Unter Berufung auf eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) meldete die BILD-Zeitung, dass 59 Prozent der Geflüchteten keinen Schulabschluss besitzen. Dabei werden auf Grundlage einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu den arbeitsuchenden Geflüchteten, die angeben, über keine abgeschlossene Schulbildung zu verfügen (34 Prozent), alle arbeitsuchenden Geflüchteten addiert, für die keine Angaben zum Schulabschluss vorliegen (25 Prozent). Zu beachten ist jedoch, dass es viele Gründe gibt, warum in der BA-Statistik keine Angaben zum Schulabschluss vorliegen. Diese Personen dürfen daher nicht pauschal der Gruppe ohne Schulabschluss hinzugerechnet werden. In einer repräsentativen Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und des Sozio-oekonomischen Panels (IAB, BAMF, SOEP) geben 64 Prozent der Geflüchteten an, einen mittleren oder weiterführenden Schulabschluss zu besitzen.

Die Jobcenter und Arbeitsagenturen erheben Daten zur Qualifikation von Arbeitsuchenden vor allem zu Zwecken der Arbeitsvermittlung und Arbeitsmarktpolitik. Die Ursachen, warum keine Angaben zu den Schulabschlüssen vorliegen, sind vielfältig: fehlende oder nicht vollständige Angaben der Arbeitsuchenden, fehlende Zertifikate und andere Dokumente, Probleme der Zuordnung aufgrund unvollkommener Informationen über im Ausland erworbene Abschlüsse, ö. Ä. Im Durchschnitt liegen für gut 11 Prozent der Arbeitsuchenden keine Angaben zu den Schulabschlüssen vor, bei ausländischen Staatsbürgern ist der Anteil deutlich höher. Vor diesem Hintergrund ist die Schlussfolgerung, dass Personen, für die keine Angaben zu den Schulabschlüssen vorliegen, über keine Schulabschlüsse verfügen, nicht korrekt.

Darüber hinaus bezieht sich die zitierte Statistik der BA nur auf die arbeitsuchenden Geflüchteten, nicht auf die Geflüchteten insgesamt. Da die erwerbstätigen Geflüchteten im Durchschnitt besser als die als arbeitsuchend registrierten Geflüchteten qualifiziert sind, ergibt sich folglich ein verzerrtes Bild, das die tatsächliche Qualifikation der Geflüchteten unterschätzt.

Ein repräsentatives Bild über die Schulbildung der Geflüchteten lässt sich aus der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten ableiten.1 Die erste Welle dieser Erhebung umfasst 4.816 Geflüchtete im Alter von 18 Jahren und älter, die vom 1.1.2013 bis zum 31.1.2016 nach Deutschland zugezogen sind und im zweiten Halbjahr 2016 befragt wurden. Nach den Ergebnissen dieser Befragung verfügen 64 Prozent der erwachsenen Geflüchteten, die Angaben zu ihrer Schulbildung gemacht haben, über eine abgeschlossene Schulbildung. 25 Prozent haben mittlere, 35 Prozent weiterführende und 4 Prozent sonstige Schulabschlüsse erworben.

Es haben allerdings knapp 8 Prozent der Befragten keine Angaben zu ihrem Schulbesuch und -abschlüssen gemacht. Selbst unter der extrem unwahrscheinlichen Annahme, dass in dieser Gruppe niemand einen Schulabschluss erworben hat, beliefe sich der Anteil der Personen mit abgeschlossener Schulbildung in der Grundgesamtheit der erwachsenen Geflüchteten immer noch auf 59 Prozent. Es ist folglich sehr wahrscheinlich, dass zwischen 60 Prozent und zwei Dritteln der Geflüchteten einen Schulabschluss erworben haben.

Bei der Interpretation der vorliegenden Zahlen ist zu berücksichtigen, dass viele Geflüchtete über ein geringes Durchschnittsalter verfügen und durch Krieg, Verfolgung und Flucht häufig ihre Bildungsbiografien unterbrechen mussten. Dies schlägt sich, im Vergleich zu den Anteilen der Personen, die Schulabschlüsse erworben haben, in deutlich höheren Anteilen von Geflüchteten nieder, die mittlere oder weiterführende Schulen besucht haben: So haben 78 Prozent der Geflüchteten, die Angaben zur Schulbildung gemacht haben, weiterführende, mittlere und sonstige Schulen besucht. Allerdings haben auch 11 Prozent nur eine Grundschule und 11 Prozent gar keine Schule besucht. Im Durchschnitt haben die Geflüchteten, die eine Schule besucht haben, zehn Schuljahre absolviert. Auch diese Anteile können leicht verzerrt sein, weil 7 Prozent der Befragten keine Angaben zum Schulbesuch gemacht haben.

Insgesamt zeichnet sich also eine Polarisierung in der Schulbildung ab: vergleichsweise hohe Anteile von Personen, die weiterführende Schulen abgeschlossen oder besucht haben, stehen ebenfalls hohen Anteilen gegenüber, die nur eine Grundschule oder gar keine Schule besucht haben. Auch bei denjenigen, die mittlere oder weiterführende Schulen besucht haben, muss davon ausgegangen werden, dass aufgrund von Unterschieden in der Qualität und Struktur der Bildungssysteme Defizite bestehen, die eine besondere Förderung, etwa beim Übergang in Ausbildung und Hochschulbildung, erforderlich machen.

Die berufliche Qualifikation der Geflüchteten ist deutlich geringer als die Schulbildung: 12 Prozent der Geflüchteten, für die Angaben zur beruflichen Bildung vorliegen, haben ein (Fach-)Hochschulstudium und 8 Prozent eine berufliche Ausbildung abgeschlossen. Weitere 8 Prozent haben eine berufliche Ausbildungseinrichtung oder eine (Fach-)Hochschule besucht, aber nicht abgeschlossen. 72 Prozent verfügen über gar keine Berufs- oder Hochschulausbildung. Da nur knapp 2 Prozent keine Angaben zur Berufs- und Hochschulbildung gemacht haben, dürften diese Angaben allenfalls geringfügig verzerrt sein.

Vor diesem Hintergrund besteht ein erheblicher Qualifizierungsbedarf. Dies ist auch den Geflüchteten selbst bewusst: Nach der IAB-BAMF-SOEP-Befragung wollen 25 Prozent der Geflüchteten sicher und weitere 20 Prozent vielleicht eine Schule besuchen, 42 Prozent sicher und 25 Prozent vielleicht eine berufliche Ausbildung oder ein Hochschulstudium in Deutschland aufnehmen. Die Integration der Geflüchteten wird künftig wesentlich davon abhängen, inwieweit dieses Bildungspotenzial realisiert werden kann.

1 Vgl. zur Erhebung Brücker et al., 2016. Die hier präsentierten Ergebnisse weichen geringfügig von den 2016 publizierten Daten ab, weil inzwischen die volle Erhebung mit 4.816 Befragten zur Verfügung steht. Die aktualisierten Daten der Studie stehen der Öffentlichkeit in Kürze in den Reihen DIW Politikberatung und IAB-Forschungsbericht (Brücker et al. 2017) zur Verfügung.

Literatur

BILD-Zeitung (2017): Die echten Zahlen: So viele Flüchtlinge haben keinen Bildungsabschluss, 22.8.2017.

Brücker, Herbert, Rother, Nina, Schupp, Jürgen (Hrsg.) (2017): IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten 2016:  Studiendesign, Feldergebnisse sowie Analysen zu schulischer wie beruflicher Qualifikation, Sprachkenntnissen sowie kognitiven Potenzialen. DIW Politikberatung kompakt Nr. 123 und IAB-Forschungsbericht (im Erscheinen).

Brücker, Herbert, Rother, Nina, Schupp, Jürgen (Hrsg.) (2016): IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Überblick und erste Ergebnisse, IAB-Forschungsbericht 14/2016, auch veröffentlicht als DIW Politikberatung kompakt 116.

Bundesagentur für Arbeit (2017), Migrationsmonitor Arbeitsmarkt – Prozess- und Strukturkennzahlen,  Bundesagentur für Arbeit, Statistik, download: 23.8.2017.

Schier, Friedel (2017), Welche schulische Vorbildung bringen Geflüchtete für die Berufsausbildung mit?, Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Bonn.

 

Informationen zum revidierten Datensatz der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten

 

 

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