
Beim Auswertungsverfahren selbst gibt es ebenfalls Ansätze für eine Weiterentwicklung. Zunächst einmal sollten sich die Auswertungen über alle beruflichen Tätigkeiten erstrecken, für die Stellen in der Jobbörse der BA ausgeschrieben sind. Die Aktualität der Auswertungen ist ebenfalls von Bedeutung. Denn schon bei der bisherigen halbjährlichen Erhebungsfrequenz zeigt sich, dass sich die nachgefragten Kompetenzen mitunter rasch ändern. Um Trends bei der Nachfrage nach Kompetenzen nachzeichnen zu können, ist zudem ein längerer Beobachtungszeitraum erforderlich.
Zusätzlich zur Auswertung der fachlichen und überfachlichen Anforderungen könnten weitere Themenbereiche aufgenommen werden wie beispielsweise Fremdsprachen. Zudem würde das Verfahren es erlauben, Anforderungen im Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen wie der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie zu beobachten. Damit ließen sich im Vergleich zur Nutzung anderer administrativer Datenquellen recht früh Aussagen zum kurzfristigen Verhalten der Arbeitsnachfrage im Lichte solcher Ereignisse ableiten. Ebenso könnten die Auswertungen zur Frage beitragen, welche beruflichen Tätigkeiten in welcher Art und Weise von den Folgen der Covid-19-Pandemie betroffen sind.
Methode
Für die Auswertungen wurden zwei Zugangsstichproben von allen auf der Webseite der BA-Jobbörse veröffentlichten Stellenanzeigen für die drei ausgewählten Berufsgruppen (also Berufe der Maschinenbau- und Fahrzeugtechnik, der Informations- und Kommunikationstechnik sowie des Gesundheits-und Sozialwesens) genutzt. Die Stellenanzeigen der ersten Zugangsstichprobe wurden im April/Mai 2019 veröffentlicht, die Stellenanzeigen der zweiten Zugangsstichprobe im Oktober/November 2019.
Die Stellentexte wurden zunächst einem umfangreichen Pre-Processing-Verfahren unterzogen. Hierzu gehören Text-Mining-Verfahren, bei denen die Texte standardisiert wurden. Relevant für die Analysen waren die Teile der Stellentexte, in denen die Arbeitgeber die Kompetenz-Anforderungen an die Bewerberinnen und Bewerber formulieren und die auszuübenden Tätigkeiten beschreiben. Um diese Stellentextteile zu identifizieren, wurde ein auf Machine-Learning-Algorithmen basierendes Segmentations-Verfahren eingesetzt. Dieses Segmentationsverfahren ist deshalb notwendig, weil andernfalls bestimmte, in anderen Teilen der Stellentexte vorkommende Begriffe fälschlicherweise als Kompetenzanforderungen interpretiert werden könnten. So enthält eine Stellenanzeige in der Regel auch Texte zur Selbstvorstellung des Unternehmens, bei der häufig auch Kompetenzen beschrieben werden, die nur für den Betrieb gelten, nicht für die ausgeschriebene Stelle.
Zur Identifikation der fachlichen Kompetenzanforderungen diente der Katalog der Expertendatenbank BERUFENET der BA, zur Identifikation der überfachlichen Kompetenzen der Kompetenzatlas von Heyse/Erpenbeck (2004). Beide Kataloge wurden ebenfalls einem Pre-Processing-Verfahren unterzogen. Darüber hinaus wurde ein Verfahren zur Ergänzung des fachlichen Kompetenzwörterbuchs mit zusätzlichen Suchwörtern und noch nicht verzeichneten Kompetenzen entwickelt und erprobt. Dazu wurden mit Hilfe eines auf einem neuronalen Netz und Machine-Learning-Verfahren basierenden Algorithmus, einem sogenannten Word-Embedding-Verfahren, Zuordnungsvorschläge für neue Kompetenzbegriffe generiert. Im Anschluss wurden diese Vorschläge im Rahmen eines qualitativen Validierungsverfahrens durch Fachexpertinnen und -experten überprüft.
Auf der Basis der bearbeiteten Wörterbücher war es möglich, in den Stellentexten im Durchschnitt zwischen zwei und etwas mehr als acht fachliche und überfachliche Kompetenzanforderungen je Stellenanzeige zu finden. Die Zahl schwankt je nach Berufsgruppe und Anforderungsniveau deutlich. Die meisten Anforderungen je Stelle wurden für die Berufe der Informationsdienstleistungen ausgelesen, gefolgt von den Berufen der Maschinenbau- und Fahrzeugtechnik und den Berufen des Gesundheits- und Sozialwesens.
Literatur
Heyse, Volker; Erpenbeck, John (2004): Kompetenztraining: 64 Informations- und Trainingsprogramme. Schäffer-Poeschel. Stuttgart.
Stops, Michael; Bächmann, Ann-Christin; Glassner, Ralf; Janser, Markus; Matthes, Britta; Metzger, Lina-Jeanette; Müller, Christoph; Seitz, Joachim; Hanebrink, Alina (Mitarb.); Lataster, Lea (Mitarb.); Müller, Gerrit (Mitarb.) (2020): Machbarkeitsstudie Kompetenz-Kompass – Teilprojekt 2: Beobachtung von Kompetenzanforderungen in Stellenangeboten. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Forschungsbericht 553.
Stops, Michael (2021): Kompetenz-Kompass: Mit einem neuen Verfahren lassen sich die Kompetenzanforderungen in Stellenanzeigen systematisch abbilden, In: IAB-Forum 11. Februar 2021, https://www.iab-forum.de/kompetenz-kompass-mit-einem-neuen-verfahren-lassen-sich-die-kompetenzanforderungen-in-stellenanzeigen-systematisch-abbilden/, Abrufdatum: 24. November 2024
Autoren:
- Michael Stops