22. November 2017 | Serie „Zehn Jahre PASS“
„Niemand muss Fragen beantworten, die er nicht beantworten möchte“
Herr Schneider, Sie arbeiten seit mehreren Jahren als Interviewer bei infas und sind auch für das Panel „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ im Einsatz. Wie sind Sie damals zu dieser Tätigkeit gekommen?
Als ich 2007 nach einem fast 15-jährigen Auslandsaufenthalt wieder zurück nach Deutschland kam, habe ich mich gefragt, wo ein 50-Jähriger beruflich noch gefragt sein könnte. Eine Zeitungsmeldung über ein bekanntes Meinungsforschungsinstitut erinnerte mich spontan an eine frühere Nachbarin, die häufig Päckchen von diesem Institut erhalten hatte. Sie hatte mir bei Gelegenheit erzählt, dass sie hauptberuflich als Interviewerin tätig sei, ihr der Job Spaß mache, viele Freiheiten lasse und auch finanziell durchaus akzeptabel sei. Alles Aspekte, die mir sehr wichtig erschienen. Also schickte ich eine Spontanbewerbung an infas und war wenig später schon ins erste Befragungsprojekt eingebunden.
Könnten Sie mir kurz erklären, was Sie als Interviewer machen? Wie läuft so ein wissenschaftliches Interview für gewöhnlich ab?
Hier bei infas gibt es zwei Arten von Interviews: telefonische und persönliche. Ich führe ausschließlich persönliche Interviews. Das bedeutet, dass ich die Studienteilnehmer zu Hause besuche und dann mithilfe eines Laptops ein standardisiertes Interview durchführe. Der Kern der Tätigkeit besteht darin, die vom Befragungsprogramm eingeblendeten Fragen vorzulesen und die Antworten der befragten Person zu protokollieren. Das Gespräch findet komplett computergesteuert statt, und ich bin dazu angehalten, die Fragen exakt so vorzulesen, wie sie am Bildschirm erscheinen. Üblicherweise gibt es auch vorgegebene Antwortoptionen, unter denen die befragte Person dann auswählt. Neben den eigentlichen Interviews fallen eine Reihe weiterer Aufgaben an, beispielsweise die Gewinnung neuer Studienteilnehmer, die telefonische oder persönliche Vereinbarung von Terminen, die wöchentliche und tägliche Einsatzplanung oder die Datenübermittlung an infas. Außerdem gibt es für uns Interviewer jedes Jahr eine Schulung durch das IAB.
„Ich versuche, die Fragen immer ganz sachlich und trocken vorzulesen, ohne persönlich interessiert zu erscheinen.“
Als Interviewer treten Sie immer ein Stück weit ins Privatleben einer Person ein. Stoßen Sie hier manchmal an Grenzen?
Aus der Praxis kann ich nicht bestätigen, dass die Studienteilnehmer besonders scheu wären – auch nicht, wenn es um persönliche Informationen wie Finanzen oder andere heikle Dinge geht. Ich versuche, die Fragen immer ganz sachlich und trocken vorzulesen, ohne in irgendeiner Form persönlich interessiert oder emotional involviert zu erscheinen. Dann gibt es auch bei heiklen Fragen so gut wie nie Probleme. Ich höre manchmal von einzelnen Kollegen, dass sie Hemmungen haben, Fragen nach dem Einkommen, der Religionszugehörigkeit oder anderen vertraulichen Dingen zu stellen. Bei mir kommt es ganz selten vor, dass jemand bei solchen Fragen Widerstände erkennen lässt oder die Auskunft verweigert. Und selbst wenn die befragte Person keine Angabe machen möchte, ist das völlig in Ordnung. Niemand muss Fragen beantworten, die er nicht beantworten möchte.
Was macht Ihrer Erfahrung nach eigentlich ein gutes Interview aus? Was trägt zu seinem Gelingen bei?
Ideal verläuft ein Interview nach meinem Eindruck immer dann, wenn der befragten Person zwar bewusst ist, dass gerade ein standardisiertes Interview stattfindet, sie aber das Gefühl hat, dass wir uns trotzdem nett unterhalten. Mit Augenkontakt, gelegentlichem positiven Feedback, einem Scherz hier und da oder auch damit, kleinere Abschweifungen vom eigentlichen Thema zuzulassen, kann man dieses Gefühl als erfahrener Interviewer erheblich verstärken. Ich merke ziemlich schnell, ob ein Interview entspannt verlaufen wird oder nicht, denn letztlich ist es wie immer im Leben: Mit manchen Menschen kann man einfach besser als mit anderen.
Haben Sie mit manchen Studienteilnehmern engere Kontakte geknüpft?
Also, ich sehe meine Tätigkeit in erster Linie professionell. In der Tat kann sich aber mit einzelnen Haushalten, die ich schon mehrmals befragt habe, ein persönlicherer Umgang entwickeln. Manchmal wird mein Anruf schon freudig erwartet, wenn der Brief von infas angekommen ist. Dann werde ich bereits am Telefon zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Ganz vereinzelt gab es auch Fälle, wo eine allzu persönliche Note ins Unprofessionelle hätte abgleiten können, was ich aber stets vermeide.
„Man erhält interessante Einblicke in sehr unterschiedliche Wohn- und Lebensverhältnisse, Meinungen und Einstellungen.“
Zum Beispiel?
Ich erinnere mich an einen Haushalt, wo ich zwei-, dreimal zum Interview kam und jedes Mal ebenso freundlich wie nachdrücklich zum Essen eingeladen wurde: „Hier, schauen Sie mal in die Kochtöpfe, das gibt es bei uns heute, diesmal müssen Sie aber mit uns essen!“ Ich gab mir jedes Mal viel Mühe, mich für die erwiesene Gastfreundlichkeit ganz herzlich zu bedanken. Da ich aber nie zum Essen blieb, drückte man mir beim nächsten Mal beim Abschied einfach eine Flasche Portwein in die Hand – und es war völlig klar, dass ich die jetzt nicht auch noch ablehnen durfte! Das hat mich schon sehr berührt.
Wenn Sie all die Jahre Revue passieren lassen: Was macht für Sie den Reiz Ihrer Tätigkeit aus?
Ich finde meine Arbeit nach wie vor sehr anregend. Man erhält interessante Einblicke in sehr unterschiedliche Wohn- und Lebensverhältnisse, Meinungen und Einstellungen. Ich finde das hochgradig spannend! Es hilft nicht nur dabei, die eigenen Sorgen und Nöte zu relativieren und den eigenen Lebensumständen sozusagen einen äußerst facettenreichen Spiegel vorhalten zu können, sondern man gewinnt dabei auch an Lebenserfahrung. Ich habe mich immer für jemanden gehalten, der eine gute Menschenkenntnis hat. Doch trotz aller Menschenkenntnis und einigen tausend Interviews, die ich in den letzten Jahren geführt habe, passiert es immer wieder, dass eine Person etwas komplett anderes antwortet als ich von ihr erwartet hätte. Das macht einen sensibler gegenüber eigenen Vorurteilen.
„Man sollte gut mit Menschen umgehen können. Und ganz wichtig: Zuhören können!“
Würden Sie Ihre Arbeit als Interviewer weiterempfehlen? Welche Voraussetzungen sollte man dafür mitbringen?
Man braucht schon bestimmte Voraussetzungen, sonst macht die Arbeit als Interviewer keinen Spaß und dann hat man wohl auch keinen Erfolg damit. Am wichtigsten ist es, kommunikativ und offen zu sein. Man sollte gut mit Menschen umgehen können. Außerdem muss man sich selbst gut organisieren können. Und ganz wichtig: Zuhören können! Man darf auch keine Angst vorm Telefon haben, darf sich nicht von Absagen demotivieren lassen und nicht mit dem PC oder der Interviewsoftware fremdeln. Wenn man das mitbringt, ist dieser Beruf durchaus empfehlenswert, und die Chancen stehen auch gut: Interviewer werden nämlich immer gesucht. Im positiven Fall erfährt man Akzeptanz bei der infas-Einsatzleitung und bei den vielen befragten Personen. Man bleibt außerdem selbstständig und flexibel, lernt bei den Projekten noch etwas hinzu, und die Verdienstmöglichkeiten sind auch okay.
Dr. Willi Schneider schloss sein Studium der Wirtschaftswissenschaften 1971 an der Universität zu Köln als Diplom-Kaufmann ab und promovierte 1984 (Dr. rer. pol.). Nach anfänglicher Tätigkeit als Revisionsassistent und in Konzernstabsstellen arbeitete er bis Mitte der 1990er Jahre hauptsächlich als betriebswirtschaftlicher Berater im Gesundheitswesen. Ende 2007 kehrte er von einem langjährigen USA-Aufenthalt nach Deutschland zurück, ist seit 2009 freiberuflicher Mitarbeiter von infas und unter anderem als Interviewer für das Panel „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ im Einsatz.
Die Fragen stellte Daniel Meyer, derzeit als Doktorand am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln tätig.