21. Dezember 2020 | Serie „Corona-Krise: Folgen für den Arbeitsmarkt“
Potenzial für Homeoffice noch nicht ausgeschöpft
Lutz Bellmann , Patrick Gleiser , Christian Kagerl , Theresa Koch , Corinna König , Ute Leber , Laura Pohlan , Duncan Roth , Malte Schierholz , Jens Stegmaier , Armin Aminian , Nils Backhaus , Anita Tisch
Die Betriebe stehen angesichts der Covid-19-Pandemie vor einer doppelten Herausforderung: Sie müssen die ökonomischen Folgen der Krise abfedern und zugleich sicherstellen, dass die Abstands- und Hygieneregeln im Arbeitsalltag eingehalten werden. Viele Betriebe haben daher ihre Homeoffice-Kapazitäten ausgeweitet. Teilweise haben sie Beschäftigte auch erstmals ins Homeoffice geschickt.
Tatsächlich zählt Homeoffice zu den wichtigsten personalpolitischen Instrumenten in der Corona-Krise (lesen Sie dazu einen aktuellen Beitrag im IAB-Forum). Natürlich eignen sich nicht alle Tätigkeiten für das Homeoffice. Das gilt beispielsweise in der Fertigung oder im Gesundheitswesen. Wie Philipp Grunau, Susanne Steffes und Stefanie Wolter in einem im März dieses Jahres erschienenen Beitrag für das IAB-Forum zeigen, blieben vor Beginn der Pandemie jedoch auch Potenziale in Berufen ungenutzt, in denen Homeoffice prinzipiell möglich gewesen wäre.
Mögliche Hemmnisse sind neben technischen Hürden zum Beispiel eine von manchen Arbeitgebern traditionell gepflegte Präsenzkultur oder der Wunsch von Beschäftigten, Beruf und Privatleben zu trennen. Diese Hemmnisse treten in der Corona-Krise beispielsweise aufgrund von Betreuungsverpflichtungen und Erfordernissen des Infektionsschutzes zumindest temporär in den Hintergrund (lesen Sie dazu auch den IAB-Kurzbericht 13/2020).
Laut der IAB-Online-Befragung „Leben und Erwerbstätigkeit in Zeiten von Corona“ bestand im Mai dieses Jahres für 14,1 Millionen Personen die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Das sind 43 Prozent aller sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten. Bei den Beschäftigten mit Homeoffice-Möglichkeit ist ein starker Anstieg der wöchentlichen Arbeitsstunden im Homeoffice zu verzeichnen: Arbeiteten vor der Krise rund 8 Prozent mehr als 20 Stunden von zu Hause aus, so waren es im Mai dieses Jahres fast 50 Prozent.
Der Wunsch, von zu Hause aus arbeiten zu können, ist stärker unter denjenigen ausgeprägt, die bereits die Möglichkeit dazu haben. Dabei wünscht sich die Mehrheit für die Zukunft eine möglichst flexible Nutzung von Homeoffice.
58 Prozent der deutschen Betriebe bieten kein Homeoffice an
Der Befragung „Betriebe in der Covid-19-Krise“ zufolge bieten derzeit 42 Prozent der Betriebe in Deutschland zumindest einem Teil ihrer Beschäftigten grundsätzlich die Möglichkeit an, ganz oder teilweise im Homeoffice zu arbeiten (siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Demnach besteht diese Möglichkeit in 58 Prozent der deutschen Betriebe nicht. Dort arbeitet ein knappes Drittel aller Beschäftigten.
Erwartungsgemäß zeigen sich starke Unterschiede zwischen Betrieben unterschiedlicher Größen und Branchen. Über 90 Prozent aller Großbetriebe mit mehr als 250 Beschäftigten ermöglichen zumindest einem Teil ihrer Beschäftigten, im Homeoffice zu arbeiten, während dies nur bei einem Drittel der Kleinstbetriebe bis 9 Beschäftigten der Fall ist.
Noch deutlicher fallen die branchenspezifischen Unterschiede aus. Während sich die Tätigkeiten in fast allen Betrieben der Branche „Information und Kommunikation“ im Homeoffice ausüben lassen, ist dies im Gastgewerbe oder in der Landwirtschaft nur in Ausnahmefällen möglich.
Dass sich viele Tätigkeiten nicht für das Homeoffice eignen, wird von fast allen betroffenen Betrieben als Hauptgrund dafür angeführt, kein Homeoffice anzubieten. Ein Drittel dieser Betriebe sieht auch die fehlende technische Ausstattung als Hinderungsgrund, 20 Prozent geben den Datenschutz als Hürde an.
Der Anteil der Beschäftigten, die Homeoffice nutzen können, ist in der Pandemie deutlich gestiegen
Angesichts der Pandemie haben viele Betriebe ihren Belegschaften erstmals ermöglicht oder diese sogar dazu angehalten, ihre Arbeit von zu Hause aus zu verrichten. Folgende Zahlen mögen dies illustrieren: Vor der Corona-Krise lehnten es noch 37 Prozent der Betriebe ab, ihren Beschäftigten Homeoffice anzubieten, obwohl dies zumindest für einen Teil der Belegschaft möglich gewesen wäre. Im Zuge der Pandemie halbierte sich dieser Anteil bis Ende Mai auf 18 Prozent und hielt sich bis Mitte Oktober auf einem vergleichbaren Niveau.
Allerdings setzt sich auch die Belegschaft eines Betriebs häufig aus sehr unterschiedlichen Berufsgruppen zusammen. Nicht alle können von zu Hause aus arbeiten. Konkret bedeutet dies, dass in denjenigen Betrieben, die Homeoffice prinzipiell anbieten, rund 50 Prozent der Beschäftigten davon Gebrauch machen könnten. Umgekehrt kann also rund die Hälfte der Beschäftigten in diesen Betrieben nicht im Homeoffice arbeiten, weil es ihre Tätigkeit nicht zulässt. Daran hat sich durch die Pandemie wenig geändert (siehe Abbildung 1).
Der Anteil der Belegschaft, der Homeoffice nutzen kann, ist dennoch infolge der Pandemie erheblich gestiegen. Während er vor der Krise bei 27 Prozent lag, nahm er im Frühjahr dieses Jahres deutlich zu: Von Mitte März bis Ende Mai waren 36 Prozent der Belegschaft zumindest zeitweise im Homeoffice. Mitte Oktober waren es mit 38 Prozent sogar noch etwas mehr.
Der Anteil derjenigen, die von ihrer Homeoffice-Option keinen Gebrauch gemacht haben, dürfte während des ersten Lockdowns relativ gering gewesen sein. Die meisten Betriebe, die ihren Beschäftigten in dieser Zeit Homeoffice anboten, empfahlen dies ausdrücklich oder ordneten dies sogar an (jeweils 37 %).
Rückläufig war hingegen der Anteil derjenigen Beschäftigten, die kein Homeoffice nutzen können, obwohl es ihre Tätigkeit erlauben würde. Lag dieser vor der Pandemie noch bei 23 Prozent (bezogen auf diejenigen Betriebe, in denen zumindest ein Teil der Belegschaft eine Option auf Homeoffice hat), so sank er bis Mitte Oktober auf 13 Prozent. Dies zeigt aber auch, dass das Potenzial für Homeoffice noch nicht zur Gänze ausgeschöpft ist.
Die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, ist auch an die technische Ausstattung geknüpft. 58 Prozent derjenigen Betriebe, die den Einsatz von Homeoffice in der Pandemie forciert haben, schafften neue Hardware wie Laptops, Tablets, Webcams oder Headsets an. 45 Prozent investierten in neue Software wie Videokonferenz- oder Projektplanungstools. 47 Prozent bauten den IT-Support für Beschäftigte aus. Etwa jeder fünfte Betrieb führte zusätzliche Schulungen im IT-Bereich durch.
Die Rolle formaler Regelungen
Bedeutende Herausforderungen birgt Homeoffice auch für die Führung und die Zusammenarbeit in Unternehmen. Klare Regeln zum Umgang mit Homeoffice im Betrieb können dazu beitragen, die damit verbundenen Potenziale besser auszuschöpfen und den Beschäftigten zugleich mehr Sicherheit zu geben. So haben Lutz Bellmann und Olaf Hübler in einem aktuellen Beitrag für das IAB-Forum gezeigt, dass Betriebsvereinbarungen zur Nutzung von Homeoffice die Arbeitszufriedenheit signifikant erhöhen. Zudem können zum Beispiel unbezahlte Überstunden vermieden, Erreichbarkeit und Leistungsziele festgelegt und der Arbeitsschutz gewährleistet werden.
Die Relevanz solcher formalen Regelungen lässt sich anhand der hier ausgewerteten Betriebsbefragung ebenfalls belegen. Dies gilt beispielsweise für den Anteil der Belegschaft mit Homeoffice-Option. Er war schon vor der Corona-Krise in Betrieben mit einer formalen Homeoffice-Regelung deutlich höher als in Betrieben ohne eine solche Regelung. Diese Kluft hat sich im Laufe der Corona-Krise noch einmal vergrößert (siehe Abbildung 2). Während sich der Anteil der Beschäftigten mit Homeoffice-Option bei Betrieben ohne Vereinbarungen im Oktober dieses Jahres mit 23 Prozent etwa auf dem Niveau des Frühjahrs bewegte, stieg der Anteil bei Betrieben mit formalen Regelungen von 35 auf 43 Prozent.
Der aus der Abbildung erkennbare positive Zusammenhang zwischen formaler Regelung und Anteil der Belegschaft mit Homeoffice-Möglichkeit bleibt auch unter Berücksichtigung weiterer Betriebsmerkmale bestehen (siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Vergleicht man Betriebe, die sich ansonsten relativ ähnlich sind (zum Beispiel in puncto Betriebsgröße, Vorhandensein eines Betriebsrats, Eigentumsverhältnisse, Branche, Beschäftigtenstruktur und Anteil der Beschäftigten, die grundsätzlich im Homeoffice arbeiten können), liegt der Homeoffice-Anteil in Betrieben mit formaler Regelung um 7 Prozentpunkte signifikant höher als in Betrieben ohne formale Regelung. Dieser Zusammenhang ist tendenziell umso stärker, je größer der Anteil der Gesamtbelegschaft ist, der aufgrund der Art der ausgeübten Tätigkeiten potenziell im Homeoffice arbeiten kann.
Fazit
Während der Corona-Krise haben die Betriebe die Möglichkeiten für ihre Beschäftigten, im Homeoffice zu arbeiten, deutlich ausgeweitet. Gleichwohl ist das Potenzial für Homeoffice noch keineswegs ausgeschöpft: Im Oktober dieses Jahr haben 75 Prozent der Beschäftigten, die grundsätzlich von zu Hause aus arbeiten könnten, diese Möglichkeit genutzt.
Neben fehlender IT-Ausstattung und Regelungen zum Datenschutz könnte auch die Befürchtung, dass die Produktivität im Homeoffice geringer ist als am Arbeitsplatz, die Attraktivität von Homeoffice für Betriebe wie Beschäftigte schmälern. Wenn solche Hemmnisse abgebaut werden können, besteht in der aktuellen Situation mit hohem Infektionsgeschehen und verstärkten Beschränkungen noch ein deutlicher Spielraum für mehr Homeoffice.
Zugleich zeigt sich, dass formale Regelungen, etwa in Bezug auf Erreichbarkeit und Leistungsziele, das Arbeiten von zu Hause aus fördern. Der Abbau technischer Hürden durch Investitionen in IT-Ausstattung und -Support könnte auch nach der Covid-19-Pandemie die Nutzung von Homeoffice begünstigen. Eine aktuelle Studie in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt, dass nach eigenen Angaben die Mehrheit der Betriebe ihren Beschäftigten auch nach der Krise in höherem Maße Homeoffice ermöglichen möchte als davor. Sie erhoffen sich davon hauptsächlich mehr Flexibilität und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für ihre Belegschaft.
Daten und Methoden
Die Auswertungen beziehen sich auf Betriebe, die angeben, dass die Nutzung von Homeoffice (ohne feste Einrichtung eines Telearbeitsplatzes) oder Telearbeit (vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich der Beschäftigten) zumindest für einen Teil der Beschäftigten prinzipiell möglich sind. In diesem Artikel wird zwischen den Begriffen Homeoffice und Telearbeit nicht weiter unterschieden.
Die Betriebe wurden gebeten, zu drei Zeitpunkten Auskunft über die Beschäftigtenzahl mit Homeoffice-Option zu geben:
- Zeit vor der Corona-Krise: Beschäftigte mit Homeoffice-Möglichkeit
- Zeit zwischen Mitte März und Ende Mai 2020: durchschnittliche Zahl der Beschäftigten im Homeoffice
- Aktuell (Oktober 2020): Beschäftigte mit Homeoffice-Möglichkeit
Um den Anteil der Beschäftigten zu den drei genannten Zeitpunkten zu berechnen, wurden zwei Bezugsgrößen gewählt: das Potenzial an Beschäftigten und alle Beschäftigten. Das Potenzial gibt an, wie viele Beschäftigte laut Angabe des Betriebs grundsätzlich aufgrund der ausgeübten Tätigkeiten im Homeoffice arbeiten könnten. Diese Größe ist für alle drei Zeitpunkte praktisch gleich. Bei der Anzahl aller Beschäftigten wird für die Zeit vor der Corona-Krise und zwischen Mitte März und Ende Mai 2020 die Anzahl der Beschäftigten im Februar 2020 zugrunde gelegt. Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Bezugsgröße die aktuelle Zahl an Beschäftigten.
Der Zusammenhang zwischen dem Anteil der Beschäftigten im Homeoffice und einer formalen Regelung zum Homeoffice wurde mittels eines logistischen Fractional-Response-Modells berechnet, gewichtet nach den Hochrechnungsfaktoren der Erhebung. Als Kontrollvariablen wurden das Homeoffice-Potenzial, die Größe und die Branche benutzt, ebenso ob der Betrieb in ausländischer Hand ist, ob er einen Betriebsrat hat und ob er Arbeitskräfte für einfache Tätigkeiten hat, die keine berufliche Ausbildung erfordern. Dabei ist zu beachten, dass diese Analyse keine kausale Interpretation zulässt.
Literatur
Backhaus, Nils; Tisch, Anita; Kagerl, Christian; Pohlan, Laura (2020): Arbeit von zuhause in der Corona-Krise: Wie geht es weiter?. In: baua: Bericht kompakt, 1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.
Bellmann, Lutz; Hübler, Olaf (2020): Homeoffice braucht klare Regeln. In: IAB-Forum, 11.9.2020.
Bellmann, Lutz; Kagerl, Christian; Koch, Theresa; König, Corinna; Leber, Ute; Schierholz, Malte; Stegmaier, Jens; Aminian, Armin (2020): Was bewegt Arbeitgeber in der Krise? Eine neue IAB-Befragung gibt Aufschluss. In: IAB-Forum, 25.9.2020.
Bellmann, Lutz; Kagerl, Christian ; Koch, Theresa; König, Corinna ; Leber, Ute; Schierholz, Malte ; Stegmaier, Jens; Aminian , Armin (2020): Kurzarbeit ist nicht alles: Was Betriebe tun, um Entlassungen in der Krise zu vermeiden. In: IAB-Forum, 25.9.2020.
Frodermann, Corinna; Grunau, Philipp; Haepp, Tobias; Mackeben, Jan; Ruf, Kevin; Steffes, Susanne; Wanger, Susanne (2020): Online-Befragung von Beschäftigten: Wie Corona den Arbeitsalltag verändert hat, IAB-Kurzbericht Nr. 13.
Grunau, Philipp; Steffes, Susanne; Wolter, Stefanie (2020): Homeoffice in Zeiten von Corona: In vielen Berufen gibt es bislang ungenutzte Potenziale. In: IAB-Forum, 25.3.2020.
Bellmann, Lutz; Gleiser, Patrick; Kagerl, Christian ; Koch, Theresa; König, Corinna ; Leber, Ute; Pohlan, Laura; Roth, Duncan; Schierholz, Malte ; Stegmaier, Jens; Aminian , Armin; Backhaus, Nils; Tisch, Anita (2020): Potenzial für Homeoffice noch nicht ausgeschöpft, In: IAB-Forum 21. Dezember 2020, https://www.iab-forum.de/potenzial-fuer-homeoffice-noch-nicht-ausgeschoepft/, Abrufdatum: 26. December 2024
Diese Publikation ist unter folgender Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Autoren:
- Lutz Bellmann
- Patrick Gleiser
- Christian Kagerl
- Theresa Koch
- Corinna König
- Ute Leber
- Laura Pohlan
- Duncan Roth
- Malte Schierholz
- Jens Stegmaier
- Armin Aminian
- Nils Backhaus
- Anita Tisch