Auf dem Papier ist das bedingungslose Grundeinkommen eine simple Idee: ein regelmäßiger Geldtransfer für alle. Aber die Umsetzung ist alles andere als einfach. In diesem Interview spricht Professor David Green über die Ergebnisse einer großen kanadischen Studie. Er erklärt, was das Grundeinkommen attraktiv macht, warum es oft nicht die von vielen erwarteten Hoffnungen erfüllt und welche Maßnahmen den  bedürftigsten Menschen besser helfen könnten.

Viele halten das bedingungslose Grundeinkommen für eine kühne oder sogar utopische Idee. Was hat Ihr Interesse an diesem Thema geweckt?

Wie viele Menschen hatte ich mich schon lange für das Konzept des Grundeinkommens interessiert. Aber erst als mich die Regierung von British Columbia 2018 einlud, den Vorsitz einer Kommission zu übernehmen, die die Idee eines Grundeinkommens untersuchen sollte, habe ich die Tragweite erkannt.

Unser Auftrag hatte zwei Seiten. Zum einen sollten wir untersuchen, ob das bedingungslose Grundeinkommen ein tragfähiges politisches Instrument für die Provinz British Columbia sein könnte. Und falls wir zu dem Schluss kämen, dass es nicht die beste Lösung ist, sollten wir als zweite Aufgabe das derzeitige System der sozialen Absicherung bewerten und Reformen vorschlagen, um besser mit seinen Schwachstellen umzugehen. Wir sollten also nicht nur eine politische Maßnahme auf abstrakte Weise bewerten, sondern uns auch mit den praktischen und politischen Realitäten ihrer Umsetzung auseinandersetzen.

Das Grundeinkommen ist auch eine Kritik an den derzeitigen Sozialsystemen.

Könnten Sie kurz die Grundzüge des bedingungslosen Grundeinkommens skizzieren?

Philippe Van Parijs und Yannick Vanderborght, zwei führende Verfechter des Grundeinkommens, definieren es als „regelmäßiges Einkommen, das jedem Mitglied der Gesellschaft als Geldtransfer gezahlt wird, unabhängig von Einkommen aus anderen Quellen und ohne an Bedingungen geknüpft zu sein“. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine universelle und bedingungslose Zuwendung.

Das ist ein attraktives Versprechen. Befürworter argumentieren, dass die resultierende Sicherheit Gerechtigkeit und Kreativität fördern und Stress reduzieren könnte. Es ist auch eine Kritik an den derzeitigen Sozialsystemen, deren Leistungen oft an arbeitsbezogene Anforderungen oder an die Suche nach Arbeit gebunden und nur bestimmten Gruppen vorbehalten sind. Teilweise wird auch auf übergriffige Weise die Offenlegung personenbezogener Daten gefordert.

Inwiefern ist das beim Grundeinkommen anders?

Die meisten Vorschläge für ein Grundeinkommen sehen Zahlungen durch die Steuerverwaltung vor, die einen sicheren und vertraulichen Zugang gewährleisten, ohne dass „Nachweise“ für eine Notlage erbracht werden müssen. Die Definition ist allerdings komplizierter, als sie auf den ersten Blick erscheint. Viele Vorschläge sind nur begrenzt universell, weil nur Staatsangehörige oder nur Erwachsene anspruchsberechtigt sind oder Kindern nur reduzierter Anspruch gewährt wird. Bei der üblichsten Variante, der negativen Einkommenssteuer, sind die Zahlungen von der Höhe des zu versteuernden Einkommens abhängig, nicht von der Quelle, also ob das Einkommen aus Arbeit, Transferzahlungen oder Kapitalerträgen stammt. Andere Vorschläge knüpfen die Leistungen an Bürgerbeteiligung oder sehen besondere Bestimmungen für Menschen mit Behinderungen vor.

Die Vorstellungen, was ein Grundeinkommen erreichen kann, sind weitreichend, manche sagen utopisch. Das zieht sowohl begeisterte als auch kritische Stimmen an.

Die Idee ist schon jahrhundertealt. Warum bleibt das bedingungslose Grundeinkommen Teil des öffentlichen Diskurses, obwohl wirtschaftliche und soziale Kontexte sich verändern?

Die anhaltende Attraktivität liegt in der Einfachheit. Wenn wir Armut als Einkommensdefizit definieren, warum geben wir den Menschen dann nicht einfach mehr Einkommen? Es verspricht auch, dies auf würdevolle Weise zu tun.

Die Vorstellungen, was ein Grundeinkommen erreichen kann, sind weitreichend, manche sagen utopisch. Das zieht sowohl begeisterte als auch kritische Stimmen an. Die Idee ist so verheißungsvoll, dass sie immer wieder auftaucht, wenn Gesellschaften über Gerechtigkeit, gesellschaftliche Wohlfahrt oder wirtschaftliche Transformation diskutieren.

Ihre Studie, in der der theoretische Ansatz eines bedingungslosen Grundeinkommens mit dem realen kanadischen System verglichen wird, ist einzigartig. Inwiefern?

Unsere Kommission hatte Zugang zu Ressourcen, wie sie selten für die Bewertung politischer Maßnahmen zur Verfügung stehen. Die Regierung von British Columbia hat originäre Forschung finanziert, Zugang zu detaillierten Verwaltungsdaten gewährt und uns ermutigt, mit den Menschen zu sprechen, die direkt von einer solchen Maßnahme betroffen wären.

Eine wichtige Erkenntnis war, dass das Grundeinkommen in der Praxis alles andere als einfach ist. Bei einer Umsetzung der Auszahlung über das Steuersystem müssten die etwa elf Prozent der Erwachsenen erreicht werden, die im jeweiligen Jahr keine Steuererklärung eingereicht haben. Für das weit verbreitete Modell der negativen Einkommenssteuer wären neue Systeme erforderlich, um Menschen zu unterstützen, die vor Ende eines Steuerjahres plötzlich in eine Notlage geraten. Diese Herausforderungen ähneln sehr stark denen, die das bestehende Sozialsystem zu bewältigen hat.

Ist es genug, Menschen mit einem ausreichenden Einkommen zu versorgen?

Nein. Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass das bestehende Unterstützungssystem sehr wichtig ist. Viele Maßnahmen, wie zum Beispiel die Bereitstellung von Hilfsmitteln für Menschen mit Behinderungen, sehen andere Leistungen als Geldleistungen vor und können nicht durch die Zahlung eines Pauschalbetrags ersetzt werden. Unsere Auswertungen ergaben, dass fast alle Programme, die es zurzeit in British Columbia gibt, neben einem Grundeinkommen weiterhin bestehen bleiben müssten. Das bedeutet: Es gibt kaum Ausgabeneinsparungen. Und entgegen anderslautender Behauptungen auch keine Vereinfachung. Tatsächlich könnte das Unterstützungssystem noch komplexer werden, wenn man ein Grundeinkommen hinzufügt.

Das Grundeinkommen ist ein zu unausgereiftes politisches Instrument, um den unterschiedlichen Bedürfnissen schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden.

Funktioniert das Konzept des Grundeinkommens für schutzbedürftige Menschen?

Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass das Grundeinkommen ein zu unausgereiftes politisches Instrument ist, um den unterschiedlichen Bedürfnissen schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden. Junge Menschen, die Pflegefamilien verlassen, stehen beispielsweise oft vor sich überschneidenden Herausforderungen: schlechter Gesundheitszustand, instabile Wohnverhältnisse, niedriger Bildungsstand und Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche. Ein garantiertes Einkommen kann hier zwar helfen, aber ohne Beratung, gesellschaftliche Teilhabe und individuelle Unterstützung kann eine Geldleistung allein sogar kontraproduktiv sein.

Warum muss man davon ausgehen, dass sich der Wert zeitlich befristeter Pilotprojekte zum Grundeinkommen in Grenzen hält?

Wir haben die Möglichkeit, ein Pilotprojekt durchzuführen, untersucht. Dabei sind wir zu dem Schluss bekommen, dass typische Pilotprojekte zum jetzigen Zeitpunkt nur einen begrenzten Erkenntniswert hätten. Über die direkten Auswirkungen, die Geldleistungen auf Arbeit, Gesundheit und Bildung haben, ist bereits viel bekannt. In Kanada beispielsweise gab es mehrere Ausweitungen von Leistungen für Familien mit kleinen Kindern. Man stellte fest, dass diese zusätzlichen Transferleistungen die Kinderarmut verringerten und die psychische Gesundheit der Kinder verbesserten, jedoch nur begrenzte Auswirkungen auf das Arbeitskräfteangebot der Mütter oder die Testergebnisse zu Schulleistungen der Kinder hatten. Was noch nicht überprüft wurde, sind die weitergehenden Behauptungen, dass ein Grundeinkommen auf gesellschaftlicher Ebene transformativ sein kann. Um solche Auswirkungen zu erzielen, sind die Dauerhaftigkeit der Geldleistung und der Glaube der Öffentlichkeit an eine solche Dauerhaftigkeit erforderlich. Das kann man in einem Pilotprojekt mit begrenzter Laufzeit nicht nachbilden.

Politische Programme müssen auf konkrete Probleme zugeschnitten sein, statt davon auszugehen, dass Geld allein genügt.

Wenn das Grundeinkommen weder einfach umzusetzen, noch deutlich effektiver als gezielte Programme ist, was gibt es für Alternativen?

Wir haben unsere Arbeit auf das allgemeinere Ziel ausgerichtet, British Columbia zu einer gerechteren Gesellschaft zu machen. Hierbei haben wir Gerechtigkeit als die fundamentale Sicherung von Selbstachtung und gesellschaftlichen Respekts für alle definiert. Dazu gehört ein angemessenes Einkommen, aber auch sinnvolle Arbeit, Bildungschancen, starke Gemeinschaften und ein Mitspracherecht in der Politik, die das eigene Leben beeinflusst.

Unter diesem Gesichtspunkt müssen politische Programme auf konkrete Probleme zugeschnitten sein, statt davon auszugehen, dass Geld allein genügt. Für Menschen mit Behinderungen zum Beispiel ist Einkommenssicherheit wichtig, aber auch der Zugang zu würdevoller Arbeit und aktiver Beteiligung an politischen Entscheidungen. Hierfür sind oft direkte Unterstützungsprogramme erforderlich, die über das hinausgehen, was man über typische Vorschläge für ein Grundeinkommen finanzieren könnte.

Mit Blick auf die Zukunft, in welchen Bereichen ist weitere Forschung besonders wichtig?

Bei aktuellen Wirtschaftsanalysen werden Effizienz und Einkommen häufig als Ergebnis priorisiert, was uns zu simplen, auf Geldleistungen basierenden Lösungen führt. Hier besteht die Gefahr, dass die Bedeutung sozialer Beziehungen, würdevoller Arbeit und der Handlungsfähigkeit der Begünstigten von Sozialleistungen außer Acht gelassen wird. Die Untersuchung dieser Aspekte würde mehr Informationen für zukünftige Entwürfe liefern, sei es für ein Grundeinkommen oder andere Sozialprogramme.

Ein Grundeinkommen vereinfacht nicht unbedingt die Sozialsysteme.

Welche Lehren aus Kanada sind für Deutschland und die Europäische Union relevant?

Unsere wichtigsten Schlussfolgerungen gelten für alle Kontexte: Ein Grundeinkommen vereinfacht nicht unbedingt die Sozialsysteme und wenn man sich ausschließlich auf Geldleistungen konzentriert, besteht die Gefahr, dass wichtige Herausforderungen übersehen werden. Unterschiede bestehen sicherlich hinsichtlich der konkreten Details alternativer Ansätze. Was für British Columbia funktioniert, kann sich für Deutschland ganz anders darstellen, weil sich die institutionellen Strukturen, Arbeitsmärkte und Erwartungen der Öffentlichkeit unterscheiden.

Zur Person

David Green ist Professor an der Vancouver School of Economics der University of British Columbia und International Fellow am Institute for Fiscal Studies in London.

In seiner Forschungsarbeit konzentriert er sich auf Einflussfaktoren von Lohn- und Beschäftigungsstrukturen. Dazu gehört auch die Verbindung der Makroebene (Befassung mit allgemeinen Gleichgewichtseffekten) mit Fragen der Identifikation von Arbeitsmarktzusammenhängen auf der Mikroebene.

 

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20251215

Winters, Jutta; Latner, Jonathan (2025): Grundeinkommen: Zwischen einfacher Idee und komplexer Wirklichkeit, In: IAB-Forum 15. Dezember 2025, https://iab-forum.de/grundeinkommen-zwischen-einfacher-idee-und-komplexer-wirklichkeit/, Abrufdatum: 15. December 2025

 

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