15. Juni 2021 | Serie „Befunde aus der IAB-Grundsicherungsforschung“
Warum gerade ältere Arbeitslose die Jobsuche häufig einstellen
„Entmutigte Arbeitslose“ ist eine Bezeichnung für Menschen, die die aktive Arbeitsuche nach erfolglosen Versuchen, eine Stelle zu finden, eingestellt haben. Diese Gruppe von Arbeitslosen stellt ein vielfach übersehenes Potenzial für den Arbeitsmarkt dar. Generell stieg die Beteiligung am Arbeitsmarkt vor der Covid-19-Pandemie deutlich an. Auch ältere Arbeitslose haben von dieser positiven Entwicklung profitiert. Dennoch neigen in dieser Gruppe relativ viele Personen dazu, sich entmutigt aus dem Arbeitsmarkt zurückzuziehen. Ihre Chancen auf Wiederbeschäftigung nach einem Arbeitsplatzverlust sind tendenziell geringer, das Risiko einer längeren Arbeitslosigkeit mithin relativ hoch (lesen Sie dazu auch den IAB-Kurzbericht 11/2018). Viele ältere Arbeitslose entscheiden sich dafür, dem Arbeitsmarkt dauerhaft den Rücken zu kehren und brechen die aktive Stellensuche ab. Sie befinden sich somit vielfach in einer Grauzone, da sie zwar formal arbeitslos gemeldet sind, dem Arbeitsmarkt aber faktisch nicht mehr zur Verfügung stehen. In Deutschland ist jeder zweite Arbeitslose, der die Jobsuche entmutigt eingestellt hat, 55 Jahre oder älter. Auch in anderen EU-Ländern sind dies häufig oder sogar überwiegend Ältere (siehe Abbildung 1).
Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Anton und Eugene Nivorozhkin ist der Frage nachgegangen, aus welchen Gründen ältere Arbeitslose in der Grundsicherung die Jobsuche entmutigt aufgegeben haben. Zudem wurden in der Untersuchung mögliche Strategien diskutiert, um die Betroffenen dazu zu bewegen, ihre Arbeitsuche fortzusetzen. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie werden im Folgenden präsentiert.
Binnen eines Jahres stellen 11 Prozent der älteren Arbeitslosen die Jobsuche entmutigt ein
Die Untersuchung stützt sich auf Daten aus der Panelstudie „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS). Demnach finden binnen eines Jahres nur 12,6 Prozent der Arbeitslosen im Alter zwischen 44 und 63 Jahren eine Stelle (siehe Abbildung 2). Die Mehrheit, nämlich 58 Prozent, setzt die Arbeitsuche fort. Knapp 30 Prozent der Arbeitslosen berichteten, dass sie in den vier Wochen vor der Befragung nicht nach einer Stelle gesucht hatten.
Hierfür können neben einer Entmutigung auch andere Faktoren den Ausschlag geben. In etwa 11 Prozent der Fälle entbinden die Vermittlungsfachkräfte die Betroffenen von ihrer Pflicht zur Arbeitsuche, etwa aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen. Die Pflicht zur Arbeitsuche kann auch dann entfallen, wenn die Betroffenen Familienangehörige pflegen müssen oder an einer Maßnahme der aktiven Arbeitsmarktpolitik teilnehmen.
Damit verbleibt eine Gruppe von Arbeitslosen, die von sich aus die Arbeitsuche einstellen – auch wenn sie weiterhin verpflichtet sind, sich aktiv um eine Arbeitsstelle zu bemühen. Hier können wiederum gesundheitliche Probleme oder die Pflege von Familienangehörigen eine Rolle spielen. Auch unrealistisch hohe Lohnvorstellungen können dazu beitragen, dass die Jobsuche abgebrochen wird. In manchen Fällen, dies sollte hier hinzugefügt werden, hatten die Betroffenen schon in der Vergangenheit nur geringe Anstrengungen unternommen, einen neuen Job zu finden. Gerade für ältere Arbeitslose können auch mehrere der genannten Gründe zutreffen (siehe Infokasten „Daten“). Obwohl die genannten Faktoren potenziell wichtig sind, betreffen sie nur 7 Prozent der älteren Arbeitslosen.
Die restlichen 11 Prozent konnten keine Stelle finden und blieben weiterhin zur Arbeitsuche verpflichtet, stellten die Bemühungen jedoch ohne ersichtlichen Grund ein. Diese werden im Folgenden als „entmutigte Arbeitslose“ bezeichnet. Unter den älteren Arbeitslosen ist deren Anteil fast so groß wie der Anteil derjenigen, die wieder eine Beschäftigung finden.
Paradoxerweise scheint der Anteil der entmutigten Arbeitslosen mit zunehmendem Alter zu sinken – jedenfalls in der Gruppe der Arbeitslosen ab Mitte 50 (siehe Abbildung 3). Sind es in der Gruppe der 44- bis 48-Jährigen gut 14 Prozent, so beläuft sich der Anteil unter den 59- bis 63-Jährigen nur noch auf etwa 7 Prozent. Dieses Paradox dürfte sich dadurch erklären, dass die letztgenannte Altersgruppe sehr viel häufiger von der Verpflichtung zur Arbeitsuche freigestellt wird als die etwas jüngeren Alterskohorten. Von den Arbeitslosen ab 59 Jahren trifft dies mit 37,5 Prozent auf mehr als jeden Dritten zu. In der Gruppe der 44- bis 48-jährigen sind es dagegen nur 14,9 Prozent.
Was entmutigte Arbeitslose von denen unterscheidet, die wieder einen Job finden
Was unterscheidet Arbeitslose, die ihre Jobsuche entmutigt aufgegeben haben, von denjenigen, die wieder einen Job finden? Es gibt eine Reihe von Faktoren, bei denen sich signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen zeigen. Einerseits sind entmutigte Arbeitslose im Vergleich zu Menschen, die wieder eine Arbeit finden, im Schnitt seltener bereit, eine Stelle mit ungünstigen Arbeitszeiten anzunehmen. Andererseits sind sie eher bereit Stellen anzunehmen, die unterhalb ihres Qualifikationsniveaus liegen. Zugleich hat diese Gruppe seltener digitale Kanäle genutzt als diejenigen, die Arbeit gefunden haben.
Auch bei den persönlichen Merkmalen zeigen sich gewisse Muster: Die Betroffenen haben im Schnitt ein geringeres Ausbildungsniveau, eine schlechtere psychische Gesundheit und häufiger einen Migrationshintergrund. Wenig überraschend ist, dass die Entmutigten im Schnitt auch weniger Bewerbungsgespräche führen als die anderen hier betrachteten Gruppen.
Was tun gegen die Entmutigung von Arbeitslosen?
Ältere Arbeitslose tun sich häufig schwer, eine neue Stelle zu finden. Sowohl institutionelle Faktoren als auch widrige Lebensumstände können dazu beitragen, dass die Betroffenen die Arbeitsuche schließlich aufgeben. Wenn die Arbeitsuche aus Sicht der Betroffenen keinen Erfolg verspricht, entscheiden sich einige Ältere irgendwann dazu, keine Stelle mehr zu suchen. Viele, die keine angemessene Stelle finden, werden durch das Scheitern auf Dauer entmutigt. Dabei zeigt sich: Arbeitslose geben die Jobsuche umso eher auf, je schlechter ihre Arbeitsmarktperspektiven objektiv sind. Allerdings sind objektive Einschränkungen der Beschäftigungsfähigkeit nicht allein ausschlaggebend für die Entscheidung, die Jobsuche abzubrechen. Auch die Nähe zur Rente und die reduzierten Suchverpflichtungen können die Motivation älterer Arbeitsloser zur Stellensuche beeinträchtigen.
Wie lässt sich eine Entmutigung von Arbeitslosen am besten verhindern? Zunächst einmal braucht es Anreize für die Betroffenen, rechtzeitig in ihre Gesundheit und ihr Humankapital zu investieren – also am besten schon, bevor sie arbeitslos werden. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Strategien der Fallmanager, ältere Arbeitslosen dabei zu unterstützen, neue Beschäftigungsperspektiven aufzutun. Welcher Instrumentenmix sich am besten eignet, hängt von den individuellen Umständen ab. Es sind also maßgeschneiderte Ansätze erforderlich, um Entmutigungstendenzen effektiv entgegenwirken zu können.
Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse eines 2014 erschienenen IAB-Forschungsberichts zum Bundesprogramm „Impuls 50plus“. Es zielte darauf ab, ältere Arbeitslose mit mehreren Beschäftigungshemmnissen besser zu aktivieren. Kernidee des Programms war, nicht nur die Beschäftigungsfähigkeit der Betroffenen zu verbessern, sondern diese auch in sozialer Hinsicht zu stabilisieren und gesellschaftlich besser zu integrieren. Aus Sicht der IAB-Forschung erwies sich dieser Instrumentenmix als durchaus zielführend. Denn er verbesserte die Wiederbeschäftigungschancen der Betroffenen deutlicher als die bis vor Kurzem praktizierten Ansätze, die sich ausschließlich auf das Ziel einer Integration in ein Beschäftigungsverhältnis konzentriert hatten.
Fazit
Wenn sich ältere Arbeitslose weniger aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen, dient dies zwei Zielen zugleich: Erstens profitieren die Betroffenen. Zweitens gilt aber auch: Wenn die Arbeitsmarktbeteiligung der Betroffenen steigt, werden damit die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Arbeitslosigkeit reduziert. Angesichts einer alternden Bevölkerung gewinnt auch dieser Punkt weiter an Bedeutung. Beide Ziele können aber nur erreicht werden, wenn die Betroffenen Ihre Motivation, wieder eine Arbeit zu finden, nicht verlieren. Diesbezüglich geht die Einführung des Teilhabechancengesetzes, das Lohnsubventionen für Langzeitarbeitslose in Kombination mit einem intensiven Coaching vorsieht, in die richtige Richtung.
Daten
Die Analyse basiert auf einer Bestandstichprobe von Arbeitslosengeld-II-Empfängern in Deutschland im Rahmen der Panelstudie „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS). Diese Längsschnittuntersuchung wird seit 2006 jährlich mit jeweils 10.000 Haushalten durchgeführt. Da nicht in allen Jahren dieselben Fragen gestellt wurden, werden die Daten aus den Jahren 2007/2008, 2008/2009, 2011, 2012, 2014 und 2015 verwendet. Es wurde ein Panel-Datensatz erstellt, bei dem die Probanden in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Wellen beobachtet wurden. Betrachtet wurden Personen zwischen 44 und 63 Jahren, die Leistungen bezogen haben, als arbeitsfähig galten, als arbeitslos registriert und verpflichtet waren, nach Arbeit zu suchen.
Als negatives Gesundheitsereignis wurde der Übergang von einem sehr guten oder guten Gesundheitszustand in einen schlechten oder sehr schlechten Zustand mit einer Behinderung oder in einen Zustand schlechter psychischer Gesundheit definiert. Der Anspruchslohn wird als zu hoch kategorisiert, wenn der prognostizierte Anspruchslohn zum Zeitpunkt t um 25 Prozent höher ist als der berichtete Anspruchslohn. Die Suchintensität wird als schwach eingestuft, wenn der Proband oder die Probandin angeben, auf Arbeitsuche zu sein, aber keinen der Kanäle der Arbeitsuche nennen können, die in der Studie aufgeführt werden.
Literatur
Brussig, Martin; Stegmann, Tim; Zink, Lina (2014): Aktivierung von älteren ALG-II-Beziehenden mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen. Der Einfluss lokaler Umsetzungsstrategien, IAB-Forschungsbericht Nr. 12.
Homrighausen, Pia; Wolf, Katja (2018): Wiederbeschäftigungschancen Älterer: Wo Vermittlungsfachkräfte Handlungsbedarf sehen, IAB-Kurzbericht Nr. 11.
Nivorozhkin, Anton; Nivorozhkin, Eugene (2020): Job search, transition to employment and discouragement among older unemployed welfare recipients in Germany. In: Social Policy and Administration, Vol. 55, Issue 4, p. 747 –765.
Nivorozhkin , Anton (2021): Warum gerade ältere Arbeitslose die Jobsuche häufig einstellen, In: IAB-Forum 15. Juni 2021, https://www.iab-forum.de/warum-gerade-aeltere-arbeitslose-die-jobsuche-haeufig-einstellen/, Abrufdatum: 17. November 2024
Autoren:
- Anton Nivorozhkin