28. Oktober 2020 | Serie „Corona-Krise: Folgen für den Arbeitsmarkt“
Betrieblicher Arbeitsschutz in der Corona-Krise
Die starke Verbreitung des neuartigen SARS-CoV-2-Virus und die steigenden Infektionszahlen der damit verbundenen Erkrankung Covid-19 stellen Betriebe und Politik vor enorme Herausforderungen. Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, aber auch ein Funktionieren des betrieblichen Alltags zu gewährleisten, müssen viele Betriebe ihren Arbeits- und Infektionsschutz an die neuen Anforderungen anpassen.
Mit dem Ziel, die aktuellen Herausforderungen für Betriebe zu beschreiben, führt das IAB in Kooperation mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) eine mehrmalige Betriebsbefragung durch. Alle drei Wochen werden mehr als 1.500 Betriebe zu ihrer Situation in der Corona-Krise und ihrem Umgang damit befragt (lesen Sie hierzu auch den aktuellen Beitrag „Was bewegt Arbeitgeber in der Krise? Eine neue IAB-Befragung gibt Aufschluss“ im IAB-Forum). An der zweiten Befragung nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus 1.556 Betrieben in Deutschland teil, die Auskunft zur aktuellen Umsetzung des Arbeits- und Infektionsschutzes in den Betrieben gaben.
Arbeits- und Infektionsschutz spielen in der Pandemie eine große Rolle
Die hochgerechneten Ergebnisse der Betriebsbefragung sind repräsentativ für Deutschland. Sie verdeutlichen, dass der Arbeits- und Infektionsschutz für die Mehrzahl der Betriebe aktuell eine große Rolle spielt. Knapp 80 Prozent der Betriebe setzen spezielle Regelungen zum Arbeitsschutz in der Corona-Krise um. Knapp drei Viertel dieser Betriebe geben an, diese auch schriftlich festgehalten zu haben. Für die Hälfte aller Betriebe gilt, dass die Anstrengungen zum Arbeits- und Infektionsschutz seit Beginn der Covid-19-Pandemie im Vergleich zu der Zeit davor stark beziehungsweise sehr stark zugenommen haben. Nur 16 Prozent der Betriebe geben an, dass ihre Anstrengungen eher nicht oder überhaupt nicht zugenommen haben. Der dafür am häufigsten genannte Grund war, dass der bereits bestehende Arbeits- und Infektionsschutz als ausreichend bewertet wurde.
Arbeits- und Infektionsschutz ist Chefsache
Die hohe Bedeutung des Arbeits- und Infektionsschutzes wird auch daran deutlich, dass 98 Prozent der Betriebe mit spezifischen Regelungen zum Arbeitsschutz in der Corona-Krise angeben, dass die Geschäftsführung an der Erstellung und Umsetzung dieser Regelungen beteiligt ist. Dies gilt fast gleichermaßen für alle Betriebsgrößen (98 %) und alle Wirtschaftszweige (von 92 % bis 100 %). Gerade die Unterstützung durch die Geschäftsführung erwies sich in früheren Studien als wichtig, um Maßnahmen zum Arbeitsschutz und zur Gesundheitsförderung auf dem gesetzlich geforderten Qualitätsniveau einzuführen und umzusetzen. Dies zeigt eine bereits 2015 publizierte BAuA-Studie.
Andere Personengruppen waren nach Auskunft der befragten Betriebe deutlich seltener an der Erstellung und Umsetzung entsprechender Maßnahmen beteiligt. Für den Arbeits- und Gesundheitsschutz Zuständige wie Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder Betriebsärzte wurden von rund 44 Prozent der Betriebe hinzugezogen. Auf die Unterstützung externer Beratung griffen 18 Prozent der Betriebe zurück. Die Einbindung von Arbeitnehmervertretungen wurde von 15 Prozent der Betriebe bejaht.
Umsetzung der Arbeitsschutz-Maßnahmen
Die Politik formuliert mit dem SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard und der Konkretisierung durch die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel klare Vorgaben für betriebliche Schutzmaßnahmen zum Umgang mit der Covid-19-Pandemie. Die Regel beinhaltet für alle Bereiche des Arbeitslebens Maßnahmen, mit denen das Infektionsrisiko für Beschäftigte gesenkt und auf niedrigem Niveau gehalten werden kann.
Im Durchschnitt gaben die Betriebe an, knapp 8 der 14 in der Befragung abgefragten Schutzmaßnahmen eingeführt zu haben. Die Maßnahmen sind dabei nicht für alle Betriebe in gleichem Maße sinnvoll, sondern müssen vor dem Hintergrund der konkreten Gefährdungssituation vor Ort ausgewählt werden. Ziel der Befragung war es daher, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche der empfohlenen Schutzmaßnahmen in den Betrieben tatsächlich durchgeführt werden.
Im folgenden Abschnitt werden verschiedene Maßnahmen betrachtet, die von einem Großteil unterschiedlicher Betriebe umgesetzt werden können. Diese werden gebündelt dargestellt anhand der Aspekte „allgemeine Verhaltensregeln“, „Hygiene und Reinigung“, „Kontaktreduzierung“ sowie „Gestaltung der Arbeitsumgebung“, die laut SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel für die Maßnahmen des betrieblichen Arbeitsschutzes zu berücksichtigen sind.
Die Auswertungen der Betriebsbefragung zeigen, dass Maßnahmen, die allgemeine Verhaltensregeln beinhalten, von der deutlichen Mehrheit der Betriebe als relevant eingeschätzt und eingeführt wurden. Hierzu gehören konkrete Erläuterungen und Unterweisungen zu den jeweiligen Schutzmaßnahmen ebenso wie Hinweise auf die Nies- und Hustenetikette. Zudem werden Beschäftigte angehalten, bei erkennbaren Symptomen dem Arbeitsplatz fernzubleiben. Über 80 Prozent der Betriebe geben an, diese Maßnahmen eingeführt zu haben. Hinweise auf vermehrtes Lüften werden von 75 Prozent der Betriebe, das verbindliche Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen von 66 Prozent der Betriebe eingeführt (siehe Abbildung 1).
Weitere Schutzmaßnahmen zielen auf geeignete Hygiene und Reinigung ab. Auch diese Maßnahmen werden von einem Großteil der Betriebe in Deutschland umgesetzt (siehe Abbildung 2). Mit 88 Prozent geben allerdings deutlich mehr Betriebe an, Maßnahmen zur besseren Handhygiene eingeführt zu haben. Die Verkürzung der Reinigungsintervalle wird mit 58 Prozent deutlich seltener bejaht.
Betriebe können zudem auf organisatorische Maßnahmen zur Reduzierung der Kontakthäufigkeit zurückgreifen. Etwa ein Drittel der Betriebe hat Veränderungen in der Arbeitszeit- und Pausengestaltung vorgenommen, um die Kontakte der Beschäftigten untereinander zu reduzieren (siehe Abbildung 3). Die Einführung oder Erweiterung von Telearbeit beziehungsweise Homeoffice-Regelungen wurden in einem Viertel der Betriebe realisiert. Insgesamt sind organisatorische Maßnahmen jedoch seltener oder erscheinen in den Betrieben weniger relevant.
Ein weiterer Maßnahmenkomplex, der in den Betrieben zum Schutz der Beschäftigten eingesetzt werden kann und zum Bereich der technischen Arbeitsschutzmaßnahmen zählt, bezieht sich auf die Gestaltung der Arbeitsumgebung. Mit 83 Prozent hat die Mehrzahl der Betriebe Maßnahmen zur Einhaltung des Sicherheitsabstands von mindestens 1,5 Metern ergriffen (siehe Abbildung 4). Der Einbau von Schutzscheiben findet sich mit einem Anteil von 34 Prozent deutlich seltener. Die Überprüfung der Klima- und Lüftungsanlagen wird von 60 Prozent der Betriebe als nicht relevant eingestuft. Dies entspricht in etwa dem Anteil an Betrieben in Deutschland, die keine Klima- und Lüftungsanlagen besitzen (lesen Sie zu diesem Thema auch eine aktuelle BAuA-Studie).
Über die genannten Aspekte hinaus wird in der Arbeitsschutzregel explizit der Schutz von besonders schutzbedürftigen Beschäftigten sowie die Berücksichtigung psychischer Belastungen durch die epidemische Lage hervorgehoben. Spezielle Maßnahmen, um beispielsweise eine erhöhte Arbeitsintensität und damit verbundene individuelle Belastungen abzufedern, haben 22 Prozent der Betriebe eingeführt (siehe Abbildung 5). Etwa doppelt so häufig wird diese Maßnahme als nicht relevant betrachtet. Ähnliche Werte finden sich auch bei den Maßnahmen für besonders schutzbedürftige Beschäftigte, die in 29 Prozent der Betriebe Anwendung finden.
Besonderheiten bei der Umsetzung der Maßnahmen mit Blick auf die Betriebsgröße
Die Betriebsgröße zeigt sich als entscheidender Faktor bei der Umsetzung. Mit zunehmender Betriebsgröße werden durchschnittlich mehr Schutzmaßnahmen eingeführt:
- Kleinstbetriebe (weniger als 10 Beschäftigte): 7 Maßnahmen
- Kleinbetriebe (10 bis 49 Beschäftigte): 9 Maßnahmen
- mittlere Betriebe (50 bis 249 Beschäftigte): 10 Maßnahmen
- große Betriebe (250 Beschäftigte und mehr): 11 Maßnahmen.
Zudem ist der Anteil an Kleinstbetrieben, die angeben, dass Schutzmaßnahmen für ihren Betrieb nicht relevant sind, höher als in den anderen Betriebsgrößenklassen. Unterschiede zwischen den Betriebsgrößenklassen zeigen sich vor allem bei den Maßnahmen zur Reduzierung der Kontakthäufigkeit. Während nur 19 Prozent der Kleinstbetriebe angeben, Telearbeit oder Homeoffice-Regelungen erweitert oder eingeführt zu haben, sind es 40 Prozent der Kleinbetriebe, 63 Prozent der mittleren Betriebe und 86 Prozent der großen Betriebe.
Auch Maßnahmen zum Schutz besonders schutzbedürftiger Beschäftigter werden mit steigender Betriebsgröße eher eingeführt (24 % der Kleinstbetriebe bis 67 % der großen Betriebe). Darüber hinaus fällt auf, dass Maßnahmen zur Einhaltung des Mindestabstands mit großer Mehrheit unabhängig von der Betriebsgröße in den Betrieben umgesetzt werden (80 % bis 98 %). Auch allgemeine Verhaltensregeln und Maßnahmen zu Hygiene und Reinigung finden sich in mehr als der Hälfte der Betriebe aller Betriebsgrößenklassen.
Besonderheiten bei der Umsetzung der Maßnahmen mit Blick auf Wirtschaftszweige
Bei einem Vergleich der Umsetzung der Schutzmaßnahmen zwischen den Wirtschaftszweigen zeigen sich ebenfalls Unterschiede im Hinblick auf die durchschnittliche Anzahl und Art der eingesetzten Maßnahmen. Beispielsweise setzen Betriebe aus dem Bereich „Land- und Forstwirtschaft; Bergbau; Energie und Wasser“ im Durchschnitt fünf Maßnahmen ein, während Betriebe aus den Bereichen „Gastgewerbe; Kunst, Unterhaltung und Erholung“, „Erziehung und Unterricht“ sowie „Gesundheits- und Sozialwesen“ im Mittel neun Maßnahmen umsetzen.
Maßnahmen, die von der Mehrzahl der Betriebe aller Wirtschaftszweige eingesetzt werden, betreffen vor allem folgende Verhaltensregeln:
- Hinweise auf Nies- und Hustenetikette
- Beschäftigte mit erkennbaren Symptomen vom Arbeitsplatz fernhalten
- konkrete Erläuterungen und Unterweisungen
- Maßnahmen zur besseren Handhygiene
- Maßnahmen zur Einhaltung des Sicherheitsabstands.
Für die anderen Schutzmaßnahmen liegen erwartungsgemäß deutliche Unterschiede im Hinblick auf die Einführung und Relevanz vor. So wird die Einführung oder Erweiterung von Telearbeit und Homeoffice mit 72 Prozent besonders im Wirtschaftszweig „Information und Kommunikation“ als Maßnahme zum Umgang mit der Corona-Krise genutzt. Die Anpassung der Arbeitszeit- und Pausengestaltung zur Reduzierung der Kontakte findet zu einem großen Anteil in Betrieben aus dem Verarbeitenden Gewerbe mit 47 Prozent und im Bereich „Erziehung und Unterricht“mit 53 Prozent statt. Den Einbau von Schutzscheiben bejahen 57 Prozent der Betriebe aus der Branche „Groß- und Einzelhandel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen“ und 52 Prozent im Bereich „Gesundheits- und Sozialwesen“ (52 %).
Betriebe aus Wirtschaftszweigen mit vielen personenbezogenen Tätigkeiten wie „Gesundheit und Sozialwesen“ (94 %) und aus dem Wirtschaftszweig „Gastgewerbe; Kunst, Unterhaltung und Erholung“ (91 %) greifen zudem besonders häufig auf Mund-Nase-Bedeckungen als Schutzmaßahme zurück. Betriebe aus den Bereichen „Erziehung und Unterricht“ (49 %) sowie „Gesundheits- und Sozialwesen“ (54 %) implementieren besonders häufig Maßnahmen für besonders schutzbedürftige Beschäftigte.
Fazit
Die Betriebsbefragung „Betriebe in der Covid-19-Krise“ zu Aspekten des betrieblichen Arbeits- und Infektionsschutzes zeigt: Durch die erhöhten Anforderungen und Herausforderungen der Covid-19-Pandemie haben die Bedeutung des Arbeits- und Infektionsschutzes in den Betrieben und die damit einhergehenden Anstrengungen zugenommen. Hervorzuheben ist zudem die hohe Beteiligung der Geschäftsführung an der Entwicklung und Umsetzung der Arbeitsschutzmaßnahmen – ein wichtiges Signal an die Beschäftigten.
Die Betriebe haben insgesamt eine Vielzahl der empfohlenen Maßnahmen eingeführt. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen, die Verhaltensregeln etablieren und auf Hygiene und Reinigung abzielen, zum Beispiel Hinweise auf Nies- und Hustenetikette oder Maßnahmen zur besseren Handhygiene. Andere Aspekte der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel werden deutlich seltener eingesetzt, etwa die Einführung von Maßnahmen für besonders schutzbedürftige Beschäftigte und solche zur Berücksichtigung individueller psychischer Belastungen. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung der psychischen Belastungen und der Anforderungen des Infektionsschutzes, um Gefährdungen zu identifizieren und zielgenaue Maßnahmen abzuleiten.
Schließlich zeigen die Ergebnisse Unterschiede in der Umsetzung der Schutzmaßnahmen für Betriebe verschiedener Größen und Wirtschaftszweige. Dies legt nahe, dass es nicht das „eine“ richtige Vorgehen für den Arbeitsschutz in der Covid-19-Pandemie gibt. Betriebe können den branchen-, größen- und betriebsspezifischen Besonderheiten sowie der damit einhergehenden individuellen Gefährdungssituation nur mit einem spezifisch abgestimmten Maßnahmenkonzept begegnen, das regelmäßig auf den Prüfstand gestellt werden muss.
Ein wirksamer Arbeits- und Gesundheitsschutz ist ein wesentlicher Baustein zur Eindämmung der Pandemie. Angesichts der aktuell hohen und stark steigenden Infektionszahlen wird es künftig darauf ankommen, Arbeitsschutzmaßnahmen und wirtschaftliche Aktivitäten besser miteinander in Einklang zu bringen.
Literatur
Bellmann, Lutz; Kagerl, Christian ; Koch, Theresa; König, Corinna ; Leber, Ute; Schierholz, Malte; Stegmaier, Jens; Aminian, Armin (2020): Was bewegt Arbeitgeber in der Krise? Eine neue IAB-Befragung gibt Aufschluss. In: IAB-Forum, 25.9.2020.
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2020): SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel. 1. Auflage. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund.
Elke, Gabriele; Gurt, Jochen; Möltner, Hannah; Externbrink, Kai (2015): Arbeitsschutz und betriebliche Gesundheitsförderung — vergleichende Analyse der Prädiktoren und Moderatoren guter Praxis. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund.
Voß, Stefan; Gritzki, Annina; Bux, Kersten (2020): Infektionsschutzgerechtes Lüften – Hinweise und Maßnahmen in Zeiten der SARS-CoV-2-Epidemie. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund.
Der Beitrag wurde unter Mitarbeit von Beate Beermann (BAuA), Lutz Bellmann (IAB), Christian Kagerl (IAB), Theresa Koch (IAB), Corinna König (IAB), Ute Leber (IAB), Rüdiger Pipke (BAuA), Malte Schierholz (IAB), Anke Siefer (BAuA), Sabine Sommer (BAuA), Jens Stegmaier (IAB), Anita Tisch (BAuA) und Armin Aminian (IAB) erstellt.
Robelski, Swantje; Steidelmüller, Corinna; Pohlan, Laura (2020): Betrieblicher Arbeitsschutz in der Corona-Krise, In: IAB-Forum 28. Oktober 2020, https://www.iab-forum.de/betrieblicher-arbeitsschutz-in-der-corona-krise/, Abrufdatum: 17. November 2024
Autoren:
- Swantje Robelski
- Corinna Steidelmüller
- Laura Pohlan