13. Januar 2021 | Bildung vor und im Erwerbsleben
Erwerbslose in der Grundsicherung: Welche Faktoren begünstigen die Aufnahme stabiler Beschäftigungsverhältnisse?
Wer Arbeitslosengeld II (ALG II) bezieht, gilt in der Vorstellung vieler Menschen als langzeitarbeitslos. Tatsächlich gibt es aber auch kurzzeitarbeitslose und erwerbstätige ALG-II-Beziehende. Jährlich nehmen erwerbslose ALG-II-Beziehende rund eine Million sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse auf.
Arbeitslosengeld-II-Beziehende sind seit 2005 verpflichtet, jedes zumutbare Stellenangebot anzunehmen, um so zur Reduzierung ihrer Hilfebedürftigkeit beizutragen. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass die Beschäftigungsverhältnisse oftmals nicht sehr attraktiv sind: Vier Fünftel der aufgenommenen Vollzeitbeschäftigungen liegen im Niedriglohnbereich. Bei 42 Prozent der aufgenommenen Tätigkeiten handelt es sich im Wesentlichen um Helfertätigkeiten, also häufig manuelle Tätigkeiten, für die in der Regel kein Ausbildungsabschluss notwendig ist. Das heißt aber nicht unbedingt, dass die betroffenen Personen keinen Berufsabschluss haben. Tatsächlich verfügen 44 Prozent der Leistungsbeziehenden, die eine Helfertätigkeit aufgenommen haben, über einen beruflichen Abschluss.
Diese Beschäftigungsverhältnisse sind zudem häufig nur von kurzer Dauer und beenden in vielen Fällen die Hilfebedürftigkeit nicht. Wie Kerstin Bruckmeier und Katrin Hohmeyer im Kurzbericht 2/2018 zeigen, ist fast die Hälfte dieser Beschäftigungen kürzer als sechs Monate. Gut die Hälfte der erwerbslosen ALG-II-Beziehenden, die einen Job aufnehmen, können den Leistungsbezug für mindestens einen Monat verlassen. Dabei spielt eine Rolle, dass 38 Prozent der von den ALG-II-Beziehenden aufgenommenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse Teilzeitjobs sind. 46 Prozent der Arbeitsaufnahmen von erwerbslosen Arbeitslosengeld-II-Beziehenden stammen von Personen, die innerhalb des letzten Jahres bereits sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Offensichtlich gibt es unter den Leistungsempfängern eine Gruppe von Personen, die wiederholt Jobs aufnehmen, die dann nur von kurzer Dauer sind.
Das IAB hat die Bestimmungsfaktoren für den Übergang von erwerbslosen ALG-II-Beziehenden in Beschäftigung und die Stabilität der aufgenommenen Beschäftigung genauer unter die Lupe genommen (siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Wichtige Erkenntnisse daraus werden nachfolgend präsentiert. Die Ergebnisse beziehen sich auf einen Zeitraum vor der Covid-19-Pandemie.
Frauen brauchen länger um eine Beschäftigung aufzunehmen als Männer, sind dann aber stabiler beschäftigt
Zunächst wurden mögliche Unterschiede im Erwerbsverhalten von Männern und Frauen in den Blick genommen. Die Ergebnisse zeigen, dass ALG-II-beziehende Frauen zwar länger für eine Erwerbsaufnahme brauchen, sie dann jedoch im Schnitt länger beschäftigt sind. Dabei nehmen Frauen mit kleinen Kindern beziehungsweise einem Partner weniger schnell eine Arbeit auf als Frauen ohne Kinder beziehungsweise ohne Partner. Wenn sie aber eine Arbeit aufnehmen, dann ist diese stabiler als bei Frauen ohne Kinder beziehungsweise ohne Partner. Mangelnde Kinderbetreuungsangebote können eine Beschäftigungsaufnahme erschweren. Die Beschäftigungschancen von Männern sind dagegen von Kindern oder einer Partnerin weniger stark beeinflusst. Das Vorhandensein von Kindern oder einer Partnerin geht jedoch mit einer stabileren Beschäftigung von Männern einher.
Mit zunehmendem Alter sinkt bei Männern wie Frauen die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen. Bei Männern ist dies bereits ab einem Alter von 35 Jahren zu beobachten, bei Frauen ab 45 Jahren. Was die Beschäftigungsstabilität betrifft, spielt das Alter bei Männern und Frauen eine unterschiedliche Rolle: Frauen ab 35 Jahren sind länger beschäftigt als jüngere. Demgegenüber sind Männer ab einem Alter von 40 Jahren für kürzere Zeit beschäftigt als jüngere Männer zwischen 30 und 34 Jahren.
Da Männer und Frauen generell in unterschiedlichen Berufen arbeiten und Männer dabei häufiger in Berufen mit belastenden Umweltfaktoren und körperlicher Belastung tätig sind, könnte es für Männer im höheren Alter schwieriger sein, einen Arbeitsplatz zu finden und zu halten. Möglicherweise müssten Männer in höherem Erwerbsalter speziell dabei unterstützt werden, ihre Beschäftigungschancen und die Arbeitsplatzstabilität zu verbessern.
Bildung und Arbeitsmarkterfahrung begünstigen Erwerbsaufnahme und Beschäftigungsstabilität
Die Auswertungen zeigen auch, dass ALG-II-Beziehende mit höherer Schul- und Berufsbildung schneller eine Beschäftigung aufnehmen und in dieser verbleiben als solche ohne Bildungsabschluss. Zudem gelingt Erwerbslosen, die ALG II beziehen, die Aufnahme einer Beschäftigung umso weniger, je länger die letzte Beschäftigung zurückliegt: Der Übergang in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gelingt am ehesten, wenn die letzte Erwerbserfahrung weniger als einen Monat zurückliegt, wobei es hier sein kann, dass die ALG-II-Beziehenden die neue Beschäftigung bereits gefunden hatten, bevor die alte beendet war. Umgekehrt dauert es für ALG-II-Beziehende, die seit 1993 nicht beschäftigt waren (ältere Daten liegen nicht vor), im Schnitt am längsten, bis diese eine Beschäftigung aufnehmen (siehe Abbildung 1).
Ein teilweise ähnliches Muster zeigt sich bei der Dauer der aufgenommenen Beschäftigung: ALG-II-Beziehende, die eine Beschäftigung aufgenommen haben und vorher nur für weniger als einen Monat erwerbslos waren, werden seltener wieder erwerbslos als ALG-II-Beziehende, die seit 1993 noch nie beschäftigt waren. Insgesamt jedoch besteht kein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Beschäftigungsdauer und der Dauer der Erwerbslosigkeit vor der Beschäftigungsaufnahme (siehe Abbildung 2).
Personen, die längere Zeit nicht erwerbstätig waren, brauchen zwar länger, um eine Beschäftigung aufzunehmen, werden aber nicht unbedingt schneller wieder erwerbslos. Männer, die nach ein bis vier Jahren Erwerbslosigkeit eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus dem ALG-II-Bezug heraus aufnehmen, sind im Schnitt genauso lange beschäftigt wie vergleichbare Männer, die nur ein bis drei Monate nicht gearbeitet haben.
Bei Frauen ist die Beschäftigung sogar stabiler, wenn ihr letzter Job ein bis vier Jahre anstatt nur ein bis drei Monate zurückliegt. Möglicherweise weist eine kürzere Zeit seit der letzten Beschäftigung darauf hin, dass betroffene Personen häufiger zwischen Erwerbstätigkeit und Erwerbslosigkeit wechseln und in Arbeitsmarktsegmenten mit kurzen Beschäftigungsdauern arbeiten. Dies könnte wiederum dazu beitragen, dass diese Erwerbsverläufe auch in Zukunft weiterhin instabil sind (für eine weitere Diskussion der Zusammenhänge siehe auch die Untersuchung von Matthias Umkehrer im IAB-Kurzbericht 15/2020).
Bestimmte Branchen bieten zwar einen schnellen, jedoch oft keinen dauerhaften Eintritt in den Arbeitsmarkt
Darüber hinaus sind Beschäftigungsmerkmale wie die Branche sehr relevant. So bieten Arbeitsplätze in bestimmten Branchen zwar einen schnellen Eintritt in den Arbeitsmarkt, versprechen aber nicht unbedingt langfristige Beschäftigungsperspektiven. Das trifft beispielsweise auf Beschäftigte in der Zeitarbeitsbranche zu. Hier sind die Übergangsraten von einer Beschäftigung zurück in die Nichtbeschäftigung vergleichsweise hoch. Dies ist nicht überraschend, da Leiharbeitsplätze in der Regel nicht von langer Dauer sind. Eine kürzere Beschäftigungsdauer findet sich auch in der Land- und Forstwirtschaft, bei „sonstigen Dienstleistungen“ wie Gebäudereinigung und privaten Wach- und Sicherheitsdiensten sowie im Bereich „Information und Kommunikation“.
Bei Männern gilt dies auch für verschiedene andere Branchen wie dem Baugewerbe oder Transport und Lagerung. Mehrere dieser Branchen haben einen hohen Anteil an Saisonarbeit. Im Gegensatz dazu ist die Beschäftigung im Gesundheits- und Pflegesektor und in den Bereichen Immobilien sowie bei „beruflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen“ stabiler. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass bestimmte Branchen ALG-II-Beziehenden zwar überproportional viele Beschäftigungsmöglichkeiten bieten, jedoch oftmals keine langfristigen.
Fazit
Bisherige Ergebnisse zeigen, dass ALG-II-Beziehende gar nicht so selten, wie vielfach angenommen, eine Beschäftigung aufnehmen. Dies sind aber oftmals keine stabilen Beschäftigungen. Insgesamt zeigt sich, dass Arbeitsmarktressourcen wie ein höherer Bildungsabschluss der Aufnahme einer Beschäftigung und deren Erhalt förderlich sind. Zudem finden bestimmte Gruppen von ALG-II-Beziehenden, etwa Mütter oder Frauen im Alter ab 50 Jahren, zwar langsamer eine Beschäftigung als andere, können diese aber eher halten.
Ungeachtet des Aktivierungsprinzips und der damit verbundenen Erwartung an ALG-II-Beziehende, jedes Arbeitsplatzangebot anzunehmen, haben es bestimmte Personengruppen schwer, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Dazu gehören Menschen ohne Bildungsabschluss oder ohne Berufserfahrung sowie ältere Menschen.
Eine Vermittlung in ungeförderte Beschäftigung sollte weiterhin Vorrang haben. Dennoch könnte ein noch stärkerer Einsatz von Qualifizierungsmaßnahmen oder auch von Lohnsubventionen, die sich zielgerichtet an soeben genannte Personengruppen mit Vermittlungshemmnissen richten, dazu beitragen, ihren Zugang zum Arbeitsmarkt zu verbessern und zu stabilisieren.
Darüber hinaus bieten Arbeitsplätze in bestimmten Branchen, die einen schnellen Eintritt in den Arbeitsmarkt versprechen, nicht unbedingt langfristige Beschäftigungsperspektiven. Die Jobcenter sollten die Betroffenen nach der Beschäftigungsaufnahme weiterhin begleiten und betreuen, um die Aufstiegsmobilität zu fördern, aber auch um die weitere Arbeitsuche am neuen Arbeitsplatz zu unterstützen. So könnte die Arbeit in einer Zeitarbeitsfirma für die ehemaligen Leistungsbeziehenden ein Sprungbrett zu stabileren Arbeitsplätzen sein.
Aktuell stellt die Covid-19-Pandemie den Arbeitsmarkt vor weitreichende Herausforderungen. Sie trifft einige Branchen deutlich härter als andere. Dadurch ist es für ALG-II-Beziehende derzeit schwieriger geworden, eine (stabile) Beschäftigung aufzunehmen, gerade in den besonders betroffenen Branchen. Die konkreten Auswirkungen der Krise auf die Jobchancen von (vormals) ALG-II-Beziehenden sind aber derzeit noch nicht exakt zu bestimmen.
Daten und Methoden
Datengrundlage ist die Stichprobe der Integrierten Grundsicherungsbiografien SIG (näheres dazu im FDZ-Datenreport 2/2020). Diese ist eine 10-%-Stichprobe aller Personen, die zwischen Januar 2005 und Dezember 2014 Arbeitslosengeld II bezogen haben. Sie beruht auf Daten aus Verwaltungsprozessen der Bundesagentur für Arbeit und beinhaltet Informationen zu Erwerbstätigkeiten seit 1993, zum Bezug von Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II, zu Arbeitslosigkeit und Arbeitsuche, zu persönlichen Merkmalen und zur Bedarfsgemeinschaft. Das vorliegende Projekt nutzt daraus Daten zu Personen, die ihren ALG-II-Bezug zwischen 2007 und 2012 begonnen haben. Hinzugespielt wurden Daten zu den beruflichen Tasks (näheres im FDZ-Methodenreport 12/2014) und zur Betriebsgröße aus dem Betriebs-Historik-Panel.
Beschäftigungsaufnahmen sind begonnene sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit Unterbrechungen von bis zu zwei Tagen. Dies beinhaltet auch geförderte Beschäftigungen wie etwa den Eingliederungszuschuss, das Einstiegsgeld und die Förderung von Arbeitsverhältnissen. Ein Betriebswechsel ist möglich. Die Analysen basieren auf stückweise-linearen exponenziellen Hazard-Modellen unter Kontrolle von individueller, unbeobachteter Heterogenität und ihrer Korrelation zwischen Erwerbsaufnahmen, Austritt aus dem ALG-II-Bezug ohne Erwerbsaufnahme und der Beschäftigungsstabilität.
Literatur
Beste, Jonas; Trappmann, Mark (2016): Erwerbsbedingte Abgänge aus der Grundsicherung: Der Abbau von Hemmnissen macht’s möglich, IAB-Kurzbericht Nr. 21.
Bruckmeier, Kerstin; Hohmeyer, Katrin (2018): Arbeitsaufnahmen von Arbeitslosengeld-II-Empfängern: Nachhaltige Integration bleibt schwierig, IAB-Kurzbericht Nr. 2.
Dengler, Katharina; Matthes, Britta; Paulus, Wiebke (2014): Berufliche Tasks auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Eine alternative Messung auf Basis einer Expertendatenbank, FDZ-Methodenreport Nr. 12 (de).
Dummert, Sandra; Grunau, Philipp; Hohmeyer, Katrin; Lietzmann, Torsten; Bruckmeier, Kerstin; Oertel, Martina (2020): Stichprobe der Integrierten Grundsicherungsbiografien (SIG) 2007−2017. FDZ-Datenreport Nr. 2 (de).
Umkehrer, Matthias (2020): Wiedereinstieg nach Langzeitarbeitslosigkeit: Welche Arbeitsverhältnisse sind stabil, welche nicht?, IAB-Kurzbericht Nr. 15.
Autoren:
- Katharina Grienberger
- Katrin Hohmeyer
- Cordula Zabel