24. Oktober 2024 | Migration und Integration
Migrant*innen der ersten Generation gelingt der Aufstieg in die Einkommenselite deutlich seltener als Deutschen
Die Wege, die in die Einkommenselite führen, unterscheiden sich je nach gesellschaftlicher Gruppe substanziell. So sind Frauen deutlich seltener in der Einkommenselite vertreten als Männer. Dies ist vielfach auch nur deswegen der Fall, weil sie einen sehr gut verdienenden Partner geheiratet haben (lesen Sie dazu eine 2023 erschienene Studie von Matthias Collischon). Auch Migrant*innen sind dort deutlich unterrepräsentiert.
Dennoch gibt es aus dieser Gruppe Menschen, die es bis an die Spitze der Einkommenspyramide schaffen. Die Autor*innen dieses Beitrags haben in einer aktuellen Studie untersucht, welche Faktoren einen solchen Aufstieg für Migrant*innen der ersten Generation begünstigen – also für Personen, die selbst zugewandert sind. Die Ergebnisse werden im Folgenden zusammengefasst.
In der Studie, die sich auf Daten des Mikrozensus aus den Jahren 2009 bis 2019 stützt, werden insbesondere die Faktoren Bildung, Selbstständigkeit und Integration betrachtet – unter anderem gemessen an den Jahren seit der Einwanderung der Migrant*innen. Zur Einkommenselite werden dort Personen gerechnet, die sich im obersten Prozent der Einkommensverteilung befinden. Dies entspricht einem Individualeinkommen von über 5.500 Euro netto pro Monat.
Zu beachten ist, dass in der Studie Migrant*innen der zweiten Generation, also Personen, bei denen mindestens ein Elternteil zugewandert ist, der Vergleichsgruppe der Deutschen zugeordnet werden.
Migrant*innen der ersten Generation sind in der Einkommenselite um gut 40 Prozent unterrepräsentiert
Betrachtet man zunächst die durchschnittlichen sozio-demografischen Unterschiede zwischen Migrant*innen der ersten Generation und Deutschen in den unteren 99 Prozent der Einkommensverteilung, so zeigt sich: Erstere sind im Durchschnitt jünger und seltener weiblich, aber eher verheiratet und haben häufiger Kinder. Auch die Wahrscheinlichkeit, solo-selbstständig zu sein, ist bei ihnen höher (siehe Tabelle 1).
Beim obersten Prozent der Einkommensverteilung verändern sich die Unterschiede zwischen den Gruppen erheblich: Der Anteil der Frauen ist gering und nun bei Migrant*innen und Deutschen gleich (14 %), der Altersunterschied nimmt ab. Bemerkenswert ist, dass der Anteil der Selbstständigen mit Angestellten unter Migrant*innen deutlich geringer ist als bei Deutschen (17 % versus 31 %). Auch haben Migrant*innen in dieser Einkommensgruppe häufiger einen tertiären Bildungsabschluss als Deutsche.
Auffällig ist, dass die meisten Migrant*innen an der Spitze der Einkommensverteilung aus EU-Ländern kommen (67 %), wohingegen im unteren Teil der Lohnverteilung nur eine Minderheit aus EU-Ländern stammt (42 %). Im Durchschnitt halten sich Migrant*innen der ersten Generation seit etwa 19 Jahren in Deutschland auf. Bei denjenigen, die zur Einkommenselite gehören, sind es rund 18 Jahre.
Aufschlussreich ist auch der Blick auf die Entwicklung des Anteils der Migrant*innen an den beiden Einkommensgruppen im Zeitverlauf (siehe Abbildung 1). Dabei zeigt sich: Migrant*innen sind seit jeher im obersten Prozent der Einkommensverteilung unterrepräsentiert. Ihr Anteil ist in dieser Gruppe deutlich kleiner als in den unteren 99 Prozent der Einkommensverteilung.
Darüber hinaus ist der Anteil der Migrant*innen im obersten Prozent zwischen 2009 und 2019 nur leicht von 6,1 auf 7,1 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: Der Gesamtanteil der Migrant*innen stieg in dieser Zeit von etwa 8 auf 12 Prozent, also etwa um die Hälfte. Damit waren Migrant*innen im Jahr 2019 (aktuellere Daten liegen nicht vor) in der deutschen Einkommenselite um gut 40 Prozent geringer vertreten, als es ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprochen hätte.
Der Zusammenhang zwischen Selbstständigkeit und Elitenstatus ist für Deutsche stärker als für Migrant*innen
Welche Faktoren sind es nun, die jeweils für sich genommen – also unter statistischer Kontrolle anderer Variablen – die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein Migrant oder eine Migrantin der ersten Generation zur Einkommenselite gehört? Genaueren Aufschluss gibt Abbildung 2. Demnach erhöht etwa eine Promotion die Wahrscheinlichkeit, der Einkommenselite zuzugehören, für Deutsche stärker als für Migrant*innen.
Auch bei der Selbstständigkeit zeigen sich Unterschiede zwischen Deutschen und Migrant*innen. Dies gilt insbesondere für eine selbstständige Tätigkeit mit Angestellten. Diese zahlt sich zwar für beide Gruppen aus, für Deutsche jedoch deutlich stärker als für Migrant*innen.
Anders bei der Solo-Selbstständigkeit: Diese geht zwar bei Deutschen, nicht aber bei Migrant*innen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einher, der Einkommenselite anzugehören. Dies könnte daran liegen, dass sich viele Migrant*innen, die nicht zur Einkommenselite zählen, mangels anderer Beschäftigungsmöglichkeiten selbstständig machen.
Die Aufenthaltsdauer in Deutschland scheint, wie vorhin bereits angedeutet, keinen Einfluss auf die Elitenzugehörigkeit von Migrant*innen zu haben. Das Herkunftsland hingegen macht den Analysen zufolge tendenziell einen Unterschied. So weisen Migrant*innen aus Nicht-EU-Ländern im Vergleich zu jenen aus der EU (diese dienen in der Analyse als Referenzgruppe) eine geringere Wahrscheinlichkeit auf, zur Einkommenselite zu gehören. Dies legt nahe, dass Migrant*innen aus EU-Ländern von einem erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt und geringeren kulturellen und sozialen Barrieren profitieren.
Fazit
Ähnlich wie in anderen westlichen Ländern ist auch in Deutschland der Anteil der Migrant*innen in den letzten Jahrzehnten erheblich gestiegen. Obwohl Migrant*innen der ersten Generation im Jahr 2019 rund 12 Prozent der hiesigen Bevölkerung ausmachten, sind sie in der Einkommenselite nur zu etwa 7 Prozent vertreten. Mithin klafft hier eine Repräsentationslücke.
Angesichts der Tatsache, dass Mitglieder der Einkommenselite typischerweise einen überproportional starken wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Einfluss ausüben, verweist dies auf eine Herausforderung, die über das Problem der Einkommensungleichheit hinausgeht. Migrant*innen sollten, ebenso wie Frauen, die gleichen Chancen haben, in die Einkommenselite aufzusteigen, wie deutsche Männer. Gemeinschaftlich an diesem Ziel zu arbeiten, ist auch ein Gebot der gesellschaftlichen Fairness.
In aller Kürze
- Im Jahr 2019 gehörten 7 Prozent der Migrant*innen der ersten Generation zum obersten Prozent der Einkommensverteilung. Das sind 5 Prozentpunkte weniger, als es ihrem Anteil an allen Einkommensbeziehenden entspricht.
- Eine Promotion und eine selbstständige Tätigkeit erhöhen die Wahrscheinlichkeit, der Einkommenselite anzugehören, für Migrant*innen in geringerem Ausmaß als für Deutsche.
- Eine längere Aufenthaltsdauer von Migrant*innen der ersten Generation in Deutschland erhöht die Wahrscheinlichkeit, der Einkommenselite zuzugehören, nicht.
- Migrant*innen aus Nicht-EU-Ländern gehören der Einkommenselite seltener an.
Literatur
Collischon, Matthias (2023): Gender inequality in the one percent: A look under the hood of high incomes in Germany. The British Journal of Sociology, 74(3), S. 501–519.
Collischon, Matthias; Wunder, Anja; Zimmermann, Florian (2024): Immigrants’ Pathways to the Income Elite in Germany. Sociology, online first.
Keister, Lisa (2014): The one percent. Annual Review of Sociology, 40(1), S. 347–367.
Keister, Lisa; Lee, Hang Young (2017): The double one percent: Identifying an elite and a super-elite using the joint distribution of income and net worth. Research in Social Stratification and Mobility, 50, S. 1–12.
Bild: DragonImages/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20241024.01
Collischon, Matthias; Wunder, Anja; Zimmermann, Florian (2024): Migrant*innen der ersten Generation gelingt der Aufstieg in die Einkommenselite deutlich seltener als Deutschen, In: IAB-Forum 24. Oktober 2024, https://www.iab-forum.de/migrantinnen-der-ersten-generation-gelingt-der-aufstieg-in-die-einkommenselite-deutlich-seltener-als-deutschen/, Abrufdatum: 21. December 2024
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Autoren:
- Matthias Collischon
- Anja Wunder
- Florian Zimmermann