3. Februar 2021 | Betriebliche Arbeitswelt
Nicht alle Wünsche werden wahr: Welche Kompromisse Jugendliche beim Ausbildungsberuf eingehen
Lea Ahrens , Corinna Kleinert , Melanie Fischer , Brigitte Schels
Astronautin, Feuerwehrmann, Krankenpfleger – für die Berufswahl von jungen Menschen spielen unterschiedliche Interessen und Neigungen eine Rolle. Jugendliche reflektieren auch, welchen Stellenwert ein Beruf in der Gesellschaft hat und wie Familie und Freunde ihre Berufsziele bewerten. Zu diesem Ergebnis kommt etwa eine Studie von Stephanie Matthes aus dem Jahr 2019.
Dabei geht es Jugendlichen nicht nur um Status und Einkommen. Auch das Anforderungsniveau, die Arbeitsplatzsicherheit und Fragen der Vereinbarkeit mit Familie und Freizeit sind wichtige Faktoren für die Berufswahl. Allerdings haben diese Faktoren für junge Männer teilweise einen etwas anderen Stellenwert als für junge Frauen. So zeigt etwa eine Studie von Anne Busch aus dem Jahr 2013, dass jungen Männern mit Blick auf das Berufsleben Sicherheit, Einkommen und Karrieremöglichkeiten wichtiger sind als jungen Frauen. Bei anderen Aspekten wie Work-Life-Balance gibt es dagegen keine Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern.
Um Jugendliche bei der Entwicklung realistischer Berufsvorstellungen zu unterstützen, gibt es eine Reihe von Programmen der Berufsorientierung. Jugendliche verspüren den Druck, fit fürs Berufsleben werden zu müssen. Sie halten es dabei nicht für selbstverständlich, ihre Berufswünsche auch realisieren zu können (lesen Sie dazu ein Interview mit dem Jugendforscher Klaus Hurrelmann aus dem Jahr 2014). Spätestens, wenn junge Menschen einen Ausbildungsplatz suchen und sich bewerben, werden sie mit den formalen Anforderungen im beruflichen Bildungssystem konfrontiert (siehe Infokasten „Berufliches Bildungssystem“), zum Beispiel den geforderten Schulabschlüssen für eine Ausbildung. Wenn ihre Bemühungen im zunächst angestrebten Beruf erfolglos bleiben, müssen sie deshalb mitunter alternative Berufe in Betracht ziehen.
Vor diesem Hintergrund liegt der Gedanke nahe, dass die jungen Menschen die Möglichkeiten und Voraussetzungen im beruflichen Bildungssystem nicht gut genug kennen, um ihre Chancen a priori treffend einzuschätzen. Sie sind daher bei ihrer Berufswahl nicht selten gezwungen, Kompromisse gegenüber ihrem ursprünglich geplanten Berufsziel einzugehen. Sind etwa ihre beruflichen Ziele zu hochgesteckt, müssen sie auf einfacher zu erreichende Ausbildungsplätze ausweichen. Jedenfalls zeigt eine Studie von Martin Tomasik, Sam Hardy, Claudia Haase und Jutta Heckhausen aus dem Jahr 2009, dass Jugendliche, die ihre Erwartungen noch im letzten Schuljahr absenken, ihre Chancen auf eine Ausbildungsstelle erhöhen. Dabei ist es für die jungen Menschen nicht einfach, sich angesichts der Breite des beruflichen Bildungssystems und der vielfältigen beruflichen Alternativen ein gutes Bild über ihre Möglichkeiten und die jeweilige Konkurrenzsituation um Ausbildungsstellen zu machen.
Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt passen in vielen Berufen nicht zusammen
Dabei zeigten sich im vergangenen Jahrzehnt Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt. Dies belegen unter anderem die aktuellen Berufsbildungsberichte des Bundesbildungsministeriums. Zu Beginn des Ausbildungsjahres 2019 standen den rund 70.000 Bewerbern und Bewerberinnen, die noch keinen Ausbildungsplatz hatten, rund 50.000 unbesetzte Ausbildungsstellen gegenüber. Während die Zahl der nicht vermittelten Bewerber und Bewerberinnen in den Vorjahren leicht gesunken ist, stieg die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen stetig an. Die Passungsprobleme nahmen trotz der bis Anfang 2020 insgesamt positiven konjunkturellen Entwicklung zu. Die Arbeitslosenquote war in den 2010er Jahren leicht rückläufig, in der Gruppe der unter 25-Jährigen sank sie von 6 Prozent im Jahr 2011 auf 4,5 Prozent im Jahr 2019.
Die Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt ist nicht zuletzt durch das Phänomen geprägt, dass junge Menschen zunehmend akademische Bildungswege anstreben. Zudem sind für die Jugendlichen nicht alle angebotenen Berufe gleichermaßen attraktiv und erfolgversprechend. Die Arbeitgeber haben mitunter Anforderungen, die nicht immer der Bewerberlage entsprechen. Schließlich bestehen regionale Unterschiede am Ausbildungsmarkt, die ebenso zu den beobachteten Ungleichgewichten beitragen.
So übersteigt in einigen Ausbildungsberufen die Zahl der Bewerber und Bewerberinnen die der Ausbildungsplätze. Beispielsweise möchten mehr junge Menschen Fotograf oder Mediengestalterin werden, als die Zahl der Ausbildungsplätze zulässt. Umgekehrt übertrifft etwa im Bereich „Lebensmittelproduktion und -verkauf“ das Stellenangebot die Nachfrage. Die Zahlen beziehen sich dabei jedoch nur auf den Markt für betriebliche Ausbildungsstellen. Systematische Daten zu Angebot und Nachfrage von Ausbildungsplätzen im schulischen Berufsbildungssystem, in denen Fachkräfte in Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufen sowie Assistenten (zum Beispiel kaufmännische oder chemisch-technische) ausgebildet werden, fehlen.
Kompromisse bei der Berufswahl sind für die meisten Auszubildenden Realität
Auswertungen aus dem Nationalen Bildungspanel zeigen, in welchem Umfang Jugendliche einen anderen Ausbildungsberuf als ihr ursprüngliches Berufsziel ergreifen. Dort wurden Auszubildende in Betrieben und an vollqualifizierenden Schulen betrachtet, die im Jahr 2012 oder später mit der 10. Jahrgangsstufe von einem Haupt- oder Realschulzweig abgegangen waren (siehe Infokasten „Daten“). Sie wurden noch während der Schulzeit, zum Ende der 9. Jahrgangsstufe, nach demjenigen Beruf gefragt, den sie nach ihrer Einschätzung im späteren Leben ergreifen würden.
Rund die Hälfte der hier betrachteten Auszubildenden erlernte einen Beruf, der nicht ihrem in der Schulzeit angegebenen Berufsziel entsprach. Von einem weiteren Drittel war kein Berufsziel in der 9. Jahrgangsstufe bekannt – etwa, weil sie keinen oder keinen eindeutigen Berufswunsch formuliert hatten. 16 Prozent der befragten Auszubildenden absolvierten eine Ausbildung in ihrem ursprünglichen Wunschberuf.
Kompromisse bei der Wahl des Ausbildungsberufs gehen nicht unbedingt mit Abstrichen einher
Doch wie genau sehen die Kompromisse bei der Aufnahme einer Ausbildung aus? Die Tatsache, dass sich Berufe in mehreren Dimensionen voneinander unterscheiden, erlaubt differenzierte Einblicke in die Art der Kompromissbildung. So macht eine Auszubildende zur medizinischen Fachassistentin, die eigentlich Krankenpflegerin werden wollte, zwar Abstriche beim zu erwartenden Lohn. Sie arbeitet dafür aber kaum am Wochenende oder in der Nacht.
Im Folgenden wird entlang von acht Indikatoren beschrieben, wie sich die Ausbildungsberufe der Jugendlichen von den Berufszielen in ihrer Schulzeit unterscheiden. Dabei geht es um Dimensionen, die für die spätere Stellung der jungen Menschen in der Gesellschaft relevant sind. Betrachtet werden daher sowohl etablierte Statusmaße wie Lohn, Prestige und Qualifikationsniveau im Beruf als auch Sicherheit durch Beschäftigungsstabilität und Karrierechancen, die insbesondere in Großbetrieben bestehen. Zudem sind die soziale Passung des Berufslebens über sozialverträgliche Arbeitszeiten ohne regelmäßige Wochenend- und Schichtarbeit und die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf durch Teilzeitmöglichkeiten wichtig. Da dies eng mit den beruflichen Arbeitsmärkten für Männer und Frauen verknüpft ist, wird zudem der Frauenanteil im Beruf betrachtet.
Entlang der Unterschiede zwischen Ausbildungsberuf und Berufsziel in der Schulzeit lassen sich fünf typische Muster der Kompromissbildung identifizieren (siehe Infokasten „Methoden“). Darin spiegeln sich die differenzierten Möglichkeiten im Berufswahlprozess wider (siehe Tabelle).
Die fünf identifizierten Muster fallen für junge Männer und Frauen in Teilen unterschiedlich aus (siehe Abbildung):
- Auszubildende in Berufen, die dem Berufsziel aus der Schulzeit ähneln (Muster 1): Die Auszubildenden in dieser Gruppe erlernen einen Beruf, der ihrem Berufsziel aus der Schulzeit in fast allen untersuchten Merkmalen sehr ähnlich ist. Einziger Unterschied: Der Ausbildungsberuf ist etwas seltener durch sozialverträgliche Arbeitszeiten geprägt als der in der Schulzeit angestrebte Beruf. In dieser Gruppe sind junge Männer und Frauen gleich stark vertreten.
- Auszubildende in Berufen mit besseren Bedingungen (Muster 2): Die Auszubildenden in dieser Gruppe erlernen einen Beruf, in dem sie sich in allen hier betrachteten Dimensionen besserstellen, als sie es mit ihrem in der 9. Jahrgangsstufe favorisierten Beruf getan hätten. Mit ihrem Ausbildungsberuf erschließen sie sich im Vergleich ein höheres Einkommen und höheres Ansehen, ebenso wie einen sichereren Arbeitsplatz und bessere Karriereoptionen bei geregelteren Arbeitszeiten. In dieser Gruppe sind Frauen überrepräsentiert.
- Auszubildende in Berufen mit marginalen Lohneinschnitten und besseren Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (Muster 3): Die Auszubildenden in dieser Gruppe münden in Ausbildungsberufe ein, in denen sie im Vergleich zu ihrem in der Schulzeit angestrebten Beruf weniger Lohn zu erwarten haben und die seltener Karrierechancen in Großbetrieben bieten. Im Hinblick auf Prestige und Arbeitsplatzsicherheit weist ihr Ausbildungsberuf dagegen ein ähnliches Niveau auf. Sie erlernen Berufe mit einem höheren Frauenanteil, die zudem mit einer besseren Vereinbarkeit mit familiären Verpflichtungen und Freizeit einhergehen, da es mehr Teilzeitoptionen gibt. Auch in dieser Gruppe sind überdurchschnittlich viele junge Frauen.
- Auszubildende in Berufen mit marginalen Einschnitten beim Prestige, aber etwas höheren Löhnen (Muster 4): Die Auszubildenden nehmen im Vergleich zu ihrem Berufsziel aus der Schulzeit leichte Abstriche bei Prestige und Arbeitsplatzsicherheit in Kauf. Sie haben in ihren Ausbildungsberufen dagegen einen etwas höheren Lohn. Hier sind die Teilzeitoptionen seltener. In dieser Gruppe finden sich überproportional viele junge Männer.
- Auszubildende in Berufen mit deutlich schlechteren Bedingungen als im angestrebten Beruf aus der Schulzeit (Muster 5): Diese Auszubildenden stellen sich mit ihrem Ausbildungsberuf deutlich schlechter. Sie machen Abstriche insbesondere bei Lohn und Prestige, aber auch mit Blick auf Arbeitsplatzsicherheit, Karrierechancen und Arbeitszeiten. In dieser Gruppe ist das Verhältnis der jungen Männer und Frauen ausgeglichen.
Mit Blick auf die Bedeutung der Muster der Kompromissbildung zeigt sich, dass die Auszubildenden in Berufen, die dem Berufsziel aus der Schulzeit ähneln (Muster 1) mit rund 40 Prozent mit Abstand die größte Gruppe unter den hier betrachteten Auszubildenden stellen, die Kompromisse eingegangen sind. Dagegen sind die Auszubildenden in Ausbildungsberufen mit deutlich schlechteren Bedingungen als im angestrebten Beruf aus der Schulzeit (Muster 5) mit rund 10 Prozent die kleinste Teilgruppe. Die anderen Muster umfassen jeweils rund 15 bis 17 Prozent der hier betrachteten Auszubildenden.
In den vielfältigen Facetten der Kompromissbildung beim Übergang von der Schule in das Berufsleben spiegeln sich die Anpassungsbereitschaft der Jugendlichen ebenso wider wie deren Möglichkeiten am Ausbildungsmarkt. Obwohl die Jugendlichen bereits in der Schulzeit berufliche Ziele konkretisiert haben, geht die Ausbildungsplatzsuche und die Entscheidung für einen ersten Ausbildungsberuf mit weiteren Anpassungsleistungen einher. Entlang der hier betrachteten beruflichen Statusdimensionen zeigt sich, wie prägend dieser Schritt für die weiteren Lebenschancen ist.
Weiterführende Analysen gehen der Frage nach sozialen Unterschieden in den Mustern der Kompromissbildung nach. Erste Ergebnisse weisen auf die Bedeutung von Schulabschluss und Schulnoten hin, während der familiäre Hintergrund und die sich daraus ergebenden Unterstützungsmöglichkeiten beim Übergang von der Schule in den Beruf von geringer zusätzlicher Bedeutung sind.
Im Vergleich zu Auszubildenden von Realschulzweigen machen Auszubildende, die von Hauptschulzweigen kommen, zwar häufiger Kompromisse, doch auch hier nicht nur hin zu Ausbildungsberufen mit schlechteren Bedingungen. Sie haben schon in der Schulzeit eher niedrige Erwartungen. Demgegenüber müssen vor allem Auszubildende, die in der 9. Klasse hohe Ziele insbesondere mit Blick auf Studienberufe hatten, Abstriche machen, weil es für die Ziele zunächst kein Pendant in der beruflichen Ausbildung gibt. Ob sie die beruflichen Ziele aus der Schulzeit später weiterverfolgen, ist derzeit noch eine offene Frage.
Zudem sind die aufgezeigten Muster der Kompromissbildung in Teilen geschlechtsspezifisch. Männer gehen eher in etwas besser bezahlte Berufe, die jedoch weniger Prestige und Arbeitsplatzsicherheit versprechen. Junge Frauen tendieren dagegen zu Berufen, die sich besser mit familiären Pflichten vereinbaren lassen und nehmen dafür auch geringere Karrierechancen in Kauf als Männer. Diese Formen der Kompromissbildung spielen vor allem in dem eher männlich dominierten Segment der betrieblichen Ausbildung in Handwerk, Industrie und Handel eine Rolle sowie im eher weiblich dominierten schulischen Ausbildungssegment in den Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitsberufen.
Fazit
Betrachtet man die begonnenen Ausbildungen, zeigt sich vielfach eine Diskrepanz zu den beruflichen Zielen, die junge Menschen in ihrer Schulzeit hatten. Denn die meisten jungen Menschen, die nach der Haupt- oder Realschule eine Ausbildung absolvieren, gehen Kompromisse ein und machen ihre Ausbildung in einem anderen Beruf als demjenigen, den sie noch in der 9. Jahrgangsstufe angestrebt hatten.
Vielen Jugendlichen gelingt es dabei, in Ausbildungsberufen Fuß zu fassen, die ihren Berufszielen aus der Schulzeit sehr ähnlich sind. Nur eine relativ kleine Gruppe muss starke Kompromisse eingehen und macht Abstriche bei den hier betrachteten beruflichen Dimensionen, die für die spätere soziale Stellung relevant sind. Andere Auszubildende stellen sich im Vergleich zu ihrem ursprünglichen Berufsziel sogar besser.
Aktuell stellen sich viele Jugendliche die Frage, wie sich die Corona-Krise auf ihre Möglichkeiten bei der Berufswahl auswirkt. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit wurden im Jahr 2020 etwas weniger Ausbildungsstellen gemeldet als im Vorjahr. Ein Rückgang der betrieblichen Ausbildungsstellen ist insbesondere in den Metall- und Elektrotechnikberufen, im Friseurhandwerk, in der Gastronomie und Hotellerie, im Berufskraftverkehr sowie in der Informatik und im kaufmännischen Bereich zu verzeichnen.
Die Studie des IAB, die jüngst im IAB-Forum publiziert wurde („Betriebliche Ausbildung trotz Erschwernissen in der Covid-19-Krise robuster als erwartet“), kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass diese Auswirkungen in vielen Branchen weniger einschneidend sind als zunächst befürchtet. So haben die Ausbildungsbetriebe seltener als erwartet die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge reduziert, auch wenn viele von erschwerten Bedingungen bei der Stellenbesetzung berichteten. Dementsprechend sieht es derzeit nicht so aus, dass einer ganzen „Generation Corona“ schlechtere Einstiegschancen auf dem Ausbildungsmarkt drohen.
Allerdings dürften sich die Wahlmöglichkeiten der Jugendlichen in der aktuellen Krisensituation zum Teil spürbar eingeschränkt haben. Der Druck zur Kompromissbildung könnte sich zunächst weiter erhöhen. Es spricht vieles dafür, dass die hier skizzierten vielfältigen Muster der Kompromissbildung auch künftig zu beobachten sein werden.
Berufliches Bildungssystem
Das berufliche Bildungssystem in Deutschland umfasst vollqualifizierende berufsspezifische Ausbildungen in mehr als 400 unterschiedlichen Berufen. Die Ausbildung kann sowohl im sogenannten dualen System stattfinden, das heißt, die Ausbildung wird in einem Betrieb durchgeführt im Wechsel mit Tagen an Berufsschulen, oder an vollqualifizierenden Berufsschulen. Im dualen System gab es im Jahr 2019 rund 490.000 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge, während etwa 238.000 junge Menschen eine schulische Ausbildung begonnen haben.
Daten
Diese Arbeit nutzt Daten der Startkohorte Klasse 9 aus dem Nationalen Bildungspanel (NEPS-SC4): doi:10.5157/NEPS:SC4:10.0.0. In der Studie wurde eine repräsentative Stichprobe von Schülern und Schülerinnen der Klassenstufe 9 an Regelschulen im Schuljahr 2010/2011 erstmals und seitdem regelmäßig zu ihrem Werdegang befragt. Für die hier präsentierten Analysen wurden von den Teilnehmenden diejenigen 3.676 in den Blick genommen, welche die Schule im Kalenderjahr 2012 oder später nach der 10. Jahrgangsstufe beendet hatten und im Beobachtungszeitraum eine Berufsausbildung aufgenommen hatten. Das im Beitrag beschriebene Ausmaß der Kompromissbildung ist damit nicht repräsentativ für einen bestimmten Jahrgang und wird nicht gewichtet. Die Größen illustrieren dennoch ihre relative Bedeutung unter jungen Menschen in Ausbildung.
Die Daten des NEPS wurden von 2008 bis 2013 als Teil des Rahmenprogramms zur Förderung der empirischen Bildungsforschung erhoben, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wurde. Seit 2014 wird NEPS vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg in Kooperation mit einem deutschlandweiten Netzwerk weitergeführt. Eine Studienbeschreibung findet sich im Beitrag von Hans-Peter Blossfeld, Hans-Günther Roßbach und Jutta von Maurice aus dem Jahr 2011.
Methoden
Um die Kompromissbildung zu beschreiben, wurde der erste Ausbildungsberuf der Jugendlichen mit ihrem Berufsziel in der Schulzeit verglichen, der sogenannten realistischen Berufsaspiration der Jugendlichen. Sowohl Ausbildungsberufe als auch Berufsziele wurden mit aggregierten Informationen zu acht Merkmalen auf Berufsebene verknüpft, die aus dem Mikrozensus (MZ) beziehungsweise der Stichprobe der Integrierten Arbeitsmarktbiografien (SIAB) für die Jahre 2008 bis 2010 berechnet wurden:
- Lohn: Mediantageslohn der abhängig Beschäftigen (SIAB)
- Prestige: Magnitude-Prestige-Score (gemäß Vercodung im NEPS)
- Qualifikationsniveau: Anteil der Erwerbstätigen unter 30 Jahren mit Hochschulzugangsberechtigung (MZ)
- Beschäftigungsstabilität: inverse Arbeitslosenquote (MZ)
- Karriereoptionen: Anteil der abhängig Beschäftigten in Großbetrieben (>200 Beschäftigte) (SIAB)
- Sozialverträgliche Arbeitszeiten: inverser Anteil der Erwerbstätigen, die regelmäßig am Wochenende, nachts oder an Feiertagen arbeiten (MZ)
- Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben: Anteil der Erwerbstätigen in Teilzeitbeschäftigung (MZ)
- Frauenanteil (MZ)
Auf jeder Merkmalsdimension wurde die Differenz zwischen Ausbildungsberuf und Berufsziel aus der Schulzeit berechnet. Die Differenzen auf den acht Merkmalsdimensionen gehen in die Clusteranalyse ein. Die Clusteranalyse identifiziert im vorliegenden Fall Muster der Kompromissbildung, indem sie die betrachteten Auszubildenden zusammenfasst, deren Ausbildungsberuf sich von dem Berufsziel in allen Merkmalen in ähnlicher Weise unterscheidet. Zur Gruppierung wurde das hierarchische Clusterverfahren nach Ward sowie anschließend das partionierende K-Means-Verfahren angewendet.
Literatur
Bellmann, Lutz; Fitzenberger, Bernd; Gleiser, Patrick; Kagerl, Christian; Kleifgen, Eva; Koch, Theresa; König, Corinna; Leber, Ute; Pohlan, Laura; Roth, Duncan; Schierholz, Malte; Stegmaier, Jens; Aminian, Armin (2020): Betriebliche Ausbildung trotz Erschwernissen in der Covid-19-Krise robuster als erwartet In: IAB-Forum, 5.11.2020.
Blossfeld, Hans-Peter, Roßbach, Hans-Günther, von Maurice, Jutta (Hrsg.) (2011): Education as a Lifelong Process – The German National Educational Panel Study (NEPS). Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 14.
Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) (2020): Berufsbildungsbericht 2020. Bonn.
Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.) (2019): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2019. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn.
Bundesinstitut für Berufsbildung (2014): „Wir müssen Jugendlichen ein breites Spektrum an beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten bieten“. Interview mit Professor Dr. Klaus Hurrelmann. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Ausgabe 1, S. 8–11.
Busch, Anne (2013). Die Geschlechtersegregation beim Berufseinstieg–Berufswerte und ihr Erklärungsbeitrag für die geschlechtstypische Berufswahl. In: Berliner Journal für Soziologie, Jahrgang 23, Ausgabe 2, S. 145-179.
Matthes, Stephanie (2019): Warum werden Berufe nicht gewählt? Die Relevanz von Attraktions- und Aversionsfaktoren in der Berufsfindung, Berichte zur Beruflichen Bildung.
Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2020): Blickpunkt Arbeitsmarkt – Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Ausgabe Oktober.
Tomasik, Martin J.; Hardy, Sam; Haase, Claudia M.; Heckhausen, Jutta (2009): Adaptive adjustment of vocational aspirations among German youths during the transition from school to work. In: Journal of Vocational Behavior, Vol. 74, Issue 1, S. 38–46.
Ahrens, Lea ; Kleinert , Corinna ; Fischer , Melanie; Schels, Brigitte (2021): Nicht alle Wünsche werden wahr: Welche Kompromisse Jugendliche beim Ausbildungsberuf eingehen, In: IAB-Forum 3. Februar 2021, https://www.iab-forum.de/nicht-alle-wuensche-werden-wahr-welche-kompromisse-jugendliche-beim-ausbildungsberuf-eingehen/, Abrufdatum: 23. November 2024
Autoren:
- Lea Ahrens
- Corinna Kleinert
- Melanie Fischer
- Brigitte Schels