7. Januar 2025 | Serie „Arbeitskräftesicherung“
Ausbildungsabbrüche im regionalen Vergleich: Die Schere geht immer weiter auseinander
Von 2005 bis 2020 haben immer mehr Auszubildende die von ihnen gewählte Ausbildung vorzeitig abgebrochen (siehe Abbildung 1). Solche frühzeitigen Bildungsabbrüche gehen vergleichsweise häufig mit unsteteren Berufsbiografien einher. Die Betroffenen haben niedrigere Löhne und sind im Schnitt häufiger arbeitslos (ausführlichere Analysen zu dieser Problematik finden sich in einer Studie von Kerstin Ostermann, Alexander Patzina und Katy Morris aus dem Jahr 2024).
Neben den Konsequenzen für die Betroffenen stellen Ausbildungsabbrüche auch für Betriebe und den lokalen Arbeitsmarkt ein Problem dar. Betriebe investieren oft viel Zeit und Geld in die Erstausbildung junger Menschen. Wird eine Ausbildung abgebrochen, gehen diese Investitionen verloren. Falls sich die Betroffenen anschließend für eine andere Ausbildung oder stattdessen für einen Helferjob entscheiden, stehen sie dem (regionalen) Arbeitsmarkt für eine entsprechend längere Zeit nicht oder überhaupt nicht mehr als qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung.
Die Zahl der Ausbildungsabbrüche ist in manchen Regionen deutlich stärker gestiegen als in anderen
Neben individuellen Merkmalen wie Herkunft oder Vorbildung hat die Forschung auch strukturelle Merkmale ermittelt, die mit häufigeren Ausbildungsabbrüchen einhergehen, beispielsweise mit Blick auf die Struktur der Betriebe, der Wohnumgebung oder der Arbeitsmarktregion. Dass der Anteil der Ausbildungsabbrecher regional variiert, illustriert Abbildung 2. Sie zeigt die Abbruchquoten auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte über die Zeit.
Neben dem allgemein steigenden Trend an Ausbildungsabbrüchen fällt auf, dass die Abbruchquoten in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen schon 2005 niedriger waren als im Rest der Republik und seither auch weniger stark gestiegen sind. Teile Mecklenburg-Vorpommerns und Schleswig-Holsteins sowie Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verzeichnen dagegen deutliche Anstiege. Im Jahr 2020 hatte Pirmasens in Rheinland-Pfalz mit 42,5 Prozent die höchste Abbruchquote, Eichstätt in Bayern mit 11,3 Prozent die niedrigste.
Eine hohe Abbruchquote geht häufig mit einer hohen Arbeitslosenquote einher
Eine genauere Analyse zeigt, dass hohe Abbruchquoten typischerweise mit bestimmten Strukturmerkmalen einhergehen (siehe Abbildung 3). Weist eine Region eine höhere Wirtschaftskraft (gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf) und viele freie Stellen auf, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer höheren Ausbildungsabbruchquote. Spiegelbildlich korreliert eine höhere Abbruchquote in einer Region sehr deutlich mit einer höheren Arbeitslosenquote. Demgegenüber variiert die Abbruchquote kaum zwischen städtischen und ländlichen Regionen.
Zugleich zeigt sich, dass die Abbruchquote in Regionen mit vielen abhängig Beschäftigten (über eine Million) und einem höheren Anteil an Personen in Helfer-Tätigkeiten, also in Tätigkeiten, die keine Berufsausbildung erfordern, im Mittel etwas höher ausfällt als in Regionen mit relativ geringerem Beschäftigungsvolumen.
Die Branchenstruktur könnte unter Umständen ebenfalls einen Einfluss auf die Höhe der regionalen Abbruchquote haben. So geht ein höherer Anteil an Handwerksbetrieben sowie an Bildungs-, Finanz- und Versicherungsdienstleistern mit einer geringeren Abbruchquote einher. Das gilt auch, wenn Faktoren wie Arbeitslosigkeit oder Wirtschaftskraft konstant gehalten werden.
Im Gegensatz dazu ist die Abbruchquote in Regionen, die einen hohen Anteil anderer Dienstleistungsbranchen aufweisen (zum Beispiel Information und Kommunikation, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen oder haushaltsnahe Dienstleistungen) tendenziell höher. Dies gilt auch für Regionen mit einem höheren Anteil an Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
Die Ergebnisse auf Regionalebene dürften zum Teil die berufsspezifischen Abbruchquoten widerspiegeln. So weisen Finanz-, Versicherungs- und Handwerksberufe mitunter die niedrigsten Abbruchquoten auf, haushaltsnahe Dienstleistungsberufe die höchsten (siehe Abbildung 4).
Insgesamt zeigt sich: Es gibt keine „typische Abbruchsregion“. Auch wenn Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und niedriger Wirtschaftskraft höhere Abbruchquoten aufweisen, sind Ausbildungsabbrüche zugleich in Regionen wahrscheinlicher, die einen hohen Anteil an oftmals als „zukunftsorientiert“ geltenden Branchen wie Information und Kommunikation oder technische Dienstleistungen aufweisen.
Fazit
Insgesamt ist der Anteil der Ausbildungsabbrüche stetig gestiegen, allerdings regional unterschiedlich stark. Im Ergebnis unterscheiden sich die regionalen Abbruchquoten massiv. Landkreise mit hoher Arbeitslosigkeit und niedriger Wirtschaftskraft weisen im Mittel eine höhere Abbruchquote auf als Landkreise und kreisfreie Städte mit niedrigerer Arbeitslosigkeit, vielen offenen Stellen und einer höheren Wirtschaftskraft. Zugleich korreliert die Abbruchquote mit der relativen Bedeutung einzelner Wirtschaftszweige in einer Region. In diesem Sinne gibt es keine typische Abbruchsregion.
Zugleich dürften die Mechanismen, die dem Zusammenhang zwischen hoher Arbeitslosigkeit und höherer Abbruchquote zugrunde liegen, für die betroffenen Regionen zu einer längerfristig negativen Dynamik beitragen. Wie eine 2015 erschienene Studie von Katarina Weßling und anderen zeigt, ist auch die Wahrscheinlichkeit, eine (erneute) Ausbildung zu beginnen, in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit niedriger. Für Ausbildungsabbrecher*innen sinkt also die Wahrscheinlichkeit, eine erneute Ausbildungsstelle zu finden und einen qualifizierten Abschluss nachzuholen, wenn sie ihren Heimatkreis nicht verlassen. Im Ergebnis dürften also vergleichsweise viele junge Menschen aus diesen Regionen abwandern, was die Probleme strukturschwacher Regionen weiter verschärft.
Offen bleibt, inwieweit höhere Abbruchquoten und bestimmte strukturelle Merkmale die gleichen Ursachen haben, oder ob bestimmte strukturelle Merkmale höhere Abbruchquoten unmittelbar verursachen. Ebenso unbeantwortet bleibt die Frage, inwieweit eine hohe Abbruchquote den regionalen Arbeitsmärkten schadet. Finden die Jugendlichen schnell in eine andere, eventuell zu ihren Vorstellungen und Fähigkeiten besser passende Ausbildungsstelle, dürfte der Schaden relativ begrenzt sein.
Falls die Jugendlichen ohne Abschluss jedoch dauerhaft als ungelernte Kräfte arbeiten, kann dies nicht nur individuell, sondern auch arbeitsmarktpolitisch zum Problem werden: Auf den steigenden Bedarf nach Fachkräften trifft dann ein zunehmender Anteil an Geringqualifizierten.
Je nach Ausgangslage in der Region und der Häufigkeit des Übergangs in eine andere Ausbildung liegen verschiedene Schlussfolgerungen nahe. Viele frühe Wechsel des Ausbildungsfachs kann man als Hinweis darauf interpretieren, dass ein weiterer Ausbau der Beratung von Ausbildungsinteressierten sinnvoll wäre. Viele Übergänge in ungelernte Tätigkeiten wiederum deuten darauf hin, dass es weiterer Aufklärung über den langfristigen und universellen Wert einer abgeschlossenen Ausbildung bedarf.
Daten und Methoden
Zentrale Datenquelle sind die Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des IAB, die auf Prozessdaten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit basieren. Diese enthalten tagesgenaue erwerbsbiografische Informationen zu Zeiten von Arbeitslosigkeit, Leistungsbezug, Maßnahmenteilnahme sowie sozialversicherungspflichtiger und geringfügiger Beschäftigung.
Die Analysen beziehen sich ausschließlich auf Ausbildungsabbrüche im dualen Ausbildungssystem. Abbrüche von rein schulischen Ausbildungen sind nicht enthalten. Als Ausbildungsabbrecher*innen werden Personen definiert, die entweder Ausbildungsepisoden aufweisen, die eine Unterbrechung von mehr als einem Monat aufweisen, oder deren Arbeitgeber zwei Jahre nach Ausbildungsende keine fachliche Qualifikation gemeldet hat. Dabei werden nur Personen als Grundgesamtheit herangezogen, die keine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung aufweisen, um Ausbildungsabbrüche auszuschließen, die allein auf universitäre Nachrückverfahren zurückzuführen sind. Ein Vergleich der allgemeinen Entwicklung der Abbruchquoten auf Basis der IEB (siehe Abbildung 1) mit Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung (Uhly & Neises 2023) zeigt jedoch keine deutlichen Unterschiede auf.
Auf Basis der individuellen Längsschnittinformationen der IEB wurde durch Aggregation ein Paneldatensatz auf Ebene von Landkreisen und kreisfreien Städten für jedes Jahr von 2008 bis 2020 erstellt. Da im Jahr 2008 eine Umstellung der Klassifikation der Wirtschaftszweige stattfand, nutzt dieser Beitrag nur Daten ab diesem Jahr, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten und fehlende Informationen zu minimieren.
Zielgröße der linearen Regression ist der Anteil an Ausbildungsabbrüchen an allen im Landkreis ansässigen Personen, die in einem Jahr entweder eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen oder abgebrochen haben. Alle Variablen sind nach Jahren standardisiert aufgenommen, um die Einflussgrößen annährend vergleichen zu können. Neben den in Abbildung 3 dargestellten Einflussgrößen berücksichtigt das Modell ebenfalls Jahresindikatoren, um für den Einfluss allgemeiner Trends zu kontrollieren.
In aller Kürze
- Zwischen den Jahren 2005 und 2020 stieg die Zahl der Ausbildungsabbrüche im dualen Ausbildungssystem kontinuierlich.
- Der steigende Trend hat dabei eine regionale Komponente: Insbesondere im Nordosten und in der Rhein-Ruhr-Region sind die Abbruchquoten teils sehr hoch.
- Landkreise mit einer hohen Abbruchquote weisen häufiger eine hohe Arbeitslosenquote und eine geringere Wirtschaftskraft auf.
- Die regionale Branchenstruktur steht ebenfalls in einem Zusammenhang mit der regionalen Abbruchquote. Dort, wo beispielsweise überproportional viele Beschäftigte im Handwerk oder in der Finanz- und Versicherungsbranche arbeiten, sind im Schnitt auch die Abbruchquoten niedriger.
Zielgröße der linearen Regression ist der Anteil an Ausbildungsabbrüchen an allen im Landkreis ansässigen Personen, die in einem Jahr entweder eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen oder abgebrochen haben. Alle Variablen sind nach Jahren standardisiert aufgenommen, um die Einflussgrößen annährend vergleichen zu können. Neben den in Abbildung 3 dargestellten Einflussgrößen berücksichtigt das Modell ebenfalls Jahresindikatoren, um für den Einfluss allgemeiner Trends zu kontrollieren.
Literatur
Ostermann, Kerstin; Patzina, Alexander; Morris, Katy (2024): Stratified Scars: Social inequality in the labor market consequences of upper secondary dropout. Preprint auf SocArxiv.
Uhly, Alexandra; Neises, Frank (2023): Vorzeitige Vertragslösungen in der dualen Berufsausbildung. Aktuelle empirische Befunde der Berufsbildungsstatistik und Maßnahmen – Ein Überblick. Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung.
Weßling, Katarina, Hartung, Andreas.; Hillmert, Steffen (2015): Spatial structure counts: The relevance of regional labour-market conditions for educational transitions to vocational training. Empirical Research in Vocational Education and Training, 7, S. 1-20.
Bild: Malik E/peopleimages.com/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20250107.01
Ostermann, Kerstin (2025): Ausbildungsabbrüche im regionalen Vergleich: Die Schere geht immer weiter auseinander, In: IAB-Forum 7. Januar 2025, https://www.iab-forum.de/ausbildungsabbrueche-im-regionalen-vergleich-die-schere-geht-immer-weiter-auseinander/, Abrufdatum: 10. January 2025
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Autoren:
- Kerstin Ostermann