25. April 2023 | Bildung vor und im Erwerbsleben
Frauen üben seltener als Männer Tätigkeiten mit hohem Anforderungsniveau aus
Frauen verdienen in Deutschland nach wie vor deutlich weniger als Männer. So lag der unbereinigte Gender-Pay-Gap beim Stundenlohn zwischen den Geschlechtern im Jahr 2022 laut Statistischem Bundesamt immer noch bei 18 Prozent. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Ein Grund ist, dass Frauen in gut bezahlten Führungspositionen unterrepräsentiert sind. Wie Susanne Kohaut und Iris Möller im IAB-Kurzbericht 1/2022 gezeigt haben, lag der Frauenanteil in der ersten Führungsebene im Jahr 2020 bei lediglich 27 Prozent, obwohl Frauen knapp 47 Prozent aller Erwerbstätigen auf dem deutschen Arbeitsmarkt stellen.
Aber nicht nur auf der obersten Führungsebene zeigen sich Geschlechterunterschiede. Frauen gehen auch häufiger als Männer Tätigkeiten mit einem niedrigeren Anforderungsniveau nach. Dies zeigt etwa ein Blick auf die vier Anforderungsniveaus aus der Klassifikation der Berufe 2010. Dort sind berufliche Tätigkeiten entsprechend ihrer Qualifikationsanforderungen in (1) Helfer, (2) Fachkräfte, (3) Spezialisten und (4) Experten gegliedert.
Der Wechsel von einem tieferen Anforderungsniveau in ein höheres wird im Folgenden als formaler Aufstieg bezeichnet. Er umfasst deutlich mehr als nur Beförderungen, da er meist mit einer Komplexitätssteigerung der Tätigkeiten einhergeht, welche die Karriere entscheidend voranbringen und mit einem höheren Lohn verbunden sein kann. Allerdings lassen sich Aufstiege innerhalb einzelner Anforderungsniveaus, wie die Übernahme von Personalverantwortung, innerhalb eines einzelnen Berufs damit nicht erfassen.
Männer üben häufiger berufliche Tätigkeiten mit hohem Komplexitätsgrad aus
Auswertungen für das Jahr 2021 basierend auf den Daten der Integrierten Erwerbsstichprobe (IEB) zeigen, dass in Deutschland mehr als die Hälfte aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, nämlich fast 57 Prozent, in fachlich ausgerichteten Tätigkeiten arbeitete. 16 Prozent übten Helfer- und Anlerntätigkeiten aus und jeweils knapp 14 Prozent gingen Spezialisten- oder Expertentätigkeiten nach.
Bei der Verteilung auf die einzelnen Anforderungsniveaus zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So arbeiteten 17 Prozent der Frauen in Helfer- und Anlerntätigkeiten, bei den Männern waren es 15 Prozent. Auch bei den Fachkrafttätigkeiten waren Frauen mit 59 Prozent gegenüber Männern mit 55 Prozent überrepräsentiert. Entsprechend seltener waren Frauen in der Arbeitswelt in komplexen oder hochkomplexen Tätigkeiten beschäftigt. So übte fast jeder dritte Mann, aber nur jede vierte Frau eine Spezialisten- oder Expertentätigkeit aus.
Aber warum besetzen Frauen seltener als Männer Positionen mit einem hohen Anforderungsniveau? Einer der entscheidenden Faktoren könnte die unterschiedliche Berufswahl von Frauen und Männern sein – ein Phänomen, das auch als berufliche Geschlechtersegregation bezeichnet wird. So zeigten bereits Ann-Christin Hausmann und Corinna Kleinert im IAB-Kurzbericht 9/2014, dass sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt viele Berufe finden, die seit Jahrzehnten konstant von einem Geschlecht dominiert werden.
Von einem frauendominierten Beruf wird in Anlehnung an Heike Trappes Beitrag aus dem Jahr 2006 gesprochen, wenn der Frauenanteil in einem Beruf 70 Prozent übersteigt. Liegt er hingegen unter 30 Prozent, wird von einem männerdominierten Beruf gesprochen. Bei einem Frauenanteil zwischen 30 und 70 Prozent wird der Beruf als geschlechtergemischt – oder kurz Mischberuf – bezeichnet.
Typische frauendominierte Berufe sind beispielsweise „Medizinische Fachangestellte“ oder auch „Maskenbildner*innen“ mit Frauenanteilen von über 90 Prozent. Berufe mit sehr geringen Frauenanteilen sind beispielsweise „Fahrzeugführer*innen“ oder „Automatisierungstechniker*innen“. Im Bereich der Mischberufe finden sich zum Beispiel „Kaufleute im Handel“ oder auch „Ärzt*innen“.
Entscheidend ist an dieser Stelle, dass sich die Verteilung auf die Anforderungsniveaus deutlich zwischen männerdominierten, frauendominierten und geschlechtergemischten Berufen unterscheidet (siehe Abbildung 1). So ist der Anteil an Fachkräften in männerdominierten Berufen über 12 Prozentpunkte niedriger als in frauendominierten Berufen.
Gleichzeitig sind in männerdominierten Berufen jeweils 14 Prozent der Beschäftigten als Spezialist oder als Experte zu verorten, während dies nur auf knapp 11 beziehungsweise 7 Prozent der Beschäftigten in frauendominierten Berufen zutrifft. Beschäftigte in frauendominierten Berufen haben also deutlich seltener komplexe und damit entsprechend entlohnte Positionen inne als Beschäftigte in männerdominierten Berufen.
Die größten Anteile an Spezialisten-Tätigkeiten (16,6 %) und Experten-Tätigkeiten (24,3 %) gibt es in Mischberufen. Zugleich haben 38 Prozent der in Mischberufen beschäftigten Frauen eine dieser beiden komplexeren Positionen inne (siehe Abbildung 2). Dieser Anteil liegt zwar unter dem der männlichen Spezialisten und Experten in Mischberufen (zusammen 45 %), aber deutlich über dem Anteil der weiblichen Spezialisten und Experten in frauendominierten Berufen, die zusammen nur gut 16 Prozent ausmachen.
Besonders bemerkenswert: 35,3 Prozent der weiblichen Beschäftigten in männerdominierten Berufen arbeiten als Spezialistinnen oder Expertinnen. Bei den männlichen Beschäftigten in männerdominierten Berufen sind es 8 Prozentpunkte weniger.
Frauen steigen seltener auf
Einer der zentralen Gründe für die ungleiche Verteilung von Frauen und Männern auf die unterschiedlichen Anforderungsniveaus könnten – neben der individuellen Wahl von geschlechtstypischen Berufen – unterschiedliche Aufstiegswahrscheinlichkeiten von Männern und Frauen sein. Ein Beispiel für einen formalen Aufstieg ist ein Helfer im Frisörgewerbe, der zum Frisör befördert wird. Hierbei handelt es sich um einen innerberuflichen Aufstieg von einer Helfer- und Anlerntätigkeit zu einer Tätigkeit als Fachkraft.
Da es aber nicht in jedem Beruf alle vier Anforderungsniveaus gibt, ist teils ein Berufswechsel nötig, um ein höheres Anforderungsniveau zu erreichen. Ein Beispiel dafür ist eine IT-Administratorin, die zur Produktentwicklerin aufsteigt. Das Anforderungsniveau ihrer Tätigkeit steigt von einer komplexen Spezialistentätigkeit im vorherigen Beruf zu einer hochkomplexen Expertentätigkeit im neuen Beruf. Nicht selten sind sowohl bei inner- als auch außerberuflichen Aufstiegen zusätzliche Qualifizierungen notwendig, um der neuen und komplexeren Aufgabe gerecht zu werden.
Die Untersuchung der formalen Aufstiege mit Daten der Stichprobe der Integrierten Arbeitsmarktbiografien (SIAB) zeigt ebenfalls, dass ein Großteil davon über Berufsgrenzen hinweg erfolgt: 65 Prozent aller im Jahr 2019 beruflich aufgestiegenen Personen haben zugleich ihren Beruf gewechselt (dabei wurden Berufe zu Berufshauptgruppen zusammengefasst, um sicher zu gehen, dass tatsächlich ein Wechsel der beruflichen Tätigkeit stattgefunden hat). Was auffällt: Für Männer gehen Aufstiege häufiger mit Berufswechseln einher als für Frauen (68 % versus 62 %), was auf unterschiedliche Aufstiegsmechanismen hindeutet.
Von den im Jahr 2019 erfolgten formalen Aufstiegen entfielen 59 Prozent auf Männer und 41 Prozent auf Frauen, obwohl letztere 47 Prozent aller Erwerbstätigen stellen. Von allen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Männern gelang damit 3,8 Prozent ein formaler Aufstieg. Bei den Frauen waren es mit 3,1 Prozent erkennbar weniger.
Geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen auch beim Ausgangsniveau, von dem ein Aufstieg vollzogen wird. Dass mehr als die Hälfte aller formalen Aufstiege aus Helfer- und Anlerntätigkeiten heraus erfolgen, gilt für Frauen wie Männer. Allerdings wurden 41 Prozent aller formalen Aufstiege von Frauen aus Fachkrafttätigkeiten vollzogen, während das bei 35 Prozent der Aufstiege von Männern der Fall war. Letztere sind hingegen in 13 Prozent der Fälle aus Spezialisten- in Expertentätigkeiten aufgestiegen. Bei Frauen traf das mit 8 Prozent der Aufstiege wesentlich seltener zu.
Hier lohnt ebenfalls der Blick auf die Verteilung der formalen Aufstiege getrennt nach frauendominierten, männerdominierten und geschlechtergemischten Berufen. Von allen Aufstiegen in männerdominierten Berufen erfolgten die meisten aus Helfer- und Anlerntätigkeiten (siehe Abbildung 3). Bei Mischberufen hingegen vollzog sich der Großteil der Aufstiege aus Fachkrafttätigkeiten. Bei den Aufstiegen aus einer Spezialisten- in eine Expertentätigkeit zeigt sich, dass dies in den frauendominierten Berufen mit 5 Prozent aller Aufstiege zwischen diesen Ebenen eher selten der Fall war.
Neben der geschlechtersegregierten Berufswahl lassen sich weitere Faktoren für die geringere Aufstiegswahrscheinlichkeit von Frauen verantwortlich machen. Dies gilt zum Beispiel für die hohe Teilzeitquote oder häufigere Erwerbsunterbrechungen bei Frauen. Doch selbst wenn man wichtige strukturelle Unterschiede zwischen Frauen und Männern herausrechnet – wie hier das individuelle Bildungsniveau, die Teilzeitquote, die Erwerbserfahrung und den jeweiligen Ausgangsberuf – ändert sich an den Befunden nichts. Frauen haben eine geringere Aufstiegswahrscheinlichkeit als Männer, und zwar auf allen Anforderungsniveaus.
Fazit
Trotz der zunehmenden Bildungs- und Erwerbsbeteiligung von Frauen finden sich diese nach wie vor seltener als Männer in Tätigkeiten mit hohem Anforderungsniveau. Die geschlechtersegregierte Berufswahl spielt dabei eine wichtige Rolle, denn in frauendominierten Berufen gibt es offenbar weniger Stellen mit komplexeren Spezialisten- und Expertentätigkeiten.
Gleichzeitig haben Frauen insgesamt eine geringere Aufstiegswahrscheinlichkeit. Zum einem hängt das mit eben dieser Aufteilung auf geschlechtersegregierte Berufe zusammen. Zum anderen haben Frauen selbst dann eine geringere Wahrscheinlichkeit eines formalen Aufstiegs, wenn ihr Ausgangsberuf, ihre höhere Teilzeitquote und ihre häufigeren Erwerbsunterbrechungen berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass teilweise eine Benachteiligung von Frauen durch Betriebe eine Rolle spielen kann. Ebenso kann aber eine geringere Karriereorientierung mancher Frauen zum Tragen kommen, die auch heute noch die Hauptlast der familiären Verpflichtungen in Deutschland schultern.
In der bisherigen Debatte um die berufliche Geschlechtersegregation und ihre Folgen wird teils zu wenig Augenmerk auf geschlechtergemischte Berufe gelegt. Die hier präsentierten Ergebnisse legen jedoch nahe, dass weibliche Beschäftigte gerade in diesen Berufen vergleichsweise häufig in höhere Anforderungsniveaus ein- oder aufsteigen.
Insgesamt stützen diese Befunde die durch zahlreiche andere Studien erhärtete empirische Evidenz dafür, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt immer noch im Nachteil sind und aus verschiedenen Gründen im Schnitt deutlich weniger verdienen als Männer. Gerade die geringere Aufstiegswahrscheinlichkeit für Frauen macht sich über den gesamten Erwerbsverlauf bemerkbar, denn zu Beginn der Erwerbskarriere ist die Lohnlücke noch vergleichsweise moderat (lesen Sie dazu eine 2020 erschienene Studie von Annekatrin Schrenker und Aline Zucco).
Um mehr Aufstiege von Frauen zu realisieren, sollten nicht nur ihre Aufstiegsmöglichkeiten gezielt gefördert werden. Junge Frauen sollten außerdem schon frühzeitig durch Kampagnen wie den „Girl’s Day“ dazu ermuntert werden, Tätigkeiten in geschlechtergemischten und männerdominierten Berufen zu ergreifen. Gute Aufstiegschancen und höhere Löhne könnten die Erwerbsneigung von Frauen erhöhen und so dazu beitragen, dem sich verschärfenden Fach- und Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken.
In aller Kürze
- Frauen sind in Helfer- und Anlerntätigkeiten sowie in Fachkrafttätigkeiten überrepräsentiert, Männer sind es in den komplexeren Spezialisten- und Expertentätigkeiten.
- Unterschiede in Anforderungsniveaus finden sich auch zwischen frauen- und männerdominierten Berufsgruppen. Die größten Anteile an Spezialisten- und Expertentätigkeiten gibt es aber in Mischberufen.
- Insgesamt gehen die meisten formalen Aufstiege mit einem Berufswechsel einher.
- Frauen haben eine geringere Aufstiegswahrscheinlichkeit als Männer, und zwar unabhängig vom Anforderungsniveau des Ausgangsberufs.
Literatur
Bundesagentur für Arbeit (2021): Klassifikation der Berufe 2010 – überarbeitete Fassung 2020, Band 1: Systematischer und alphabetischer Teil mit Erläuterungen.
Statistisches Bundesamt (Destatis) (2023): Gender Pay Gap 2022: Frauen verdienten pro Stunde 18 % weniger als Männer.
Kohaut, Susanne; Möller, Iris (2022): Der Weg nach ganz oben bleibt Frauen oft versperrt. IAB-Kurzbericht Nr. 1.
Hausmann, Ann-Christin; Kleinert, Corinna (2014): Männer- und Frauendomänen kaum verändert. IAB-Kurzbericht Nr. 9.
Schrenker, Annekatrin; Zucco, Aline (2020): Gender Pay Gap steigt ab dem Alter von 30 Jahren stark an. DIW-Wochenbericht 87, S. 137–145.
Trappe, Heike (2006): Berufliche Segregation im Kontext. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 58, S. 50–78.
Bild: Wesley JvR/peopleimages.com/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20230424.01
Vicari, Basha; Bächmann, Ann-Christin ; Zucco, Aline (2023): Frauen üben seltener als Männer Tätigkeiten mit hohem Anforderungsniveau aus, In: IAB-Forum 25. April 2023, https://www.iab-forum.de/frauen-ueben-seltener-als-maenner-taetigkeiten-mit-hohem-anforderungsniveau-aus/, Abrufdatum: 22. November 2024
Autoren:
- Basha Vicari
- Ann-Christin Bächmann
- Aline Zucco