9. Februar 2024 | Serie „Arbeitskräftesicherung“
Homeoffice im Sozialbereich am Beispiel der Caritas: Trotz deutlichen Ausbaus liegen noch Potenziale brach
Wie in anderen Bereichen haben die betrieblichen Angebote zur Nutzung mobilen Arbeitens auch im Sozial- und Gesundheitswesen während der Pandemie deutlich zugenommen. Zugleich setzen sozial- und gesundheitsprofessionelle Tätigkeiten typischerweise ein hohes Maß an persönlicher Interaktion mit sozial benachteiligten und gesundheitlich beeinträchtigten Menschen voraus.
Nach Daten des IAB-Betriebspanels aus dem Jahr 2018 war mobiles Arbeiten vor der Pandemie nur in jedem fünften Betrieb des Gesundheits- und Sozialwesens möglich. Andere Wirtschaftsbranchen kamen bereits damals auf Anteile zwischen 40 und über 70 Prozent. Und in jenen Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, wo mobiles Arbeiten schon damals prinzipiell möglich war, konnte lediglich ein Zehntel der Beschäftigten tatsächlich darauf zurückgreifen. In den meisten anderen betrachteten Branchen lag dieser Anteil bei mindestens 20 Prozent.
Welche Rolle Homeoffice im Gesundheits- und Sozialwesen mittlerweile spielt, zeigt beispielhaft eine aktuelle Befragung, die das IAB gemeinsam mit der Caritas für bundesweit 262 Rechtsträger der Caritas durchgeführt hat. Als Rechtsträger werden Träger der Dienste und Einrichtungen mit Rechtsform bezeichnet. Die Befragung „Caritaspanel“ enthält Daten zur Situation von circa 2.300 Betrieben aus sämtlichen Hilfefeldern und Regionen mit insgesamt rund 94.000 Beschäftigten. Die Caritas ist in Deutschland der größte Arbeitgeber im Sozialbereich.
Die Corona-Pandemie hat zu einer deutlichen Ausweitung von Homeoffice-Angeboten bei der Caritas geführt
Die Einrichtungen der Caritas haben ihre Homeoffice-Angebote in den letzten Jahren massiv ausgeweitet. Im dritten Quartal 2022 boten 86 Prozent der befragten Einrichtungen die Möglichkeit an, Arbeitsaufgaben zu Hause oder von unterwegs zu erledigen. Dies bedeutet dies einen Anstieg von 7 Prozentpunkten gegenüber der vorherigen Befragungsrunde im vierten Quartal 2020 (siehe Abbildung 1).
Über 90 Prozent der im Jahr 2022 befragten Einrichtungen, die mobiles Arbeiten anbieten, haben diese Möglichkeit aufgrund der Covid-19-Pandemie eingeführt oder erweitert. Und 96 Prozent der Caritas-Einrichtungen, die mobiles Arbeiten anbieten, möchten die aufgebauten Strukturen beibehalten.
Allerdings kann nur ein Teil der Caritas-Beschäftigten von den Angeboten tatsächlich Gebrauch machen. Bietet ein Caritas-Rechtsträger mobiles Arbeiten und Homeoffice an, können dies im Schnitt 29 Prozent der dort Beschäftigten nutzen – ebenso viel wie schon 2020. Bezogen auf sämtliche befragten Rechtsträger, also auch jene ohne mobiles Arbeiten, liegt der Anteil bei 24 Prozent.
Diese Werte stellen zwar eine erhebliche Steigerung angesichts der Tatsache dar, dass vor der Pandemie nur 10 Prozent der Beschäftigten in Betrieben des Sozial- und Gesundheitswesen mit Homeoffice-Angeboten tatsächlich von zu Hause oder unterwegs arbeiten konnten. Umgekehrt bedeuten sie aber auch, dass 71 Prozent der Caritas-Beschäftigten die Möglichkeit mobilen Arbeitens nicht aktiv nutzen können, obwohl ihr Dienstgeber prinzipiell über entsprechende Angebote verfügt.
Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass nicht sämtliche Tätigkeiten innerhalb einer Einrichtung in gleicher Weise mit mobilem Arbeiten kompatibel sind. Zu nennen sind hier insbesondere pflegerische und betreuende Tätigkeiten – unabhängig davon, ob die jeweilige Einrichtung Homeoffice anbietet oder nicht. Außerdem kann der Zugang zu beruflichen Privilegien und Ressourcen, wie zum Beispiel Homeoffice, inner- und überbetrieblich ungleich verteilt sein. So dürften auch bei der Caritas die Potenziale für Homeoffice und mobiles Arbeiten noch nicht ganz ausgeschöpft sein.
Dies wirft die Frage auf, weshalb viele Einrichtungen Homeoffice und mobiles Arbeiten anbieten, einige aber nicht. Die wenigen Einrichtungen ohne mobiles Arbeiten begründen ihr fehlendes Angebot in erster Linie damit, dass sich die Tätigkeitsinhalte nicht dafür eignen (93 Prozent). Jeder fünfte Rechtsträger ohne Option auf Homeoffice und mobiles Arbeiten (21 Prozent) gibt an, dass die hierfür notwendige technische Ausstattung nicht vorhanden ist. Jeder Sechste (17 Prozent) bewertet ein räumlich flexibilisiertes Arbeiten als unvereinbar mit geltenden Datenschutzrichtlinien.
Noch seltener wird damit argumentiert, dass der räumlich-zeitliche Abstand zur Betriebsstätte die kollegiale Zusammenarbeit erschweren würde (14 Prozent), die Möglichkeiten mobilen Arbeitens bisher nicht thematisiert wurden (10 Prozent) oder das Personal kein Interesse daran habe (3 Prozent).
Die Gründe für den Ausbau der Homeoffice-Angebote bei der Caritas sind vielfältig
Jene Rechtsträger, die mobiles Arbeiten grundsätzlich erlauben, wollten damit zum Zeitpunkt der Befragung vor allem die pandemische Infektionsgefahr reduzieren. Ganze 86 Prozent benannten dies als Hauptgrund. 81 Prozent zielten mit ihrem Homeoffice-Angebot zudem auf eine verbesserte Work-Life-Balance ihrer Beschäftigten ab. Mit 78 Prozent gab ein ähnlich hoher Anteil an, mit mobilem Arbeiten die Attraktivität als Arbeitgeber steigern zu wollen.
75 Prozent wollten die allgemeinen Flexibilitätsspielräume ihres Personals erhöhen. Passend dazu meldeten 58 Prozent zurück, dass die Beschäftigten durch Homeoffice Fahrzeiten einsparen können. 43 Prozent der Rechtsträger begründeten den Einsatz mobiler Arbeitsmuster damit, dass dadurch ein ruhigerer Arbeitsort ermöglicht wird. 26 Prozent nannten als Grund, die Nutzung von Büroflächen optimieren zu können, 16 Prozent eine Erhöhung der Produktivität und 14 Prozent, dass Beschäftigte dann länger erreichbar sind.
Folglich stehen beim Einsatz mobiler Arbeit bei der Caritas die Interessen der Beschäftigten im Vordergrund. Das dient nicht zuletzt dem Ziel, vorhandenem und neuem Personal möglichst attraktive und zeitgemäße Arbeitsbedingungen anzubieten.
Die angestrebte Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch deshalb äußerst bedeutsam, da die Einrichtungen und Dienste der Caritas einen traditionell hohen Frauenanteil aufweisen (laut Caritaspanel derzeit 78 Prozent). Frauen müssen häufiger als Männer Erwerbsarbeit und familiäre Verpflichtungen miteinander in Einklang bringen und sind daher stärker auf flexible Arbeitsmodelle angewiesen. Daher sollten gerade in sozialen und gesundheitlichen Berufen möglichst viele Beschäftigte die Chance haben, bei Bedarf mobil zu arbeiten.
Administrative Aufgaben lassen sich gut ins Homeoffice verlagern
Professionelle Arbeit am und mit Menschen funktioniert in der Regel am besten über die persönliche Begegnung. Zwar haben virtuelle Beratungstreffen unter den erschwerten Bedingungen der Covid-19-Pandemie an Bedeutung gewonnen. Es spricht auch nichts dagegen, wenn diese ergänzend zu sozialprofessionellen Gesprächen vor Ort zum Einsatz kommen, sofern dabei professionsethische Leitlinien gewahrt und komplexe Beziehungs-, Vertrauens- und Aushandlungsroutinen weiterhin zum Tragen kommen.
Dennoch erscheint die physische Präsenz etwa bei pflegerischen Tätigkeiten, die sich zum Beispiel auf Hygiene, Ernährung, Mobilität und Medikation von Patient*innen beziehen, nach wie vor unabdingbar.
Anders verhält es sich mit Tätigkeiten, welche die Erledigung von Dokumentationspflichten und weiteren Verwaltungsaufgaben beinhalten. Diese nehmen im Gesundheits- und Sozialwesen durchaus einen erheblichen Raum ein. So wird in aktuellen Untersuchungen berichtet, dass sozialpädagogische Fachkräfte circa zwei Drittel ihrer Arbeitszeit mit rein administrativen Tätigkeiten zubringen.
Im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) wurden den ambulanten Pflegediensten allein durch papierlose elektronische Abrechnungsmodelle Einsparungsmöglichkeiten von über 500.000 Arbeitsstunden attestiert. Als zentraler Umsetzungsschritt der KAP wurde daraufhin unter anderem die Ausweitung von Homeoffice-Angeboten empfohlen, da „hier noch ungenutzte Potentiale für Einrichtungen in der Gesundheits- und Pflegebranche bestehen könnten“.
Unterm Strich dürften zahlreiche Fachkräfte in Sozial- und Pflegebetrieben an ein bis maximal zwei Tagen pro Woche Tätigkeiten verrichten, die nicht zwingend vor Ort, sondern gleichwertig zu Hause oder unterwegs erledigt werden können. Exemplarisch wären hier die umfassenden Verwaltungsaufgaben im ambulanten Gesundheits- und Sozialbereich zu nennen.
Konkrete Beispiele für administrative Aufgaben, die sich durchaus ins Homeoffice verlagern lassen können, stellen das Verfassen von Berichten, Materialbestellungen, die Arbeitszeiterfassung, Touren- und Dienstplanungen, die Erstellung von Projektplänen und Verwendungsnachweisen, Förderplanung und Konzeptentwicklungen dar.
Generell scheinen somit große Potenziale zu bestehen, organisatorische Arbeitsschritte mittels Computer, Tablet oder anderen digitalen Endgeräten räumlich und zeitlich zu flexibilisieren. Inwieweit etwa eine Verschiebung von Dokumentationsaufgaben nach Tätigkeitsabschluss auf einen späteren Zeitpunkt im Homeoffice zu Produktivitätseinbußen führen kann, gilt es dennoch gründlich zu reflektieren.
Mit Homeoffice-Angeboten lässt sich auch die Attraktivität als Arbeitgeber steigern
Dass die Ansprüche des überwiegend weiblichen Personals an eine gelingende Work-Life-Balance stärker in den personalpolitischen Fokus der Caritas und vergleichbarer Organisationen im sozialen Sektor rücken müssen, ergibt sich auch aus weiteren Befunden der hier ausgewerteten Befragung.
92 Prozent der Rechtsträger erwarten Schwierigkeiten, die benötigten Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt zu gewinnen. 77 Prozent prognostizieren einen allgemeinen Personalmangel in ihren Sozial- und Gesundheitsbetrieben, 58 Prozent sehen sich zudem mit einem hohen Krankenstand und einem entsprechend hohen Vertretungsbedarf konfrontiert. Gleichzeitig erreicht die Nichtbesetzungsquote mit fast 24 Prozent einen neuen Höchstwert seit Beginn der Erhebung in den Jahren 2015/2016.
Diese Erkenntnisse reihen sich in wissenschaftliche Analysen ein, denen zufolge der Bedarf an Dienstleistungen im Sozial- und Gesundheitsbereich und das Arbeitspensum in diesem Sektor seit einigen Jahren deutlich wachsen, die dafür erforderlichen Arbeitskräfte jedoch nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind. So bilden Soziale Arbeit, Kindererziehung und Altenpflege laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, das Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) ausgewertet hat, die drei Berufsfelder mit dem größten Fachkräftebedarf.
Zu betonen ist an dieser Stelle allerdings auch, dass sich die Fachkräftelücke im menschenhelfenden Bereich laut aktuellen Befunden des IAB nicht, wie lange Zeit befürchtet, durch eine pandemiebedingte Kündigungswelle zugespitzt hat. (lesen Sie dazu auch den IAB-Kurzbericht 2/2024).
Fazit
Unter den Ausnahmebedingungen der Covid-19-Pandemie hat die Caritas die Möglichkeiten von Homeoffice und mobilem Arbeiten in ihren Einrichtungen deutlich ausgebaut. Das dürfte im Übrigen auch auf sozial- und gesundheitsprofessionelle Tätigkeiten im Allgemeinen zutreffen.
86 Prozent der Rechtsträger der Caritas verfügen über entsprechende Angebote, fast alle haben diese im Zuge der Pandemie eingeführt oder erweitert. Dort können im Schnitt 29 Prozent der Beschäftigten tatsächlich von zu Hause aus oder von unterwegs arbeiten. Dieser Anteil ließe sich allerdings in vielen Fällen noch steigern. Das käme insbesondere den Interessen der hauptsächlich weiblichen Beschäftigten an einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegen.
Die Nutzung von mobilem Arbeiten könnte den betroffenen Einrichtungen dabei helfen, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren – nicht zuletzt angesichts des steigenden Fachkräftebedarfs gerade im Sozial- und Gesundheitswesen. Große Potenziale für eine eher unproblematische Verlagerung in die eigenen vier Wände bestehen dabei insbesondere bei den vielfältigen administrativen Aufgaben, die in sozial- und gesundheitsprofessionellen Tätigkeiten typischerweise anfallen.
In aller Kürze
- Homeoffice und mobiles Arbeiten sind im Sozial- und Gesundheitswesen mit besonderen Herausforderungen verbunden. Mit den aktuellen Daten des sogenannten Caritaspanels wurde deshalb für die rund 2.300 Betriebe der Caritas untersucht, wie verbreitet Homeoffice-Angebote dort sind und welche Vor- und Nachteile damit aus Sicht der befragten Einrichtungen verbunden sind.
- Zwischen 2020 und 2022 stieg der Anteil der Caritas-Rechtsträger mit einem Homeoffice-Angebot von 79 auf 86 Prozent. Bei denjenigen Caritas-Rechtsträgern, die prinzipiell Homeoffice anbieten, blieb der durchschnittliche Anteil der Beschäftigten, die Homeoffice nutzen können, mit 29 Prozent konstant.
- Die vier wichtigsten Gründe für den Ausbau der einschlägigen Angebote waren zum Befragungszeitpunkt die Reduktion der Infektionsgefahr, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Steigerung der Arbeitgeberattraktivität und die höhere Flexibilität für die Beschäftigten.
- Während sich beispielsweise die interaktiven Anteile pflegerischer Tätigkeiten nach wie vor nicht im Homeoffice durchführen lassen, könnten viele der damit verbundenen administrativen Aufgaben relativ gut ins Homeoffice verlagert werden.
Literatur
Bellmann, Lutz; Gleiser, Patrick; Kagerl, Christian; Koch, Theresa; König, Corinna; Leber, Ute; Pohlan, Laura; Roth, Duncan; Schierholz, Malte; Stegmaier, Jens; Aminian, Armin; Backhaus, Nils; Tisch, Anita (2020): Potenzial für Homeoffice noch nicht ausgeschöpft. In: IAB-Forum, 21.12.2020.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ); Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. (DIHK) (Hrsg.) (2019): Nur das Ergebnis zählt! Leitfaden für mobiles Arbeiten in Betrieben (3. Auflage).
Bundesministerium für Gesundheit (BMG); Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ); Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2021): Konzertierte Aktion Pflege. Zweiter Bericht zum Stand der Umsetzung der Vereinbarungen der Arbeitsgruppen 1 bis 5.
Grunau, Philipp; Steffes, Susanne; Wolter, Stefanie (2020): Homeoffice in Zeiten von Corona: In vielen Berufen gibt es bislang ungenutzte Potenziale. In: IAB-Forum, 25.03.2020.
Hickmann, Helen; Koneberg, Filiz (2022): Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken. IW-Kurzbericht Nr. 67.
Kunaschk, Max; Stephan, Gesine (2024): Pflegeberufe und Covid-19-Pandemie: Befürchtete Kündigungswelle ist ausgeblieben. IAB-Kurzbericht Nr. 2.
Bild: Tomas Anderson/panthermedia.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240208.02
Pietsch, Marcel; Krimmer, Pascal; Bellmann, Lutz (2024): Homeoffice im Sozialbereich am Beispiel der Caritas: Trotz deutlichen Ausbaus liegen noch Potenziale brach, In: IAB-Forum 9. Februar 2024, https://www.iab-forum.de/homeoffice-im-sozialbereich-am-beispiel-der-caritas-trotz-deutlichen-ausbaus-liegen-noch-potenziale-brach/, Abrufdatum: 18. December 2024
Diese Publikation ist unter folgender Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Autoren:
- Marcel Pietsch
- Pascal Krimmer
- Lutz Bellmann