21. Juli 2025 | Porträts
Ein offener Blick auf Erwerbsverläufe – und auf sehr vieles andere

Eines wird beim Gespräch mit Duncan Roth sofort deutlich: Er wählt seine Worte mit der Sorgfalt eines Wissenschaftlers, der nicht nur komplexe Zusammenhänge erforscht, sondern auch Verantwortung für andere übernimmt. Seit dreieinhalb Jahren leitet Duncan Roth die Nachwuchsforschungsgruppe „Berufe und Erwerbsverläufe“ am IAB.
„Ich habe mich damals sehr gefreut, diese Chance zu erhalten“, erzählt er. Für die neue Stelle ist er eigens nach Nürnberg gezogen. Allerdings war das IAB zu dem Zeitpunkt für ihn schon Arbeitgeber: Zuvor war der promovierte Ökonom bereits im Regionalen Forschungsnetz des IAB tätig, am Standort Düsseldorf. Dort forschte er zu unterschiedlichen arbeitsmarktbezogenen Themen, beriet die Landespolitik und Fachkräfte der Bundesagentur für Arbeit vor Ort. „Von Digitalisierung bis Mindestlohn – thematisch war ich immer breit interessiert“, sagt er mit einem Lächeln. Ein Thema, das ihn dabei ebenfalls umtrieb, war die Berufsforschung – ein Feld, das auch für das IAB in den letzten Jahren weiter an Bedeutung gewonnen hat. Denn der Wissenschaftsrat hatte bei seiner Evaluation des Instituts im Jahr 2020 angeregt, die Berufsforschung noch stärker aufzustellen. Die Institutsleitung entschied sich, dies unter anderem mit einem neuen Format umzusetzen: der Gründung einer Nachwuchsforschungsgruppe.
Die Nachwuchsforschungsgruppe bietet die Chance für neue Impulse
Da die Gruppe „Berufe und Erwerbsverläufe“ die erste Nachwuchsforschungsgruppe überhaupt am IAB wurde, muss die Frage erlaubt sein, was das Format eigentlich ausmacht. „Eine Nachwuchsforschungsgruppe“ erläutert Roth, „bietet jüngeren Forschenden die Chance, erste Leitungserfahrung zu sammeln. Wobei ich mich inzwischen gar nicht mehr als so jung empfinde.“ Er zwinkert. Für ihn hat das Format aber auch noch weitere Vorteile: „Solche Gruppen können sehr flexibel eingesetzt werden, da sie nur kleine Teams haben, die wie die Leitung aus jüngeren Leuten besteht, meistens Promovierende. Damit sind sie einerseits eine Fördermaßnahme für den wissenschaftlichen Nachwuchs, bringen aber auch frische Perspektiven ein. Es gibt natürlich ein klar umrissenes Themenfeld, aber innerhalb dessen wird die Forschungsagenda von der Gruppenleitung und ihrem Team eigenständig entwickelt. Dazu gehört auch, eigenverantwortlich Drittmittel einzuwerben.“
Ein Ideenlabor im Kleinen also. So sah es auch die Institutsleitung, als sie 2020 die Leitungsstelle für die geplante Nachwuchsforschungsgruppe ausschrieb. Wer sich bewarb, sollte gleich seine eigenen Ideen für eine künftige Forschungsagenda mitbringen. Duncan Roth stellte sein Konzept in einem institutsöffentlichen Vortrag vor – und überzeugte das Auswahlgremium.
„Als Führungskraft war ich der Nachwuchs“
Bevor er über die inhaltlichen Schwerpunkte spricht, die er mit der Nachwuchsforschungsgruppe entwickelt hat, berichtet er jedoch erstmal lieber von seinem Team. Seine erste Aufgabe als Gruppenleiter bestand darin, zwei Personen für die beiden Promotionsstellen einzustellen, die gemeinsam mit ihm die Forschung vorantreiben sollten. Roth betreute sie bei ihren ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen und führte sie in die Arbeit mit administrativen Datensätzen ein, der Grundlage ihrer Forschung. „Andere anzuleiten, das war für mich anfangs eine neue Rolle. Als Führungskraft war ich der Nachwuchs, in der Forschung hingegen sie“, sagt er. Dabei war es ihm wichtig, den beiden keine fertige Forschungsagenda vorzugeben: „Für eine eigene Karriere in der Wissenschaft ist es nicht ratsam, nur eine vorgegebene Agenda abzuarbeiten. Ich wollte, dass es von Anfang an zu ihren Aufgaben gehört, eigene Ideen zu entwickeln und selbst zu entscheiden: So würde ich dieses oder jenes Thema angehen.“
Neben den gemeinsamen Projekten hat er die beiden von Beginn an ermutigt, eigene Netzwerke aufzubauen und Kooperationen über die Gruppe hinaus zu suchen. Auch ihre Promotionen werden von Forschenden außerhalb der Gruppe betreut. Der Austausch im Team bleibt dennoch eng, Roth steht seinen Kolleginnen jederzeit beratend zur Seite. Und das mit Erfolg – die beiden Doktorandinnen Mara Buhmann und Luisa Braunschweig, für die er sich damals entschied, sind nicht nur bis heute gern am IAB, sondern haben auch ihre Promotionen weit vorangetrieben.
Ein besonderes Highlight für alle drei war der gemeinsam organisierte Workshop „Identifying Worker and Firm Quality“ vor zwei Jahren, für den sie zwei hochkarätige Keynote-Speaker gewinnen konnten. „Das lief richtig gut“, erinnert sich Roth. Der Workshop diente nicht nur dem Austausch, sondern auch der Sichtbarkeit der Gruppe im Institut: „Es war eine tolle Gelegenheit, allen im Haus zu zeigen, woran wir arbeiten.“ Das Format kam an: IAB-Kolleg*innen aus unterschiedlichen Bereichen nutzten die Gelegenheit, um sich mit dem kleinen Team intensiver auszutauschen.
Im Mai 2025 fand eine zweite Auflage des Workshops statt. „Wir haben erneut zwei tolle Keynote-Speaker gewinnen können“, verkündet Roth stolz. „Und hatten darüber hinaus eine vielseitige Mischung aus internen und externen Vorträgen.“
Wenn Krisen Erwerbsverläufe prägen
Duncan Roth betont von Beginn an, wie breit das Themenfeld „Berufe und Erwerbsverläufe“ angelegt ist. Die Schwerpunkte, die er setzt, sieht er deshalb nicht als verbindliches Arbeitsprogramm, sondern als Forschungsraum, in dem die Gruppe substanzielle Beiträge leisten kann. „Mein Gedanke war damals: Ich nehme mir Felder vor, die am IAB noch nicht intensiv bearbeitet werden und in denen wir Potenzial für spannende Forschung sehen.“
Ein zentrales Thema ist der Umgang mit sogenannten Schocks auf dem Arbeitsmarkt. „Die Gründung der Gruppe fiel in die Zeit der Covid-19-Pandemie“, erklärt er. „Das nahm ich zum Anlass, die Auswirkungen dieser Krise auf Erwerbsverläufe näher zu untersuchen.“ Besonders interessiert ihn, wie sich die Pandemie auf unterschiedliche Berufsgruppen ausgewirkt hat – etwa bei Menschen, deren Berufe besonders hart betroffen war. „Die mussten sich oft schlagartig umorientieren.“ Ein Lockdown, der plötzlich den eigenen Berufsstand in Bedrängnis bringt, ein Jobverlust, ein Wechsel in ein anderes Berufsfeld. Hinter den nackten Daten stecken menschliche Geschichten, nicht selten harte Brüche in der Erwerbsbiografie.
Die Auswirkungen der Pandemie wurden auch zum ersten Promotionsprojekt von Mara Buhmann. Gemeinsam mit Roth und einer weiteren IAB-Kollegin untersucht sie, wie sich die Pandemie insbesondere auf Arbeitsmarktgrößen wie Arbeitslosigkeit, Wiederbeschäftigung und Löhne ausgewirkt hat. Erste Ergebnisse zeigen: Wer just kurz vor der Pandemie arbeitslos wurde, hatte es schwerer, wieder einen Job zu finden, und musste häufig Lohnverluste hinnehmen. Besonders betroffen sind Personen, deren Berufe sich nicht gut unter Lockdown-Bedingungen ausüben ließen. Wenn sie einen neuen Job aufnahmen, rutschten sie innerhalb der berufsspezifischen Lohnverteilung am deutlichsten nach unten. „Das ist ein wichtiges Ergebnis, das an die umfangreiche Literatur zu unvorhergesehenen Arbeitsplatzverlusten anschließt“, ordnet Roth die Befunde wissenschaftlich ein.
Der zweite große Themenblock der Gruppe ist das Matching, also das „Zueinanderfinden“, von Betrieben und Beschäftigten. Dieses Thema steht auch im Fokus des Workshops – und ist Teil des Promotionsprojekts von Luisa Braunschweig. Gemeinsam mit einem weiteren IAB-Kollegen forschen sie und Roth daran, ob Personen mit hohem Lohnpotenzial systematisch in besser zahlenden Betrieben arbeiten – und wie sich diese Zuordnung von Beschäftigten zu Betrieben im Erwerbsverlauf verändert.
Zukünftig sollen weitere Themen stärker in den Vordergrund rücken. So will das Team untersuchen, wie sich die berufliche Anwendung künstlicher Intelligenz auf Löhne und Beschäftigung auswirkt. Darüber hinaus arbeiten sie an einer Studie, die zeigen soll, wie sich Berufe zwischen Betrieben unterscheiden.
„Ob ich als Programmierer bei Google oder in einem kleinen Betrieb arbeite, dürfte einen großen Unterschied machen“, führt Roth aus. Um diese Unterschiede besser zu verstehen, wird in der Gruppe unter anderem mit Daten aus Stellenausschreibungen gearbeitet. Daraus lassen sich Rückschlüsse ziehen, welche Tätigkeiten in welchen Betrieben erwartet werden. „Das ist spannend, weil wir hier möglicherweise Unterschiede sichtbar machen können, die in den klassischen Erwerbsverlaufsdaten nicht erkennbar sind. “
Nachwuchsforschungsgruppen können eben nicht nur in die Lücke springen, um Themen intensiver zu bearbeiten – sie können auch als Seismograph für neue Forschungsthemen dienen. Und damit war Duncan Roths Gruppe im IAB zwar ein Vorreiter, aber sie blieb nicht lange allein.
Auf das Erfolgsmodell folgt eine weitere Nachwuchsgruppe
Zwei Jahre nach der Gründung der ersten Nachwuchsforschungsgruppe erfolgte am IAB der Startschuss für die Gruppe „Ökologische Transformation“. Anders als Roths Team, das auf Initiative der Institutsleitung ins Leben gerufen wurde, entstand die zweite Nachwuchsgruppe aus dem Antrieb engagierter IAB-Forschender, die zusammen mit Forschenden des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung und mit innovativen Forschungsansätzen zum ökologischen Umbau des Arbeitsmarktes eine große Summe Drittmittel einwarben. Diese externen Mittel ermöglichen nun die Finanzierung der Nachwuchsforschungsgruppe.
„Aktuell formiert sich eine dritte Nachwuchsforschungsgruppe mit dem thematischen Schwerpunkt Geschlechterforschung“, erzählt Duncan Roth. „Zwei Wissenschaftlerinnen aus dem Haus wurden von der Institutsleitung mit Zeit und Unterstützung ausgestattet, Drittmittel dafür zu akquirieren.“ Diese sind die Voraussetzung dafür, um die nötigen neuen Promotionsstellen für die dritte Gruppe zu schaffen.
Auch Duncan Roth hat das Ziel, seine Gruppe künftig stärker über projektbezogene externe Fördermittel zu finanzieren. Drittmittel bedeuten für ihn und seine Kolleginnen die Möglichkeit, ihre Forschungsschwerpunkte noch länger zu verfolgen und weitere innovative Projekte umzusetzen. Gleichzeitig ist die Antragstellung mit hohem Aufwand verbunden: „Ich investiere aktuell viel Zeit in die Ausarbeitung von Projektideen und die Formulierung überzeugender Anträge“, räumt er ein. Wohl wissend, dass die Konkurrenz groß ist.
„Was mir hilft, ist der Austausch mit den anderen Gruppenleitungen“, macht er deutlich. „Wir bearbeiten zwar unterschiedliche Themen, aber stoßen oft auf ähnliche Herausforderungen – eben auch, wenn es um das Einwerben von Drittmitteln geht.“
Außerdem haben alle Nachwuchsforschungsgruppen – auch die bisher erst noch geplante – ihre Arbeit und strategischen Überlegungen im Frühjahr gemeinsam dem Wissenschaftlichen Beirat des IAB vorgestellt und sich fachliches Feedback eingeholt. „Das hat unser Netzwerk untereinander ebenfalls noch verstärkt.“
Zeitmanagement ist alles
Die Leitung der Nachwuchsforschungsgruppe, die inhaltliche Forschungsarbeit, das Schreiben von Anträgen, die Vernetzung mit anderen Forschenden – lässt sich das alles überhaupt wuppen?
„In diesen Blöcken konzentriere ich mich jeweils auf eine einzige Tätigkeit“, sagt er. „Das kann die Arbeit an einem Drittmittelantrag sein. Das kann ein Forschungsprojekt sein, oder ein Gutachten, das ich schreibe.“ Aber natürlich fallen viele kleine und große Dinge außenherum an, und manches ist unvorhersehbar. „Es gibt außerdem Termine, die ich wahrnehmen muss – und andere, für die ich mir gerne die Zeit nehme.“
So geht er heute nach diesem Gespräch noch ins IAB-Colloquium, eine Veranstaltungsreihe, bei der überwiegend externe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit am IAB vorstellen und diskutieren. Heute geht es dabei um Migration. „Ich finde es weiterhin wichtig, über meinen Tellerrand hinauszuschauen.“
Nicht nur seinem regen Interesse an der großen Bandbreite der Institutsthemen bleibt er treu – sondern auch der Rheinstadt, in der er einst anfing, für das IAB zu arbeiten: Gemeinsam mit seiner Partnerin hat er weiterhin einen zweiten Wohnsitz in Düsseldorf. Die Strecke zwischen beiden Städten pendeln sie beide abwechselnd mit dem ICE. Roth empfindet dies keineswegs als verlorene Zeit. Die Fahrten nutzt er etwa, um Fachliteratur zu lesen, die im Büroalltag oft liegen bleibt. Ihr Lebensmodell funktioniert gut für sie, und das nicht nur wegen der (meist) guten Zugverbindung. „Wir sind einfach zwei Menschen, die ihre Jobs sehr mögen. Und diese Jobs sind nun mal an zwei verschiedenen Orten.“
Zuhause fühlt er sich in beiden Städten. An einen Ort für immer gebunden sieht er sich dennoch nicht – vielleicht auch wegen seiner familiären Prägung. „Meine Mutter stammt aus Schottland, genauso wie mein Vorname“, verrät er. Er hat in York und Warwick studiert, gerade erst ist er mit seiner Partnerin von einem zweiwöchigen Urlaub aus Schottland zurückgekehrt. Dass Großbritannien, und damit auch Schottland, seit dem Brexit nicht mehr Teil der Europäischen Union ist, bedauert der bekennende Europäer noch immer.
Verantwortung bedeutet ihm viel, doch auch das Erweitern seines eigenen Horizonts. Der Forscher, der sich mit Erwerbsbiografien beschäftigt, bleibt offen dafür, wohin ihn seine eigene Biografie noch führen wird.
Bild: IAB
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20250721.01
Keitel, Christiane (2025): Ein offener Blick auf Erwerbsverläufe – und auf sehr vieles andere, In: IAB-Forum 21. Juli 2025, https://iab-forum.de/ein-offener-blick-auf-erwerbsverlaeufe-und-vieles-andere/, Abrufdatum: 22. July 2025
Diese Publikation ist unter folgender Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Autoren:
- Christiane Keitel