18. Dezember 2018 | Serie „Leben und Arbeiten in der Zukunft“
Digitalisierung und Führung: Unterstützen und gestalten statt kontrollieren
Die Nutzung mobiler Endgeräte und die Ausbreitung des Breitband-Internets haben die Digitalisierung der Arbeitswelt in den letzten Jahren schnell vorangetrieben. Orts- und zeitflexibles Arbeiten rückt an vielen Arbeitsplätzen immer stärker in den Fokus.
Nach den Ergebnissen der Beschäftigtenbefragung des Linked Personnel Panels des IAB gibt in Deutschland ein Drittel der privatwirtschaftlichen Betriebe mit 50 und mehr Beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten.
Die Auswertungen zeigen weiterhin, dass die Beschäftigten die Vorteile von Homeoffice – geringere Pendelzeiten, Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie die Möglichkeit, bestimmte Aufgaben zu Hause besser erledigen zu können – schätzen.
Die Befragten problematisieren andererseits aber auch die möglicherweise geringere Sichtbarkeit ihrer Leistungen gegenüber Vorgesetzten und den reduzierten Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen im Team, wie eine Studie von Daniel Arnold, Susanne Steffes und Stefanie Wolter aus dem Jahr 2015 zeigt.
Dabei haben Betriebe und öffentlicher Dienst ihre Arbeitsstrukturen (Aufbau- und Ablauforganisation) und ihre Personalpolitik vielfach erst teilweise an die neuen Möglichkeiten und Erfordernisse des flexiblen Arbeitens (Arbeitsort und Arbeitszeit) infolge der zunehmenden Digitalisierung angepasst.
Bedürfnisse der Beschäftigten und der Unternehmen müssen ausbalanciert werden
Bei der Entwicklung von flexiblen Arbeitszeitmodellen und der Gestaltung flexibler Formen der Arbeitsorganisation müssen die Bedürfnisse der Beschäftigten und der Unternehmen sorgfältig ausbalanciert werden. Flexible Regelungen zu Arbeitszeit und Arbeitsort müssen daher zunehmend ganzheitlich gestaltet werden.
Insbesondere wenn Leistungen im Team erbracht werden, erscheint Flexibilität auf der Teamebene besonders wichtig, um die Interessen und Bedürfnisse der Teammitglieder mit den Leistungserwartungen des Unternehmens in Einklang zu bringen.
Das bedeutet aber auch, dass bei der Steuerung des Verhaltens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die anzustrebenden Arbeitsergebnisse im Mittelpunkt stehen müssen – nicht die Detailkontrolle der Arbeitsausführung. Dies erfordert regelmäßige Meetings und Videokonferenzen für die Abstimmung im Team, deren Planung sinnvollen inhaltlichen Meilensteinen folgen muss.
Führungskräfte werden zum Gestalter von Kooperation
Die Rolle der Führungskraft entwickelt sich damit zu der eines Gestalters von Kooperation, wie Jutta Rump und Silke Eilers in einem Beitrag aus dem Jahr 2015 deutlich machen. Hierbei rückt die Entwicklung einer gemeinsamen Arbeitsgrundlage für Teams in den Vordergrund, die sich nicht nur auf gemeinsame Ziele, sondern auch auf geteilte Werte und Normen beziehen muss.
In diesem Zusammenhang führen flexible Arbeitsformen zu einem Wandel weg von der Präsenzkultur hin zur Vertrauenskultur. Zudem gilt es, die Eigenverantwortung und Selbststeuerung der Beschäftigten zu fördern. Die Führungskräfte sind im Kontext der Digitalisierung zunehmend gefordert, diesen kulturellen Wandel in den Teams zu managen.
Führungskräfte benötigen Handlungs- und Gestaltungsspielräume
Die Führungskräfte gestalten darüber hinaus die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen an entscheidender Stelle, wenngleich ihrem Einfluss dabei oft Grenzen gesetzt sind. Dabei sind im Rahmen „Psychologischer Verträge“ die Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen: Die Beschäftigten erwarten, dass das Unternehmen als Gegenleistung für ihr Engagement ihre subjektiven Erwartungen erfüllt. Diese Erwartungen können sowohl kurzfristig (zum Beispiel hinsichtlich der Vergütung), als auch langfristig (zum Beispiel hinsichtlich der beruflichen Entwicklung) angelegt sein.
Führungskräfte können diese Erwartungen und Anforderungen allerdings nur dann erfüllen, wenn sie die erforderlichen Handlungs- und Gestaltungsspielräume haben. Hierzu gehören Entscheidungskompetenzen sowie Zeit zur Kommunikation und Interaktion. Dialogbasierte Führungsinstrumente sollten die Führungsarbeit unterstützen.
Führungskräfte sind nicht nur bei der Schaffung von Transparenz über betriebliche Entwicklungen und Organisationsziele gefordert. Es ist gerade in Zeiten von Social Media auch erforderlich, interne und externe Kommunikation in Einklang zu bringen.
Aufgaben der Personalentwicklung nehmen zu
Im Zuge der Digitalisierung müssen Führungskräfte zudem stärker Aufgaben der Personalentwicklung übernehmen. Dazu gehört nicht nur, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren, ihr Entwicklungs- und Leistungspotenzial zu nutzen, sondern diese auch konkret bei der Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen zu unterstützen.
Rump und Eilers heben in ihrem oben bereits erwähnten Beitrag hervor, dass dabei personenbezogene Faktoren in dem Maße an Relevanz gewinnen, wie sachbezogene Faktoren unüberschaubarer und damit unsicherer und komplexer werden (zum Beispiel durch die gestiegene Unsicherheit aufgrund sich wandelnder Märkte). Es gilt daher, Personalentwicklung und Personalmanagement insgesamt individueller auszugestalten, beispielsweise durch die Einbeziehung der individuellen Berufs- und Lebensplanung.
Dialog und Interaktion zwischen Führungskraft und Beschäftigten rücken in den Vordergrund
Personalentwicklung wird zunehmend von Dialog und Interaktion zwischen Führungskraft und Beschäftigten geprägt sein müssen. Neben der horizontalen und vertikalen Personalentwicklung sind hierbei nicht nur Erwartungshaltungen zu klären (Psychologischer Vertrag), sondern auch Fragen der Unter- und Überforderung sowie der individuellen Berufs- und Lebensplanung, die im Kontext der Digitalisierung und des demografischen Wandels an Bedeutung gewinnen.
Das bisher Gesagte gilt in besonderem Maße für virtuelle Teams und Strukturen. Dabei geht es um die Zusammenarbeit von Menschen, die räumlich voneinander getrennt an gemeinsamen Aufgaben arbeiten und deren Kommunikation durch moderne Informations- und Kommunikationsmittel wesentlich verbessert werden konnte – nicht nur in den wissens- und/oder dienstleistungsbezogenen Tätigkeiten.
Die infolge des demografischen Wandels verringerte Verfügbarkeit von Fachkräften, die zunehmende zwischenbetriebliche Vernetzung als Voraussetzung für eine vertiefte Arbeitsteilung und die Verkürzung der Planungszeiträume durch die höhere Geschwindigkeit der Kommunikation führen dazu, dass die Bedeutung von Arbeitskräften, die nicht zur Stammbelegschaft gerechnet werden können, wächst.
Erhaltung der Beschäftigungs- und Arbeitsfähigkeit ist ein wichtiges Ziel
Die Etablierung einer in diesem Sinne altersgerechten und alternsgerechten Führung gehört nach einer empirischen Untersuchung von Lutz Bellmann, Sandra Dummert und Ute Leber zur Einstellung und (Weiter-)Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in Betrieben der Chemieindustrie (noch) nicht zu den wichtigeren Aspekten bei der Betrachtung der betrieblichen Altersstruktur.
Ziel muss es daher sein, die Beschäftigungs- und Arbeitsfähigkeit aller Beschäftigten in jeder Lebensphase zu fördern und zu erhalten. Damit wird das Managen von Beschäftigten mit unterschiedlichem kulturellen, sozialen und beruflichen Hintergrund zu einer immer wichtigeren Führungsaufgabe.
Führungskräfte benötigen selber vielfältige Kompetenzen
Die Digitalisierung und die damit verbundenen Veränderungen im Bereich der Arbeitsorganisation, Arbeitsprozesse und Arbeitsergebnisse stellen daher auch besondere Herausforderungen für die Weiterbildung und Kompetenzentwicklung von Führungskräften dar. Es geht darum, die betrieblichen Veränderungsprozesse zu initiieren und voranzutreiben. Dafür sind vielfältige Sozial- und Steuerungskompetenzen, Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft und Selbstorganisation wichtig.
Die Abkehr von Top-Down-Entscheidungen zu mehr Eigenverantwortung wird nach einer Studie von Lorenz S. Forchhammer aus dem Jahr 2018 zu einem kritischen Veränderungsprozess. Denn diese Abkehr bedeutet einerseits den Abschied von bisher stabilen unternehmenskulturellen Grundlagen. Andererseits hängt der Erfolg der Digitalisierung im Sinne einer höheren Motivation der Beschäftigten und der Entwicklung von agilen Arbeitsprozessen davon ab.
Der veränderte Führungsstil gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die eigenständig Entscheidungen treffen und ihre Arbeit flexibel gestalten sollen und wollen, impliziert, dass Führungskräfte stärker die Rolle eines Unterstützers übernehmen. Die Rolle des Verhaltens- und Ausführungskontrolleurs tritt demgegenüber in den Hintergrund.
Literatur
Arnold, Daniel; Steffes, Susanne; Wolter, Stefanie (2015): Mobiles und entgrenztes Arbeiten. Aktuelle Ergebnisse einer Betriebs- und Beschäftigtenbefragung. Hrsg. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin.
Bellmann, Lutz; Dummert, Sandra; Leber, Ute (2018): Konstanz altersgerechter Maßnahmen trotz steigender Beschäftigung Älterer. WSI-Mitteilungen, Jg. 71, Heft 1, S. 20–27.
Forchhammer, Lorenz S. (2018): Studie zur digitalen Transformation: Macht und Verantwortung noch ungleich verteilt. Arbeit und Arbeitsrecht Jg. 73, Heft 4, S. 230–232.
Rousseau, Denise M. (2005): I-deals: Idiosyncratic Deals Employees Bargain for Themselves. New York: M.E. Sharp.
Rump, Jutta; Eilers, Silke (2015): Führung für die Zukunft – neue Arbeitskultur und soziale Beziehungen. In: W. Widuckel; K. de Molina; M. J. Ringlstetter; D. Frey (Hrsg.): Arbeitskultur 2020. Herausforderungen und Best Practices der Arbeitswelt der Zukunft. Wiesbaden: Springer Gabler, S. 291–306.
Widuckel, Werner (2018): Kompetent führen in der Transformation. In: K. De Molina; S. Kaiser; W. Widuckel (Hrsg.): Kompetenzen der Zukunft – Arbeit 2030; Göttingen: Haufe, S. 205–236.
Behrens, Beatrix; Bellmann, Lutz; Widuckel, Werner (2018): Digitalisierung und Führung: Unterstützen und gestalten statt kontrollieren, In: IAB-Forum 18. Dezember 2018, https://www.iab-forum.de/digitalisierung-und-fuehrung-unterstuetzen-und-gestalten-statt-kontrollieren/, Abrufdatum: 21. November 2024
Autoren:
- Beatrix Behrens
- Lutz Bellmann
- Werner Widuckel