8. Februar 2018 | Betriebliche Arbeitswelt
Raus aus der Minijob-Falle! Sieben Ansatzpunkte für Reformen
Minijobs gehören zu den Beschäftigungsformen, die seit eineinhalb Dekaden immer wieder zu heftigen Kontroversen führen. Auslöser war die Reform der geringfügigen Beschäftigung im „Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ („Hartz I“) im Jahr 2003. Darin wurden die sogenannten Minijobs etabliert und mit den Midijobs eine Gleitzone im Übergangsbereich zur voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eingeführt.
Seitdem ist es – wie schon in der Zeit vor 1999 – für Steuern und Abgaben wieder unerheblich, ob ein Minijob haupt- oder nebenberuflich ausgeübt wird. Minijobs sind in allen Varianten für Beschäftigte steuerfrei, Arbeitgeber zahlen Pauschalen für Versicherungen und Steuern. Zudem wurde mit dem „Hartz-Gesetz“ die Entgeltgrenze von vormals 325 Euro auf 400 Euro angehoben. Die Beschränkung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 15 Stunden entfiel ersatzlos.
Befürworter und Gegner haben ernst zu nehmende Argumente
In der Debatte um die Minijobs gibt es ernst zu nehmende Argumente auf beiden Seiten. Für diese Form der Beschäftigung spricht, dass hierdurch auf unbürokratische Weise Zusatzeinkommen ermöglicht und der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Zudem können Minijobs die Flexibilität des betrieblichen Personaleinsatzes erhöhen und der Verbreitung von Schwarzarbeit entgegenwirken.
Dem stehen jedoch Probleme gegenüber, insbesondere für die Minijobber. So werden erwünschte Übergänge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durch die Begünstigungen erschwert. Arbeitsrechtliche Regelungen kommen nicht immer zum Tragen. Schließlich haben Menschen, die eine geringfügige Beschäftigung langfristig ausüben, niedrige Rentenanwartschaften. Die Minijobregelungen können sich schließlich auch für Betriebe negativ auswirken, wenn sich Mehrarbeit für Beschäftigte nicht wirklich lohnt und damit Fachkräftepotenziale verloren gehen.
Die Vorschläge zur Reform der Minijobs reichen von weiteren Anhebungen der Entgeltgrenze bis hin zur vollständigen Abschaffung der bestehenden steuer- und abgabenrechtlichen Begünstigungen. Die reformrelevanten Forschungsbefunde werden im Folgenden zusammengefasst und unterschiedliche Regelungsoptionen diskutiert.
Zahl der Minijobs im Nebenerwerb hat sich seit 2003 fast verdreifacht
Die Zahl der Minijobs insgesamt stieg zwischen den Jahren 2003 und 2014 von 5,7 auf 7,8 Millionen, anschließend ging sie bis 2017 wieder leicht auf 7,5 Millionen zurück (siehe Abbildung). Für beide Gruppen von Minijobbern zeigt sich in diesem Zeitraum eine unterschiedliche Entwicklung. Die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten (Minijob im Hauptjob) stieg mit der Rechtsänderung im Jahr 2003 sprunghaft um 500.000 auf 5,2 Millionen, nahm in den folgenden Jahren jedoch nur noch leicht auf 5,4 Millionen zu. Seit 2012 ist ein kontinuierlicher Rückgang auf zuletzt 4,8 Millionen zu verzeichnen. Dagegen ist die Zahl der im Nebenjob tätigen geringfügig Beschäftigten kontinuierlich gewachsen und hat sich von rund einer Million im Jahr 2003 bis heute nahezu verdreifacht.
Im Vergleich zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind unter den Minijobbern im Hauptjob Frauen, Ältere und Geringqualifizierte überrepräsentiert. Nach eigenen Angaben sind gut 40 Prozent der Minijobber Hausfrauen oder Hausmänner, jeweils gut 20 Prozent Schüler und Studierende oder Rentner, etwas mehr als 10 Prozent sind Arbeitslose. Minijobs werden überproportional häufig im Dienstleistungssektor ausgeübt, vor allem im Gastgewerbe und im Einzelhandel.
Analysen des IAB zeigen, dass eine veränderte soziodemografische Zusammensetzung der Beschäftigten, zum Beispiel durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, und eine Verschiebung der sektoralen Struktur der Erwerbstätigkeit, etwa zugunsten der Dienstleistungen, keinen nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung der Minijobs hatten. Entscheidend sind vielmehr Verhaltensänderungen der Betriebe und Individuen, teilweise auch als Reaktion auf geänderte institutionelle Rahmenbedingungen. In Deutschland werden Minijobs nämlich seit geraumer Zeit in vielfacher Hinsicht begünstigt, was diese Beschäftigungsform für viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen attraktiv macht.
Betriebliche Motive für den Einsatz von Minijobs
Arbeitgeber entrichten für geringfügig Beschäftigte aktuell pauschale Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 13 Prozent des Bruttolohns und zur Rentenversicherung in Höhe von 15 Prozent. Zudem fällt eine Pauschsteuer von 2 Prozent an. Die Arbeitgeberbeiträge fallen damit zwar höher aus als bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung (knapp 20 %), dennoch ist die gesamte Abgabenlast aufgrund des nicht zu entrichtenden Arbeitnehmerbeitrags zur Sozialversicherung und der Steuerfreiheit des Beschäftigten niedriger als bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Durch ihre bessere Nettoposition können Minijobber leichter Zugeständnisse bei den Bruttolöhnen machen als regulär Beschäftigte.
Befunde aus Betriebsbefragungen zeigen zunächst einmal, dass Minijobs – wie erwähnt – nicht nur von Branche zu Branche unterschiedlich stark eingesetzt werden, sondern auch je nach Betriebsgröße. Je kleiner der Betrieb ist, desto häufiger werden Minijobs im Durchschnitt genutzt. Während Betriebe bei der Nutzung von Teilzeitbeschäftigung in ungefähr der Hälfte der Fälle angeben, dass sie damit zuallererst den Wünschen ihrer Beschäftigten Rechnung tragen, nennen sie als Gründe für den Einsatz von Minijobs vornehmlich die damit verbundenen Möglichkeiten eines flexiblen Personaleinsatzes sowie einen oft zeitlich nur begrenzten Bedarf.
Untersuchungen zu einer möglichen Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Minijobs auf betrieblicher Ebene liefern Hinweise darauf, dass dies in gewissem Umfang in Kleinbetrieben und bestimmten Sektoren wie dem Einzelhandel, dem Gastgewerbe und dem Gesundheits- und Sozialwesen der Fall sein kann. Offen ist dabei, ob die Substitution in erster Linie auf Bedürfnisse der Betriebe zurückgeht oder auch auf die der Beschäftigten selbst wie Schüler, Studierende oder Rentner.
Motive der Beschäftigten für die Ausübung eines Minijobs
Dass Minijobs für die Beschäftigten selbst abgabenfrei sind, macht sie für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiv. Verstärkt wird dieser Anreiz durch das Ehegattensplitting im Steuerrecht und sogenannte abgeleitete Rechte für Familienangehörige in der Renten- und Krankenversicherung, zum Beispiel der Witwenrente.
Begünstigt wird die Verbreitung von Minijobs auch durch noch immer zu kurze Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen, die es insbesondere Müttern vielfach nicht erlauben, so lange zu arbeiten, wie sie möchten. Hinzu kommt: Gerade Geringverdiener wägen sehr genau ab, ob es sich für sie lohnt, länger zu arbeiten, wenn sie zugleich Mehrkosten haben, weil sie ihr Kind länger in der Krippe oder im Kindergarten lassen.
Minijobber nennen eine Reihe von Gründen, warum sie diese Tätigkeit ausüben. Sie wollen damit in erster Linie Geld verdienen und sehen darin eine Chance, in gewissem Umfang den Kontakt zum Arbeitsmarkt zu halten. Seit den 1990er Jahren hat der Anteil der Minijobber ohne Berufsabschluss zugenommen – vermutlich weil gerade Geringqualifizierte stärker als früher auf (zusätzliche) Minijobs angewiesen sind, um ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. Auch die spezifische Haushaltskonstellation spielt eine Rolle. So arbeiten insbesondere Frauen, die in Paarhaushalten mit Kindern leben, heutzutage häufiger in Minijobs als früher.
Dass Minijobber – unabhängig von ihren soziodemografischen Merkmalen – signifikant häufiger nach einer neuen oder zusätzlichen Beschäftigung suchen als jede andere Gruppe abhängig Beschäftigter, dürfte daran liegen, dass geringfügig Beschäftigte ihre berufliche Situation eher verändern möchten als regulär Beschäftigte. So geben gerade Minijobber in Befragungen an, dass sie im Durchschnitt mehr Stunden arbeiten möchten.
Sind Minijobs eine Brücke in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung?
Ergebnisse aus Analysen zu den Übergängen aus geringfügiger Beschäftigung zeigen ein gemischtes Bild. Anders als die hohe Suchintensität nahelegen würde, sind Minijobs nur selten eine Brücke in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Eine Studie von Torsten Lietzmann und Koautoren aus dem Jahr 2016 zeigt: Grundsicherungsbezieher mit Minijob finden nur dann schneller in eine reguläre Beschäftigung, wenn sie den Minijob erst mehrere Monate nach Eintritt in den Leistungsbezug aufgenommen haben. Wurde er hingegen schon in den ersten Monaten des Leistungsbezugs aufgenommen, zeigt sich kein Effekt. Andere Untersuchungen liefern dagegen Indizien dafür, dass Minijobs einer Entwertung vorhandener beruflicher Fähigkeiten entgegenwirken, die Chancen, am Arbeitsmarkt zu verbleiben, erhöhen und die Dauer von Arbeitslosigkeit verkürzen.
Zum Handlungsbedarf bei den Minijobs
Die vorliegenden, teils heterogenen Forschungsbefunde sprechen nicht für eine radikale Reform der Minijobs. Die vollständige Abschaffung aller Begünstigungen würde Betriebe schlagartig eines personalpolitischen Instruments berauben. Die Betroffenen selbst würden eine attraktive und flexible Zusatzverdienstmöglichkeit verlieren – und die Chance auf einen niedrigschwelligen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Auch die Schattenwirtschaft dürfte zunehmen.
Die Erkenntnisse sprechen aber sehr wohl für Reformschritte in Teilbereichen. Angesichts des aktuellen Beschäftigungsbooms erscheint dies vertretbar, weil die damit verbundenen Risiken durch die nachhaltig verbesserte Arbeitsmarktsituation geringer sind als in Krisenzeiten. Für den Fall, dass eine Begrenzung der Minijobs das Arbeitsvolumen nicht allzu stark reduziert, dürfen Staat und Sozialversicherungsträger mit Mehreinnahmen rechnen, die in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik anderweitig zur Verfügung stünden.
Zudem dürfte sich durch weniger Minijobs für Geringqualifizierte die Chance auf eine reguläre sozialversicherungspflichtige – und damit vielfach auch existenzsichernde – Beschäftigung verbessern. Profitieren würden auch Gruppen wie Hausfrauen/Hausmänner und Arbeitslose, bei denen Minijobs und andere institutionelle Regelungen eine höhere Arbeitszeit bislang wenig attraktiv machen und damit den Übergang in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erschweren. Dies würde nicht nur dem Ziel der Fachkräftesicherung dienen, sondern auch die Alterssicherung der Betroffenen stärken.
Institutionelle Veränderungen können darauf zielen, die Attraktivität von Minijobs auf indirekte Weise zu begrenzen oder den Geltungsbereich der Beschäftigungsform unmittelbar zu beschränken. Für beide Varianten gibt es eine Reihe alternativer oder sich ergänzender Optionen.
Ansatzpunkt I: Mindestlohn und andere arbeitsrechtliche Regelungen einhalten
Ein erster Ansatzpunkt zur Begrenzung von Minijobs, ohne die bestehende Regelung anzutasten, ist ein wirksamer Mindestlohn. Obwohl es für Minijobs seit 2003 keine explizite Arbeitszeitgrenze mehr gibt, existiert mit dem gesetzlichen Mindestlohn inzwischen eine implizite Arbeitszeitgrenze.
Legt man die aktuell geltende Lohnuntergrenze von 8,84 Euro pro Arbeitsstunde zugrunde, ergibt sich für die Minijobber mit Mindestlohn eine maximale Monatsarbeitszeit von knapp 51 Stunden beziehungsweise knapp 12 Arbeitsstunden in der Woche. Forschungsbefunde legen nahe, dass mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Zahl der Minijobs spürbar gesunken ist, was aber durch eine verstärkte Umwandlung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung teilweise ausgeglichen wurde.
Wirksam ist der Mindestlohn jedoch nur dann, wenn die maximale Arbeitszeit im Minijob auch eingehalten wird. Eine nachvollziehbare Aufzeichnung und konsequente Überprüfung der Arbeitszeiten von geringfügig Beschäftigten kann schattenwirtschaftlichen Aktivitäten und Unregelmäßigkeiten in der Arbeitszeitgestaltung entgegenwirken.
Durch sanktionsbewehrte Aufzeichnungen kann zudem ein Beitrag dazu geleistet werden, dass die auch für Minijobber geltenden Regelungen, zum Beispiel zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie zur Urlaubs- und Feiertagsbezahlung, besser eingehalten werden. Eine Studie des IAB, publiziert im IAB-Kurzbericht 18/2015, legt nahe, dass es an dieser Stelle Nachholbedarf gibt – nicht zuletzt aufgrund von Informationsdefiziten.
Ansatzpunkt II: Ehegattensplitting und abgeleitete Sozialversicherungsansprüche zurückfahren
Eine indirekte Begrenzung der Minijobs ließe sich auch dadurch erreichen, dass steuer- und sozialversicherungsrechtliche Vorteile für Paarhaushalte, in denen ein Partner nur geringfügig beschäftigt ist, (schrittweise) abgebaut würden. Zu denken ist hier sowohl an ein kontrolliertes Auslaufen des Ehegattensplittings, etwa über eine Ablösung durch eine stärkere Individualbesteuerung in Verbindung mit einem „Familiensplitting“, als auch an einen schrittweisen Abbau der abgeleiteten Rechte in der Sozialversicherung, zum Beispiel der Witwen-/Witwerrente oder der beitragsfreien Krankenversicherung für Ehepartner. Solche Schritte würden eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Vergleich zum Minijob attraktiver machen.
Ansatzpunkt III: Betreuungsangebote ausbauen
Hilfreich in diesem Kontext wären zudem bessere Betreuungsangebote für Kinder und pflegebedürftige Angehörige. Es geht hier um mehr Ganztagsschulen, möglichst kostengünstige und qualitativ hochwertige Betreuungsangebote und eine bessere Abdeckung der Betreuung zu Randzeiten, etwa am frühen Morgen, frühen Abend oder an Samstagen. Menschen mit Betreuungsaufgaben wären so eher in der Lage, sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten mit längerer Arbeitszeit nachzugehen. Der Ausbau würde also mehr Wahlfreiheit schaffen, was im Ergebnis die Zahl der Minijobs drosseln dürfte.
Ansatzpunkt IV: Hinzuverdienstregelungen anpassen
Wirksam wäre außerdem eine Neuregelung des Hinzuverdiensts bei Bezug von Arbeitslosengeld oder Grundsicherungsleistungen. Bisher gelten in beiden Rechtskreisen Freibetragsregelungen für sehr niedrige Erwerbseinkommen, die einen Anreiz zur Aufnahme eines Minijobs mit wenigen Stunden setzen. Darüber hinausgehende Einkommen werden mit einer exorbitanten Transferentzugsrate von 80 bis 100 Prozent auf die Sozialleistung angerechnet.
Je weniger mit pauschalen Freigrenzen und Freibeträgen im untersten Lohnbereich gearbeitet wird, und je mehr längere Arbeitszeiten belohnt würden, desto weniger interessant wäre für Leistungsempfänger die Aufnahme eines Minijobs. Erreicht werden könnte dies durch eine Glättung der Transferentzugsrate für alle Einkommen sowie einen Ausbau von „in-work-benefits“ wie das Wohngeld oder den Kindergeldzuschlag für Geringverdiener.
Dem dann in bestimmten Segmenten schwierigeren Zugang in den Arbeitsmarkt könnte durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie einen verstärkten und flexiblen Einsatz von betrieblichen Trainingsmaßnahmen, befristeten Lohnkostenzuschüssen an Arbeitgeber sowie befristeten Lohnzuschüssen an Beschäftigte entgegengewirkt werden.
Ansatzpunkt V: Begünstigte Minijobs auf Schüler, Studierende und Rentner konzentrieren
Eine relativ weitgehende Neuregelungsoption bestünde darin, die geltenden Steuer- und Abgabenbegünstigungen für die Minijobs auf Schüler, Studierende und Rentner zu begrenzen. Begründet werden könnte dies damit, dass für diese Gruppen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit längerer Arbeitszeit in der Regel noch nicht oder nicht mehr in Frage kommt.
Die damit verbundene Beseitigung der Abgabenprivilegien insbesondere bei der großen Gruppe von Hausmännern und -frauen würden Simulationsrechnungen zufolge zu Mehreinnahmen bei Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen führen. Die Mittel könnten zugunsten flankierender Reformen eingesetzt werden.
Ansatzpunkt VI: Privilegierung von Nebenjobs beschränken
Des Weiteren wäre zu prüfen, ob geringfügige Nebenjobs – wie schon in der Zeit zwischen 1999 und 2003 – nicht wieder grundsätzlich steuer- und abgabenpflichtig werden sollten. Hierdurch würden bestehende Ungleichbehandlungen beseitigt. Während herkömmliche Überstunden in der Regel voll steuer- und abgabenpflichtig sind, werden Minijobs im Nebenerwerb für einen anderen Arbeitgeber begünstigt. Aus der Umwandlung von Nebenjobs könnten mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte entstehen. Hier wäre zu erwägen, die bereits bestehende Steuerfreigrenze für bestimmte selbständige Tätigkeiten in Höhe von 2.400 Euro pro Jahr im Sinne einer Bagatellgrenze auf jede Form der Zusatzbeschäftigung auszudehnen und somit eine gewisse Hinzuverdienstmöglichkeit zu belassen.
Ansatzpunkt VII: Entgeltgrenze absenken und Midijob-Zone nach unten ausweiten
Schließlich gäbe es bei geringfügigen Hauptjobs noch die Möglichkeit, insbesondere mit Blick auf Hausfrauen und Hausmänner die Entgeltgrenze schrittweise wieder abzusenken. Damit hätten alle Beteiligten die Zeit, sich auf die Neuregelung einzustellen. Mittelfristiges Ziel könnte es sein, den Umfang der (begünstigten) geringfügigen Tätigkeit an der geltenden Regelung für die kurzfristige abgabenfreie Beschäftigung („50-Tage-Regelung“) zu orientieren. Legt man den gesetzlichen Mindestlohn zugrunde, entspräche dies einer Entgeltgrenze von rund 300 Euro im Monat. Das dadurch zu erwartende Plus an Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen könnte beispielsweise für eine Ausweitung der Midijob-Zone (aktuell von 450,01 Euro bis 850,00 Euro) nach unten und oben verwendet werden. Midijobs sind zwar steuerpflichtig, sehen aber geringere Sozialabgaben für Arbeitnehmer vor.
Fazit
Eine Anpassung der Minijob-Regelungen und der für die Beschäftigungsform relevanten Rahmenbedingungen könnte zur Fachkräftesicherung und zur Erschließung existenzsichernder Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte beitragen. Sieben Reformoptionen hierfür liegen auf dem Tisch. Gute Gründe sprechen aber gegen ein Hauruckverfahren, sondern vielmehr für ein schrittweises Vorgehen. Für sukzessive Anpassungen spricht unter anderem, dass der notwendige quantitative und qualitative Ausbau von Betreuungs- und Bildungseinrichtungen oder ein Umbau des Steuer- und Transfersystems Zeit braucht. Schritte mit Augenmaß hätten auch den Vorteil, Chancen und Risiken von Veränderungen im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitforschung besser ausloten zu können und einzelne Regelungsinhalte im Lichte der gewonnenen Erkenntnisse bei Bedarf nachjustieren zu können.
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Autoren:
- Ulrich Walwei