16. Mai 2023 | Serie „Kurzarbeit: Internationale Erfahrungen während der Covid-19-Krise“
„Zum Höhepunkt der Pandemie waren 40 Prozent der Arbeitskräfte in Frankreich in Kurzarbeit“
Wie hat sich die Bedeutung der französischen Kurzarbeitsregelung im Laufe der Zeit verändert?
Die „Activité partielle“, in den Medien oft auch „chômage partiel“ (Teilarbeitslosigkeit, unsere Übersetzung) genannt, wurde vor allem im Verarbeitenden Gewerbe nur in sehr geringem Umfang eingesetzt. Deren Bedeutung nahm während und nach der Rezession 2008/2009 zu. Während der Covid-19-Pandemie explodierte die Nutzung förmlich. Auf dem Höhepunkt waren etwa 40 Prozent der Arbeitskräfte in Kurzarbeit.
Was sind die Ziele der Regelung?
In Frankreich gibt es sechs mögliche Gründe für die Inanspruchnahme von Kurzarbeit:
- die wirtschaftliche Lage;
- Modernisierung, Restrukturierung und Transformation
- Probleme bei der Versorgung mit Rohstoffen und Energie
- Unfall
- außergewöhnlich ungünstige Wetterbedingungen
- andere außergewöhnliche Umstände
Die Anwendung der Regelung während der Pandemie wurde auf der Grundlage dieser institutionellen Struktur durchgeführt.
Welche Änderungen gab es im Zuge der Covid-19-Pandemie?
Im Juli 2020 hat Frankreich eine Langzeit-Kurzarbeitsregelung („activité partielle de longue durée“) eingeführt. Die Leistungen können bis zu 36 Monate lang innerhalb eines Zeitraums von insgesamt 48 Monaten gezahlt werden. Die Monate, für die Leistungen beantragt wurden, müssen nicht notwendigerweise aufeinander folgen. Die Langzeit-Kurzarbeitsregelung kann jedoch seit dem 1. Januar 2023 nicht mehr neu beantragt werden. Die Leistungen, die vor diesem Datum bewilligt wurden, laufen spätestens zum 31. Dezember 2026 aus.
Die Nettoersatzquote wurde für Mindestlohnempfänger auf 100 Prozent angehoben
Wurde im Zuge der Pandemie auch die Höhe der Leistungen geändert?
Ja, die Leistungen wurden während der Covid-19-Krise stark erhöht, danach aber wieder reduziert. Außerdem wurde die Regelung auf befristet Beschäftigte ausgedehnt. In der Spitze wurde die Nettoersatzquote auf 100 Prozent für Mindestlohnbeziehende und auf 84 Prozent für höhere Löhne bis zum 4,5-fachen des Mindestlohns angehoben. Diese Obergrenze deckt mehr als 95 Prozent der Lohnempfänger ab. Tarifverträge haben in dieser Hinsicht übrigens nur eine marginale Rolle.
Wie wird das System finanziert?
Zu einem Drittel durch die Arbeitslosenversicherung und zu zwei Dritteln durch den Staat.
Gibt es Maßnahmen, um Missbrauch und Mitnahmeeffekte durch Unternehmen zu vermeiden, die eigentlich keine finanzielle Unterstützung benötigen?
Nein, es gibt nur eine Vorabkontrolle durch die Verwaltung.
Es ist wahrscheinlich, dass die Langzeit-Kurzarbeitsregelung die Reallokation von Arbeitsplätzen verlangsamt
Hat das Fördersystem Ihrer Meinung nach die notwendigen Reallokationsprozesse in der Wirtschaft verlangsamt?
In Frankreich gibt es zu dieser Frage keine Studien, aber ich halte es für wahrscheinlich, dass die oben erwähnte Langzeit-Kurzarbeitsregelung die Reallokation von Arbeitsplätzen verlangsamt.
Gibt es einen finanziellen Anreiz für Unternehmen, ihren Beschäftigten während des Bezugs von Unterstützung Weiterbildungsmaßnahmen am Arbeitsplatz anzubieten?
Es ist in der Tat das Ziel, dass Unternehmen die Zeiten verringerter Erwerbstätigkeit optimal nutzen, um ihre Beschäftigten weiterzubilden. Der Staat übernimmt zu diesem Zweck bei Bedarf einen Teil der Weiterbildungskosten im Rahmen des Nationalen Beschäftigungsfonds („Fonds National pour l’Emploi“). Dieser Fonds beteiligt sich im Rahmen entsprechender Tarifvereinbarungen an der Finanzierung der Berufsausbildung, der Teilarbeitslosigkeit, des Vorruhestands und der Arbeitszeitverkürzung.
Haben sich diese finanziellen Anreize Ihres Erachtens bewährt?
Soweit mir bekannt ist, gibt es keine Studien darüber, wie sich diese finanziellen Anreize während der Pandemie ausgewirkt haben.
Gab es Anreize für Leistungsempfänger, sich einen neuen Arbeitsplatz zu suchen?
Außerhalb der Arbeitszeit sind die Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag ausgesetzt. Daher ist es möglich, dass Beschäftigte in dieser Zeit eine andere Tätigkeit ausübten. Doch abgesehen davon gibt es keine besonderen finanziellen Anreize für einen Jobwechsel.
Zu Beginn der Pandemie galt ein Antrag auf Kurzarbeitergeld als genehmigt, wenn die Behörden nicht innerhalb von 14 Tagen eine Entscheidung trafen
Wie effektiv war die Umsetzung der Kurzarbeitsregelung in der Pandemie mit Blick auf die Beschleunigung und Entbürokratisierung des Verfahrens? Und hat dies auch zu mehr Missbrauch geführt?
Das Bewilligungsverfahren wurde ab März 2020 vereinfacht. Insbesondere zu Beginn der Pandemie galt ein Antrag auf Kurzarbeitergeld als genehmigt, wenn die Behörden nicht innerhalb von 14 Tagen eine Entscheidung getroffen haben. Diese Vereinfachung hat die Inanspruchnahme von Kurzarbeit erleichtert. Nach den vorliegenden empirischen Erkenntnissen kam es dadurch zwar zu einem etwas stärkeren Missbrauch, der aber mit weniger als einem Prozent der Gesamtausgaben sehr gering ausfiel.
Wann werden die Sonderregelungen, die während der Pandemie galten, auslaufen?
Das Auslaufen erfolgte schrittweise. Nach dem Sommer 2020 wurde die großzügige Kurzarbeitsregelung auf Betriebe beschränkt, die pandemiebedingt von einer staatlichen Zwangsschließung betroffen waren. Seit dem 1. Januar 2023 kann Langzeit-Kurzarbeit nicht mehr neu beantragt werden.
Gibt es eine politische Debatte darüber, ob die Kurzarbeitsregelung um Elemente von Experience Rating erweitert werden sollte, ob also höhere Prämien bei stärkerer Inanspruchnahme gezahlt werden sollten?
In Frankreich jedenfalls nicht. Die Befürworter*innen der bestehenden Regelung scheinen kein Interesse daran zu haben, über diese Frage zu diskutieren. Und angesichts der in normalen Zeiten doch recht überschaubaren Kosten spielt das auch für die Steuerzahlenden keine allzu große Rolle.
Zur Person
Pierre Cahuc ist seit 2018 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Science Po in Paris. Zuvor war er Professor an der École Polytechnique und an der École nationale de la statistique et de l’administration économique. Von 2006 bis 2010 und von 2012 bis 2016 war er Mitglied des Conseil d’Analyse Economique.
Pierre Cahuc ist seit 2018 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Science Po in Paris. Zuvor war er Professor an der École Polytechnique und an der École nationale de la statistique et de l’administration économique. Von 2006 bis 2010 und von 2012 bis 2016 war er Mitglied des Conseil d’Analyse Economique.
doi: 10.48720/IAB.FOO.20230516.01
Schludi, Martin (2023): „Zum Höhepunkt der Pandemie waren 40 Prozent der Arbeitskräfte in Frankreich in Kurzarbeit“, In: IAB-Forum 16. Mai 2023, https://www.iab-forum.de/zum-hoehepunkt-der-pandemie-waren-40-prozent-der-arbeitskraefte-in-frankreich-in-kurzarbeit/, Abrufdatum: 24. November 2024
Autoren:
- Martin Schludi