Das Thema „Flexible Beschäftigung“ wird aufgrund der Globalisierung und der Digitalisierung weiterhin einen Spitzenplatz auf der Agenda der Personalpraktiker innehaben, sagte IAB-Direktor Prof. Joachim Möller zum Auftakt des 7. interdisziplinären „Forums Zeitarbeit“ am 28. Februar 2018 in Nürnberg. Das hätten Erfahrungen in anderen Ländern gezeigt. Die Frage sei, wie man die unstrittigen Flexibilitätsinteressen der Unternehmen in Einklang mit den Bedürfnissen der Beschäftigten nach sozialer Sicherheit bringen könne. Positiv würdigte Möller, dass sich die Zeitarbeit für viele Migranten als Sprungbrett für die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt erwiesen habe.
Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
Volker Homburg, geschäftsführender Gesellschafter der ZIP-Zeitarbeit und Personalentwicklung sowie seit über 20 Jahren Mitglied der Tarifkommission des Interessensverbandes deutscher Zeitarbeitsunternehmen, referierte über Digitalisierung und Zeitarbeit. Er ging dabei auch auf die im Vorjahr erfolgte Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) ein. Ziel dieser Novellierung war es, Gerechtigkeitslücken zu schließen, Scheinwerkverträge zu unterbinden und Übernahmen zu erwirken.
Die erweiterten Dokumentationspflichten seien aus Sicht der in der Zeitarbeitsbranche tätigen Unternehmen in den Zeiten der Digitalisierung ein Anachronismus, sagte Homburg unter anderem mit Blick auf das Schriftlichkeitsgebot. Die Branche bewältige diese Herausforderungen jedoch. Problematisch sei, dass Entleihbetriebe oftmals nicht im Blick hätten, welche Informationen die Verleihbetriebe benötigten, um den Dokumentationspflichten zu genügen.
„Was wir als Zeitarbeit leisten, wird immer das persönliche Gespräch brauchen“, erklärte Homburg. Große Zeitarbeitsunternehmen machten zum Beispiel beim Rekrutierungsprozess keine guten Erfahrungen mit Call-Centern. „Wir sind gut als Berater für Betriebe und für Lebensphasenmodelle der Beschäftigten.“
Struktur- und Einkommenssituation in der Zeitarbeit
Seit 2012 haben die deutschen Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände in der Zeitarbeitsbranche Branchenzuschlagstarifverträge vereinbart. Der Frage nach deren Wirkungen ging Johannes Jakob, Leiter der Abteilung „Arbeitsmarktpolitik“ beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und Mitglied des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit (BA), in seinem Vortrag nach.
Nach den Daten der Arbeitnehmerüberlassungsstatistik sind knapp 50 Prozent der in der Leiharbeit Beschäftigten ein Jahr und länger im selben Entleihbetrieb tätig. Das heißt, dass die andere Hälfte der Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer aufgrund der kürzeren Beschäftigungsdauer nicht von Zuschlägen profitieren können, die nach neun Monaten gezahlt werden.
Auswertungen der Statistik der BA für die Jahre 2012 bis 2016 zeigen, dass der Lohnabstand zwischen den Leiharbeitnehmern und allen anderen Beschäftigten in diesem Zeitraum nur wenig zurückgegangen ist: von 44,5 Prozent im Jahr 2012 auf 42,0 Prozent im Jahr 2016. Der aktuelle Lohnabstand beträgt für Helfer 28 Prozent, für Fachkräfte 26 Prozent, für Spezialisten 16 Prozent und für Experten 14 Prozent.
Allerdings, so Jakob, gebe es auch Bereiche wie bei den Helfern in der Ver- und Entsorgung, in denen der Lohnabstand mit 47 Prozent wesentlich höher sei. Eine Erklärung für den großen Lohnabstand bestehe darin, dass diese Leiharbeitnehmer weniger oder keine Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld oder zusätzliches Urlaubsgeld erhielten.
Obwohl der Anteil der Helfer 54 Prozent beträgt, verfügen 64 Prozent von ihnen über eine abgeschlossene Ausbildung oder ein Studium. Deshalb stellt sich aus Sicht von Johannes Jakob die Frage, ob zwischen der ausgeübten Tätigkeit und der Bezeichnung dieser Tätigkeit Unterschiede bestehen.
In der Leiharbeit dominiert die 35-Stunden-Woche
Durch die 35-Stunden-Woche, die in der Leiharbeit dominiert (sie gilt statistisch als Vollzeit), werden in der Verbindung mit dem Arbeitszeitkonto faktisch weniger Lohnstunden bezahlt als bei anderen Beschäftigten. Branchenvertreter würden hierbei entgegnen, so Jakob, dass viele Leiharbeiter zwar Facharbeiterbriefe besäßen, aber seit Längerem nicht mehr in dem Beruf tätig seien oder aus der Langzeitarbeitslosigkeit kämen. Mitarbeitern einen Teil ihres Einkommens vorzuenthalten, widerspreche den Interessen der Zeitarbeitsunternehmen, da sie dann niedrigere Verrechnungssätze erhielten.
Werner Widuckel, Inhaber der Lehrprofessur für Personalmanagement und Arbeitsorganisation technologieorientierter Unternehmen an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wies darauf hin, dass Beschäftigte sehr unterschiedlich bezahlt werden – je nachdem, ob sie in tarifgebundenen Unternehmen tätig sind oder nicht. Johannes Jakob regte an, darüber nachzudenken, andere Optionen als die 35-Stunden-Woche zu prüfen.
Ist die Bezeichnung „atypisch“ noch zeitgemäß?
„Flexible Beschäftigungsformen sind nicht mehr so kontrovers“, sagte Privatdozent Dr. Alexander Spermann von der Universität Freiburg/Breisgau zu Beginn seines Vortrags, „aber es gibt noch einige Probleme dabei.“ Der Fokus sollte seiner Ansicht nach auf dem Aufstieg durch Weiterbildung liegen und nicht auf dem Festhalten an einer bestimmten Vertragsform.
Spermann warnte vor der „Illusion des Dauerarbeitsplatzes“: Es sei zu überlegen, ob die Bezeichnung von Erwerbsformen wie Teilzeitbeschäftigung, Leiharbeit, befristeter Beschäftigung und Soloselbstständigkeit als „atypisch“ angesichts ihrer Bedeutung noch zeitgemäß sei. Seiner Ansicht nach ist damit eine Diskriminierung verbunden statt einer Ermunterung zu Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.
Nach Ansicht von Johannes Jakob war Hartz IV nicht der Treiber für die Entwicklung der Leiharbeit, sondern die BA, die Leiharbeitnehmer notfalls wieder „zurücknehme“, so dass sich die Frage der Nachbeschäftigung für die Verleihbetriebe nicht stelle.
Coworking Spaces als Substitution oder Begleitung von Zeitarbeit?
Ricarda B. Bouncken, Inhaberin des Lehrstuhls für Strategisches Management an der Universität Bayreuth, berichtete über Teilergebnisse eines kürzlich abgeschlossenen Projekts zum Thema „Coworking Space“ (CWS), einem weltweiten Trend, der mittlerweile auch in Deutschland angekommen ist.
209 Coworking Spaces gibt es derzeit hierzulande, fast nur in urbanen Räumen. Sie bieten Gemeinschaftsgefühl, Kontakt- und Lernmöglichkeiten. Dabei sind verschiedene Formen zu unterscheiden, etwa unabhängige, korporative, unternehmensinterne und offene CWS. Man könne interne und unabhängige CWS verbinden, so Bouncken, auch zur Personalakquise und -entwicklung.
Besonders interessant ist laut Bouncken die Zusammenarbeit von Beratungsfirmen mit Kunden in solchen Coworking Spaces: „Wir sehen den Aufbau eines Gemeinschaftsgefühls – auch von Leuten, die sich noch nicht lange kennen, mit gemeinsamen Ideen.“ Eine weitere Forschungsfrage sei, inwieweit Zeitarbeitsunternehmen versuchten, Coworking Spaces zu fördern. Deren Merkmale Offenheit, Flexibilität und Fluidität seien auch Merkmale der Zeitarbeit.
Zeitarbeit hat sich etabliert und stabilisiert
An der abschließenden Podiumsdiskussion, die von Prof. Werner Widuckel geleitet wurde, nahmen die folgenden Expertinnen und Experten teil: Stephanie Burandt von der Firma I.K. Hofmann GmbH mit Sitz in Nürnberg für den Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister; Johannes Jakob vom DGB; Jörg Kunkel, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik beim Hauptvorstand der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE); Werner Stolz, Hauptgeschäftsführer des Interessensverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ), und IAB-Forscher Dr. Peter Heller.
Nach Ansicht von Johannes Jakob hat sich die Leiharbeit etabliert und stabilisiert. Gleichwohl stehe sie aus verschiedenen Gründen unter Druck. Er erwartet keinen deutlichen Rückgang, aber auch kein Wachstum der Branche etwa auf zwei Millionen Beschäftigte. „Wir haben hier viel über den Helferbereich diskutiert, aber es gibt auch Spezialmärkte im Gesundheits- und Pflegebereich sowie für Hochqualifizierte.“
Durch die Digitalisierung können sich Strukturen ändern
Werner Stolz sieht die Branche ebenfalls nicht am Scheideweg. Die Branche sei nahezu vollständig tarifiert, zahlreiche veränderte gesetzliche Rahmenbedingungen seien umgesetzt worden. Die Weiterentwicklung der Branche sei das Entscheidende. So könne sich durch die Digitalisierung vieles an den Strukturen in der Zeitarbeit ändern. Auch für Stephanie Burandt ist die Digitalisierung ein sehr wichtiges Thema. Sie fragte danach, wie die Zeitarbeitsunternehmen Prozesse digitalisieren und Mitarbeiter binden könnten.
Peter Heller ging auf die Lohndifferenziale ein, die das IAB untersucht. Es legt dabei ein anderes Messkonzept zugrunde als die Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes: „Wir können nicht die Verleihzeiten, sondern nur die Beschäftigungszeiten evaluieren, so dass die Heterogenität in der Zeitarbeit nicht erfasst werden kann.“ Werner Widuckel regte an, ergänzend zum IAB-Betriebspanel eine Erhebung bei Betrieben mit Arbeitnehmerüberlassung durchzuführen
Wie sieht „gute Zeitarbeit“ aus?
Widuckel fragte die Diskutanten außerdem danach, wie ihrer Ansicht nach „gute Zeitarbeit“ aussähe. Johannes Jakob plädierte für eine bessere Organisation von Überbrückungszeiten, zum Beispiel durch die Einrichtung von Branchenfonds. Arbeitnehmer empfänden es als große Ungerechtigkeit, dass sie mit dem Risiko des Wechsels – das heißt, immer erst nach einer erneuten Einarbeitungszeit wie Stammarbeitskräfte bezahlt zu werden – belastet würden.
Werner Stolz betonte die Rolle der Tarifpartner: Sie sollten bestimmen, was gute Zeitarbeit ist, und nicht der Staat. Stephanie Burandt ergänzte: „Zeitarbeit funktioniert nur, wenn alle Seiten mitspielen.“
Integration von Geflüchteten in Beschäftigung
Aus der Sicht von André Müller von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist die Integration von Geflüchteten ein spannendes Thema, denn auch die Arbeitsmarktforschung sei an der Brückenfunktion von Zeitarbeit interessiert. Wichtig wäre es, diese Gruppe während ihrer Beschäftigung weiter zu qualifizieren, betonte Johannes Jakob.
Stephanie Burandt berichtete, dass ein Drittel aller erwerbstätigen Geflüchteten in der Zeitarbeit beschäftigt sind. Die Branche müsse respektieren, dass Flüchtlinge ihre eigenen Vorstellungen hätten, ihre berufliche Zukunft zu gestalten.
Insgesamt hat die Branche große Erfahrungen bei der Integration von Ausländern in Beschäftigung: Ausländische Männer sind in der Leiharbeit etwa dreimal so stark vertreten wie unter allen Beschäftigten; ausländische Frauen immerhin noch doppelt so stark. Es gehe daher mehr um das Wie als um das Ob, ergänzte Werner Widuckel.
Prof. Lutz Bellmann, Leiter des Forschungsbereichs „Betriebe und Beschäftigung“ am IAB, kündigte an, dass die mittlerweile etablierte Veranstaltungsreihe fortgesetzt wird.
Fotos: Kurt Pogoda, IAB
Autoren:
- Lutz Bellmann