13. September 2017 | Betriebliche Arbeitswelt
Sollten die USA ein duales Ausbildungssystem nach deutschem Vorbild einführen? Vier Fragen an IAB-Forscher Simon Janssen
Warum empfehlen Sie den USA das deutsche Ausbildungssystem zur Nachahmung?
Zwar gibt es in den USA viele Top-Universitäten, die eine hervorragende akademische Bildung bereitstellen. Allerdings haben viele Menschen, die keinen akademischen Abschluss anstreben wollen oder können, nur einen grundlegenden Highschool–Abschluss, ohne jemals eine weiterführende formale Ausbildung zu absolvieren. Gerade für diese Gruppe haben sich die Berufs- und Verdienstaussichten in den USA über die letzten Jahre sehr deutlich verschlechtert. Viele amerikanische Politiker machen ausschließlich die Globalisierung und den technologischen Wandel für diesen Prozess verantwortlich.
Wir gehen aber davon aus, dass das Problem tiefer geht und insbesondere dadurch begründet ist, dass das amerikanische Schul- und Ausbildungssystem zu wenig beruflich qualifizierende Bildung für ein mittleres Anforderungsniveau bereitstellt. Unsere empirischen Befunde aus Deutschland zeigen relativ deutlich, dass Deutsche mit einer abgeschlossenen Ausbildung im Durchschnitt seltener arbeitslos sind und auch mehr verdienen – und das obwohl Deutschland mit seiner engen außenwirtschaftlichen Verflechtung noch stärker im internationalen Wettbewerb steht als die USA.
Ein anderer profilierter US-Ökonom, Eric A. Hanushek, hat nun dagegengehalten. Wenn sich die beruflichen Anforderungen wandeln, würden die speziellen Kompetenzen, die im dualen Ausbildungssystem vermittelt werden, mit der Zeit obsolet. Deutsche Arbeitnehmer, die einen allgemeinbildenden Abschluss haben, seien mit über 50 Jahren besser dran als ihre Kollegen mit Berufsausbildung. Ist die duale Ausbildung in Zeiten rapiden technologischen Wandels ein Auslaufmodell, weil sie nicht die allgemeinen kognitiven Fähigkeiten vermittelt, um sich schnell an neue Anforderungen anzupassen?
Es ist richtig, dass wir davon ausgehen müssen, dass sich im Zuge des technologischen Wandels viele Berufe grundlegend verändern werden. Eric Hanushek befürchtet daher, dass ein duales Ausbildungssystem nach deutschem Vorbild zu viel Gewicht auf berufsspezifische Inhalte und Technologien legt und aus diesem Grund nicht flexibel genug ist, um auf den Tätigkeitswandel zu reagieren. Aus seiner Sicht sollten die USA daher nicht auf ein duales Ausbildungssystem setzen, sondern die akademische Bildung an Universitäten weiter ausbauen, um den Menschen mehr generelle Fähigkeiten zu vermitteln.
Auch wenn einige Studien nahelegen, dass die Arbeitsmarktpartizipation von älteren Menschen mit einer Berufsausbildung sinkt, sind die Beschäftigungsaussichten von Lehrlingen über den gesamten Lebensverlauf betrachtet sehr gut. Insbesondere junge Lehrabsolventen haben im Durchschnitt sogar bessere Berufsaussichten als Berufsanfänger mit anderen Abschlüssen. Überdies wird in der Diskussion über das Substituierbarkeitspotenzial moderner Technologien oft unterschätzt, dass in Zukunft auch die Interaktion zwischen Mensch und Maschine immer wichtiger wird. Diese Interaktion erfordert sowohl spezifisches Wissen über bestimmte Technologien, als auch generelle Fähigkeiten, die sich über Unternehmen und Berufe hinweg anwenden lassen. Beide Arten von Fähigkeiten werden im dualen Ausbildungssystem durch die Kombination von schulischer und beruflicher Bildung vermittelt. Daher denke ich, dass das duale Ausbildungssystem trotz des technologischen Wandels eine Zukunft haben wird. Allerdings sollte die Ausbildung weiterhin flexibel und anpassungsfähig gestaltet sein. Überdies ist es sicher ratsam, ausreichende Angebote zur Fort- und Weiterbildung zu schaffen und den Übergang zwischen beruflicher und akademischer Ausbildung zu verbessern.
Ist das deutsche Ausbildungssystem, das über Jahrzehnte historisch gewachsen ist und ein relativ komplexes institutionelles Gefüge voraussetzt, überhaupt auf andere Länder übertragbar?
Ich glaube nicht, dass das Ausbildungssystem auf Grund von landesspezifischen kulturellen Normen oder Institutionen überlebt hat. Ansonsten wären deutsche Unternehmen global nicht so erfolgreich. Ich denke viel mehr, dass Unternehmen von der dualen Ausbildung profitieren. So gibt es einige Studien, die zeigen, dass sowohl schweizer als auch deutsche Unternehmen unterm Strich von ihren Ausbildungsinvestitionen profitieren. Es rechnet sich also für die ausbildenden Unternehmen. Ich gehe daher davon aus, dass sich die Ausbildung auch in anderen Ländern implementieren lässt. Und es gibt ja in den USA auch schon einige Bestrebungen in diese Richtung. Natürlich muss man davon ausgehen, dass eine solche Implementation nicht von heute auf morgen erfolgt, große Investitionen erfordert und landesspezifische Anpassungen notwendig sind.
Damit sagen Sie, dass das duale System auch in anderen Ländern gut funktionieren würde. Müsste es dann nicht ein Exportschlager sein?
Nun, es gibt das duale Ausbildungssystem ja nicht nur in Deutschland, sondern auch in einigen anderen Ländern wie der Schweiz, Österreich oder Dänemark. Allerdings erfordert die Implementation eines dualen Ausbildungssystems eine große gemeinsame Anstrengung von Politik und Wirtschaft. Das heißt insbesondere, dass alle beteiligten Akteure vom Nutzen eines solchen Ausbildungssystems überzeugt sein müssen. Ziehen nicht alle Akteure an einem Strang, ist es sehr schwer, ein duales Ausbildungssystem zu implementieren. In diesem Sinne profitieren Länder wie Deutschland natürlich schon davon, dass das Ausbildungssystem historisch gewachsen ist.
Die Fragen stellte Martin Schludi.
Foto: IAB | Jutta Palm-Nowak
Literatur
Hanushek, Eric A. (2017): German-Style Apprenticeships Simply Can’t Be Replicated. In: The Wall Street Journal, 18.6. 2017
Lazear, Edward P.; Janssen, Simon (2016): Germany offers a promising jobs model * Germans with vocational apprenticeships earn 92% of the average wage. In: The Wall Street Journal, 8.9.2016
Autoren:
- Martin Schludi