Die Covid-19-Pandemie legte im Frühjahr 2020 das öffentliche Leben lahm. Schulen und Kitas schlossen. Viele Frauen und Männer verlagerten ihre Arbeit ins Homeoffice oder wechselten in Kurzarbeit. Um die Auswirkungen dieser nie dagewesenen Ausnahmesituation wissenschaftlich zu begleiten, rief das IAB mehrere Befragungen ins Leben. Zwei hieraus entstandene IAB-Kurzberichte beleuchten die Folgen des ersten Lockdowns für Familien mit Kindern unter zwölf Jahren. Aus Anlass des internationalen Frauentages fragt die Forum-Redaktion bei Claudia Globisch und Michael Oberfichtner nach der Rollenverteilung zwischen Müttern und Vätern in der Pandemie.

Wer war von dem Lockdown im Frühjahr 2020 stärker belastet: Mütter oder Väter?

Michael Oberfichtner: In einer Online-Befragung, die wir zusammen mit dem Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) durchführten, sehen wir, dass Mütter während des Lockdowns sehr viel stärker belastet waren. Wir haben bei Frauen und Männern zwar insgesamt ähnliche Arbeitszeitausfälle und sehen sowohl bei Müttern als auch bei Vätern einen Anstieg der Betreuungszeiten durch die Schulschließungen. Aber dieser Anstieg war bei Müttern deutlich größer. Dazu passt, dass bei Müttern die Lebenszufriedenheit im Lockdown stärker zurückgegangen ist.

Im Lockdown ging die Lebenszufriedenheit bei Müttern stärker zurück.

Wie teilten sich Eltern die Erwerbs- und Sorgearbeit im ersten Lockdown auf?

Dr. Claudia Globisch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Stabsstelle Forschungskoordination im IAB.

Claudia Globisch: Wie Michael Oberfichtner sagt: Im Lockdown ist die Sorgearbeit wegen des Wegfalls der Kinderbetreuung insgesamt immens angestiegen. Die Auswertungen unserer Befragung – einem hochfrequenten Panel (also einer regelmäßigen, in kurzen zeitlichen Abständen erfolgenden Längsschnittbefragung) –, an dem ein breites Team aus dem IAB zusammen mit Forscherinnen aus anderen Instituten mitgewirkt hat, zeigen, dass sich die Aufteilung der Sorgearbeit in den Familien vor und während der Pandemie trotz dieses Anstiegs kaum unterscheidet.

Weiterhin haben knapp zwei Drittel der Mütter die Betreuung der Kinder in den Familien überwiegend oder ganz übernommen. Der Anteil der Väter, die die Sorgearbeit voll oder überwiegend übernommen haben, hat sich allerdings auf gut zehn Prozent verdoppelt.

Oberfichtner: Wenn wir über die Belastungen von Eltern nachdenken, ist es auch wichtig, Alleinerziehende zu berücksichtigen. Diese Gruppe ist vermutlich von den Schließungen besonders stark negativ betroffen gewesen. Leider lassen sich aus unseren Daten keine belastbaren quantitativen Aussagen dazu treffen, weil zu wenige Alleinerziehende an den Befragungen teilgenommen haben. Hier wären weitere Untersuchungen angebracht.

Unter welchen Rahmenbedingungen waren die Rollen am wenigsten ungleich verteilt?

Dr. Michael Oberfichtner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Arbeitsförderung und Erwerbstätigkeit“ am IAB.

Globisch: Entscheidend ist, welches Arrangement zur Sorgearbeit die Eltern bereits vor der Pandemie hatten. Wenn die Eltern vorher schon Vollzeit-Kinderbetreuung in Anspruch genommen haben, etwa weil beide in größerem Umfang erwerbstätig waren, dann haben sie sich auch im Lockdown Sorge- und Erwerbsarbeit egalitärer aufgeteilt. Aber auch der Arbeitsort ist nicht zu unterschätzen: Wenn die Mütter über 20 Stunden wöchentlich außer Haus und die Väter im Homeoffice gearbeitet haben, haben sich die Väter anteilig am meisten an der Kinderbetreuung beteiligt. Außerdem zeigen die Ergebnisse zu Vätern in Kurzarbeit, dass die Arbeitszeit ein wichtiger Faktor ist: Erwerbstätige Väter in Kurzarbeit haben ihren Anteil an Kinderbetreuungsaufgaben im Vergleich zu vor der Pandemie eher erhöht als Väter, die nicht in Kurzarbeit waren.

Wenn Väter mehr Sorgearbeit übernommen haben, war das meist aus einer Notwendigkeit geboren und nur temporär .

Wie hat sich die Rollenverteilung in den Familien nach dem Ende des ersten Lockdowns entwickelt?

Globisch: Wenn Väter mehr Sorgearbeit übernommen haben, war das meist aus einer Notwendigkeit geboren und nur temporär – das belegen neueste Daten, die über die veröffentlichten Zahlen des Kurzberichts hinausgehen. Bis September 2020 hatte sich die ursprüngliche Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern wieder an das Niveau vor der Pandemie angeglichen. Erste Zahlen zum zweiten Lockdown im Januar/Februar 2021 zeigen, dass Väter zwar erneut in der Kinderbetreuung etwas mehr übernommen haben, allerdings weniger als im ersten Lockdown. Und auch diese Mehrbeteiligung ging zum Ende des zweiten Lockdowns wieder zurück.

Es gab zu Beginn des ersten Lockdowns die Befürchtung, dass die Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen zu einem großen Rückschritt in der Gleichberechtigung von Müttern und Vätern führen würde. Was sagen Ihre Daten dazu?

Globisch: In der Debatte wurde davon gesprochen, dass es zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse gekommen sei. Dies hätte bedeutet, dass sich Mütter dauerhaft aus der Erwerbsarbeitssphäre zurückziehen, um mehr Sorgearbeit als vor der Pandemie zu übernehmen. Das zeigen unsere Daten nicht. Weder reduzierten Mütter mehr Arbeitszeit als Väter, noch fiel die Aufteilung der Sorgearbeit anders aus als vor der Pandemie. Man kann also nicht von einem Rückschritt sprechen – aber eben auch nicht von einem Fortschritt.

Oberfichtner: Die schnelle Rückkehr zu den Verhältnissen vor der Pandemie sehen wir in unserer Studie ebenfalls. Allerdings sehen wir eine Gefahr in der Erfahrung der Unsicherheit, die die Betriebe aufgrund der Kita-Schließungen bei Eltern gemacht haben – eine Unsicherheit, die aktuell aufgrund der Pandemie ja weiterhin anhält. Wenn ein Betrieb nicht weiß, ob Mütter und Väter verlässlich am nächsten Tag zur Arbeit kommen können, kann das personalpolitische Entscheidungen prägen, insbesondere wenn es um das Verteilen anspruchsvoller Aufgaben geht. Im Zweifel werden Arbeitgeber wichtige karriererelevante Projekte womöglich lieber nicht an Personen vergeben, bei denen sie spontane Arbeitsausfälle zu befürchten haben. Und insbesondere in der aktuellen Situation gehen solche Arbeitsausfälle bei Eltern deutlich über die üblichen Krankentage Erwachsener hinaus.

Solche Sorgen spiegeln sich auch im Motto des Weltfrauentags „Break the Bias“ (auf deutsch: „Stoppt die Voreingenommenheit“) wider. Wenn Vorgesetzte damit rechnen, dass insbesondere Mütter spontan anfallende Kinderbetreuungsaufgaben übernehmen, kann das eine Logik erzeugen, dass man Müttern die anspruchsvollsten Aufgaben lieber nicht gibt – mit den entsprechend nachteiligen Auswirkungen auf deren Karrieren.

Wenn Arbeitgeber fürchten, dass Mütter wegen spontan anfallender Kinderbetreuung ausfallen, haben sie einen Anreiz, ihnen besonders wichtige Projekte nicht anzuvertrauen.

Am internationalen Frauentag möchten wir auch einen Blick über die Grenzen hinweg werfen. Wie sah die Situation für Frauen in anderen Ländern aus, die auch einen Lockdown verhängt hatten?

Oberfichtner: Auch international passen unsere Ergebnisse gut ins Bild der ersten Phase der Pandemie. Wir sehen in ganz vielen Ländern, dass Frauen am Arbeitsmarkt stärker als in der Vergangenheit von der Rezession betroffen waren. Und wenn wir auf die Aufteilung von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung blicken, haben wir zum Beispiel in Spanien und dem Vereinigten Königreich ähnliche Muster wie in Deutschland.

Für Deutschland ist bemerkenswert, wie stark die Ergebnisse unserer beiden Studien übereinstimmen – obwohl zwei unterschiedliche Befragungen zugrunde liegen. Auch andere Studien in Deutschland bestätigen die gleichen Grundmuster, selbst wenn sich der Fokus und die Interpretation der Analysen teils unterscheiden. Insgesamt spricht dies für die Belastbarkeit der Ergebnisse.

Aufgrund der Pandemie mussten viele Familien Arbeitszeit und Arbeitsort ad hoc flexibler gestalten. Sehen Sie da längerfristig Chancen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und auch für die Angleichung der Geschlechterunterschiede?

Globisch: Unsere Ergebnisse zeigen, dass gerade nicht das Homeoffice per se zu einer geschlechtergerechten Sorgearbeitsaufteilung führt. Es kommt darauf an, wer das Homeoffice wahrnimmt und wie die Aushandlungsprozesse zwischen den Paaren ablaufen. Bei flächendeckender Kinderbetreuung und insbesondere im Homeoffice von Vätern oder im Wechsel zwischen beiden Eltern stecken allerdings Potenziale.

Oberfichtner: Die Pandemie hat gezeigt, dass auch örtlich und zeitlich versetzte Zusammenarbeit gute Ergebnisse für die Betriebe liefert. Ich halte deshalb die Flexibilisierung der Arbeitswelt für vielversprechend – über die Pandemiezeit hinaus. Und auch wenn wir das in der kurzen Frist wegen gesteigerten Kinderbetreuungsverpflichtungen nicht beobachten konnten, glaube ich, dass Eltern davon besonders profitieren können.

Mehr Zeitressourcen haben positive Effekte auf die Rollenverteilung.

Welche Folgerungen können Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aus Ihren Forschungsergebnissen ziehen?

Globisch: Eine gut ausgebaute Kinderbetreuung ist auf alle Fälle eine Grundbedingung, damit beide Elternteile arbeiten können. Aber dass sich selbst im Lockdown wenig getan hat an der Aufteilung der Sorgearbeit in den Familien, zeigt, dass es vor allem tiefsitzende gesellschaftliche Rollenbilder sind, die für die Aushandlungsprozesse zwischen den Paaren maßgeblich sind. Die ungleiche Verteilung von Voll- und Teilzeitarbeit zwischen den Geschlechtern, gefördert durch das Ehegattensplitting und die Minijobregelung, verfestigt diese Rollen noch.

Um die Rollenbilder grundsätzlich zu ändern, bräuchte es mehr Role Models, also fürsorgende Väter und voll erwerbstätige Mütter, die in der Gesellschaft positiv präsent sind. Aber auch Elternmodelle mit ähnlichem Arbeitszeitumfang und Zeitkonten für verschiedene Sorgearbeiten im Lebensverlauf könnten positive Akzente setzen.

Dass sich Väter in Kurzarbeit stärker an der Betreuung beteiligt haben, zeigt, dass mehr Zeitressourcen ebenfalls positive Effekte auf die Rollenverteilung haben. Eine Reduktion der Arbeitszeiten kann sich allerdings nicht jede Familie leisten.

Die Betreuung von kleinen Kindern bleibt ein Job mit dauernder Rufbereitschaft.

Oberfichtner: Unmittelbar zeigen unsere Ergebnisse die hohen Belastungen durch Schul- und Kitaschließungen für Familien, insbesondere für Mütter, was man an ihrer gesunkenen Lebenszufriedenheit sieht. Wenn man über die Pandemie hinausdenkt, bleibt die Betreuung von kleinen Kindern allerdings ein Job mit dauernder Rufbereitschaft. Solche Ausfallzeiten lassen sich nicht vermeiden. Wenn sich Paare in solchen Situationen bei der Betreuung künftig stärker abwechseln können, würde das die individuellen Folgen für die Karrieren, aber auch die Konsequenzen für die Betriebe reduzieren. Zugleich haben viele Betriebe gelernt, Arbeit flexibler zu organisieren. Wir hoffen, dass sie Teile dieser Flexibilität auch nach der Pandemie beibehalten, um dauerhaft eine bessere Organisation der Familien- und Erwerbsarbeit von Eltern zu ermöglichen.

 

Literatur

Illing, Hannah; Oberfichtner, Michael; Pestel, Nico; Schmieder, Johannes; Trenkle, Simon (2022): Geschlechtsspezifische Arbeitsmarktwirkung der Covid-19-Pandemie: Ähnlicher Arbeitszeitausfall, aber bei Müttern höhere zusätzliche Belastung durch Kinderbetreuung, IAB-Kurzbericht Nr. 3.

Globisch, Claudia; Müller, Dana; Fuchs, Michaela; Christoph, Bernhard; Danneck, Viktoria; Dummert, Sandra; Volkert, Marieke; Abendroth, Anja; Anger, Silke; Boll, Christina; Carstensen, Tanja; Fervers, Lukas; Hipp, Lena; Jacob, Marita; Knize, Veronika; Kreyenfeld, Michaela; Lott, Yvonne; Naujoks, Tabea; Sauermann, Armin; Schüller, Simone; Tobler, Lina (2022): Aufteilung der Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern: In der Pandemie ändern sich Geschlechterrollen kaum, IAB-Kurzbericht Nr. 5.

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20220308.01

 

Keitel, Christiane; Winters, Jutta (2022): Arbeit und Familie im Lockdown: Rolle rückwärts für Frauen?, In: IAB-Forum 8. März 2022, https://www.iab-forum.de/arbeit-und-familie-im-lockdown-rolle-rueckwaerts-fuer-frauen/, Abrufdatum: 6. November 2024