Ab dem Jahr 2025 soll die Kindergrundsicherung verschiedene Leistungen für Familien bündeln. Schneller, einfacher, direkter – so wirbt das Bundesfamilienministerium auf seiner Website dafür. Doch wird die Kindergrundsicherung dieses Versprechen einlösen? Die Redaktion des IAB-Forums hat dazu bei Katharina von Koppenfels-Spies nachgefragt, die als Professorin für Sozialrecht an der Universität Freiburg die juristische Seite der Kinder- und Familienförderung unter die Lupe nimmt.

Frau von Koppenfels-Spies, sind Sie als Sozialrechtlerin zufrieden mit dem geeinten Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung?

Ja und nein. Ja, weil mit der Diskussion und Einführung der Kindergrundsicherung das Thema „Bekämpfung von Kinderarmut“ die längst überfällige politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit bekommen hat und das Problem der überkomplexen Sozialleistungen in Angriff genommen wurde. Ich bin also insofern zufrieden, als sich mit der Einführung der Kindergrundsicherung schon etwas getan hat.

Nicht damit zufrieden bin ich allerdings, dass der Gesetzgeber viele Ankündigungen und Versprechungen leider doch nicht umgesetzt hat. Nur wenige Familienleistungen werden in der Kindergrundsicherung gebündelt, eine deutliche Absenkung des Bürokratieaufwands wird insgesamt vermutlich nicht erreicht und eine finanzielle Erhöhung der Leistungen für Kinder wird es nicht geben.

Das Kindergrundsicherungsgesetz stellt sich in meinen Augen damit als typischer politischer Kompromiss dar: Ein paar Dinge werden angegangen, viele Ziele aus dem Koalitionsvertrag werden allerdings nicht umgesetzt.

In einem früheren Artikel kritisierten Sie bereits, dass die unterschiedlichen Sozialleistungen für Familien bisher kein kohärentes System bilden. Wird die Kindergrundsicherung daran viel ändern?

Nur zum Teil. Vordergründig, weil es ein Kindergrundsicherungsgesetz und damit einen einheitlichen Rahmen für einige Familienleistungen geben wird. Innerhalb des Kindergrundsicherungsgesetzes gibt es dann aber drei Einzelleistungen: den Kindergarantiebetrag, den Kinderzusatzbetrag und die Leistungen für Bildung und Teilhabe. Inhaltlich wird sich beim Kindergarantiebetrag, also dem bisherigen Kindergeld, und bei den Leistungen für Bildung und Teilhabe nichts Wesentliches ändern. Im Kinderzusatzbetrag gehen die existenzsichernden Leistungen des Sozialgesetzbuchs II und des Sozialgesetzbuchs XII für Kinder sowie der Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz auf. Nur hier kommt es dadurch zu einer wirklichen inhaltlichen Bündelung von Familienleistungen.

Ich hätte mir eine Diskussion über den Einbezug weiterer Leistungen gewünscht.

Also kaum eine Veränderung?

Ein Fortschritt liegt wenigstens darin, dass Kindergarantiebetrag, Kinderzusatzbetrag und Bildungs- und Teilhabepaket stärker als bislang aufeinander abgestimmt sind. Klar ist aber auch, dass es noch etliche andere Familienleistungen gibt, die weiterhin relativ unverbunden und unabgestimmt nebeneinanderstehen. Ich hätte mir eine Diskussion über den Einbezug weiterer Leistungen gewünscht, zum Beispiel des Unterhaltsvorschusses oder der BAFöG- und Berufsausbildungsleistungen. Mit der Einführung der Kindergrundsicherung hat sich daher nur ein kleiner Teil der Abgrenzungs- und Schnittstellenprobleme erledigt. Die Komplexität des Systems der Familienleistungen wurde nur ein wenig gesenkt – aber immerhin!

Bei einer Anhörung im Bundestag im November vorigen Jahres haben zahlreiche Expertinnen und Experten den Gesetzesentwurf auch als noch zu wenig praxistauglich kritisiert. Teilen Sie diese Bedenken?

Ich stelle mir auch die Frage nach der Praxistauglichkeit. Zuständig für die Kindergrundsicherung soll die Familienkasse sein; sie bekommt den neuen Namen „Familienservice“. Damit wird die bisherige Zuständigkeit für das Kindergeld und den Kinderzuschlag fortgeschrieben. Neu in der Zuständigkeit des Familienservice werden der Kinderzusatzbetrag und Teile des Bildungs- und Teilhabepakets sein. Aktuell wird diskutiert, ob und wie die bisherigen Familienkassen mit ihrer Struktur und dem bisherigen Personal diese Aufgaben bewältigen können.

Stark hinterfragt werden kann auch, wie praxistauglich es ist, wenn die Kindergrundsicherung nun beim Familienservice, Mehrbedarfe nach SGB II weiterhin bei den Jobcentern und Unterhaltsvorschuss bei den Jugendämtern beantragt werden müssen.

Auch die Schlagworte „von der Holschuld zur Bringschuld“ hören sich gut an, bringen in der praktischen Umsetzung vermutlich aber keinen entscheidenden Fortschritt. Unter Nutzung von bei den Behörden bereits vorliegenden Daten sollen potenzielle Anspruchsberechtigte proaktiv angesprochen und zur Beantragung der Kindergrundsicherungsleistungen aufgefordert werden. Dies ist in der Praxis aber nicht ohne weiteres möglich, sondern setzt das Einverständnis der Betroffenen voraus. Am Ende erweist sich der sogenannte Kindergrundsicherungs-Check damit möglicherweise nur als groß angelegte Informationskampagne.

Eine Erleichterung für die berechtigten Familien liegt darin, dass der komplexe Antrag auf den Kinderzuschlag wegfällt.

Der Anspruch auf Kindergrundsicherung soll künftig automatisiert geprüft werden und alle Leistungen möglichst unbürokratisch erfolgen. Wie schätzen Sie das ein: Werden bürokratische Aufwände und Kosten deutlich sinken?

Es wird schon Vereinfachungen geben. Ob diese allerdings zu einem signifikanten Absinken der Bürokratie und der Kosten führen werden, kann ich nicht einschätzen. Die geplanten automatisierten Datenabrufe werden die Bürokratie sicherlich verringern. Dass dies funktionieren kann, hat sich bei der Grundrente gezeigt; hier arbeitet man ja bereits mit automatisierten Datenabrufen. Eine weitere Vereinfachung wird sein, dass das Schulbedarfspaket künftig automatisch mit dem Antrag auf den Kinderzusatzbetrag mit beantragt und ausgezahlt werden soll. Hier muss in Zukunft also nur noch ein Antrag gestellt werden. Eine weitere Erleichterung für die berechtigten Familien liegt darin, dass der komplexe Antrag auf den Kinderzuschlag wegfällt. Und dass zukünftig alle Schritte online erfolgen können, sehe ich ebenfalls als Fortschritt und Maßnahme, die Bürokratie zu senken.

Trotz dieser Maßnahmen wird es aber auch mit der Kindergrundsicherung komplexe Situationen geben: Wenn die Eltern etwa im Bürgergeldbezug sind, die Kinder Kindergrundsicherung erhalten und zusätzlich einen Mehrbedarf, der sich wiederum aus dem SGB II ergibt. Wenn dann noch Ansprüche auf Unterhaltsvorschuss, BAFöG oder Berufsausbildungsbeihilfe dazukommen, bleibt es für die betroffenen Familien bei einer äußerst herausfordernden Gesamtsituation.

Ein wichtiger und richtiger Schritt bei der Bekämpfung von Kinderarmut ist, dass mehr Kinder als bislang erreicht werden.

Ein zentrales Ziel der geplanten Kindergrundsicherung ist es, die Armutsgefährdung von Kindern zu bekämpfen. Wenn man allein die finanzielle Leistung betrachtet, zeichnet sich für den Beginn der geplanten Einführung im Jahr 2025 allerdings keine deutliche Erhöhung ab, auch aufgrund der Haushaltsengpässe. Wird hier eine Chance vertant?

Ein wichtiger und richtiger Schritt im Hinblick auf die Bekämpfung von Kinderarmut ist sicherlich damit getan, dass mit der Kindergrundsicherung mehr Kinder als bislang erreicht werden. Insbesondere der Umstand, dass der problematische Kinderzuschlag im Kinderzusatzbetrag aufgehen wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch die Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums dergestalt, dass Verbrauchsausgaben wie Wohnungsmieten und Haushaltsausstattung neu auf der Grundlage eines Pro-Kopf-Schlüssels berechnet werden, anstelle des früheren Wohnflächenschlüssels, wird zu einer Erhöhung der Regelsätze für Kinder in allen drei Altersgruppen führen.

Viel mehr wird man aber nicht erwarten dürfen. Das für die Kindergrundsicherung insgesamt zur Verfügung stehende finanzielle Volumen wird nicht zu nennenswerten Leistungserhöhungen führen. Dass die finanzielle Gesamtsituation die Diskussion über das Ausmaß erforderlicher Leistungen von vornherein limitiert hat, ist in meinen Augen durchaus eine vertane Chance.

 

Zur Person

Katharina von Koppenfels-Spies ist seit 2006 Professorin für Bürgerliches Recht, Sozialrecht und Arbeitsrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Darüber hinaus ist sie Direktorin des Instituts für Wirtschaftsrecht, Arbeits- und Sozialrecht, Abteilung III Sozialrecht.

 

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240130.01

Keitel, Christiane (2024): Kindergrundsicherung: „Ein wichtiger und richtiger Schritt, aber auch eine vertane Chance“, In: IAB-Forum 30. Januar 2024, https://www.iab-forum.de/kindergrundsicherung-ein-wichtiger-und-richtiger-schritt-aber-auch-eine-vertane-chance/, Abrufdatum: 17. November 2024