25. März 2025 | Interviews
„Fremdenfeindlichkeit in Regionen bremst die Zuwanderung von Fachkräften“

Frau Buch, wenn wir uns zunächst die Mobilität von Arbeitskräften innerhalb Deutschlands anschauen: In Zeiten des Fachkräftemangels konkurrieren die Regionen untereinander um Arbeitskräfte. Haben Regionen mit stärker fremdenfeindlichen Einstellungen bei diesem Wettbewerb einen Nachteil?

Dr. Tanja Buch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Regionalen Forschungsnetz des IAB.
Tanja Buch: Ja, das kann man so sagen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Arbeitskräfte, die innerhalb Deutschlands umziehen, seltener in Regionen ziehen, in denen fremdenfeindliche Einstellungen besonders verbreitet sind. Am stärksten reagieren dabei junge Arbeitskräfte und Hochqualifizierte. Sie meiden Regionen, in denen solche Einstellungen sehr verbreitet sind, besonders. Das verstärkt das Problem, denn es sind ja gerade junge und gut qualifizierte Arbeitskräfte, die am meisten gebraucht werden.
Bewirken die fremdenfeindlichen Einstellungen auch, dass Personen vermehrt aus diesen Regionen in andere Regionen abwandern?
Buch: Bemerkenswerterweise nicht. Wir finden für die Regionen, in denen fremdenfeindliche Einstellungen besonders verbreitet sind, für deutsche Arbeitskräfte sogar eine niedrigere Abwanderungsrate. Die Entscheidung, für ein höheres Wohlbefinden aus der Heimatregion wegzuziehen, ist aber auch an viel mehr Voraussetzungen gebunden als die Entscheidung, nicht in eine bestimmte Region zu ziehen – und stattdessen in eine andere. Neben hohen monetären Kosten eines Umzugs müssen die nicht monetären Kosten, wie zum Beispiel das Zurücklassen des Freundeskreises, berücksichtigt werden. Deshalb hatten wir erwartet, dass wir keinen oder einen geringen Effekt für die Abwanderung finden.
Dass die Abwanderungsrate von deutschen Arbeitskräften sogar niedriger ist, erklären wir vor allem damit, dass ein beträchtlicher Anteil der Menschen in diesen Regionen fremdenfeindliche Gesinnungen vertritt und daher in der Konfrontation mit solchen Einstellungen in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz keinen Abwanderungs- sondern eher einen Bleibegrund sieht. Aber es gibt auch Menschen, die sich in diesen Regionen gegen Rechtsradikalismus engagieren und sich bewusst für das Bleiben entscheiden, um ihre Heimat nicht den Rechtsradikalen zu überlassen.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass ausländische Arbeitskräfte auf Fremdenfeindlichkeit sehr wohl durch vermehrten Fortzug reagieren.
Eine höhere Fremdenfeindlichkeit verschlechtert sicherlich vor allem die Lebensqualität der nichtdeutschen Arbeitskräfte vor Ort. Welche Effekte beobachten Sie bei dieser Gruppe?
Buch: Nichtdeutsche Arbeitskräfte müssen im Gegensatz zu den Deutschen bei einem Umzug in entsprechende Regionen nicht nur Einschränkungen ihres sozialen Wohlbefindens einkalkulieren, sondern auch eine unmittelbare Konfrontation mit Ablehnung. Trotzdem zeigen unsere Ergebnisse für Arbeitskräfte mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, die innerhalb Deutschlands in eine andere Kreisregion umziehen, dass sie sogar vermehrt in Regionen ziehen, in denen fremdenfeindliche Einstellungen verbreitet sind.
Allerdings gilt dieser Befund nicht für die Hochqualifizierten – womöglich, weil sie mehr Wahlfreiheit in Bezug auf ihren Wohn- und Arbeitsort haben. Weniger gut qualifizierte ausländische Arbeitskräfte könnten sich aufgrund ihrer schwachen Position am Arbeitsmarkt dagegen gezwungen sehen, in diese Regionen zu ziehen, wenn ihnen dort Arbeit angeboten wird. Außerdem zeigen verschiedene Studien, dass höher Qualifizierte fremdenfeindlichem Gedankengut insgesamt kritischer gegenüberstehen.
Unsere Ergebnisse zeigen aber auch, dass ausländische Arbeitskräfte auf Fremdenfeindlichkeit sehr wohl durch vermehrten Fortzug reagieren. Anscheinend berücksichtigen sie bei ihrer Wohnortwahl im Gegensatz zu den Deutschen weniger vorab das erwartete Wohlbefinden, wohl aber die negativen Erfahrungen, die sie in einer Region gemacht haben. Aufschluss über die Gründe könnten letztlich aber nur Befragungsdaten geben.
Neben der innerdeutschen Mobilität haben Sie sich in einer weiteren Studie angeschaut, ob fremdenfeindliche Einstellungen die erste Wohnortwahl von Migrant*innen beeinflussen, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen einwanderungsfeindlichen Einstellungen und der Wohnortwahl?

Dr. Carola Burkert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Regionalen Forschungsnetz des IAB.
Carola Burkert: Ja. Unsere Ergebnisse zeigen, dass fremdenfeindliche Einstellungen in Regionen dort durchaus die Zuwanderung von Arbeitskräften verringert, die gezielt aus dem Ausland kommen, um hier zu arbeiten. EU-Migrant*innen reagieren dabei empfindlicher auf regionale fremdenfeindliche Einstellungen als Personen aus nichteuropäischen Ländern.
Wie erklären Sie das?
Burkert: Wir führen das im Wesentlichen auf zwei Gründe zurück. Erstens verfügen EU-Migrant*innen – im Gegensatz zu Nicht-EU-Migrant*innen – über vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU. Dadurch sind sie deutlich flexibler bei ihrer Wohnort- und Arbeitsplatzwahl. Der zweite Grund könnte sein, dass Informationen über die regionale Verbreitung fremdenfeindlicher Einstellungen nicht überall gleich verfügbar sind. Da die Berichterstattung darüber mit zunehmender geografischer Entfernung tendenziell abnimmt, dürften EU-Migrant*innen besser darüber informiert sein, wo in Deutschland solche Einstellungen besonders verbreitet sind, als Menschen außerhalb der EU.
Ein höherer Zuspruch der Bevölkerung zu fremdenfeindlichen Einstellungen kennzeichnet vor allem die Regionen, die bereits am stärksten unter dem demografischen Wandel und damit unter Fachkräfteengpässen leiden.
Dabei, sagen Sie, wären gerade jene Regionen, in denen die Verbreitung von fremdenfeindlichen Einstellungen besonders hoch ist, dringend auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen.
Buch: Das stimmt. Ein höherer Zuspruch der Bevölkerung zu fremdenfeindlichen Einstellungen kennzeichnet vor allem die Regionen, die bereits am stärksten unter dem demografischen Wandel und damit unter Fachkräfteengpässen leiden. Sie wären deshalb besonders auf den Zuzug von Arbeitskräften angewiesen. Doch mobile Arbeitskräfte aus dem In- und Ausland meiden diese Regionen eben wegen der dort verbreiteten Einstellungen.
Burkert: Das ist ein Problem, weil es zu ökonomischer und sozialer Ungleichheit zwischen den Regionen führen oder diese sogar weiter verschärfen kann. Außerdem führt Zuzug, insbesondere von jüngeren und besser gebildeten Menschen, zu einem Austausch von Ideen und Lebensentwürfen. Bleibt dieser aus, können sich fremdenfeindliche Ideen weiter verfestigen, und das könnte weiter zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass Weltoffenheit – neben politischer Stabilität – ein wichtiger Standortfaktor für Deutschland ist.
Was muss die Politik jetzt tun, um dem gegenzusteuern?
Buch: Es ist mehr politische Bildung notwendig, um das Demokratiebewusstsein zu stärken, und Sozialarbeit, um jungen Menschen gerade auch in ländlichen Regionen Alternativen zum Anschluss an rechtsradikale Gruppen aufzuzeigen. Aufgrund von Budgetbeschränkungen steht jedoch fatalerweise eine ausreichende Finanzierung dieser Bereiche immer zur Debatte.
Burkert: Außerdem ist es unabdingbar, dass die Politik in den betroffenen Regionen reagiert und sich klar für Zuwanderung, Toleranz und Vielfalt ausspricht. Auch die Wirtschaftsverbände und Unternehmen sind gefordert. Sie sollten in diesen Zeiten auch aus Eigeninteresse klar machen, wo sie politisch stehen: für Weltoffenheit, gegen Abschottung.
Einzelne gehen bereits voran, wie zum Beispiel Reinhold Würth, der für sein Unternehmen klar Stellung bezogen hat. Sehr engagiert ist auch die Initiative „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“. Ihr Ziel ist es, zur Verbesserung der Standortattraktivität dem schlechten Image von Regionen entgegenzuwirken. Auch die Gewerkschaften sollten dieses Problem stärker thematisieren. Denn unsere Ergebnisse zeigen, dass Weltoffenheit – neben politischer Stabilität – ein wichtiger Standortfaktor für Deutschland ist.
Daten
Basis der Analysen sind Migrationspanel, die für die Jahre 2003 bis 2019 aus den Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des IAB generiert wurden. Die IEB umfassen Mikrodaten zu den meisten Erwerbspersonen in Deutschland, ausgenommen Beamte und Selbstständige. Diese Daten decken etwa 90 Prozent der Erwerbsbevölkerung ab und geben unter anderem Aufschluss über die Wohn- und Arbeitsorte von Beschäftigten auf Kreisregionsebene (360 Regionen). Dies ermöglicht ein repräsentatives Bild der Arbeitskräftemobilität in Deutschland. Zwei Indikatoren werden herangezogen, um fremdenfeindliche Einstellungen auf regionaler Ebene zu messen: erstens die Wählerstimmen für Parteien in einem Spektrum von rechtspopulistisch bis rechtsextrem und zweitens Straftaten, die der kriminalpolizeilichen Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität rechts“ (PMK-rechts) erfasst sind.
Die Informationen zu den Wahlergebnissen basieren auf den aggregierten Zweitstimmenanteilen von NPD, REP, DVU, DIE RECHTE, pro Deutschland, AfD, Offensive D, Ab jetzt … Demokratie durch Volksabstimmung, Pro DM/DM, BüSo und BfB bei Bundestags- und Landtagswahlen im Zeitraum von 2002 bis 2017. Die meisten der Parteien sind nicht bei jeder Wahl oder in allen Regionen angetreten.
Die Informationen über rechtsextreme Straftaten stammen aus der Statistik über „Politisch motivierte Kriminalität rechts“ (PMK-rechts) der Landeskriminalämter. Der PMK-rechts werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung einer „rechten“ Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss.
Das wesentliche Merkmal einer „rechten“ Ideologie ist die Annahme einer Ungleichheit beziehungsweise Ungleichwertigkeit der Menschen. Straftaten, bei denen Bezüge zum völkischen Nationalismus, zu Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren, sind dabei in der Regel als rechtsextremistisch zu qualifizieren. Fälle, die einen fremdenfeindlichen bzw. einen antisemitischen Hintergrund aufweisen, sind grundsätzlich dem Phänomenbereich PMK-rechts zuzuordnen (siehe Bundeskriminalamt). Jährliche Zahlen liegen für alle Kreisregionen vor, teilweise aber für unterschiedliche Zeiträume.
Die Studien kontrollieren für Faktoren, die außerdem Einfluss auf die Wohnortwahl nehmen können, zum Beispiel die regionalen Wirtschafts- und Arbeitsmarktbedingungen, die Situation am Wohnungsmarkt, die Bevölkerungsdichte und weitere regionale Merkmale, die die Lebensqualität abbilden (zum Beispiel Kriminalitätsrate oder das Vorhandensein von Naherholungsgebieten).
Literatur
Buch, Tanja; Burkert, Carola; Hell, Stefan; Niebuhr, Annekatrin; Haas, Anette (2025): Do xenophobic attitudes influence migrant workers’ regional location choice? PLoS ONE.
Buch, Tanja; Rossen, Anja (2024): Who wants to live among racists? The impact of local right-wing attitudes on interregional labour migration in Germany. Journal of Ethnic and Migration Studies, S. 1–24.
Bild: IAB
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240320.01
Keitel, Christiane (2025): „Fremdenfeindlichkeit in Regionen bremst die Zuwanderung von Fachkräften“, In: IAB-Forum 25. März 2025, https://www.iab-forum.de/fremdenfeindlichkeit-in-regionen-bremst-die-zuwanderung-von-fachkraeften/, Abrufdatum: 26. March 2025
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Autoren:
- Christiane Keitel