18. Juli 2024 | Betriebliche Arbeitswelt
Längere Elternzeiten haben langfristig keine negativen Auswirkungen auf die Betriebe
Mathias Huebener , Jonas Jessen , Daniel Kühnle , Michael Oberfichtner
Einer der häufigsten Gründe für längere Abwesenheiten vom Arbeitsplatz sind Elternzeiten nach der Geburt von Kindern. Diese können jedoch Herausforderungen für Betriebe mit sich bringen, da dadurch Beschäftigungslücken entstehen. Um sie zu füllen, könnten Betriebe neues Personal einstellen, die Arbeitszeit von anderen Beschäftigten erhöhen oder versuchen, deren Ausscheiden aus dem Betrieb zu reduzieren.
Jede dieser Maßnahmen erfordert von den Betrieben organisatorische Anpassungen und ist mit entsprechenden Kosten verbunden. In vielen Ländern werden diese möglichen Kosten als Argument gegen großzügigere Elternzeitregelungen angeführt. Bislang ist allerdings wenig darüber bekannt, wie sich Elternzeiten auf Unternehmen auswirken.
Vor diesem Hintergrund haben die Autoren dieses Beitrags in einem aktuellen Forschungspapier untersucht, wie sich längere Elternzeiten von Müttern auf kleine und mittelgroße Betriebe in Deutschland auswirken (siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Diese Betriebe sind für die Fragestellung besonders relevant, da sie in der Regel über weniger Anpassungsmöglichkeiten verfügen als Großbetriebe.
Um die Effekte von längeren Abwesenheiten vom Arbeitsplatz zu untersuchen, bietet die Einführung des Elterngeldes zum 1. Januar 2007 eine geeignete Gelegenheit. Das Elterngeld löste das Erziehungsgeld ab, das sich auf 300 Euro pro Monat belief und insbesondere Haushalten mit geringeren Einkommen bis zu 24 Monate gewährt wurde.
Das Elterngeld hingegen beträgt je nach vorherigem Einkommen 300 bis 1.800 Euro monatlich, wird aber nur für maximal 14 Monate ausgezahlt. Von der Reform profitierten daher insbesondere Mütter mit höherem Verdienst. Die Einführung des Elterngeldes stellte eine der wichtigsten familienpolitischen Maßnahmen dar, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für junge Väter und Mütter zu verbessern.
Die Auswertungen beziehen sich auf Betriebe, in denen Angestellte zwischen Juli 2005 und Juni 2007 ein Kind bekommen haben. Für Geburten bis zum 31. Dezember 2006 galten noch die Regelungen des Erziehungsgeldes, für Geburten danach die des Elterngeldes. Damit lassen sich etwaige Effekte der Einführung des Elterngeldes auf den Wiedereintritt von Müttern in den Arbeitsmarkt untersuchen. Die wichtigsten Befunde aus der Studie werden im Folgenden zusammengefasst.
Neueinstellungen vor der Elternzeit kompensieren den Arbeitsausfall zu etwa einem Drittel
Ein wichtiger möglicher Ansatzpunkt, um bevorstehende Elternzeiten personell aufzufangen, sind Neueinstellungen. Sie steigen in den sechs Monaten vor dem erwarteten Geburtstermin deutlich an (siehe Abbildung 1). Viele Neueinstellungen fallen also in einen Zeitraum, in dem werdende Mütter noch im Betrieb sind, sodass ihre Aufgaben noch an Elternzeitvertretungen übergeben werden können.
Ein Vergleich der Neueinstellungen in den sechs Monaten vor der Geburt mit dem entsprechenden Vorjahreszeitraum – also 18 bis 12 Monate vor der Geburt – zeigt: Im Durchschnitt wird gut ein Drittel aller aufgrund von Elternzeit ausscheidenden Mütter durch neu eingestelltes Personal ersetzt (39 %), davon der größere Teil (31 %) durch Beschäftigte, die im gleichen Beruf arbeiten. Die Ausfälle werden also nur zum Teil durch Neueinstellungen ausgeglichen. Der Anstieg ist umso größer, je weniger andere Beschäftigte im Betrieb den gleichen Beruf ausgeübt haben, also die Arbeit der betroffenen Mütter übernehmen konnten.
Als Elternzeitvertretung stellen Betriebe häufig Personen mit ähnlichen demografischen Merkmalen ein wie die der werdenden Mütter, also insbesondere junge Frauen. Der Anteil an Neueingestellten mit Abitur ist außerdem deutlich höher, wenn die werdenden Mütter selbst Abitur haben.
Auffällig ist zudem, dass viele Elternzeitvertretungen deutlich länger im Betrieb bleiben, als es der Abwesenheitsvertretung entspräche. Die Wahrscheinlichkeit, länger als zwölf Monate im Betrieb zu bleiben, ist bei ihnen genauso hoch wie bei anderen Neueingestellten. Demnach finden Elternzeitvertretungen in vielen Fällen einen Weg in eine längere oder sogar dauerhafte Beschäftigung.
Im Gegensatz zu den Neueinstellungen zeigen sich keine markanten Muster beim Verbleib der anderen Kolleginnen und Kollegen im Betrieb. Es scheint also keine dominante Anpassungsstrategie der betroffenen Arbeitgeber zu sein, diese Beschäftigten stärker an den Betrieb zu binden, um Abwesenheiten aufgrund von Elternzeit zu überbrücken.
Das Elterngeld führt zu längeren Abwesenheiten als das Erziehungsgeld
Mit der Einführung des Elterngeldes hat sich die Rückkehr von Müttern in ihren Betrieb um einige Monate verzögert. Dies zeigt der Vergleich von Müttern, deren erstes Kind zwischen Januar und Juni 2006 geboren wurde, mit Müttern, deren erstes Kind zwischen Januar und Juni 2007 zur Welt kam (siehe Abbildung 2). Für erstere galten die Regelungen des Erziehungsgeldes, für letztere die des Elterngeldes.
Während unter den Regelungen des Erziehungsgeldes etwa 40 Prozent der Mütter innerhalb von zwölf Monaten in den Betrieb zurückkehrten, waren es nach Einführung des Elterngeldes nur 20 Prozent.
Die längere Erwerbsunterbrechung wirkte sich jedoch nicht negativ auf die weiteren Erwerbsverläufe der Mütter aus. Nach 14 Monaten, also dem Ende der maximalen Bezugszeit des Elterngeldes, bestanden bei Müttern, die vor oder nach der Einführung des Elterngeldes Kinder bekommen hatten, praktisch keine Unterschiede mehr bezüglich des Anteils derer, die in ihren alten Betrieb zurückkehrten. Dies deckt sich mit den Forschungsergebnissen einer 2023 erschienenen Studie von Corinna Frodermann, Katharina Wrohlich und Aline Zucco.
Mit dem Elterngeld ging die Beschäftigung in den betroffenen Betrieben im ersten Jahr um 3 Prozent zurück – allerdings nur vorübergehend
Die verzögerte Rückkehr von Müttern wirkte sich auch auf die betroffenen Betriebe aus. Im Schnitt haben sie die Beschäftigungslücke, die während der längeren Elternzeit der Mütter entstanden ist, nicht vollständig geschlossen. Die Gesamtzahl der Beschäftigten in den betroffenen Betrieben ging im ersten Jahr nach der Geburt um 3 Prozent zurück.
Dieser Effekt ist jedoch nur vorübergehend. Mittel- und langfristig hat die Elterngeldeinführung keine Effekte auf die Beschäftigung in den betroffenen Betrieben.
Um die entstehende Beschäftigungslücke zu schließen, könnte auch die Arbeitszeit der verbleibenden Beschäftigten erhöht werden. Dies würde sich dann in einer tendenziell gleichbleibenden Lohnsumme zeigen. Hierfür gibt es jedoch keine Anzeichen, denn die Lohnsumme sank ebenfalls im ersten Jahr und erholte sich anschließend. Zugleich gibt es keine Evidenz dafür, dass etwa kleine Betriebe, die von elternzeitbedingten Personalausfällen betroffen sind, ihre Geschäftstätigkeit häufiger einstellen als nicht betroffene Betriebe.
Die Auswirkungen längerer Elternzeiten infolge der Einführung des Elterngeldes konzentrieren sich für die Betriebe somit auf das erste Jahr nach der Geburt, entsprechend der maximalen Bezugsdauer des Elterngeldes. In diesem Zeitraum wurde die entstandene Beschäftigungslücke nur teilweise geschlossen.
Das Elterngeld hat die Einstellungschancen junger Frauen nicht gemindert
Wenn aber Betriebe längere elternzeitbedingte Abwesenheiten nur teilweise kompensieren, könnte sich dies wiederum generell negativ auf Beschäftigungsaussichten junger Frauen auswirken. Betriebe könnten geneigt sein, seltener junge Frauen einzustellen oder sie nur zu niedrigeren Löhnen zu beschäftigen. Dabei ist es für die Entscheidung der Betriebe irrelevant, ob diese jungen Frauen tatsächlich später Kinder bekommen oder nicht.
Um zu untersuchen, ob diese „statistische Diskriminierung“ tatsächlich stattfindet, wurde das Einstellungsverhalten von Betrieben im Zeitraum von Juli 2007 bis Ende 2009 betrachtet. Dabei wurden die Betriebe danach unterschieden, ob weibliche Beschäftigte unmittelbar vor und nach der Einführung des Elterngeldes Kinder bekommen hatten oder nicht.
Betriebe, die nach der Einführung des Elterngeldes tatsächlich mit längeren Erwerbsunterbrechungen der betroffenen Frauen konfrontiert waren, könnten angesichts dieser unmittelbaren Erfahrungen die konkreten Folgen, welche die Einführung des Elterngeldes für sie selbst hat, unter Umständen genauer einschätzen als andere Betriebe. Dadurch könnten diese Betriebe möglicherweise verstärkt dazu tendiert haben, Frauen im gebärfähigen Alter seltener oder zu schlechteren Konditionen einzustellen.
Empirisch gibt es allerdings keinen Hinweis darauf, dass die Einführung des Elterngeldes negative Konsequenzen für die Beschäftigungsaussichten junger Frauen hatte. In den Betrieben haben sich weder die Zahl der Neueinstellungen, der Anteil der jungen Frauen an den Neueingestellten noch die Löhne verändert, zu denen junge Frauen eingestellt werden.
Fazit
Kurzfristig hatten die meisten Betriebe infolge der längeren Auszeiten, die mit der Einführung des Elterngeldes einhergehen, mit größeren Beschäftigungslücken umzugehen, die sie nur teilweise durch Neueinstellungen abgefedert haben. Die verbleibende Lücke hatte jedoch keine langfristig nachteiligen Auswirkungen auf die Betriebe.
Die Einführung des Elterngelds führte auch nicht dazu, dass die Betriebe junge Frauen seltener oder zu geringeren Löhnen eingestellt haben. Die von manchen geäußerte Befürchtung, dass das Elterngeld zu übermäßigen Belastungen der Betriebe und negativen Folgen für junge Frauen am Arbeitsmarkt führen würde, haben sich also im Großen und Ganzen nicht bewahrheitet.
Daten und Methoden
Grundlage der Auswertungen bilden die Integrierten Erwerbsbiographien (IEB) des IAB, deren Daten zu Beschäftigungsverhältnissen auf den (jährlichen) Meldungen der Arbeitgeber an die Sozialversicherung basieren. Diese Daten enthalten Informationen zum Start- und Enddatum aller gemeldeten Beschäftigungen in Deutschland, dem Beruf, dem erzielten Entgelt und zu Personenmerkmalen wie Geschlecht und Ausbildung.
Mittels eines von Dana Müller und Katharina Strauch entwickelten Verfahrens lassen sich in diesen Daten Erstgeburten von Frauen zuverlässig identifizieren. Daher beziehen sich die Auswertungen auf Mütter, die ihr erstes Kind bekommen. Um betriebsspezifisch einen eindeutigen Geburtszeitpunkt zuweisen zu können, beschränken sich die Auswertungen auf Betriebe mit Geburten in der Belegschaft in einem Kalenderhalbjahr des Untersuchungszeitraums Juli 2005 bis Juni 2007. Details finden sich im Diskussionspapier von Mathias Huebener und Ko-Autoren.
Die Auswirkungen von Vaterschaft können aufgrund fehlender Informationen in den Daten nicht ausgewertet werden.
In aller Kürze
- Elternzeitbedingte Abwesenheiten führen zu Beschäftigungslücken in Betrieben. Sie werden vor allem durch Neueinstellungen, aber nicht durch eine stärkere Bindung der bisherigen Beschäftigten kompensiert.
- Die Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 verzögerte die Rückkehr der Mütter zu ihren vorherigen Arbeitgebern im Vergleich zum vorher geltenden Erziehungsgeld.
- Durch die längeren Abwesenheiten sank kurzfristig die Beschäftigung in den betroffenen Betrieben. Es zeigen sich jedoch keine langfristigen Effekte auf die Beschäftigung und die Löhne in diesen Betrieben oder gar auf deren Fortbestand.
- Längere erwartete Abwesenheiten, wie sie durch das Elterngeld begünstigt werden, führen nicht dazu, dass Betriebe junge Frauen seltener oder zu niedrigeren Löhnen anstellen.
- Insgesamt legen die empirischen Ergebnisse nahe, dass sich etwaige negative Effekte des Elterngeldes auf den Arbeitsmarkt in Grenzen halten.
Literatur
Brenøe, Anne; Canaan, Serena; Harmon, Nikolaj; Royer, Heather (2024): Is parental leave costly for firms and coworkers? In: Journal of Labor Economics (im Erscheinen).
Frodermann, Corinna; Wrohlich, Katharina; Zucco, Aline (2023): Parental leave policy and long-run earnings of mothers. In: Labour Economics, 80, 102296.
Ginja, Rita; Karimi, Arizo; Xiao, Pengpeng (2023): Employer responses to family leave programs. In: American Economic Journal: Applied Economics 15.1, S. 107-135.
Huebener, Mathias; Jessen, Jonas; Kuehnle, Daniel; Oberfichtner., Michael (2024): Parental Leave, Worker Substitutability, and Firm’s Employment. IZA Discussion Paper No. 16843.
Huebener, Mathias; Kuehnle, Daniel; Spieß, C. Katharina (2019): Parental leave policies and socio-economic gaps in child development: Evidence from a substantial benefit reform using administrative data. Labour Economics, 61, 101754.
Müller, Dana; Katharina Strauch (2017): Identifying mothers in administrative data. FDZ-Methodenreport Nr. 13.
Bild: Tunedin/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240718.01
Huebener, Mathias; Jessen, Jonas; Kühnle, Daniel; Oberfichtner, Michael (2024): Längere Elternzeiten haben langfristig keine negativen Auswirkungen auf die Betriebe, In: IAB-Forum 18. Juli 2024, https://www.iab-forum.de/laengere-elternzeiten-haben-langfristig-keine-negativen-auswirkungen-auf-die-betriebe/, Abrufdatum: 22. November 2024
Autoren:
- Mathias Huebener
- Jonas Jessen
- Daniel Kühnle
- Michael Oberfichtner