12. Juli 2017 | Erwerbsbeteiligung, Armut und Sozialpolitik
Jobcenter-Strategien zur Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen
Das IAB hat sich in einem ausführlichen Forschungsbericht mit den Strategien von Jobcentern befasst, eine möglichst nachhaltige Integration von Langzeitarbeitslosen zu erreichen. Zu diesem Zweck wurden qualitative Befragungen von Integrationsfachkräften in sechs Jobcentern durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Dabei wird analysiert, wie Jobcenter die Arbeitsmarktchancen von Langzeitarbeitslosen im Grundsicherungssystem einschätzen, wie die Förderung von Langzeitarbeitslosen konkret erfolgt und welche unterschiedlichen Wege die Jobcenter beschreiten, um Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Hierzu werden Jobcenter-Strategien für unterschiedliche Typen von Langzeitarbeitslosen herausgearbeitet, die sich durch ihre Nähe zum Arbeitsmarkt unterscheiden.
Im Jahr 2015 waren bei der Bundesagentur für Arbeit durchschnittlich 2,79 Millionen Menschen als arbeitslos registriert – der tiefste Stand seit der Wiedervereinigung. Allerdings sind nach wie vor circa eine Million Menschen langzeitarbeitslos (gemäß der Definition des § 18 Drittes Buch Sozialgesetzbuch), das heißt seit mehr als einem Jahr arbeitslos. Der Anteil ist seit 2011 nahezu unverändert, obwohl sich die Gesamtzahl der Arbeitslosen reduziert hat. Bisher liegen nur wenige wissenschaftliche Studien zu der Frage vor, welche Strategien Jobcenter einsetzen, um Langzeitarbeitslose möglichst nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
In einem aktuellen IAB-Forschungsbericht haben Isabell Klingert und Julia Lenhart daher untersucht, wie Jobcenter die Arbeitsmarktchancen von Langzeitarbeitslosen einschätzen, wie die Vermittlung und Förderung erfolgt und welche Wege die Jobcenter beschreiten, um diesen Personenkreis in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Zu diesem Zweck wurden in sechs ausgewählten Jobcentern Einzelinterviews und Gruppendiskussionen durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Die Analysen bestätigen zunächst den hinreichend bekannten Befund, dass die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt besonders schwierig ist und die Gründe hierfür vielfältig sind. Oftmals liegen, wie die Vermittlungsfachkräfte betonen, mehrere Vermittlungshemmnisse vor, die zum Teil miteinander zusammenhängen, sich mit der Dauer der Arbeitslosigkeit verschärfen und einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt im Weg stehen.
Kundensegmentierung nach Nähe zum Arbeitsmarkt
Da die Langzeitarbeitslosen keine heterogene Gruppe darstellen, wurden in der vorliegenden Studie drei Subkategorien gebildet, die sich nach ihrer Nähe zum Arbeitsmarkt unterscheiden. Bei den „integrationsnahen“ Kundeninnen und Kunden bedarf es lediglich einer auf den Arbeitsmarkt zielenden Förderung. Dort ist eine zeitnahe Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu erwarten. Als „integrationsfern“ gelten Kundeninnen und Kunden, die vor dieser Förderung einer Qualifizierungs- oder Trainingsmaßnahme bedürfen. Hier wird von einer längeren Zeit bis zur Arbeitsaufnahme ausgegangen. Am Ende der Reihe stehen die „arbeitsmarktfernen“ Kundeninnen und Kunden, bei denen mit stabilisierenden Maßnahmen begonnen werden muss, bevor eine Qualifizierungs- oder Trainingsmaßnahme erfolgen kann.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass bei der Beratung und Betreuung von Langzeitarbeitslosen vor allem eines unabdingbar ist, nämlich Zeit. Das Profiling für integrations- und arbeitsmarktferne Kundeninnen und Kunden ist wegen der vielschichtigen Problemlagen aufwändig. Obwohl die befragten Vermittlungsfachkräfte es sinnvoller fänden, das Profiling selbst durchzuführen, wird es wegen Zeitmangels meist an Dritte outgesourct. Die Vermittlungsfachkraft erhält zwar eine gute Rückmeldung, kann jedoch nicht von Anfang an in die Beziehung mit den Kundinnen und Kunden investieren, weil sie das Profiling eben nicht selbst durchführt.
Bei arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen verfolgen die befragten Vermittlungsfachkräfte häufig zunächst das Ziel, diese wieder an geregelte Tagesabläufe zu gewöhnen, deren Motivation zu erhöhen und Vermittlungshemmnisse abzubauen. Um diese Gruppe an den Arbeitsmarkt heranzuführen, bedarf es sehr niederschwelliger Angebote. Viele Fachkräfte in den Jobcentern hegen jedoch Zweifel, ob sich alle Langzeitarbeitslosen tatsächlich für eine Heranführung an den ersten Arbeitsmarkt eignen und ob es sinnvoll war, die Zahl sowie zeitliche Dauer der Arbeitsgelegenheiten zu reduzieren beziehungsweise zu begrenzen. Um den Betroffenen soziale Teilhabe zu ermöglichen und das Gefühl „gebraucht zu werden“ zu vermitteln, setzen die Jobcenter vor allem auf geförderte Beschäftigung. Allerdings monieren die befragten Fachkräfte, dass die geförderten Stellen vielfach zu hohe Anforderungen aufweisen – was der Intention des Gesetzgebers widerspreche.
Höhere Kontaktdichte und gezielte Fördermöglichkeiten
Bei integrationsfernen Langzeitarbeitslosen halten die Vermittlungsfachkräfte eine höhere Kontaktdichte für notwendig, um mit diesen intensiv und individuell arbeiten zu können. Dies sei die Voraussetzung dafür, um integrationsferne Langzeitarbeitslose in angemessener Weise an den ersten Arbeitsmarkt heranführen zu können. Die Vermittlungsfachkräfte setzen bei dieser Personengruppe auf Maßnahmen mit einem möglichst direkten Kontakt zu den Arbeitgebern. Zudem werden im Rahmen der Förderung betrieblicher Weiterbildung (Haupt-)Schulabschlüsse, Berufsabschlüsse oder Anpassungsqualifizierungen und Qualifizierungserweiterungen gefördert. Dabei bewerten die befragten Fachkräfte den Ansatz der Teilqualifizierungen positiv, da so Teilabbrüche und Unterbrechungen nicht zum kompletten Verlust der Qualifizierung führen.
Gehen integrationsnahe Langzeitarbeitslose bereits einer geringfügigen Beschäftigung nach, so versuchen die Vermittlungsfachkräfte in Absprache mit dem Arbeitgeber, diese in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umzuwandeln. Ist ergänzend eine Förderung für diese Gruppe notwendig, nutzen die Jobcenter die Möglichkeiten der „freien Förderung“, die sich einfacher und zielgenauer als die bestehenden Regelinstrumente einsetzen lassen.
Zur direkten Arbeitsmarktintegration wird der Eingliederungszuschuss (EGZ) gewährt. In welchem Umfang auf diese Weise Lohnkosten erstattet werden, hängt von der regionalen Arbeitsmarktlage ab. In Regionen mit guter wirtschaftlicher Lage wird der EGZ eher restriktiv und mit einer geringen Förderdauer und -höhe vergeben, während es sich in Regionen mit einem hohen Bestand an Langzeitarbeitslosen umgekehrt verhält.
Um Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, bedarf es eines langen Atems – und eines schrittweisen Vorgehens, welches die Betroffenen nicht überfordert. Wird dieser Weg verkürzt, so droht aus Sicht der Vermittlungsfachkräfte häufig ein Abbruch der Tätigkeit. Sie monieren schließlich auch, dass Sonderprogramme oder -prozesse, die speziell für die Bedürfnisse von arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen gestartet werden, eine zu kurze Laufzeit aufweisen. Ebenso wird beklagt, dass aus rechtlichen Gründen keine Nachbetreuung der Betroffenen erfolgt, sobald diese eine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben. Ein dauerhafter Verbleib im Arbeitsmarkt ist für Langzeitarbeitslose nur sehr schwer zu realisieren, wenn diese keine entsprechende Unterstützung erhalten.
Insgesamt ist in den Jobcentern ein Trend weg vom elektronischen Matching hin zu einer stärkeren individuellen Beratungs- und Vermittlungstätigkeit festzustellen. Diese Entwicklung wird von den Vermittlungsfachkräften selbst befürwortet.