MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik: Wer in diesen Fachrichtungen ein Studium absolviert, hat in der Regel ausgezeichnete Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Beschäftigungsmöglichkeiten werden sich aufgrund der demografischen Entwicklung sowie der ökologischen und digitalen Transformation der Arbeitswelt weiter erhöhen. Doch es sind noch immer vor allem Männer, die in diesen Bereichen arbeiten. Eva Rothgang ist Professorin für „Digitale Prozessketten in der Medizinischen Versorgung und Medizintechnik“ an der Ostbayerischen-Technischen Hochschule Amberg-Weiden und war mehrere Jahre bei Siemens Healthineers tätig. Sie erläutert im Interview, warum sie sich für einen MINT-Beruf entschieden hat und wie der MINT-Bereich für Frauen attraktiver gemacht werden kann.

Welche Faktoren haben Sie persönlich darin bestärkt, eine MINT-Laufbahn einzuschlagen?

Neugier und Begeisterung, mich in neue Themenfelder einzuarbeiten, die Suche nach Herausforderung und die schier unbegrenzten Möglichkeiten, die der Einsatz von Computern in unterschiedlichsten Bereichen bietet.

Sehr wichtig waren zudem kontinuierliche Einblicke in die berufliche Praxis während des Studiums. Als Beispiel ist ein Praktikum bei Siemens Healthineers im Bereich der Magnetresonanztomographie zu nennen. Einerseits konnte ich hier praktische Erfahrungen sammeln und zudem erste Kontakte knüpfen, die für meine weitere Laufbahn sehr wichtig waren. So habe ich später meine Diplomarbeit und meine Promotion in den USA in Baltimore bei Siemens Corporate Research geschrieben. Meine damalige Chefin war für mich ein wichtiges Vorbild und hat mich sehr darin bestärkt und unterstützt, in diesem Berufsfeld Karriere zu machen. Zudem fand ich das Arbeitsumfeld in den USA sehr angenehm: Ich hatte Kolleginnen und Kollegen aus vielen verschiedenen Nationen. Auf Grund dieser Diversität spielten Faktoren wie Geschlecht eine viel geringere Rolle.

Neben Praxiserfahrung finde ich den Faktor Netzwerk zentral, da ein breites Netzwerk nicht nur viele Möglichkeiten eröffnet, sondern auch einen breiten Austausch und viele wertvolle Einblicke ermöglicht.

„Ein MINT-Studium eröffnet einen riesigen Schatz an Optionen“

Was hindert Frauen eigentlich daran, MINT-Fächer zu studieren?

Aus meiner Sicht werden die verschiedenen Möglichkeiten, die man mit einem MINT-Studium später im Berufsleben hat, zu wenig aufgezeigt. Oftmals werden nur die Studieninhalte betrachtet, aber sich viel zu wenig damit auseinandergesetzt, in welche Bereiche man mit diesem Studium gehen kann.

Dies ist sehr schade, denn ein MINT-Studium eröffnet einen riesigen Schatz an Optionen. So gibt es viele erfolgreiche Beispiele von Frauen und Männern mit MINT-Hintergrund, die zum Beispiel in der Produktdefinition oder -marketing arbeiten. Das ist dann keine „klassische“ MINT-Tätigkeit, aber das technische Wissen ist unabdingbar. Zudem setzen sich viele Frauen weniger mit der Idee auseinander, etwas Technisches zu studieren. Oftmals wird eine soziale oder geisteswissenschaftliche Richtung gewählt, da einem dies vertrauter oder passender erscheint.

Wo hakt es noch?

Fähigkeiten wie Durchsetzungsvermögen, Streben nach Verantwortung, Selbstbewusstsein sind genauso wichtig wie fachliches Können und sollten gezielt gefördert werden. Ein relativ krisensicherer Job und gute Verdienstmöglichkeiten sind eigentlich starke Argumente für einen MINT-Beruf.

Eine Auswertung des IAB hat ergeben, dass Frauen nach einem erfolgreichen MINT-Studium trotzdem seltener einen MINT-Beruf ergreifen als Männer. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür?

Diese Erfahrung habe ich persönlich nicht gemacht. Die Frauen, die mit mir angefangen haben, Informatik zu studieren sind alle dabeigeblieben. Generell kann ich mir vorstellen, dass viele Frauen gerne in gemischten Teams arbeiten und dann in Richtungen tendieren, wo sie dies finden. MINT-Wissen kann ja auch außerhalb des klassischen MINT-Berufs mit Erfolg eingesetzt werden.

Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen dazu? Wie wird in Unternehmen derzeit der weibliche Nachwuchs gesichert?

Unternehmen haben den Vorteil von diversen Teams erkannt und sprechen gezielt Frauen an.  Ich hatte auf meinem Weg viele Vorgesetzte, weiblich und männlich, die mich gefördert und meine Stärken erkannt haben. Zudem habe ich einen Mann an meiner Seite, der die Familienarbeit vollends mitträgt. Dies ist für die Vereinbarkeit von Karriere und Familie äußerst wichtig. Warum fördern Unternehmen nicht gezielt Männer, die ja sagen zu Eltern- oder Teilzeit? Vielleicht würde dies Unterschiede sogar effektiver abbauen.

In manchen technischen Fächern, etwa der Informatik, ist die Halbwertszeit des Wissens sehr kurz – insbesondere im Vergleich zu sozialwissenschaftlichen Studiengängen. Wer da für einige Zeit draußen ist, weil er zum Beispiel Elternzeit nimmt, verpasst unter Umständen den Anschluss. Ist das Ihrer Einschätzung nach ein Faktor, der auch dazu beiträgt, dass es in MINT-Berufen weniger Frauen als Männer gibt?

Elternzeit ist aus meiner Sicht nicht nur in MINT-Berufen eine große Herausforderung, was ich mit drei Kindern als sehr schade empfinde.

Warum nehmen immer noch Frauen meist 12 Monate, während die meisten Männer nur zwei Monate nehmen. Was würde sich ändern, wenn es weiterhin 14 Monate pro Kind gibt, aber nur wenn jeder Partner zum Beispiel mindestens fünf nimmt?

Oftmals werden Frauen von Männern abgehängt, wenn sie ein Jahr Elternzeit nehmen. Angenommen, in einer Partnerschaft haben beide etwas Technisches studiert und sind beim ersten Kind noch gleichauf. Dann bleibt die Frau das geförderte volle Jahr zu Hause und verliert dadurch ihre Teamleitungsposition – denn die gibt es in Deutschland häufig nur mit einer Vollzeitstelle. Sie wird also von ihrem Partner überholt. Der Effekt verstärkt sich beim zweiten Kind und zieht sich dann durch die gesamte Erwerbstätigkeit.

„Für den Einstieg sind weibliche Vorbilder und gezielte Förderung und Mentoring sicherlich sehr hilfreich“

Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie für Frauen in MINT-Berufen?

Zunächst kann man sich als Frau gewissen Netzwerken nicht so leicht anschließen. Außerdem fällt man als Frau in einem MINT-Beruf auf jeden Fall auf. Aus meiner Sicht muss man lernen, das positiv für sich zu nutzen, seinen eigenen Stil zu finden. Vielleicht sollte man auch mehr von den Chancen für die Frauen in MINT-Berufen sprechen. Viele Tätigkeiten sind sehr flexibel bezüglich Arbeitsort- und -zeit. Zudem sind die Aufgaben vielfältig und abwechslungsreich.

Eva Rothgang

Eva Rothgang ist seit 2017 Professorin an der Ostbayerischen-Technischen Hochschule Amberg-Weiden. Die Medizininformatikern baut dort das innovative Lehr- und Forschungsgebiet „Digitale Prozessketten in der medizinischen Versorgung und Medizintechnik“ weiter aus. Ihre Forschung soll unter anderem dazu beitragen, Behandlungsstrategien und Medizintechnikprodukte zu verbessern und zu individualisieren.

Welche Faktoren sind aus Ihrer Sicht hilfreich, um Frauen den Einstieg und Verbleib im MINT-Bereich zu erleichtern?

Für den Einstieg sind weibliche Vorbilder und gezielte Förderung und Mentoring sicherlich sehr hilfreich. Egal, ob Frau oder Mann: Es ist hilfreich, eine erfahrene Kollegin oder einen erfahrenen Kollegen um Rat fragen zu können, die einen mit wertvollen Tipps unterstützen können. Zudem sind Netzwerke mit anderen Frauen im MINT-Bereich wichtig. Man erlebt mit, wie die Freundin oder die Kollegin ihren Weg finden, kann miteinander diskutieren und voneinander lernen.

Oft spricht man von der Rushhour des Lebens zwischen 30 und 40. Dies zu entzerren, Karriereschritte auch noch nach einer Familienauszeit machen zu können, wäre für viele Frauen und Männer sicherlich eine Erleichterung. Flexible Arbeitszeitmodelle werden bestimmt noch einen größeren Stellenwert bekommen, je größer der Fachkräftemangel im MINT-Bereich ist. Es gilt schließlich kompetentes Personal an das Unternehmen zu binden.

Wie sinnvoll sind Initiativen wie der „Girls´Day“?

Auf einem eintägigen „Girls´ Day“ erlebt man nicht, wie es ist, in einem MINT-Beruf zu arbeiten. Es geht aus meiner Sicht oftmals zu sehr um das Studium. Der Zeitpunkt nach dem Studium ist aber viel wichtiger. Durch das Grundstudium kann man sich schon durchkämpfen. Aber man muss viel besser darstellen, welche vielfältigen Möglichkeiten mit einem MINT-Studium im Anschluss daran verbunden sind. Da sind auch sehr kommunikative Tätigkeiten dabei, es geht nicht nur um Technik pur. Warum gibt es nicht mehr Initiativen, die erzählen, welche Lebensläufe Frauen haben, die zum Beispiel Informatik studiert haben? Gebt den jungen Frauen Beispiele an die Hand, lasst sie miterleben, wie kreativ ein MINT-Beruf sein kann!

Haben Sie für Schülerinnen und Studentinnen, die sich für einen MINT-Beruf interessieren, einen Tipp für eine Laufbahn in diesem Bereich?

Seid selbstbewusst und ergreift Chancen, die sich ergeben. Ein MINT-Beruf bietet vielfältigste Möglichkeiten.

Literatur

Hild, Judith; Kramer, Anica: Should I stay or should I go? Akademikerinnen arbeiten nach einem MINT-Studium seltener in einem MINT-Beruf als Männer (im Erscheinen).

Hild, Judith ; Kramer, Anica (2021): „Seid selbstbewusst!“ – Wie sich mehr junge Frauen für MINT-Berufe gewinnen lassen, In: IAB-Forum 15. September 2021, https://www.iab-forum.de/seid-selbstbewusst-wie-sich-mehr-junge-frauen-fuer-mint-berufe-gewinnen-lassen/, Abrufdatum: 17. November 2024