Einige Tarifverträge sehen mittlerweile für bestimmte Beschäftigtengruppen eine Wahlmöglichkeit zwischen „mehr Zeit“ oder „mehr Geld“ vor. Eine Befragung von über 3.000 Beschäftigten aus über 150 betroffenen Betrieben zeigt, dass die meisten Beschäftigten unter diesen Umständen bereit sind, zugunsten von mehr Freizeit auf Lohnerhöhungen oder Sonderzahlungen zu verzichten.

Angesichts nach wie vor bestehender Engpässe in der außerhäuslichen Kinderbetreuung und einer steigenden Zahl an Pflegebedürftigen ist eine flexible Anpassung des Arbeitslebens an die familiäre Situation für viele Beschäftigte von zentraler Bedeutung. Dies spiegelt sich nicht nur in einem hohen Anteil an Frauen, insbesondere Müttern, in Teilzeitbeschäftigung wider, sondern auch in arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre wie der 2019 erfolgten Einführung der Brückenteilzeit. Sie sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine zeitlich befristete Teilzeitarbeit mit Rückkehrrecht zur vorherigen Arbeitszeit vor (zu den Potenzialen und Konflikten betrieblicher Freistellungsregelungen lesen Sie unter anderem einen 2021 erschienenen Beitrag von Ute Klammer).

Eine im Jahr 2019 im Auftrag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di durchgeführte Arbeitszeitstudie zeigt zudem, dass sich viele Beschäftigte neben kollektiven Regelungen vor allem mehr individuelle Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer Arbeitszeiten wünschen. Auch die Gewerkschaften haben sich hier in den letzten Jahren zunehmend engagiert. So haben beispielsweise IG Metall, IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und ver.di für viele Betriebe eine tarifliche Wahloption zwischen „weniger Arbeitszeit“ und „mehr Geld“ ausgehandelt. Konkret können sich Beschäftigte in den beteiligten Betrieben jährlich zwischen der Zeitoption (je nach Tarifvertrag in Form von zusätzlichen Urlaubstagen oder einer verkürzten Wochenarbeitszeit) und der Geldoption (in Form von Sonderzahlungen oder einer monatlichen Entgelterhöhung) entscheiden.

Allerdings haben oft nicht alle Beschäftigte in einem Betrieb dieses Wahlrecht. In vielen Tarifverträgen ist dies beispielsweise Tarifbeschäftigten, Schichtarbeitenden oder Eltern von kleinen Kindern vorbehalten. Näheren Aufschluss gibt eine Befragung von über 3.000 Beschäftigten und über 150 Betrieben, deren Ergebnisse allerdings nicht repräsentativ sind.

59 Prozent der Beschäftigten mit Wahloption entscheiden sich für mehr Zeit

Fast 60 Prozent der Befragten mit Wahloption haben sich nach eigenen Angaben für eine zeitliche Entlastung entschieden, 6 Prozent haben eine Kombination aus Zeit und Geld gewählt und 34 Prozent optierten für eine Sonderzahlung oder monatliche Entgelterhöhung (siehe Abbildung 1). Die von den Gewerkschaften ausgehandelte Option, anstelle der bislang üblichen Entgelterhöhungen auch mehr Urlaubstage nehmen zu können oder weniger Wochenstunden arbeiten zu müssen, stößt also bei den Beschäftigten auf breites Interesse.

Abbildung 1 zeigt, welcher Anteil der Beschäftigten mit Wahloption sich für das Jahr 2022 entweder für eine geringere Arbeitszeit oder für mehr Geld oder eine Kombination aus beidem entscheidet. Die Grafik verdeutlicht, dass der Großteil der befragten Beschäftigten eine Verringerung der Arbeitszeit wählt (59,3%). 34,4 Prozent der Befragten geben an, mehr Geld gewählt zu haben und weitere 6,3 Prozent der Beschäftigten haben sich für eine Kombination aus Geld und Zeit entschieden.

Drei Viertel der betroffenen Betriebe bieten allen Tarifbeschäftigten die Wahloption an

Allerdings steht die Wahloption nicht zwingend allen Beschäftigten zur Verfügung, die in einem Betrieb mit entsprechender tariflicher Regelung arbeiten. Zwar können in 75 Prozent der befragten Betriebe alle Tarifbeschäftigten von dem Wahlmodel Gebrauch machen. In den übrigen 25 Prozent ist die Wahloption allerdings konditional, also nur bestimmten Tarifbeschäftigten vorbehalten (siehe Abbildung 2a).

So bietet die Hälfte der letztgenannten Betriebe die Wahloption nur für Vollzeitbeschäftigte an (siehe Abbildung 2b). Und in jeweils rund 90 Prozent dieser Betriebe können Tarifbeschäftigte mit Kindern oder zu pflegenden Angehörigen sowie Schichtarbeitende von der Wahloption Gebrauch machen. In 55 Prozent der Betriebe mit konditionalem Wahlrecht wiederum ist eine mindestens zweijährige Betriebszugehörigkeit Voraussetzung dafür, die Wahloption in Anspruch zu nehmen.

Abbildung 2 stellt in ihrem oberen Teil zunächst dar, wie viele Betriebe allen Tarifbeschäftigten, die Wahl zwischen Zeit und Geld ermöglichen (75 %) und in wie vielen Betrieben, die Wahl an weitere Bedingungen geknüpft ist (25 %). Der zweite Teil der Grafik differenziert für Betriebe mit eingeschränkter Wahloption, die genannten weiteren Bedingungen aus. Dabei zeigt sich, dass in 92 Prozent der Betriebe, in denen nur bestimmte Gruppen der Tarifbeschäftigten wählen können, Tarifbeschäftigte mit Kindern, die Wahl haben. Weitere zentrale Gruppen sind Tarifbeschäftigte mit zu pflegenden Angehörigen (ebenfalls 92 %) sowie Tarifbeschäftigte in Schichtarbeit (87 %).

In einigen Betrieben können außerdem auch Beschäftigte vom Wahlmodell Gebrauch machen, die nicht unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Dies können beispielsweise außertariflich Beschäftigte sein. 52 Prozent der befragten Betriebe mit Wahloption gaben an, dass dies bei ihnen der Fall ist.

Auch Beschäftigte ohne Wahloption würden sich mit großer Mehrheit für „mehr Zeit“ statt für „mehr Geld“ entscheiden

Die bisherigen Auswertungen zeigen, dass nicht alle Beschäftigten eines Betriebs von der Wahloption Gebrauch machen können. Allerdings besteht auch hier vielfach der Wunsch, weniger zu arbeiten. Laut Befragung würden sich auch 65 Prozent der Befragten ohne Wahloption für mehr Freizeit entscheiden, wenn sie tatsächlich wählen könnten (siehe Abbildung 3). 7 Prozent würden eine Kombination aus Zeit und Geld wählen, 28 Prozent würden sich für ein höheres Entgelt entscheiden.

Abbildung 3 zeigt, wie sich Befragte ohne Wahloption für das Jahr 2022 hypothetisch entschieden hätten, also wenn sie von der Wahloption hätten Gebrauch machen können. Die Grafik verdeutlicht, dass sich der Großteil der befragten Beschäftigten ohne Wahloption für eine Verringerung der Arbeitszeit entschieden hätten: 65,3 Prozent der Befragten ohne Wahloption geben das an. 28,1 Prozent der Befragten ohne Wahloption geben an, sie hätten sich für mehr Geld entschieden und weitere 6,6 Prozent hätten eine Kombination aus Geld und Zeit gewählt, wenn sie von der Wahloption hätten Gebrauch machen könnten.

Damit liegt der Anteil derer, die sich ausschließlich für mehr Zeit entscheiden würden, sogar 6 Prozentpunkte höher als bei den Wahlberechtigten (dieser Unterschied ist auch statistisch signifikant). Eine Ausweitung der Wahloption auf weitere Beschäftigungsgruppen käme also deren Interessen deutlich entgegen.

Knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten optieren vor allem für mehr Freizeit, um mehr Zeit für Hobbys und Freunde zu haben

Die Motive für eine Reduktion der Arbeitszeit sind unterschiedlich. Dabei zeigen sich auch Unterschiede zwischen Beschäftigten mit und ohne Wahloption (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4 zeigt anhand eines Balkendiagramms die genannten Gründe für die Wahl einer geringeren Arbeitszeit anstelle von mehr Geld. Dabei stellt die Grafik die Gründe von Befragten mit und ohne Wahloption gegenüber. Während befragte Beschäftigte mit Wahloption am häufigsten angeben, dass sie sich für eine Verringerung der Arbeitszeit entschieden haben, um mehr Zeit für Hobbys und Freunde zu haben (39,1 %), nennen Befragte ohne Wahloption als Hauptgrund für eine hypothetische Wahl von Zeit, mehr Zeit für die Familie (38,1 %). In beiden Gruppen ist mehr Zeit für sich selbst der Grund, der am zweit häufigsten genannt wurde: 23,1 Prozent der befragten Beschäftigten mit Wahloption und 25,4 Prozent der befragten Beschäftigten ohne Wahloption nennen mehr Zeit für sich selbst als Hauptgrund.

So würden 38 Prozent der Beschäftigten ohne Wahloption vor allem deswegen weniger arbeiten, um mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen zu können. Unter den Beschäftigten, die tatsächlich eine Wahl treffen können, liegt dieser Anteil bei 23 Prozent – und damit deutlich geringer. Das ist insofern überraschend, als in den meisten befragten Betrieben mit konditionaler Wahloption gerade Eltern zu den wahlberechtigten Beschäftigten zählen.

Bei den Wahlberechtigten gab vor allem der Wunsch, mehr Zeit für Hobbys und Freunde zu haben, den Ausschlag (39 Prozent). Und in beiden Gruppen gab über ein Fünftel der Befragten mit Präferenz für eine geringere Arbeitszeit als Hauptgrund an, in diesem Fall mehr Zeit für sich selbst zu haben. Auch der Wunsch nach einer Reduzierung der Arbeitsbelastung wurde in beiden Gruppen ähnlich häufig als Motiv genannt (18 und 15 Prozent).

Fazit

Bei den Beschäftigten steigt tendenziell der Wunsch nach mehr Flexibilität in der individuellen Arbeitszeitgestaltung. Hier setzt eine von Gewerkschaften wie der IG Metall, der IG BCE, der EVG und ver.di durchgesetzte tarifliche Regelung an, die es Beschäftigten ermöglicht, jährlich zwischen mehr Geld oder mehr Freizeit zu wählen. Im Rahmen des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekts „Die Wahl zwischen Zeit und Geld: neue Flexibilität für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatem?“ wurden über 3.000 Beschäftigte, die von der tariflichen Regelung Gebrauch machen können, zu ihrer Wahl für das Jahr 2022 befragt. Davon haben sich 59 Prozent für mehr Zeit statt für mehr Geld entschieden.

Viele Beschäftigte wünschen sich also eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung oder mehr Urlaubstage, um Beruf und Privatleben besser miteinander vereinbaren zu können, und verzichten dafür auf monetäre Zugewinne in Form von Sonderzahlungen oder monatlichen Entgelterhöhungen. Die klassische Idealvorstellung einer Vollzeittätigkeit scheint demnach bei vielen Beschäftigten dem Wunsch nach einer stärkeren Flexibilisierung des Arbeitsumfangs zu weichen.

Auch unter Beschäftigtengruppen, die bislang nicht von der genannten Wahloption Gebrauch machen können, ist der Wunsch nach mehr Zeit sehr groß. Die Beschränkung der Wahlmöglichkeit auf bestimmte Gruppen könnte daher bei den nicht wahlberechtigten Beschäftigten zu einer gewissen Unzufriedenheit führen. Dies könnte zumal dann der Fall sein, wenn Aufgaben von Beschäftigten, die sich für weniger Arbeitszeit entschieden haben, auf andere Beschäftigte umverteilt werden müssen.

Auch wenn die Daten darauf hindeuten, dass viele Beschäftigte ihre Entscheidung zugunsten von mehr Zeit durch eigene Vor- und Nacharbeit auffangen, ist es für die Betriebe unter Umständen eine Herausforderung, die infolge der Arbeitszeitverkürzung anfallende Mehrarbeit gerecht zu verteilen beziehungsweise allen Beschäftigten eine Wahloption einzuräumen.

Angesichts des steigenden Fachkräftebedarfs könnte die Einführung oder Ausweitung der Wahloption für Betriebe ein Instrument sein, um Fachkräfte leichter zu rekrutieren und gut ausgebildete Beschäftigte stärker an sich zu binden. Das Wahlmodell kann somit Vorteile für Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen bieten. Ein gleichberechtigter Zugang zum Wahlmodell ist bislang jedoch nicht flächendeckend erreicht, von nicht tarifgebundenen Betrieben ganz abgesehen. Dies dürfte auch damit zu tun haben, dass Betriebe mit Wahloption die „verbleibende“ Arbeit in geeigneter Weise „umverteilen“ müssen, was manche Betriebe vor eine organisatorische Herausforderung stellen dürfte.

Angesichts der bisherigen Umsetzung der Wahloption steht zu befürchten, dass sich bestehende Ungleichheiten zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen verfestigen oder sogar neu bilden könnten (lesen Sie dazu auch einen 2021 erschienenen Beitrag von Angelika Kümmerling).

Daten

Im Rahmen des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekts „Die Wahl zwischen Zeit und Geld: neue Flexibilität für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatem?“, einem Kooperationsprojekt des IAB mit der Universität Bielefeld, werden die Gründe für die Wahl zwischen Zeit und Geld analysiert. Zu diesem Zweck wurde eigens für das Projekt ein verknüpfbarer Betriebs- und Beschäftigtendatensatz erhoben, welcher Betriebe mit entsprechender Wahloption umfasst. Dieser Datensatz bietet die Grundlage für die hier dargestellten Analysen.

Die Auswertungen auf Betriebsebene beruhen auf 157 Betrieben, die (Teilen) ihrer Belegschaft die Wahloption zwischen Zeit und Geld anbieten. Aufgrund des selektiven Samples kann keine Repräsentativität beansprucht werden. Die Analysen auf Beschäftigtenseite beruhen auf 2.471 Beschäftigten, die für das Jahr 2022 die Wahloption hatten, und 544 Beschäftigten, die nicht wahlberechtigt waren und nach ihrer hypothetischen Wahl gefragt wurden.

Um zu untersuchen, ob sich die beiden Gruppen hinsichtlich ihrer Präferenz voneinander unterscheiden, wird deskriptiv betrachtet, welcher Anteil sich in der jeweiligen Gruppe für Zeit, Geld oder eine Kombination aus beidem entschieden hat beziehungsweise entscheiden würde. Zudem werden die Motive der Personen, die Zeit gewählt haben beziehungsweise wählen würden, in den Blick genommen, wobei ebenfalls nach wahlberechtigten und nicht wahlberechtigten Beschäftigten differenziert wird. Die Prüfung, ob die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen signifikant sind, erfolgt anhand von T-Tests (5-Prozent-Niveau).

In aller Kürze

  • Wenn Beschäftigte die Möglichkeit haben, sich zwischen mehr Zeit (in Form von zusätzlichen Urlaubstagen oder einer verkürzten Wochenarbeitszeit) oder mehr Geld (in Form von Sonderzahlungen oder einer monatlichen Entgelterhöhung) zu entscheiden, wählt der Großteil der Beschäftigten die Zeitoption.
  • Betriebe, die diese tarifliche Wahloption anbieten, beschränken sie häufig auf bestimmte Beschäftigtengruppen, allen voran Tarifbeschäftigte im Betrieb.
  • Allerdings besteht auch unter den Beschäftigtengruppen, die bisher keine Wahloption haben, der Wunsch sich für mehr Zeit statt für mehr Geld entscheiden zu können.
  • Bei den tatsächlich wahlberechtigten Beschäftigten dominiert der Wunsch nach mehr Zeit für Freunde und Hobbys. Hingegen würden sich Beschäftigte ohne Wahloption vor allem deswegen für mehr Zeit entscheiden, um diese verstärkt mit ihrer Familie verbringen zu können.

Literatur

Klammer, Ute (2021): Mehr Rechte für die einen, mehr Druck für die anderen? Potenziale und Konflikte von Freistellungsregelungen in der betrieblichen Praxis. Zeitpolitisches Magazin, Jg. 18, Ausgabe 38, S.7–10.

Kümmerling, Angelika. (2021): Tarifvertragliche und betriebliche lebenslaufbezogene Arbeitszeitverkürzung und Freistellungsmöglichkeiten. Zeitpolitisches Magazin, Jg. 18, Ausgabe 38, S. 10–13.

 

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DOI: DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240722.01

Ruf, Kevin; Bächmann, Ann-Christin ; Abendroth-Sohl, Anja; Mellies, Alexandra (2024): Tarifliches Wahlrecht: Warum die Mehrheit der Beschäftigten lieber mehr Zeit hätte als mehr Geld, In: IAB-Forum 22. Juli 2024, https://www.iab-forum.de/tarifliches-wahlrecht-warum-die-mehrheit-der-beschaeftigten-lieber-mehr-zeit-haette-als-mehr-geld/, Abrufdatum: 23. November 2024