18. Oktober 2017 | Serie „Zehn Jahre PASS“
„Vom Interview bis zum Datensatz sind viele Schritte nötig“
Frau Wenzig, Sie sind wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Seit wann sind Sie an der Studie beteiligt? Und was ist Ihre Aufgabe?
Wenzig: Ich bin seit Ende 2005 am IAB und von Anfang an bei der Studie dabei. Ich bin insbesondere für die Konzeption und Durchführung der Befragung verantwortlich. Ich forsche aber auch mit unseren Daten – aktuell zum Beispiel zur Kinderarmut in Deutschland.
Wie ist das bei Ihnen, Herr Bethmann?
Bethmann: Ich bin 2007 ans IAB gekommen und habe zunächst in der Abteilung für IT- und Informationsmanagement gearbeitet. Im Forschungsbereich „Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ war der Bedarf an Leuten, die sich mit der Datenaufbereitung auskennen, rapide gestiegen und so hat man mich 2008 kurzerhand dazugeholt. Ich bin für das Management und die Aufbereitung der Befragungsdaten zuständig und forsche ebenso wie Claudia Wenzig parallel dazu mit den Daten.
Wie kann ich mir Ihre Arbeit genau vorstellen?
Wenzig: Ich arbeite im Team „Feldvorbereitung“. Das heißt, bevor eine Befragung im Februar eines Jahres startet, haben wir uns schon fast ein Jahr vorher immer wieder regelmäßig im Team getroffen, um den Fragebogen zu erstellen. Wir entscheiden zunächst einmal, welche Themen für die Befragung relevant sind und welche wir nicht mehr berücksichtigen werden. Obwohl viele Fragen über die Zeit hinweg gleich bleiben, gibt es trotzdem immer wieder neue Themen, die in den Fragebogen mit aufgenommen werden – etwa aufgrund von gesetzlichen Änderungen oder politischen Debatten.
Zum Beispiel?
Wenzig: Der Mindestlohn ist da sicherlich ein gutes Beispiel. Nach dessen Einführung haben wir gleich mehrere Einstellungsfragen zum Mindestlohn mit in den Fragebogen aufgenommen. Auch im Zuge der jüngsten Zuwanderungsentwicklung haben wir spezifische Fragen zur Teilnahme an Deutsch- und Integrationskursen oder zur Zusammensetzung des Freundeskreises entwickelt, die wir allen Befragten, die nicht in Deutschland geboren sind, stellen.
Wer entscheidet eigentlich, welche Fragen letztlich in den Fragebogen hineinkommen?
Wenzig: Wir lesen die aktuelle Forschungsliteratur zum geplanten Fragemodul, recherchieren, ob es bereits Befragungen dazu gibt, entwickeln und diskutieren auf dieser Grundlage verschiedene Vorschläge und entscheiden uns dann nach sorgfältiger Prüfung gemeinsam im Team für die endgültige Fassung. Außerdem können auch externe Forscher Vorschläge einreichen. Prinzipiell können sich andere Wissenschaftler bewerben, deren Ideen gut zur Studie passen. Hier entscheidet dann ein Auswahlgremium darüber, welcher dieser Vorschläge in den Fragebogen aufgenommen wird. Da wir mit einer durchschnittlichen Interviewzeit von einer halben Stunde planen, können wir leider nicht immer alle Wünsche berücksichtigen. Wenn wir etwas Neues aufnehmen, müssen wir uns auch immer von alten Fragemodulen verabschieden.
Und dann wird der Fragebogen an infas übergeben?
Wenzig: Genau, wir geben den Fragebogen an das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft, das im Auftrag des IAB die Erhebungen durchführt, zur Programmierung weiter. Wir arbeiten eng mit dem Befragungsinstitut zusammen und überprüfen immer wieder die Qualität der Fragen. Es ist nämlich ziemlich schwierig, eine gute Frage zu formulieren. Es ist beispielsweise sehr wichtig, dass alle Befragten die Fragen gleich verstehen, damit wir die Aussagen bei der Auswertung miteinander vergleichen können. Auch dies testen wir vor dem großen Feldeinsatz mit ausgewählten Studienteilnehmern. Unsere letzte Aufgabe ist dann gemeinsam mit infas die Schulung der rund 450 Interviewer, die jedes Jahr für die Studie im Einsatz sind und für die neue Welle fit gemacht werden müssen. Und wenige Wochen nachdem die Befragung gestartet ist, beginnt schon wieder alles von vorne und wir machen uns Gedanken über den Fragebogen für das nächste Jahr!
„Die Sicht des Forschers muss von Beginn an mitberücksichtigt werden, damit die Fragen und Antworten später vernünftig analysiert werden können.“
Wann kommen Sie ins Spiel, Herr Bethmann?
Bethmann: Wir von der Datenaufbereitung begleiten im Prinzip von Anfang an die Fragebogenentwicklung. Die Sicht des Forschers muss nämlich von Beginn an mitberücksichtigt werden, damit die Fragen und Antworten später vernünftig analysiert werden können. Außerdem müssen wir im Vorfeld der Befragung nach bestimmten Kriterien Adressen recherchieren und die Stichprobe ziehen. Sobald wir wissen, was in der Welle gefragt wird, planen wir außerdem die Datenaufbereitung. Wir überlegen uns im Team das Konzept und die Regeln und übergeben das gesamte Paket dann an unser Partnerinstitut. Infas kümmert sich eigenständig um die eigentliche Datenaufbereitung. Wir kommen erst wieder bei der Qualitätssicherung ins Spiel. Am Ende stellen wir die finalen Daten zusammen und übergeben sie unserem Forschungsdatenzentrum, das die Daten für die Nutzer zur Verfügung hält und sich um die Einhaltung aller datenschutzrechtlichen Bestimmungen kümmert.
Warum müssen die Daten denn überhaupt aufbereitet werden?
Bethmann: Wenn wir mit den Daten forschen möchten, benötigen wir diese in einer bestimmten Form. Vom Interview bis zum Datensatz sind dazu viele technische Schritte nötig. Beispielsweise müssen Informationen vereinheitlicht oder Befragungs- und Programmierfehler bereinigt werden. Ein sehr wichtiger Teil ist dabei auch die Anonymisierung der Daten, so dass später keine Rückschlüsse auf unsere Befragten möglich sind. Unser Ziel ist es, den Nutzern die bestmöglichen Daten zur Verfügung zu stellen.
Können Sie das bitte noch einmal an einem Beispiel veranschaulichen?
Bethmann: Wenn uns Befragte ihren Beruf nennen, können sie ganz frei sagen, was sie machen – zum Beispiel „Bäcker“, „Ärztin“ oder „Kindererzieher“. Mit den einzelnen Angaben können die Forscher aber nicht viel anfangen, weshalb wir die Berufsangaben noch einmal entlang einheitlicher Kriterien zusammenfassen und auf wenige Berufsgruppen reduzieren. Ganz ähnliche Klassifikationen gibt es auch für Bildungsabschlüsse oder Familienkonstellationen. Das Ganze dient der internationalen Vergleichbarkeit und der Reduktion von Komplexität.
Sie arbeiten beide seit vielen Jahren an der Studie mit. Was war für Sie die größte Herausforderung?
Bethmann: Für mich war die größte Herausforderung, als wir 2009 das Befragungsinstitut gewechselt haben – von TNS Infratest zu infas. Das war wie ein Pferdewechsel im vollen Galopp. Auf einmal mussten wir mit einem komplett neuen Interviewerstab, einer neuen Technik und neuen Kollegen in der Datenaufbereitung zusammenarbeiten und dabei möglichst Kontinuität bewahren. Dies war mit viel Arbeit und langen Diskussionen verbunden, hat aber am Ende doch sehr gut funktioniert. Bis heute haben wir keine großen Brüche in den Daten.
Wenzig: Eine dauerhafte Aufgabe ist sicherlich auch die kontinuierliche Motivation der Studienteilnehmer, so dass alle im neuen Jahr wieder teilnehmen. Die nach Deutschland geflohenen und zugewanderten Personen aus Syrien und anderen Krisenländern, die wir 2016 in unserer Studie erstmals befragt haben, haben uns ebenfalls vor ganz neue Herausforderungen gestellt. So mussten wir nicht nur den Fragebogen ins Arabische übersetzen, sondern auch kulturelle Besonderheiten bei den Interviews mitberücksichtigen.
Und was hat Sie andererseits über alle die Jahre hinweg motiviert?
Bethmann: Mir macht am meisten Spaß, die Studie nach außen hin zu präsentieren. Als 2012 die erste Nutzerkonferenz stattfand und wir gesehen haben, dass mit unseren Daten tatsächlich Forschung betrieben und Ergebnisse produziert wurden, hat mich das schon ziemlich glücklich gemacht. Und wenn ich merke, dass meine eigene Forschung in der Politik ankommt, motiviert mich das noch einmal extra.
Wenzig: Ja, da kann ich nur zustimmen. Es ist schön zu wissen, dass unsere Daten nicht irgendwo in der Schublade verschwinden, sondern dass damit aktiv Forschung betrieben und darüber berichtet wird. Außerdem freue ich mich immer darüber, bei den Interviewer-Schulungen persönlichen Kontakt zu den Interviewern zu haben. Sie erzählen uns dann auch, wie die Studie bei den Befragten ankommt. Es ist gut, auf diese Weise jenseits von Zahlen Rückmeldungen zu unserer Studie zu bekommen.
Was bedeutet Ihnen die Studie eigentlich persönlich?
Wenzig: Für mich ist die Studie etwas ganz Besonderes, weil ich von Anfang an dabei bin und sehen kann, wie sie gewachsen ist. Fast wie bei einem Baby. Immer mehr Forscher arbeiten damit. Unser Team ist größer geworden. Und auch unsere Befragten machen seit vielen Jahren mit. All das motiviert mich, weiterhin an der Studie mitzuarbeiten.
Bethmann: Im Vergleich zu anderen Studien sind wir ein relativ kleines Team. Selbst wenn ich zum Beispiel nicht aktiv in der Fragebogenentwicklung mitarbeite, bekomme ich doch fast alles mit, da wir uns regelmäßig austauschen. So habe ich das Gefühl, an der gesamten Studie beteiligt zu sein – und nicht nur ein kleines Rädchen in der Datenaufbereitung. Natürlich macht mir auch die Forschung Spaß, und zu wissen, dass die Studie politisch relevant geworden ist.
Zur Person
Dr. Claudia Wenzig studierte von 1993 bis 1999 Sozialwissenschaften an den Universität Erlangen-Nürnberg. Die Diplom-Sozialwirtin war anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologie tätig und promovierte dort 2004 zum Thema „Armut, Gesundheit und sozialer Kontext von Kindern“. Danach war Claudia Wenzig bis 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Robert-Koch-Institut, Abteilung Gesundheitsberichterstattung. Seit Dezember 2005 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“.
Zur Person
Dr. Arne Bethmann studierte von 2000 bis 2007 Sozialwissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). 2013 wurde er mit seiner Dissertation zum Thema „Aspekte von Beruf und Familie unter ökonomischer Unsicherheit. Beiträge zu Familie, Partnerschaft und beruflicher Mobilität“ zum Dr. rer. pol. promoviert. Von 2007 bis 2016 arbeitete Arne Bethmann in verschiedenen Abteilungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Von 2008 bis 2016 insbesondere im Forschungsbereich „Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“. Von 2014 bis 2016 war er außerdem akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Statistik und sozialwissenschaftliche Methodenlehre der Universität Mannheim. Seit August 2016 ist er Längsschnittdatenmanager am Zentrum für Dauerbeobachtung und Methoden des Deutschen Jugendinstituts in München.
Die Fragen stellte Daniel Meyer, derzeit als Doktorand am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln tätig.