Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer länger anhaltenden rezessiven Phase, die auch den Arbeitsmarkt beeinträchtigt. Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“, spricht im Interview darüber, was den Arbeitsmarkt im laufenden und im kommenden Jahr voraussichtlich erwartet.

Herr Weber, auch diesen Sommer blieb die wirtschaftliche Lage in Deutschland eingetrübt – woran liegt das?

Portraitfoto Prof. Enzo Weber

Prof. Dr. Enzo Weber leitet den Forschungsbereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am IAB.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer länger anhaltenden rezessiven Phase. Zu Jahresbeginn 2025 zeichnete sich noch eine Besserung ab, im zweiten Quartal sank das Bruttoinlandsprodukt aber wieder. Diesen konjunkturellen Rückschlag führen wir vor allem auf den Außenhandel zurück. Die Weltwirtschaft ist weiter geprägt durch die Handelskonflikte mit den USA, aber auch durch verschiedene geopolitische Konflikte wie im Nahen Osten oder der Ukraine.

Wie ist Ihr Ausblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung?

Angesichts der Ausgangslage gehen wir bis zum Ende dieses Jahres nur von einer leichten Verbesserung der Konjunktur aus. 2026 dürfte das deutsche BIP wieder etwas stärker steigen, auch wenn aufgrund der strukturellen transformationsbedingten Belastungen kräftige Impulse ausbleiben. Die Weltwirtschaft dürfte auch im kommenden Jahr weiter expandieren. Sofern die vereinbarte Zolleinigung mit den USA bestehen bleibt, erwarten wir für das nächste Jahr, dass die Exporte wieder mehr zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Bei den Investitionen gehen wir für dieses Jahr noch davon aus, dass sie sich nur wenig erholen. Nächstes Jahr beginnen dann aber die wirtschaftspolitischen Impulse, vor allem durch das Sondervermögen und die gelockerte Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben zu wirken. Vor allem die verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten und die Senkung der Energiekosten dürften die Investitionen beleben.  Vom privaten Konsum erwarten wir dagegen nur schwache Impulse für die Wirtschaft.

Die Arbeitslosigkeit nimmt seit 2022 zu. Wird sich dieser Trend ändern?

Davon gehen wir aus. Im IAB-Arbeitsmarktbarometer hat sich der zuvor stark pessimistische Ausblick für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit bereits deutlich verbessert. Ein deutlicher Aufschwung ist das natürlich noch nicht. Allerdings ist das Entlassungsrisiko im langjährigen Vergleich immer noch niedrig. Und im Jahresverlauf 2026 sehen wir dann erstmals wieder Rückgänge bei der Zahl der Arbeitslosen.

Wie hält sich die Beschäftigung?

Für den Beschäftigungsaufschwung seit Mitte der 2000er gab es einige Faktoren auf dem Arbeitsmarkt, die wenig mit der Konjunktur zu tun hatten: etwa in steigendes Arbeitskräfteangebot, eine höhere Matchingeffizienz und eine höhere Bereitschaft, Stellen zu schaffen. Zuletzt haben sich allerdings mehrere dieser Faktoren abgeschwächt. So nimmt das Erwerbspersonenpotenzial im Jahr 2026 erstmalig ab. Das begrenzt natürlich die Möglichkeiten für einen Beschäftigungsaufbau, Rekordsteigerungen wie früher sind nicht mehr zu erwarten. Auch wenn im Bestand noch vergleichsweise viele Stellen offen sind, melden die Unternehmen historisch wenige neue Stellen. Dazu kommt, dass die Beschäftigungsentwicklung inzwischen zweigeteilt verläuft: Einerseits sehen wir schrumpfende Branchen wie Industrie, Bau und Zeitarbeit, andererseits wachsen Branchen wie Pflege, Gesundheit und Erziehung. Aufgrund dieser ausgleichenden Effekte, der erwarteten Stabilisierung der Konjunktur und der Begrenzung durch das Erwerbspersonenpotenzial gehen wir davon aus, dass sich die Erwerbstätigkeit eher flach entwickelt.

Da Sie die Industrie ansprechen: In den letzten Monaten häufen sich dort die negativen Schlagzeilen – von rückläufigen Auftragseingängen, Produktionsrückgängen bis hin zum Stellenabbau. Sind das Auswirkungen der konjunkturellen Delle, oder erleben wir eine strukturelle Krise der deutschen Industrie?

Die Industrie befindet sich in einer Transformationskrise. Die wirtschaftlichen Umbrüche infolge der Zeiten- und Energiewende setzen sie unter Druck. Dies führt in Verbindung mit einem schwachen Außenhandel aufgrund der US-amerikanischen Zollpolitik zu einer sinkenden Beschäftigung.

Hat Deutschland in den letzten Jahren Entwicklungen verpasst?

Mit Blick auf Herausforderungen wie Verteidigung, Dekarbonisierung, Digitalisierung oder KI hat Deutschland Nachholbedarf. Die Investitionen sinken seit Jahren, in der Industrie gibt es so wenig Neugründungen wie noch nie und die Stellenmeldungen sind schwach. Unter anderem durch die US-Zollpolitik geraten auch exportorientierte Geschäftsmodelle unter Druck. Deshalb kommt es auf eine durchgreifende wirtschaftliche Erneuerungspolitik an.

Welche politischen Maßnahmen sind dafür nötig?

Wir brauchen eine moderne pro-kompetitive Industriepolitik, die zentrale Transformationsprozesse wie Dekarbonisierung, Digitalisierung und Verteidigung unterstützt. Das angekündigte Finanzierungspaket hat dabei einen Umfang, der stärkere Konjunktureffekte auslösen kann. Entscheidend ist aber die Ausgestaltung dieses Pakets, um eine möglichst hohe Wachstumswirkung über mehr Wettbewerb und Innovation sowie über die Weiterentwicklung von Arbeitskräften zu erreichen. Erfolgreiche Industriepolitik muss Rahmenbedingungen schaffen, die den Wettbewerb fördern. Auch mit Blick auf die Außenwirtschaft müssen neue Märkte und Geschäftsmodelle erschlossen werden. Währenddessen zieht die Verknappung am Arbeitsmarkt an. Erstmals wird das Ausscheiden der Babyboomer auch aufgrund rückläufiger Nettomigration nicht mehr vollständig ausgeglichen. Neben einem Abbau der Arbeitslosigkeit ist deshalb Fachkräftesicherung wichtiger denn je.

 

Weitere Informationen finden Sie im IAB-Kurzbericht 19/2025.

 

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20250924.01

Keitel, Christiane (2025): „Das Erwerbspersonenpotenzial nimmt 2026 erstmalig ab“, In: IAB-Forum 24. September 2025, https://iab-forum.de/das-erwerbspersonenpotenzial-nimmt-2026-erstmalig-ab/, Abrufdatum: 24. September 2025

 

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