Wer sich mitten im Arbeitsleben neue Ziele steckt, bekommt seit 2020 Unterstützung von der Bundesagentur für Arbeit. Mit der Berufsberatung im Erwerbsleben (BBiE) betrat die BA in gewisser Weise Neuland. Welche Erfahrungen sammelte die BA bisher mit dem neuen Angebot? Und wie wird die Arbeit der Beratungsfachkräfte von den regionalen Akteuren in diesem Themenfeld wahrgenommen? Das IAB hat dazu in einer qualitativen Studie zahlreiche Einzelinterviews mit Beratungsfachkräften und weiteren Beteiligten geführt, die als IAB-Forschungsbericht 22/2025 erschienen ist. Zu den Ergebnissen stehen Julia Lang und Linda Heuer der Redaktion des IAB-Forum Rede und Antwort.

In Ihrer Studie bezeichnen Sie das neue Angebot der Berufsberatung für Erwerbstätige als einen Paradigmenwechsel für die Bundesagentur für Arbeit. Wie meinen Sie das?

Julia Lang: Neu ist für die Bundesagentur die Beratung von Personen, die eigentlich bereits im Berufsleben sind und Arbeit haben. Bisher lag der Fokus der Beratung auf Personen, die noch nicht im Arbeitsleben waren oder arbeitslos gemeldet sind.  Mit der Berufsberatung im Erwerbsleben, kurz BBiE, hat die BA ein neues Beratungsangebot für Themen der Weiterqualifizierung und Umorientierung im Beruf geschaffen. Ein Grund hierfür ist, dass Qualifizierungen und Berufswechsel für Beschäftigte in Zukunft infolge der Digitalisierung und der grünen Transformation viel häufiger notwendig sein dürften.

Lang: Qualifizierungen und Berufswechsel für Beschäftigte werden in Zukunft viel häufiger notwendig sein.

In der qualitativen Studie führten Sie ausführliche Interviews. Nach welchen Kriterien wurden die interviewten Personen ausgewählt?

Dr. Julia Lang ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IAB.

Dr. Julia Lang ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Arbeitsförderung und Erwerbstätigkeit“ am IAB.

Lang: Wir haben zunächst, ausgehend von unserer Forschungsfrage, fünf Regionen identifiziert, in denen wir auf Grundlage von verschiedenen Faktoren Unterschiede in den Netzwerkstrukturen und dem vorhandenen Angebot im Bereich der Berufs- und Weiterbildungsberatung erwartet haben. Im nächsten Schritt haben wir Gruppeninterviews mit BBiE-Teams in diesen Regionen und Gespräche mit deren Führungskräften geführt. Auf dieser Basis wurden dann weitere externe Interviewpartner*innen ausgewählt. Dazu zählten zum Beispiel andere lokale Beratungsakteure, Betriebe oder überregionale Stakeholder. Bei den Gesprächen haben wir uns an offenen Leitfragen orientiert und insgesamt 48 Interviews geführt.

Heuer: Auch Berufswechsel aufgrund von gesundheitlichen und besonders psychischen Einschränkungen spielen in der BBiE eine wichtige Rolle.

Welche Antworten der Beratungsfachkräfte haben Sie am meisten überrascht?

Linda Heuer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich "Erwerbslosigkeit und Teilhabe" am IAB.

Linda Heuer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Erwerbslosigkeit und Teilhabe“ am IAB.

Linda Heuer: Anders als erwartet sind nicht nur Themen der Transformation und Digitalisierung für die Berater*innen in ihrer täglichen Arbeit relevant, sondern auch Berufswechsel aufgrund von gesundheitlichen und insbesondere psychischen Einschränkungen. Auch diese Themen wurden von den Berater*innen als zentrale Anliegen in vielen ihrer Gespräche mit Kund*innen genannt. Überrascht hat mich dabei vor allem, dass viele der Interviewten in ihrer Arbeit eine wichtige Präventionsfunktion sehen. Denn viele Personen mit Beratungsbedarf kommen nicht erst dann in die Beratung, wenn sie schon zu krank sind oder arbeitslos zu werden drohen, sondern versuchen, noch in der Erwerbstätigkeit über die Beratung alternative Berufswege zu finden, die sich mit ihrem Gesundheitszustand besser vereinbaren lassen. Das war bei der Einführung der BBiE zwar kein erklärtes Ziel des Angebots, viele Berater*innen sehen die BBiE aber trotzdem als eine gute Ansprechmöglichkeit für diese Gruppe.

Wie schneidet die Berufsberatung im Erwerbsleben aus Sicht der Berater*innen insgesamt ab?

Heuer: Die Berater*innen sehen die BBiE und ihre Arbeit größtenteils sehr positiv. Die Beratung ist sehr offen und kundenorientiert, sodass sie viele positive Rückmeldungen von Kund*innen erhalten. Die Berater*innen erleben ihre Arbeit oft als erfüllend, weil man gemeinsam mit dem Kunden nach Lösungen und Wegen zu einer besseren Berufsmöglichkeit sucht.

Lang: Kritisch sehen viele Berater*innen aber die fehlende Bekanntheit der BBiE in der Bevölkerung. Das ist grundsätzlich der Fall und gilt besonders für einige wichtige Zielgruppen: Viele Berater*innen berichten zum Beispiel, dass häufiger Personen mit Hochschulabschluss in die Beratung kommen als geringqualifizierte Beschäftigte. Dabei wären die Geringqualifizierten oft diejenigen, die davon besonders profitieren würden. In der Erreichung bestimmter Zielgruppen wird also noch Verbesserungspotenzial gesehen.

Heuer: Das wahrgenommene Image der BA stellt teils eine Herausforderung dar.

Was sind die größten Herausforderungen, denen sich die Beratungsfachkräfte stellen müssen?

Lang: Eine Herausforderung, die immer wieder genannt wurde, ist die große Bandbreite an Kund*innen, die in die Beratung kommen. Berufsberatung „im Erwerbsleben“, das kann ja zunächst alle möglichen Menschen einschließen, mit einer Vielzahl von Berufen, Aus- und Weiterbildungswegen, die es in Deutschland gibt und bei denen die Berater*innen sich auskennen müssen, um professionell beraten zu können.

Heuer: Auch das wahrgenommene Image der BA stellt teils eine Herausforderung dar. Wenn Menschen zuvor Erfahrungen mit der Agentur oder den Jobcentern gemacht haben, die aus ihrer Sicht negativ waren, stehen sie einer Beratung durch die BBiE eventuell sehr viel kritischer gegenüber – auch wenn es keine Verpflichtung gibt, das, was in der Beratung besprochen wurde, tatsächlich umzusetzen. Auch Netzwerkpartner*innen, die ihre Kund*innen an die BBiE weitervermitteln möchten, berichten teilweise, dass diese zunächst Vorbehalte haben, die Agentur aufzusuchen. Hiermit müssen die Berater*innen in der Praxis ebenfalls umgehen.

Sie haben nicht nur in der BA selber Befragungen durchgeführt, sondern auch mit externen Netzwerkbeteiligten wie Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Volkshochschulen und anderen städtischen und kommunalen Einrichtungen. Deckt sich deren Wahrnehmung mit der der Berater*innen?

Heuer: Auch von den Netzwerkpartner*innen war der Blick auf die BBiE zum größten Teil positiv. Viele sehen sie als wichtigen neuen Akteur in der Beratungslandschaft. Genau wie die Berater*innen sehen aber auch die Netzwerkpartner*innen, dass die BBiE insgesamt noch zu wenig bekannt ist. Oft reagieren die Menschen überrascht, wenn sie hören, dass man sich von der BA auch im Berufsleben beraten lassen kann. Selbst einige Netzwerkpartner*innen haben erst spät von der BBiE erfahren – oder ihnen ist nicht immer klar, mit welchem Akteur im großen „Block“ der BA sie genau Kontakt haben.

Lang: Die BA muss die BBiE noch stärker bei Beschäftigten und Betrieben bewerben.

Nach all den Gesprächen mit den Beteiligten: Wo kristallisiert sich für Sie noch Verbesserungspotenzial bei der Berufsberatung heraus?

Lang: Ganz wichtig ist auf jeden Fall die Bekanntheit des Angebots. Die BBiE sollte durch die BA noch stärker beworben werden, damit die Beschäftigten überhaupt wissen, dass sie sich bei der Bundesagentur beraten lassen können, wenn sie Qualifizierungen benötigen oder ihren Berufszweig wechseln müssen oder wollen. Auch viele Betriebe wissen offenbar noch nichts von dem Angebot, obwohl sie es ja auch für ihre Bedarfe in Anspruch nehmen können.

Literatur

Hartosch, Katja; Heuer, Linda; Lang, Julia; Ulrich, Angela (2025): Stakeholder-Perspektiven auf die Berufsberatung im Erwerbsleben (BBiE): Ergebnisse einer qualitativen Studie. IAB-Forschungsbericht Nr. 22.

Heusler, Anna; Lang, Julia; Stephan, Gesine: Wer nutzt die „Berufsberatung im Erwerbsleben“ der Bundesagentur für Arbeit? In: IAB-Forum, 24.1.2024.

 

Bild: contrastwerkstatt/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20251114.01

Keitel, Christiane; Schludi, Martin (2025): „Die Berufsberatung im Erwerbsleben wird als sehr offen und kundenorientiert wahrgenommen“, In: IAB-Forum 14. November 2025, https://iab-forum.de/die-berufsberatung-im-erwerbsleben-wird-als-sehr-offen-und-kundenorientiert-wahrgenommen/, Abrufdatum: 15. November 2025

 

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