Dana Müller kommt zehn Minuten zu spät zum virtuellen Meeting. Doch obwohl es der dritte Termin an diesem Vormittag für sie ist, ist das Erste, was man von ihr sieht, ihr gutgelauntes Lachen. „Legen wir gleich los“, sagt sie – und legt los. Und sogleich schwirren ihrer Zuhörerin wegen der vielen Fachbegriffe die Ohren. Seit fünf Jahren leitet Dana Müller das Forschungsdatenzentrum (FDZ), und dessen Arbeit ist für Außenstehende nicht leicht zu verstehen.
Das FDZ ist ein Multitool – viele Funktionen in einem
Das FDZ ist nicht nur eine Einrichtung des IAB und der BA gleichermaßen. Es ist außer in Pandemiezeiten ein lebhafter Ort im siebten Stock des IAB-Gebäudes, an dem sich Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler aus aller Welt die Klinke in die Hand geben. Dabei ist die Service-Einrichtung nicht auf Nürnberg begrenzt. An zwanzig Standorten in mittlerweile sieben Staaten ermöglicht es das FDZ, die wertvollen Mikrodaten des IAB und der BA unter Einhaltung der strengen Datenschutzbestimmungen zu nutzen. Darüber hinaus berät es die Nutzerinnen und Nutzer bei der Anwendung und Auswertung. Und weil viele der komplexen Datenschätze erst aufbereitet und standardisiert werden müssen, damit sie für die externe Forschung nutzbar sind, ist das FDZ neben der Vermittlerin auch die Geburtsstätte zahlreicher Datenprodukte. Zu guter Letzt forschen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des FDZ selbst mit den Daten – in unterschiedlichsten Kooperationen und an vielfältigen Arbeitsmarktthemen, aber auch, um die Datenqualität zu prüfen, zu verbessern und neue Datenprodukte zu generieren.
Dass all diese unterschiedlichen Rädchen im FDZ ineinandergreifen, ist auch Dana Müllers Verdienst. Sie zuckt lächelnd mit den Schultern, wenn ihr das gesagt wird. Sich selbst zu loben, davon hält sie wenig. Doch sie weiß um ihre Stärken. Und die wichtigste in ihrer Leitungsposition heißt für sie: Kommunikation.
„Ich habe immer ein offenes Ohr“, sagt sie. „Meine Leute wissen, wenn sie Rat oder Hilfe brauchen, hat das für mich Priorität.“ Dann können auch andere Termine warten. Und wenn es knirscht im Team, spricht sie strittige Themen freimütig an. „Wenn wir den Ärger unterdrücken, wird er nur größer. Ich kläre das lieber sofort.“
Dana Müller sieht sich vor allem als Impulsgeberin
„Ich habe Ideen, ich gebe Ratschläge, ich motiviere. Am Ende trage ich natürlich die Verantwortung für das Ergebnis. Doch ich möchte, dass sich auf dem Weg dorthin jede und jeder einbringen kann“, sagt Dana Müller. Und manchmal, da ist sie einfach nur Teil des Teams. Sie schätzt es, in Forschungsprojekten anderen die Chance zur Leitung zu geben. „Da leiste ich meinen Beitrag wie jede andere auch. Selbst wenn das bedeutet, dass ich abends noch mal an den Computer muss, um Daten zu bearbeiten.“
2004 hat die Diplom-Soziologin am IAB als wissenschaftliche Mitarbeiterin angefangen. Dass sie bereits seit siebzehn Jahren in Nürnberg ist, darüber staunt sie selbst. Und wenn sie sich in Fahrt redet, ist ihr sächsischer Akzent hörbar. Die Technische Universität Chemnitz war ihr Arbeitgeber vor dem IAB, doch eine Karriere durchs Nadelöhr des Universitätsbetriebs empfand sie als zermürbende Aussicht. Als am IAB das Forschungsdatenzentrum gegründet wurde, ergriff sie die Chance und bewarb sich dort. So war sie von Anfang an beim Aufbau des FDZ dabei, als Datenspezialistin und als Forscherin. Von 2008 bis 2012 übte sie zusätzlich das Amt der Gleichstellungsbeauftragten im IAB aus.
Mehrere Jobs gleichzeitig, das ist im FDZ niemandem fremd
Eine „bunt gemischte Truppe“ nennt Dana Müller ihr Team. Da ist zum Beispiel der Kollege mit einem Zehnstunden-Vertrag, der daneben im Graduiertenprogramm des IAB promoviert, oder die Kollegin, die mit 50 Prozent ihrer Arbeitszeit im FDZ an der Datensatzaufbereitung und mit 50 Prozent in einem anderen Forschungsbereich arbeitet. Die zahlreichen Drittmittelprojekte, die Befristungen, die unterschiedlichen Aufgaben und Arbeitsgruppen innerhalb des Datenzentrums: Es ist bemerkenswert, wie Dana Müller es schafft, den Überblick zu behalten.
„Das klappt, weil ich mich für jeden persönlich einbringe“, erklärt sie. Die Personalbetreuung sieht sie als wichtigen Teil ihrer Arbeit. Pro Jahr stellt sie mehr als ein halbes Dutzend Zwischenzeugnisse aus. „Auch, wenn wir bei der Vielzahl der Befristungen nicht alle halten können, bin ich stolz, dass es jede und jeder aus dem FDZ bisher geschafft hat, eine gute Anschlussbeschäftigung zu finden“, sagt Dana Müller. Nicht selten mit ihrer Unterstützung.
Wie schwer war der Lockdown für eine kommunikative Chefin wie sie?
Wie schwer war der Lockdown für eine kommunikative Chefin wie sie? „Kommunikation ist immer möglich“, sagt sie und lacht. „Vorher sah man mich im Büro. Jetzt sieht man mich auf dem Bildschirm.“ Und das funktioniere großartig. Wichtig ist für sie: Kamera an auf beiden Seiten. Nur so könne die Kommunikation auch über die räumlichen Distanzen ohne größere Reibungsverluste gelingen.
In den ersten Wochen des Lockdowns, als das noch nicht möglich war, hat sie viel telefoniert. Hat zum Hörer gegriffen und alle ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Hause angerufen, sich erkundigt, wie es ihnen geht, und ihnen zugehört. Die Kluft war groß zwischen denen, die im Homeoffice aufblühten, und denen, die Kontakte vermissten oder die Decke auf den Kopf fiel. Mit Letzteren hat sie gemeinsam Strategien gesucht, um dem Lagerkoller entgegenzuwirken – bis ins Private hinein, sei es mit Sporttipps oder mit Buchempfehlungen.
Aber auch für das Team war es für das Gemeinschaftsgefühl entscheidend, den Kontakt untereinander zu halten. „Die Leute im FDZ verband schon immer mehr als nur die Arbeit“, sagt Dana Müller. Vor der Pandemie gab es regelmäßige soziale Treffen außerhalb der Arbeitszeit, vom Dart-Turnier auf dem Büroflur bis hin zum gemeinsamen Ausflug in die Lasertag-Arena.
Während der Pandemie wurden die Türgespräche zwar ersetzt durch regelmäßige virtuelle Kaffeerunden, doch die persönlichen Begegnungen fehlten. Erst im Sommer 2020 trafen sich zumindest einige FDZlerinnen und FDZler wieder zum Tretbootfahren und einem anschließenden Picknick „auf Abstand“. Im Sommer 2021 trat das Team endlich fast vollständig an zum Lama-Trekking – ein tolles Erlebnis, da sind sich alle einig.
Soweit es das pandemische Geschehen zulässt, bevorzugt Dana Müller für sich persönlich das Arbeiten im Büro. „Zu Hause habe ich kein Arbeitszimmer für mich allein“, erklärt sie. Kein Wunder – sie teilt sich ihre vier Wände mit drei Schulkindern und ihrem Mann, der ebenfalls im Homeoffice arbeitet. Während des Lockdowns und der Schulschließungen war der Kampf um Platz und Geräte manchmal groß. „Mein neunjähriger Sohn wollte mich einmal für eine Telefonkonferenz ins Badezimmer verbannen, weil alle anderen Rückzugsorte schon belegt waren.“ Außerdem könne sie inzwischen mit dem Laptop auf dem Arm Meetings abhalten und zugleich einhändig Spagetti kochen. Und mit der Erstklässlerin Rechnen üben, während sie an einer Konferenz teilnimmt. Not macht erfinderisch.
Im Büro hat sie Zeichnungen ihrer Kinder an die Wand gepinnt. Sie bilden einen farbenfrohen Hintergrund für ihre Videobesprechungen. Bei all der Vermischung der Lebenswelten im Lockdown ist ihr jedoch die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit wichtig. „Am Wochenende arbeite ich nicht, und ab dem späten Nachmittag ist meistens Familienzeit.“ Und außerdem, fügt sie mit einem Zwinkern hinzu, werde ihr die Frage nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf hoffentlich nicht nur gestellt, weil sie eine Frau sei.
Mit diesem Thema kennt sie sich aus. Der Kern ihrer Forschungsarbeit ist seit einigen Jahren die Ungleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt. Als Gleichstellungsbeauftragte, erzählt sie, konnte sie dazu einen Blick hinter die Kulissen werfen und viel über Strukturen lernen. Und ja, ihre Forschung verfolgt sie weiter. Auch wenn ihr neben ihren anderen Aufgaben nicht immer viel Zeit dafür bleibt.
Neue Zeiten, neue Herausforderungen
Bei all dem Pensum, das sie leistet, ist sie stolz auf das sinnstiftende Element, das sie in ihrer Tätigkeit sieht. „Die Daten, die wir der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung stellen, sind die Voraussetzung für gute Forschung“, sagt sie. „Und die wiederum ist die Grundlage für gute Politikberatung.“
Und die Forschung mit den FDZ-Daten findet nicht nur in Deutschland statt. Tausende Nutzerinnen und Nutzer weltweit profitieren jährlich von der Arbeit des FDZ. In den USA, in Frankreich, England, Kanada, Spanien und Polen wurden in den letzten Jahren Datenzugangspunkte geschaffen. „Es gab für uns einige Hürden zu überwinden“, erzählt Dana Müller. „Bürokratische, datenschutzbedingte, aber auch finanzielle.“ Der Erfolg bestätigte den eingeschlagenen Kurs – bis die Pandemie die Welt überrollte. Aufgrund der aktuellen Ausbreitung des Coronavirus sind mehrere Datenzugangspunkte geschlossen, andere öffnen nur unter strikten Beschränkungen.
Ein passender Zeitpunkt für Dana Müller, ein Herzensprojekt weiter voranzutreiben. Ihr Team arbeitet nämlich längst daran, über eine Remote-Desktop-Verbindung den Gastaufenthalt überflüssig zu machen. Die Hürden insbesondere beim Datenschutz sind noch groß, doch das Ziel lohnt die Anstrengungen: vom eigenen Büro aus auf die FDZ-Daten zugreifen zu können. „Das ist die Zukunft“, sagt Dana Müller. Und die ist ihr in all ihren Entscheidungen wichtiger als die Vergangenheit. „Stehen bleiben ist für mich keine Option.“
Die Digitalisierung, die Forschung, die Daten verändern sich fortlaufend, sagt sie. Ihr Team nimmt sie in ihrem Vorwärtsdrang mit. Neue Ideen greift sie auf, Verbesserungsvorschläge sind erwünscht, alteingefahrene Prozesse für sie immer kritisierbar. „Was gibt es Spannenderes, als ständig unsere Möglichkeiten zu erweitern?“ Für sie umfasst das auch das Erschließen vollkommen neuer Datenschätze, so wie aktuell Beschäftigtendaten des Bundesarchivs. Eine Erfolgsgeschichte, bei der lange nicht absehbar war, ob die Kooperation zustande kommt.
Bei all dem fällt es Dana Müller nicht immer leicht, ihre Ungeduld im Zaum zu halten. „In einer Behörde mahlen die Mühlen oft langsam. Doch wenn ich eines kann, dann hartnäckig sein.“ Notfalls über Jahre hinweg.
Die Pandemie hat manche Entwicklungen beschleunigt
Bei allen Verwerfungen, die die Corona-Krise mit sich brachte – nie war der virtuelle Raum und die globale Vernetzung von Daten und Nutzerinnen so greifbar wie heute.
„Mein erster virtueller Vortrag war zwei Jahre vor der Pandemie und völlig improvisiert“, erzählt Dana Müller. „2018 sollte ich nach Kanada fliegen, um den neuen Datenzugangspunkt vor Ort zu eröffnen. Doch mein Flug endete in Frankfurt, weil das Einreiseformular fehlerhaft war. Normalerweise ein Problem, das schnell zu klären ist, doch das Amt für Visa hatte ausgerechnet an diesem Tag ein Server-Update.“ Der erste Zug zurück nach Nürnberg fuhr ihr vor der Nase davon, der nächste Zug fiel wegen technischer Probleme aus – so dauerte die Odyssee insgesamt fast so lange wie die Reise nach Kanada. Trotzdem sagte sie den Vortrag nicht ab. Sie hielt ihn am nächsten Abend live an ihrem Laptop. In ihrer Küche.
Was damals eine Notlösung war, ist die neue Realität. Die nächste Konferenz des FDZ für seine Datennutzerinnen und -nutzer wird 2022 das erste Mal komplett virtuell stattfinden. Dana Müller, die bereits auf dem Sprung zur nächsten Videobesprechung ist, sagt, sie freue sich schon darauf.
Keitel, Christiane (2021): „Stehen bleiben ist für mich keine Option“, In: IAB-Forum 22. Dezember 2021, https://www.iab-forum.de/stehen-bleiben-ist-fuer-mich-keine-option/, Abrufdatum: 18. November 2024
Autoren:
- Christiane Keitel