19. Februar 2025 | Arbeitslosigkeit
Langfristprojektion bis 2040: „Fachkräfteengpässe trotz schlechterer konjunktureller Entwicklung“
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Wie wird sich das Arbeitskräfteangebot in Deutschlands Regionen entwickeln?
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Christian Schneemann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich „Prognosen und Strukturanalyen“ am IAB.
Christian Schneemann: Mit Ausnahme von Berlin und Hamburg wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in fast allen Bundesländern bis zum Jahr 2040 zurückgehen. Davon sind die ostdeutschen Bundesländer, aber auch das Saarland besonders betroffen. Am stärksten wird die Bevölkerung in dieser Altersgruppe in Thüringen zurückgehen – nämlich um fast 16 Prozent. Das bedeutet: 2040 wird das Angebot an verfügbaren Arbeitskräften in großen Teilen Deutschlands geringer sein als heute.
Welche Auswirkungen hat das auf die regionalen Arbeitsmärkte?
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Dr. Gerd Zika ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich „Prognosen und Strukturanalysen“ im IAB.
Zika: Das Rekrutieren von Arbeitskräften dürfte in vielen Wirtschaftsbereichen und Regionen zunehmend schwieriger werden. Die Erwerbslosenquote wird in vielen Regionen sinken oder nahezu stabil bleiben. Obwohl wir eine schlechtere konjunkturelle Entwicklung befürchten, rechnen wir weiterhin mit Engpässen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen und Berufen.
Welche Wirtschaftsbereiche trifft das?
Schneemann: An vorderer Stelle sehen wir bei künftigen Engpässen den Wirtschaftszweig „Heime und Sozialwesen“ – weil wegen der demografischen Entwicklung mehr Menschen in ein pflegebedürftiges Alter kommen werden – und die IT-Dienstleistungen, in denen wegen des digitalen Wandels der Bedarf nach qualifizierten Arbeitskräften kontinuierlich wächst. Aber auch im Baugewerbe und den Berufen im verarbeitenden Gewerbe erwarten wir auch im Jahr 2040 immer noch sehr hohe Suchdauern, da dort viele Baby-Boomer nach und nach in den Ruhestand gehen.
Im Baugewerbe wird die Rekrutierungssituation schwierig werden
Neben der Demografie gibt es weitere Megatrends, die den Arbeitsmarkt verändern. Welche werden sich als besonders herausfordernd erweisen?
Schneemann: Hier möchte ich sowohl die zunehmende Digitalisierung als auch die Dekarbonisierung der Wirtschaft nennen. Beide Trends werden die Unternehmen unter Druck setzen, innovationsfähig zu sein und sich dafür permanent modernisieren zu müssen.
Gerade die ökologische Transformation ist dabei stark auf Erwerbstätige im Baugewerbe angewiesen. Dort wird die Rekrutierungssituation wie gesagt schwierig werden. Die Unternehmen werden angehalten sein, ihre vorhandenen Beschäftigten entsprechenden der Bedarfe zu qualifizieren.
Sie gehen davon aus, dass sich der Strukturwandel künftig noch beschleunigen wird. Sind die deutschen Regionen dafür gewappnet?
Zika: Das ist wohl eher weniger der Fall. Unsere Untersuchung zeigt, dass der Bedarf gerade in gesellschaftlich wichtigen Bereichen wie der Erziehung, dem Heim- und Sozialwesen und dem Gesundheitswesen in vielen Regionen weiter zunehmen wird. Um diese notwendige Versorgung auch weiterhin finanzieren zu können, sollten der Bund und die Regionen Maßnahmen ergreifen, damit die Produktivität gesteigert wird und entsprechende Mittel zur Finanzierung dieser gesellschaftlich wichtigen Bereiche zur Verfügung stehen. Zum Beispiel sollten sie versuchen, die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren weiter zu erhöhen und den Einsatz von neuen Technologien fördern. Hier muss weiterhin viel in die Infrastruktur und auch in die Attraktivität der Regionen gesteckt werden.
Der ländliche periphere Raum wird stärker an Bevölkerung verlieren
Wird sich die Ungleichheit zwischen den Regionen abschwächen oder künftig eher noch zunehmen?
Zika: Wir erwarten, dass die Unterschiede zwischen den Regionen, mit Blick auf die Bevölkerung, auch in Zukunft zunehmen. Auf der Kreisebene sehen wir weiter den Trend, dass Arbeitskräfte in die städtisch geprägten und metropolnahen Regionen abwandern. Der ländliche periphere Raum wird dementsprechend stärker an Bevölkerung verlieren. Dies wirkt sich natürlich auf die Attraktivität dieser Regionen aus. Insbesondere in den östlichen Bundesländern sehen wir teilweise einen starken Rückgang – sowohl, was das Angebot an Arbeitskräften als auch die Nachfrage betrifft. Das zeigt, dass Engpässe auf der Angebotsseite auch die wirtschaftlichen Wachstumsaussichten in einigen Regionen eintrüben. Wenn Arbeitskräfte fehlen, bleiben wirtschaftliche Potenziale ungenutzt.
Was muss die Politik jetzt tun, um für den Arbeitsmarkt 2040 gute Bedingungen zu schaffen?
Schneemann: Will man die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland nicht aufs Spiel setzen, sind gut ausgebildete Arbeitskräfte unabdingbar. Die nachfolgenden Jahrgänge müssen bestmöglich qualifiziert werden, für die Beschäftigten werden bessere und flexiblere Weiterbildungsstrukturen benötigt, lebenslanges Lernen ist hier das Schlagwort. Zudem muss der Arbeitsmarkt noch attraktiver für qualifizierte Migranten und Migrantinnen werden. Für notwendig halten wir auch stärkere Investitionen in die Infrastruktur und die Digitalisierung. Indem der Staat seine Investition dort erhört, stellt er die Grundvoraussetzungen für modernes Wirtschaften bereit und regt private Investitionen an. Unternehmen bedürfen dabei gerade in der langen Frist Planungssicherheit und Transparenz darüber, welche Richtung die Investitionen im Bereich der Zukunftstechnologien einschlagen sollen.
Literatur
Schneemann, Christian, Florian Bernardt, Michael Kalinowski, Tobias Maier, Gerd Zika, Marc Ingo Wolter (2025): Auswirkungen des Strukturwandels auf die Arbeitsmarktregionen und Bundesländer in der langen Frist – Qualifikations- und Berufsprojektion bis 2040. IAB-Forschungsbericht 03.
doi: 10.48720/IAB.FOO.20250219.01
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Autoren:
- Christiane Keitel