Regionale Mobilität ist wichtig auf dem deutschen Arbeitsmarkt, nicht nur als Ausgleichsmechanismus, sondern auch als individuelle Strategie von Erwerbstätigen und Arbeitslosen. Denn der Arbeitsmarkt zeichnet sich auch im Jahr 2017 durch große regionale Unterschiede aus. Während viele industrielle Ballungszentren in Süddeutschland annähernd Vollbeschäftigung aufweisen, sind weite Teile Ost- und Norddeutschlands wesentlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Auch zwischen ländlich geprägten Regionen und den städtischen Ballungszentren zeigen sich deutliche Unterschiede.
Angesichts dieses Gefälles wird die besondere Bedeutung von räumlicher Mobilität offensichtlich. Ein Blick auf die Binnenwanderungssalden, also die Verrechnung aller Zu- und Fortzüge innerhalb Deutschlands, zeigt, dass Regionen mit starker wirtschaftlicher Entwicklung tendenziell Neubürger anlocken. Regionen mit einem schwächeren lokalen Arbeitsmarkt verlieren dagegen häufig Einwohner an andere Regionen (siehe Abbildungen 1). Forschungsergebnisse zur berufsbezogenen regionalen Mobilität verdeutlichen, dass Mobilität nicht nur die Stellensuche erleichtern kann, sondern langfristig auch mit höheren Einkommenssteigerungen einhergeht. Ein Umzug bringt jedoch nicht nur Vorteile, sondern kann auch mit Nachteilen verbunden sein. Neben den Kosten für den Umzug und die Einrichtung am neuen Wohnort gehören dazu zum Beispiel das Zurücklassen von Freunden und der gewohnten Umgebung.
Kosten und Nutzen eines Umzugs können variieren
Die Kosten und der Nutzen eines Umzugs werden vom Einzelnen oft sehr subjektiv wahrgenommen und können von Person zu Person variieren. Hinzu kommt, dass ein beruflich bedingter Umzug in eine andere Region mit einem gewissen Maß an Ungewissheit verbunden ist. Wird der berufliche Einstieg klappen? Leben sich der Partner und die Kinder am neuen Ort ein und fühlen sie sich dort wohl? So verwundert es nicht, dass ein Umzug für viele Personen erst einmal nicht infrage kommt. Sei es, weil sie in ihrer Wohnregion eine gute Stelle haben, oder weil sie familiär und kulturell fest an ihrem Wohnort verwurzelt sind. Die Forschung geht daher davon aus, dass Entscheidungen über regionale Mobilität in mehreren Stufen erfolgen. Anfangs machen sich nur die Wenigsten Gedanken über eine räumliche Veränderung. Diese wird meist durch äußere Ereignisse eingeleitet, zum Beispiel ein attraktives Stellenangebot an einem anderen Ort für sich selbst oder den Partner, oder die Einsicht, in der Wohnregion trotz langer Suche keine passende Stelle gefunden zu haben. Erst dann wird die Entscheidung für einen möglichen Umzug konkreter, so dass bestimmte Zielregionen ins Auge gefasst werden oder die Stellensuche auf andere Regionen ausgeweitet wird. Hat man ein konkretes überregionales Stellenangebot in Aussicht, wägt man die Vor- und Nachteile der potenziellen neuen Stelle ab und vergleicht sie mit der Situation am aktuellen Wohnort. Überwiegen die Vorteile, fällt die Entscheidung, umzuziehen oder zu pendeln. Aus diesem mehrstufigen Prozess wird ersichtlich, dass es sich bei regionaler Mobilität um ein komplexes Phänomen mit mehreren verketteten Entscheidungen handelt.
Forschung steht vor mehreren Herausforderungen
Für die Forschung zu regionaler Mobilität stellt dies gleich in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung dar. Zum einen lassen sich in Befragungen nur wenige Personen finden, die vor oder während des Befragungszeitraums umgezogen sind. Dies erschwert eine statistische Analyse. Zum anderen können auf diese Weise nur diejenigen Fälle untersucht werden, in denen die betreffenden Personen wirklich alle Entscheidungen zugunsten eines Umzugs getroffen und diesen in die Tat umgesetzt haben. Der Entscheidungsprozess bleibt hier meist unbeobachtbar. Gerade diese Entscheidungen sind jedoch besonders interessant, da sie Aufschluss darüber geben können, wer mobil wird und wie diese Entscheidung von anderen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, sozialem Umfeld und regionaler Umgebung beeinflusst wird. Antworten auf diese Fragen können helfen, Wanderungsbewegungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt besser nachzuvollziehen und vorherzusagen.
Studienteilnehmer haben fiktive Stellenangebote bewertet
Da also nur ein geringer Teil der Bevölkerung tatsächlich mobil wird und der zugrundeliegende Entscheidungsprozess nicht beobachtet werden kann, wurde im Jahr 2011 ein Experiment mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studie „Lebensqualität und soziale Sicherung“ durchgeführt. Dabei wurden den Befragten mehrere kurze Beschreibungen von Stellenangeboten vorgelegt, die zwar hypothetisch waren, aber in der Realität durchaus genauso vorkommen könnten. Diese hypothetischen Stellenangebote enthielten alle wichtigen Informationen, unter anderem Angaben zum Gehalt, zum Stundenumfang und zur Entfernung vom jetzigen Wohnort. Die Befragten wurden darum gebeten, die Attraktivität der Stelle und ihre Bereitschaft, diese Stelle anzunehmen, zu beurteilen. Alle Antworten erfolgten auf elfstufigen Skalen, wobei die Ausprägungen von „sehr unattraktiv“ bis „sehr attraktiv“ für die Attraktivität und „sehr unwahrscheinlich“ bis „sehr wahrscheinlich“ für die Annahme- bzw. Umzugsbereitschaft reichten. Abbildung 2 zeigt die Verteilung der Antworten auf die Frage nach der Bereitschaft zum Umzug für die vorgelegten Stellenangebote. Klar zu erkennen ist die große Anzahl an Personen, welche die niedrigste Antwortmöglichkeit auf der Skala angekreuzt hat. Dies spiegelt die zuvor beschriebene Mehrstufigkeit des Prozesses wider. Da die Stellenangebote allen Studienteilnehmern vorgelegt wurden, dürfte der Großteil von ihnen nicht über Mobilität als Option nachgedacht haben und daher grundsätzlich einen Umzug ablehnen. Nur für einen kleinen Teil kommt Mobilität überhaupt infrage, der dann die Vor- und Nachteile des vorliegenden Angebots abwägt und eine differenzierte Antwort abgibt. Durch die Unterscheidung von attraktiven und weniger attraktiven Angeboten wird ersichtlich, dass nur ein gewisser Teil der Befragten zum Zeitpunkt der Befragung einen Umzug an einen neuen Ort tatsächlich kategorisch ablehnt und auch bei sehr attraktiven Angeboten nicht an einem Umzug interessiert ist. Für die restlichen Studienteilnehmer fällt diese (hypothetische) Entscheidung umso positiver aus, je besser die angebotene Stelle ist. Das Ergebnis bestätigt die vermuteten Kosten-Nutzen-Abwägungen und zeigt zudem, dass auch fiktionale Entscheidungssituationen aufschlussreich für das tatsächliche Verhalten sein können.
Vergleichbare Mobilitätsbereitschaft bei Erwerbstätigen und Arbeitslosen
Dank dieses einmaligen Datenschatzes war es den IAB-Forschern möglich, Fragen nach der Bereitschaft von Erwerbstätigen und Arbeitslosen, eine Arbeitsstelle in einer anderen Region anzunehmen, zu beantworten. Es zeigte sich, dass die generelle Bereitschaft zur Stellenannahme bei Arbeitslosen höher liegt als bei Erwerbstätigen. Die Umzugsbereitschaft für eine neue Stelle ist zwischen beiden Gruppen vergleichbar. Das Vorurteil vom arbeitsunwilligen Leistungsempfänger konnte somit einmal mehr entkräftet werden. Ebenso konnte gezeigt werden, dass bestehende soziale Kontakte und Mitgliedschaften in Vereinen und Organisationen einen wichtigen Einfluss auf die Umzugsentscheidung haben. Die Bereitschaft von Arbeitslosen, eine Arbeitsstelle an einem anderen Ort beziehungsweise in einer anderen Region anzunehmen, profitiert in besonderem Maße von Ermutigungen aus ihrem sozialen Umfeld.
Ausführlichere Ergebnisse zu diesem Projekt finden Sie in den folgenden Aufsätzen:
Abraham, Martin; Auspurg, Katrin; Bähr, Sebastian; Frodermann, Corinna; Gundert, Stefanie; Hinz, Thomas (2013): Unemployment and willingness to accept job offers. Results of a factorial survey experiment. In: Journal for Labour Market Research, Vol. 46, No. 4, S. 283-305.
Bähr, Sebastian; Abraham, Martin (2016): The role of social capital in the job-related regional mobility decisions of unemployed individuals. In: Social Networks, Vol. 46, No. July, S. 44-59.
Frodermann, Corinna; Auspurg, Katrin; Hinz, Thomas; Bähr, Sebastian; Abraham, Martin; Gundert, Stefanie; Bethmann, Arne (2013): Das Faktorielle Survey-Modul zur Stellenannahmebereitschaft im PASS. 5. Erhebungswelle (2011). FDZ-Methodenreport 05/2013.
Autoren:
- Sebastian Bähr