24. Juni 2022 | Serie „Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf den deutschen Arbeitsmarkt“
Knapp zwei Prozent der deutschen Betriebe haben bislang Geflüchtete aus der Ukraine eingestellt
Patrick Gleiser , Sophie Hensgen , Christian Kagerl , Ute Leber , Duncan Roth , Jens Stegmaier , Matthias Umkehrer
Um aktuelle Zahlen zur Lage von geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern am deutschen Arbeitsmarkt bereitstellen zu können, hat das IAB seine Befragung „Betriebe in der Covid-19-Krise“ um Fragen zu den Folgen des Ukraine-Krieges für die deutschen Betriebe erweitert. In dieser Befragung werden seit August 2020 regelmäßig rund 2.000 Betriebe zur aktuellen Situation befragt (nähere Informationen zur Befragung finden Sie in einem aktuellen englischsprachigen Beitrag von Lutz Bellmann und anderen). Nach der russischen Invasion in der Ukraine wurden daher die Betriebe auch zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges befragt. Dabei wurde deutlich, dass sich der Krieg in der Ukraine auch für einen größeren Teil der Betriebe in Deutschland negativ auswirkt (detailliertere Auswertungen und Analysen dazu finden Sie unter „Aktuelle Daten und Indikatoren“ sowie in einem aktuellen Beitrag für den Wirtschaftsdienst).
Rund 9 Prozent aller Betriebe standen bereits mit ukrainischen Geflüchteten in Kontakt
Um herauszufinden, in welchem Ausmaß es bereits Kontakt zwischen Betrieben in Deutschland und Geflüchteten aus der Ukraine gibt, wurden die Betriebe gefragt, ob sie Personen aus dieser Gruppe bereits einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Praktikumsplatz angeboten haben oder ob sich diese selbst darum bemüht haben. Demnach haben etwa 4 Prozent aller Betriebe aus der Ukraine Geflüchteten schon ein entsprechendes Angebot gemacht. Mitunter wurden Betriebe auch von den Geflüchteten selbst kontaktiert – davon berichten etwa 3 Prozent der Betriebe. In 2 Prozent der Betriebe kommt beides vor – der Betrieb macht also entsprechende Angebote und zugleich bewerben sich dort Geflüchtete eigeninitiativ. Demnach hatten insgesamt bislang knapp 9 Prozent aller Betriebe in Deutschland Kontakt zu arbeitsuchenden Geflüchteten aus der Ukraine. Größere Betriebe berichten erwartungsgemäß häufiger von solchen Kontakten. Aber auch Unterschiede nach Wirtschaftszweigen sind evident (siehe Abbildung 1). Am häufigsten berichten Betriebe im Gastgewerbe (insgesamt 24 %) sowie im Bereich Verkehr und Lagerei (insgesamt 17 %) von entsprechenden Kontakten.
Zu einer Einstellung im Rahmen einer Beschäftigung, einer Ausbildung oder eines Praktikums kam es bei etwas mehr als jedem fünften Betrieb (22 %), der ein entsprechendes Angebot gemacht hat beziehungsweise bei dem eine Kontaktaufnahme durch Geflüchtete vorlag. Dies entspricht insgesamt einem Anteil von knapp 2 Prozent aller Betriebe. Relativ hohe Chancen auf eine Einstellung bestehen im Groß- und Einzelhandel (31 %), im Bau- (25 %) und im Gastgewerbe (23 %). Da die Fallzahlen aber gerade bei einer branchenspezifischen Betrachtung hier mitunter recht gering sind, können diese Angaben nur eine grobe Schätzung sein. Die statistische Unsicherheit ist teils recht hoch.
Eine Mehrheit der Betriebe sieht günstige Voraussetzungen für die Beschäftigung von ukrainischen Geflüchteten
Eine kurzfristig erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt wird auch davon abhängen, ob die Betroffenen hinreichend für eine Beschäftigung qualifiziert sind (mittel- und längerfristig könnten entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen die Integrationschancen verbessern). In einem Interview für das IAB-Forum gehen Herbert Brücker und Yuliya Kosyakova angesichts des hohen Qualifikationsniveaus der Geflüchteten sowie der aktuell starken Arbeitsnachfrage von günstigen Integrationsperspektiven für ukrainische Geflüchtete aus.
Die Betriebe selbst sehen dies mehrheitlich genauso. Die Frage, ob die Geflüchteten über die notwendigen Voraussetzungen für eine Beschäftigung verfügen, wird von 59 Prozent der Betriebe tendenziell bejaht. Allerdings sieht immerhin etwa ein Drittel die Voraussetzungen als „eher“ oder als „sicher nicht erfüllt“ an. Dabei fallen diese Einschätzungen je nach Wirtschaftszweig unterschiedlich aus (siehe Abbildung 2). So gehen rund 85 Prozent der Betriebe im Gastgewerbe davon aus, dass die Geflüchteten bei ihnen arbeiten könnten. Ein vergleichsweise hoher Anteil findet sich auch im Verarbeitenden Gewerbe (68 %), während Betriebe der sonstigen Dienstleistungen die Beschäftigungsvoraussetzungen der Ukrainerinnen (es sind in aller Regel Frauen) etwas schlechter einschätzen (49 %). Diese Unterschiede dürften unter anderem mit unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen und Qualifikationsvoraussetzungen in den jeweiligen Wirtschaftszweigen zusammenhängen. So ist in manchen Berufen ein anerkannter Berufsabschluss Voraussetzung, in anderen nicht.
Auch ist zu vermuten, dass Betriebe, die bereits Erfahrung mit ukrainischen Beschäftigten oder mit Geflüchteten aus anderen Ländern gemacht haben, eher dazu neigen, die berufliche Eignung ukrainischer Geflüchteter als höher einzuschätzen. Dies bestätigt sich auch in der hier ausgewerteten Betriebsbefragung: Mit etwa 79 Prozent liegt der Anteil der Betriebe, die die Voraussetzungen für eine Beschäftigung als erfüllt ansehen, um 20 Prozentpunkte über dem Durchschnitt aller Betriebe, wenn diese bereits Kontakt mit ukrainischen Geflüchteten hatten.
Für 70 Prozent der Betriebe stellt die Aufenthaltserlaubnis von mindestens einem Jahr eine Voraussetzung für die Einstellung ukrainischer Geflüchteter dar
Neben der Qualifikation gibt es für die Betriebe weitere Kriterien, von denen die Einstellung ukrainischer Geflüchteter abhängt. 70 Prozent der Betriebe geben das Vorliegen einer mindestens einjährigen Aufenthaltserlaubnis als Einstellungsvoraussetzung an (siehe Abbildung 3). Denn mit einer Einstellung entstehen den Betrieben Kosten – so muss neues Personal immer erst eingearbeitet werden– , die sich erst mit der Zeit amortisieren. Eine gewisse Planungssicherheit dürfte es also den Betrieben erleichtern, Geflüchtete einzustellen. Diese ist durch die Massenzustrom-Richtline gewährleistet, die den ukrainischen Geflüchteten eine uneingeschränkte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für mindestens ein Jahr gibt, die zudem auf bis zu drei Jahre verlängert werden kann. Fortgeschrittene Sprachkenntnisse sind für 59 Prozent der Betriebe relevant, während nur ein Drittel der Betriebe das Vorliegen eines anerkannten Berufsabschlusses als Einstellungsvoraussetzung nennt.
Fazit
Obwohl die meisten ukrainischen Geflüchteten sich erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in Deutschland aufhalten, der Verlauf des Krieges viele Unwägbarkeiten mit sich bringt, und viele der Geflüchteten Frauen mit Kindern sind, gab es bereits ausgeprägte Kontakte zum deutschen Arbeitsmarkt – in fast jedem zehnten Betrieb in Deutschland haben entweder die Betriebe geflüchteten Personen aus der Ukraine eine Beschäftigung angeboten oder Geflüchtete haben sich selbst danach erkundigt. Für die zeitnahe Beschäftigungsaufnahme dürfte es hilfreich gewesen sein, dass den Betroffenen nach § 24 des Aufenthaltsgesetzes schnell Schutz und direkter Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt wurde. Für die Mehrzahl der Betriebe stellt eine mindestens einjährige Aufenthaltserlaubnis eine wichtige Voraussetzung dar, um Geflüchtete aus der Ukraine bei sich einzustellen.
Literatur
Bellmann, Lutz; Gleiser, Patrick; Hensgen, Sophie; Kagerl, Christian; Leber, Ute; Roth, Duncan; Umkehrer, Matthias; Stegmaier, Jens (2022): Establishments in the Covid-19-Crisis (BeCovid): A High-Frequency Establishment Survey to Monitor the Impact of the Covid-19 Pandemic. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Vol. 242, No. 3, S. 421-431.
Kagerl, Christian; Moritz, Michael; Roth, Duncan; Stegmaier, Jens; Stepanok, Ignat; Weber, Enzo (2022): Energiekrise und Lieferstopp für Gas: Auswirkungen auf die Betriebe in Deutschland. In: Wirtschaftsdienst, Vol. 102, No. 6, S. 486-491.
Keitel, Christiane (2022): „Wir sehen gute Integrationsperspektiven für die ukrainischen Geflüchteten“ (Interview mit Herbert Brücker und Yulyia Kosyakova), In: IAB-Forum, 29.3.2022.
In aller Kürze
- In fast jedem zehnten Betrieb ist Geflüchteten ein Arbeits-, Ausbildungs- oder Praktikumsplatz angeboten worden oder haben sich Geflüchtete selbst um solche Beschäftigungen bemüht.
- Zu einer Einstellung im Rahmen einer Beschäftigung, einer Ausbildung oder eines Praktikums kam es in etwa 2 Prozent aller Betriebe.
- Die Mehrheit der Betriebe geht davon aus, dass die Geflüchteten die Voraussetzungen für eine Beschäftigung erfüllen.
- Das Vorhandensein einer Arbeitserlaubnis wird von 70 Prozent der Betriebe als Kriterium für eine Einstellung genannt.
doi: 10.48720/IAB.FOO.20220624.01
Gleiser, Patrick; Hensgen, Sophie; Kagerl, Christian ; Leber, Ute; Roth, Duncan; Stegmaier, Jens; Umkehrer, Matthias (2022): Knapp zwei Prozent der deutschen Betriebe haben bislang Geflüchtete aus der Ukraine eingestellt, In: IAB-Forum 24. Juni 2022, https://www.iab-forum.de/knapp-zwei-prozent-der-deutschen-betriebe-haben-bislang-gefluechtete-aus-der-ukraine-eingestellt/, Abrufdatum: 18. November 2024
Autoren:
- Patrick Gleiser
- Sophie Hensgen
- Christian Kagerl
- Ute Leber
- Duncan Roth
- Jens Stegmaier
- Matthias Umkehrer