4. März 2024 | Der Gender Pay Gap – regional betrachtet
Regionaler Gender Pay Gap: Die Branchenstruktur vor Ort macht den Unterschied
Auf Gesamtdeutschland bezogen verdienen Frauen im Durchschnitt 19 Prozent weniger Lohn als Männer. Welche regionale Spannweite verbirgt sich laut Ihren Analysen dahinter?
Michaela Fuchs: Die regionale Spannweite der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist in Deutschland sehr groß. Im Bodenseekreis beispielsweise verdienen vollzeitbeschäftigte Männer etwa 38 Prozent mehr als ihre weiblichen Kolleginnen. Hingegen zeigt sich in Dessau-Roßlau das umgekehrte Bild, dort verzeichnen Frauen einen Lohnvorsprung von 2,5 Prozent gegenüber den Männern. Insgesamt liegt das Entgelt der Frauen in vier von 400 Kreisen leicht über demjenigen der Männer.
Wie kommen diese großen Unterschiede zustande?
Anja Rossen: Dafür gibt es mehrere Gründe. Frauen und Männer neigen zum Beispiel dazu, unterschiedliche Berufe und damit auch Jobs in unterschiedlichen Branchen zu wählen. In vielen Fällen sind die Berufe, die von Frauen dominiert werden, allerdings tendenziell schlechter bezahlt als solche, die von Männern dominiert werden. Obwohl Frauen mittlerweile höhere Bildungsabschlüsse erlangen als Männer, spiegelt sich dies häufig nicht in höheren Einkommen wider. Frauen sind in bestimmten Bereichen oft entweder überqualifiziert oder haben weniger gut entlohnte Positionen inne als Männer. Zudem haben sie möglicherweise weniger Aufstiegschancen und Zugang zu Führungspositionen als ihre männlichen Kollegen.
Die regionale Branchenstruktur und damit auch die nachgefragten Berufe sind ein wichtiger Treiber der regionalen Unterschiede.
Können Sie das an einem regionalen Beispiel anschaulich machen?
Fuchs: Die regionale Branchenstruktur und damit auch die nachgefragten Berufe sind ein wichtiger Treiber der regionalen Unterschiede. Im vorhin genannten Dessau-Roßlau, wo Frauen sogar einen Lohnvorsprung vor Männern haben, arbeiten 11 Prozent von ihnen in der öffentlichen Verwaltung. Diese bietet gerade den Frauen in Ostdeutschland attraktive Verdienstmöglichkeiten im Vergleich zur Privatwirtschaft. Weiterhin arbeitet ein Zehntel der Frauen in Krankenhäusern, in denen oftmals Tarifverträge gelten. Demgegenüber sind recht viele Männer in Dessau-Roßlau in Berufen der Lagerwirtschaft, Post und Zustellung tätig, die eher geringer bezahlt werden.
Rossen: Im Bodenseekreis hingegen, wo Männer einen deutlichen Lohnvorsprung vor den Frauen haben, fällt die große Bedeutung des Maschinenbaus auf: In dieser Branche sind ein Drittel der Männer, aber nur ein Zehntel der Frauen beschäftigt. Auch der Luft- und Raumfahrzeugbau hat dort eine wichtige Stellung, der in besonderem Maße gut bezahlte Jobs für hoch qualifizierte Männer bietet.
In Westdeutschland ist die unbereinigte Lohnlücke mehr als dreimal so hoch wie in Ostdeutschland.
Sie haben jetzt ein Beispiel aus West- und Ostdeutschland gewählt. Wie zeigt sich der Unterschied zwischen West und Ost insgesamt?
Rossen: In Westdeutschland ist die unbereinigte Lohnlücke mehr als dreimal so hoch wie in Ostdeutschland. Hierbei muss man allerdings berücksichtigen, dass die Löhne insbesondere der Männer in Ostdeutschland wesentlich geringer sind als in Westdeutschland. Gründe hierfür liegen in der Wirtschaftsstruktur, aber auch in der Betriebsgrößenstruktur. Wie Matthias Collischon und Florian Zimmermann zeigen, spiegeln sich diese grundlegenden Unterschiede auch in den hypothetischen Equal Pay Days zwischen den ost- und westdeutschen Bundesländern wider.
Gibt es einen ähnlichen Effekt auch für Stadt und Land?
Fuchs: Es ist tatsächlich so, dass die Lohnlücke in Städten tendenziell geringer ist als im ländlichen Raum. Das liegt daran, dass die Löhne in ländlichen Gebieten von weniger wettbewerbsintensiven Arbeitsmärkten und niedrigeren Löhnen geprägt sind. Wenigen Unternehmen auf dem Land stehen vergleichsweise viele Arbeitskräfte gegenüber, so dass diese Unternehmen eine gewisse Marktmacht bei der Besetzung ihrer Stellen besitzen. Insbesondere Frauen, die weniger räumlich mobil sind als Männer, neigen dann öfter dazu, derartige schlechter bezahlte Jobs anzunehmen. Zudem bieten Städte generell eine größere Vielfalt an Berufsmöglichkeiten, was es einfacher macht, gut bezahlte Positionen zu finden.
Frauen können es sich oft zeitlich nicht leisten, längere Strecken zu pendeln.
Frau Fuchs, dass Frauen im Schnitt kürzer pendeln als Männer, haben Sie auch kürzlich in einem IAB-Kurzbericht untersucht. Woran liegt es, dass Frauen weniger Fahrzeit für den Job auf sich nehmen?
Fuchs: Ein wichtiger Grund ist, dass Frauen oft einen größeren Anteil an familiären Verpflichtungen übernehmen, wie Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen. Daher können sie es sich oft zeitlich nicht leisten, längere Strecken zu pendeln. Frauen neigen deshalb auch dazu, in Branchen zu arbeiten, die Arbeitsplätze vor Ort bieten und zudem weniger internationale oder überregionale Präsenz erfordern. Auch nehmen sie häufiger Teilzeit- oder flexible Arbeitsmodelle in Anspruch, für die es sich nicht lohnt, eine längere Strecke zu pendeln.
Das heißt aber auch, dass Frauen nicht genauso wie Männer von weiter entfernt liegenden Beschäftigungsmöglichkeiten mit höheren Löhnen profitieren. Welche Rahmenbedingungen bräuchten Frauen, um diese Stellen anzutreten?
Fuchs: Unternehmen könnten zum Beispiel flexible Arbeitszeitmodelle und Homeoffice-Möglichkeiten fördern. Dies würde es Frauen, aber auch Männern, ermöglichen, Arbeits- und Familienleben besser miteinander zu vereinbaren. Es ist auch wichtig sicherzustellen, dass Frauen die gleichen Aufstiegschancen haben wie Männer. Dies umfasst den Zugang zu Weiterbildungs- und Entwicklungsprogrammen sowie die Förderung von Frauen in Führungspositionen. Wenn Frauen die Möglichkeit haben, in höhere Positionen aufzusteigen, könnten sie auch bereit sein, längere Pendelstrecken für attraktivere berufliche Möglichkeiten in Kauf zu nehmen. Damit ließe sich auch der Gender Pay Gap weiter verringern. Weiterhin könnten Investitionen in die Infrastruktur, insbesondere im öffentlichen Verkehr, das Pendeln erleichtern und es vor allem Frauen in ländlichen Regionen ermöglichen, weiter entfernte Arbeitsorte effizienter zu erreichen.
Kommunen spielen eine wichtige Rolle bei der Verringerung der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen.
Angesichts dieser eklatanten Unterschiede zwischen den Regionen: Wie sind auch die Kommunen vor Ort gefragt, um die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen zu verkleinern?
Rossen: Kommunen spielen tatsächlich eine wichtige Rolle bei der Verringerung der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Sie können zum Beispiel, unter anderem in Zusammenarbeit mit Bund und Ländern, Bildungsprogramme und Berufsausbildung fördern, damit Frauen ihre Chancen in wachstumsstarken Männerberufen besser nutzen. Dies kann dazu beitragen, geschlechtsspezifische Berufswahlklischees zu durchbrechen und Frauen den Zugang zu besser bezahlten Berufen zu erleichtern. Kommunen können auch anhand von lokalen Best Practices Anreize für weitere Unternehmen setzen, geschlechtergerechte Personalpraktiken zu implementieren. Dazu gehören gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, flexible Arbeitszeiten, Teilzeitmöglichkeiten – auch für Männer – und Programme zur Förderung von Frauen in Führungspositionen. Nicht zuletzt spielen Kommunen eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von erschwinglichen und qualitativ hochwertigen ganztägigen Kinderbetreuungseinrichtungen.
Literatur
Bächmann, Ann-Christin; Kleinert, Corinna; Schels, Brigitte (2024): Anhaltende berufliche Geschlechtersegregation: In Ost wie West arbeiten Frauen und Männer häufig in unterschiedlichen Berufen. IAB-Kurzbericht Nr. 3.
Collischon, Matthias; Zimmermann, Florian (2024): Der Equal Pay Day unter der Lupe: Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen unterscheidet sich je nach Region erheblich. IAB-Forum, 04.03.2024.
Fuchs, Michaela; Rossen, Anja; Weyh, Antje; (2024): Regionale Unterschiede im Gender Pay Gap in Deutschland 2022. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Aktuelle Daten und Indikatoren.
Fuchs, Michaela; Rossen, Anja; Weyh, Antje; Wydra-Somaggio, Gabriele (2019): Warum die Löhne von Männern regional stärker variieren als die von Frauen. IAB-Forum 18. 12. 2019.
Fuchs, Michaela, Ramona Jost & Antje Weyh (2024): Räumliche Mobilität der Beschäftigten in Deutschland: Frauen pendeln kürzer als Männer. IAB-Kurzbericht Nr. 4.
Bild: Medienzunft Berlin/stock.adobe.com
doi:10.48720/IAB.FOO.20240304.02
Autoren:
- Christiane Keitel