Nach seiner Einführung im Jahr 2023 hat das Bürgergeld – damals als die größte Reform der Grundsicherung bezeichnet – weitere Anpassungen erfahren. Die Reformdynamik bleibt hoch, denn weitere Neuerungen sind bereits umgesetzt oder in Planung. Das IAB hat Beschäftigte der Jobcenter nach ihren Einschätzungen und Erfahrungen gefragt. Dabei zeigt sich: Sie bewerten einzelne Regelungen unterschiedlich. Während etwa das Coaching im Mittel gut abschneidet, bewerten sie den Job-Turbo kritisch.

Die Bundesregierung hat im Jahr 2023 das Bürgergeld eingeführt. Zum einen wollte sie Bürgergeld-Berechtigten mehr Chancen eröffnen, zum Beispiel durch nachhaltigere Vermittlungen in Arbeit und durch bessere Möglichkeiten für Qualifizierung und Weiterbildung. Zum anderen sollte die Reform die soziale Absicherung und Anerkennung von Lebensleistungen stärken, zum Beispiel durch die schnellere Anpassung der Höhe des Bürgergeldes an die Inflation und durch die Einführung von so genannten Karenzzeiten. Diese geben Menschen mehr Zeit, eine angemessene und günstigere Wohnung zu finden, oder ermöglichen es, das Bürgergeld zeitlich befristet auch an Menschen mit höheren Ersparnissen auszuzahlen (zu den aktuellen Regelungen des Bürgergelds siehe Infokasten).

Anders als es Teile des öffentlichen Diskurses suggerieren, hat sich das grundsätzliche Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch die Bürgergeld-Reform nicht verändert: Oberstes Ziel ist neben der sozialen Absicherung nach wie vor, Bürgergeld-Berechtigte in die Lage zu versetzen, ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren (§ 1 Sozialgesetzbuch II). Die Reform verstetigte bewährte Fördermaßnahmen, führte neue Fördermaßnahmen ein und passte die Regeln zu Kürzungen des Bürgergeldes bei Terminversäumnissen und mangelnder Mitwirkung an.

Der Gesetzgeber passt die Regelungen des Bürgergeldes laufend an

Die öffentliche Diskussion über die Ausgestaltung der Grundsicherung ist mit der Einführung des Bürgergeldes nicht leiser geworden. Weitere Änderungsvorschläge sind geplant oder bereits umgesetzt. So verschwand einige Monate nach seiner Einführung der sogenannte Bürgergeldbonus aus dem Förderkatalog der Jobcenter. Dies war ein finanzieller Anreiz von monatlich 75 Euro bei Teilnahme an bestimmten Qualifizierungsmaßnahmen. Neu hinzu kam der Job-Turbo, ein Programm des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit, das Geflüchtete schneller in Arbeit bringen soll. Ebenfalls neu sind Kürzungen des Bürgergeldes um 100 Prozent für diejenigen, die ein konkretes Jobangebot ohne triftigen Grund ablehnen, nachdem sie bereits eine Kürzung des Bürgergeldes erfahren hatten.

Für das Jahr 2025 steht die beschlossene Neuordnung der Weiterbildungsberatung und -förderung an. Diese übernehmen für Bürgergeld-Berechtigte künftig nicht mehr die Jobcenter, sondern die Agenturen für Arbeit. Grund für diese Neuordnung war das politische Ziel, den Bundeshaushalt zu entlasten (lesen Sie zur Finanzlage der Jobcenter auch einen aktuellen Beitrag von Sarah Bernhard und anderen im IAB-Forum).

Jobcenter sind das Bindeglied zwischen Bürgergeld und Bevölkerung

Die Umsetzung der Regelungen und Reformen der Grundsicherung liegt bei den Jobcentern. Sie fungieren als Bindeglied zwischen dem Gesetz, den untergesetzlichen Weisungen und den Menschen, die es letztlich betrifft. Kurzum, die Beschäftigten der Jobcenter setzen in Gesetzen und Weisungen formulierte politische Ziele für die Bürgergeld-Berechtigten vor Ort um. Deshalb sind die Einschätzungen und Erfahrungen der Jobcenter-Beschäftigten wichtig, um ein vollständiges Bild über die Umsetzung des Bürgergeldes zu erhalten.

Aus diesem Grund hat das IAB bundesweit 289 obere Führungskräfte, fast 1.500 Beschäftigte aus der Beratung und Vermittlung sowie knapp 1.000 Beschäftigte aus der Leistungssachbearbeitung aus insgesamt 360 Jobcentern dazu befragt, wie sie einzelne Regelungen des Bürgergeldes – im Folgenden als Elemente des Bürgergeldes bezeichnet – bewerten (Details zur Befragung finden Sie im IAB-Forschungsbericht 17/2024 von Sarah Bernhard und anderen).

Jobcenter haben eine spezifische Sicht auf Reformen der Arbeitsverwaltung

Bevor die Ergebnisse der Befragung in den Fokus rücken, folgt hier ein kurzer Blick auf den Hintergrund, vor dem die Antworten auf die Befragung entstanden sind:

  • Da die Bürgergeld-Einführung und die darauffolgenden Reformen die grundsätzliche Zielsetzung der Grundsicherung für Arbeit unangetastet ließen, hat sich für die Jobcenter vor allem der Werkzeugkasten zur Umsetzung dieser Ziele verändert. Neue Werkzeuge kamen hinzu, alte fielen weg, teils gibt es andere Zwischenschritte auf dem Weg zum Aktivierungsziel. Solche Zwischenschritte sind zum Beispiel Weiterbildungen.
  • Jede Reform bedeutet für Jobcenter-Beschäftigte das Umlernen oder Neuerlernen von Arbeitsroutinen. Gesetzesänderungen und überarbeitete Weisungen sind daher zunächst mit erhöhtem Aufwand verbunden. Dieser Aufwand entsteht unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung oder dem Ziel der Reform. Reformen erhöhen also die Arbeitsbelastung so lange, bis sich die veränderten Anforderungen in neue Arbeitsroutinen übersetzt haben. Eine hohe Reformdynamik in der Verwaltung, wie sie derzeit beim Bürgergeld zu beobachten ist, ist deshalb mit solchen zusätzlichen Aufwänden und Belastungen verbunden. Dies kann sich in der Bewertung von Reformen durch die Jobcenter niederschlagen.
  • Eine professionelle Bewertung des Bürgergeldes kann sich an unterschiedlichen Aspekten orientieren. Zum einen gibt es generelle Bewertungen für die Notwendigkeit oder Verzichtbarkeit bestimmter Arbeitsmarktinstrumente wie Leistungsminderungen oder Weiterbildungen. Zum anderen könnten positive oder negative Bewertungen einzelner Instrumente durch deren konkrete Ausgestaltung beeinflusst sein. So kann es eine Rolle spielen, wie hoch Leistungsminderungen sein dürfen oder um welche Art von Weiterbildungen es sich handelt.
  • Jobcenter-Beschäftigte blicken nicht nur aus einer professionellen Perspektive auf das Bürgergeld, sondern haben – genau wie die Gesamtbevölkerung – ihre eigenen persönliche Einstellungen, die unter anderem durch den öffentlichen Diskurs um das Bürgergeld geprägt ist.

Die Bewertungen des Bürgergeldes durch Jobcenter-Beschäftigte ergeben sich stets aus der Mischung von persönlichen und professionellen Motiven. Wie gut sich der neue Werkzeugkasten und seine Anleitung aus Sicht der Jobcenter für das Erreichen der Ziele der Grundsicherung eignen, ist also geprägt von persönlichen Präferenzen, vom öffentlichen Diskurs, durch die wahrgenommene Arbeitsbelastung ebenso wie von professionellen Einschätzungen der einzelnen Regelungen des Bürgergeldes.

Ungeachtet dieser Einschränkungen bei der Interpretation sind die Einschätzungen der Jobcenter-Beschäftigten sehr aufschlussreich für die Bewertung der Reform. Denn sie lassen Rückschlüsse darauf zu, was vergleichsweise gut läuft und wo die neuen Regelungen unter Umständen verbesserungsbedürftig sind.

Die Online-Jobcenter-Befragung Bürgergeld des IAB hat Jobcenter-Beschäftigte nach ihrer Meinung zu 18 Einzelregelungen des Bürgergeldes gefragt. Die Einschätzungen erfolgten auf einer siebenstufigen Skala mit den Abstufungen von „sehr sinnvoll“ über „teils, teils“ bis hin zu „überhaupt nicht sinnvoll“. Die Abbildung zeigt die Ergebnisse für alle Befragten. Dazu gehören obere Führungskräfte, Beschäftigte aus der Beratung und Vermittlung sowie aus der Leistungssachbearbeitung.

Führungskräfte bewerten die Elemente des Bürgergeldes positiver als Beschäftigte auf der Arbeitsebene. Eine Ausnahme sind die Leistungsminderungen von 100 Prozent, welche die Führungsebene deutlich kritischer einschätzt als die übrige Belegschaft (siehe Tabelle).

Als besonders sinnvoll eingeschätzt: hoch spezialisierte und individualisierte Förderungen

Bei den Bewertungen der Förder- und Beratungsinstrumente zeigt sich eine klare Rangfolge.

  • Besonders positive Bewertungen erzielten zwei Instrumente: die ganzheitliche Betreuung – damit ist ein intensives Einzelcoaching gemeint – und die Teilhabe am Arbeitsmarkt. Dies ist ein sehr großzügiger Lohnkostenzuschuss für eine Dauer von bis zu 5 Jahren, auch bezeichnet als sozialer Arbeitsmarkt. Beide Förderungen richten sich an Bürgergeld-Berechtigte mit schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen. Sie berücksichtigen individuelle Belange der Geförderten genauso wie die mitunter lange Dauer bis zu einer erfolgreichen Arbeitsvermittlung. Eine Evaluation durch das IAB hat die Wirksamkeit beider Instrumente belegt (lesen Sie dazu auch eine aktuelle Zusammenfassung von Ramos Lobato und anderen im IAB-Forum).
  • Im oberen Mittelfeld der abgefragten Beratungs- und Förderelemente liegt die durchschnittlich als noch sinnvoll bewertete Abschaffung des Vermittlungsvorrangs. So bezeichnete die Bundesregierung gesetzliche Änderungen der Leistungsgrundsätze (§ 3 SGB II). Sie wollte damit Weiterbildungen und Sprachkurse für eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt vorrangig vor nicht dauerhaften Aushilfsjobs ermöglichen.
  • Eine mittlere Bewertung erhielten die Weiterbildungsprämie und das Weiterbildungsgeld. Beide sollen Weiterbildung und ihren erfolgreichen Abschluss finanziell attraktiver machen. Die Bundesregierung bewarb beide Elemente mit dem Slogan „Ausbildung statt Aushilfsjob“. Jobcenter-Beschäftigte sehen diese zusätzlichen weiterbildungsbezogenen Zahlungen skeptischer als den abgeschafften Vermittlungsvorrang. Diese Bewertung lässt zwei Interpretationen zu: Einerseits könnte die Höhe der Förderung als zu niedrig wahrgenommen werden, um Weiterbildungshemmnisse zu überwinden und einen Abbruch der Weiterbildungsmaßnahme zu verhindern. Andererseits könnten Weiterbildungshemmnisse und Abbruchgründe aus Sicht der Jobcenter-Beschäftigten primär nicht finanzieller Natur sein.
  • Im Bereich von „weniger sinnvoll“ findet sich die durchschnittliche Bewertung des Kooperationsplans. Er ist das Nachfolgeinstrument der früheren Eingliederungsvereinbarung und genau wie sie als Leitfaden durch den Beratungsprozess konzipiert. Er enthält unter anderem Informationen zu Leistungen des Jobcenters und zu Mitwirkungspflichten der Bürgergeld-Berechtigten. Der Kooperationsplan soll ein gemeinsam erarbeitetes, kurzes, verständliches Überblicksdokument sein. Er enthält – anders als die frühere Eingliederungsvereinbarung – keine Rechtsfolgenbelehrung und ist keine Grundlage für Kürzungen des Bürgergeldes. Aufforderungen zur Mitwirkung erfolgen, sofern notwendig, in getrennten Dokumenten.
    Ein Grund für die vergleichsweise kritische Bewertung des Kooperationsplans liegt eventuell in seiner Rechtsunverbindlichkeit. Denn für Beschäftigte der Beratung und Vermittlung war die rechtsverbindliche Festlegung der Pflichten in der Eingliederungsvereinbarung wichtig (lesen Sie dazu auch einen 2021 im IAB-Forum publizierten Beitrag von Sarah Bernhard und Monika Senghaas). Allerdings machte die Rechtsverbindlichkeit aus der Eingliederungsvereinbarung ein für die Zielgruppe letztlich ungeeignetes Dokument, weil sie sehr lang war und Formulierungen in juristischer Fachsprache enthielt, die nicht für alle verständlich waren. Ein weiterer Grund, warum Jobcenter-Beschäftigte den Kooperationsplan vergleichsweise skeptisch bewerten könnten, liegt in seiner mangelnden Flexibilität, da er mit allen Bürgergeld-Berechtigten zu Beginn des Beratungsprozesses abgeschlossen werden soll.
  • Das Schlichtungsverfahren ist ein neues Instrument, das zum Einsatz kommt, wenn zwischen der persönlichen Ansprechperson im Jobcenter und einer bürgergeldberechtigten Person Unstimmigkeiten über den Kooperationsplan bestehen. Jobcenter-Beschäftigte finden das Schlichtungsverfahren von allen abgefragten Bürgergeld-Elementen am wenigsten sinnvoll. Da der Kooperationsplan als rechtsunverbindlicher Leitfaden durch den Beratungs- und Vermittlungsprozess konzipiert ist, treten Konflikte vermutlich an anderer Stelle auf, nämlich nach einer rechtsverbindlichen Aufforderung zur Mitwirkung. Für Konflikte um rechtsverbindliche Aufforderungen sind andere Stellen im Jobcenter zuständig, zum Beispiel die Widerspruchsstelle.

Große Zustimmung zum Verzicht auf die Anrechnung von Einkünften aus Ferienjobs und Ehrenämtern

Unter den Bürgergeld-Elementen zum Thema „Fordern und Arbeitsanreize“ zeichnet sich eine klare Rangordnung ab:

  • Die größte Zustimmung finden Ferienjobs und ehrenamtliche Tätigkeiten wie zum Beispiel Wahlhelfer*in. Sie dürfen ihr Entgelt beziehungsweise ihre Aufwandsentschädigungen nunmehr ohne Einbußen beim Bürgergeld behalten. Gerhard Krug und andere haben in einem IAB-Kurzbericht (22/2020) nachgewiesen, dass ehrenamtliche Tätigkeiten Übergänge aus der Grundsicherung in Beschäftigung begünstigen.
  • Weniger sinnvoll als die positiven finanziellen Arbeitsanreize finden Jobcenter-Beschäftigte die Leistungsminderungen. Diese werden im Mittel als „eher sinnvoll“ bewertet. Die Kürzungen betragen derzeit 10 bis 30 Prozent des Bürgergeldes bei Terminversäumnissen oder fehlender Mitwirkung. Sie können bei nachhaltiger Weigerung, eine Arbeit anzunehmen, auf zeitweise 100 Prozent erhöht werden.
    Die insgesamt positive Bewertung ist wenig überraschend, weil Leistungsminderungen zur Durchsetzung des Prinzips des „Förderns und Forderns“ beitragen: Schon Monika Senghaas und andere haben in einem IAB-Kurzbericht (5/2020) auf die breite Zustimmung des Beratungs- und Vermittlungspersonals der Jobcenter zu diesem Prinzip hingewiesen. Dazu zählt aus Sicht der Befürworter die Möglichkeit von Leistungsminderungen.
  • Das Schlusslicht unter den fordernden und Anreiz-Elementen ist laut Befragung der sogenannte Job-Turbo. Dabei handelt es sich um ein untergesetzliches Programm zur schnellen Arbeitsvermittlung von Geflüchteten.
    Aus der inhaltsanalytischen Auswertung der offenen Kommentare aus der Befragung lassen sich zwei Gründe dafür identifizieren: Zum einen sehen die Befragten Widersprüche zwischen den Zielen des Job-Turbos und anderen Zielen der Grundsicherung: Da der Job-Turbo für Geflüchtete konzipiert ist, beklagen Jobcenter-Beschäftigte eine Ungleichbehandlung zwischen Geflüchteten und anderen Bürgergeld-Berechtigten. Einen weiteren Widerspruch sehen sie zwischen der schnellen Arbeitsvermittlung, wie sie der Job-Turbo vorsieht, und den ursprünglichen Zielen der ersten Bürgergeldreform, nämlich dem Vorrang von Qualifizierung und Spracherwerb als Voraussetzung für eine nachhaltige Vermittlung. Auch sehen sie durch den Job-Turbo das Ziel einer Beratung auf Augenhöhe gefährdet.
    Zum anderen geht die Umsetzung des Job-Turbos aus Sicht der Befragten mit einer Arbeitsüberlastung einher: Die Vorgaben des Job-Turbos schränkten demnach ihren Handlungsspielraum in der Beratung ein. Zugleich berücksichtigen die Vorgaben zur Kontaktdichte ihrer Einschätzung nach nicht den Zeitaufwand, der erforderlich ist, um Sprachbarrieren zu überwinden. Dokumentationspflichten des Job-Turbos für Controlling und Statistik sind aus ihrer Sicht eine weitere Belastung.

Verwaltungsvereinfachungen stehen hoch im Kurs

Auch zu den sonstigen Bürgergeld-Elementen gibt es differenzierte Einschätzungen:

  • Die Möglichkeit digitaler Bürgergeld-Anträge und die Bagatellgrenze von 50 Euro bei Rückforderungen führen die Bewertungs-Rangliste an. Beide Regelungen stehen für eine schlanke, moderne Arbeitsverwaltung, weil sie Sozialleistungen leichter zugänglich machen und Bürokratie abbauen könnten.
  • Die „Karenzzeit Unterkunft“ und die Heizkostenerstattung erfahren nur eine mittelgute Bewertung. Beide Regelungen führen vermutlich aus Sicht der Jobcenter zu höheren Aufwänden bei der Berechnung des Bürgergeldes, die teils händisch und teils über umständliche Umgehungslösungen in der Jobcenter-Software erfolgt.
  • Das Gleiche gilt für die „Karenzzeit Vermögen“, die als am wenigsten sinnvoll eingeschätzte sonstige Einzelregelung. Sie ermöglich vorübergehend den Bürgergeld-Bezug auch für Menschen mit höheren Ersparnissen.

Reform-Dynamik bleibt voraussichtlich hoch

Die Bundesregierung hatte das Bürgergeld in zwei Schritten bis zum Sommer 2023 eingeführt. Im Herbst 2023 initiierte sie auf Weisungsebene mit dem Job-Turbo eine weitere Neuerung, die nach Wahrnehmung der Jobcenter in eine andere Richtung zielte als die erste Bürgergeldreform. Seitdem folgten noch die Einführung der 100-%-Leistungsminderung, der geplante Übergang der Weiterbildungsförderung in die Arbeitslosenversicherung und verpflichtende Ein-Euro-Jobs für Maßnahmeverweiger*innen oder nach unentschuldigtem Fehlen bei Jobcenterterminen.

Im Rahmen ihrer Wachstumsinitiative hatte die Bundesregierung weitere Änderungen des Bürgergeldes geplant. Die Zukunft wird zeigen, in welche Richtung sich das Bürgergeld weiterentwickelt (lesen Sie zur aktuellen Debatte um das Bürgergeld auch eine kritische Einordnung von Bernd Fitzenberger im IAB-Forum).

Die Implementation jeglicher Änderungen wird zunächst Mehraufwände für die Jobcenter bedeuten. Wie es um die Akzeptanz der bewährten und gegebenenfalls neu eingeführten Regelungen im Bürgergeld unter den Jobcenter-Beschäftigten bestellt ist, wird Gegenstand weiterer Forschung des IAB sein. Dazu werden noch vertiefte Auswertungen der ersten bundesweiten Online-Jobcenter-Befragung Bürgergeld, die im Frühling 2024 stattfand, erfolgen. Zusätzlich sind zwei weitere Befragungen im Frühling der Jahre 2025 und 2026 geplant.

Aktuelle Regelungen des Bürgergelds

  • Die „Karenzzeit Unterkunft“ gibt Menschen Zeit, eine angemessene und günstige Wohnung zu finden. Im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs übernimmt das Jobcenter auch höhere Wohnkosten.
  • Die „Karenzzeit Vermögen“ ermöglicht auch Menschen mit höheren Ersparnissen und Vermögenswerten (zum Beispiel Schmuck) für ein Jahr den Bezug von Bürgergeld. So können Alleinstehende bis zu 40.000 Euro Vermögenswerte besitzen und ein Jahr lang Bürgergeld beziehen. Für alle darauffolgenden Jahre gilt für Alleinstehende eine Vermögensgrenze von 15.000 Euro.
  • Leistungsminderungen um 100 Prozent für bis zu zwei Monate richten sich an diejenigen, die ein konkretes Jobangebot ohne wichtigen Grund ablehnen, sofern sie bereits eine Kürzung des Bürgergeldes erfahren hatten.
  • Die ganzheitliche Betreuung beinhaltet ein intensives Einzelcoaching für Bürgergeld-Berechtigte mit sehr schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen. Dieses erfolgt durch beauftragte Coach*innen oder durch das Jobcenter selbst.
  • „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ist ein zeitlich gestaffelter Lohnkostenzuschuss von 70 bis 100 Prozent für eine Dauer von bis zu fünf Jahren, auch bezeichnet als sozialer Arbeitsmarkt. Er richtet sich an Betriebe, die arbeitsmarktferne Langzeit-Bürgergeld-Beziehende einstellen. Begleitend sind Weiterbildung und Einzelcoaching möglich.
  • Als Abschaffung des Vermittlungsvorrangs bezeichnete die Bundesregierung die gesetzlichen Änderungen der Leistungsgrundsätze. Sie wollte damit Weiterbildungen und Sprachkurse für eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt vorrangig vor nicht dauerhaften Aushilfsjobs ermöglichen.
  • Ein Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro monatlich erhalten Bürgergeld-Berechtigte, während sie an einer geförderten Weiterbildung teilnehmen, die zu einem Berufsabschluss führt.
  • Die Weiterbildungsprämie für eine bestandene Zwischenprüfung bei einer geförderten Weiterbildung beträgt 1.000 Euro, für die bestandene Abschlussprüfung 1.500 Euro.
  • Der Kooperationsplan enthält individualisierte Informationen zum Ziel der Beratung und Vermittlung, zu Leistungen des Jobcenters und zu den Mitwirkungspflichten der bürgergeldberechtigten Person.
  • Das Schlichtungsverfahren kommt zum Einsatz, wenn zwischen der persönlichen Ansprechperson im Jobcenter und einer bürgergeldberechtigten Person Unstimmigkeiten über den Kooperationsplan bestehen.
  • Der Lohn aus Ferienjobs wird nicht auf das Bürgergeld angerechnet. Das gleiche gilt für Aufwandspauschalen aus ehrenamtlichen Tätigkeiten, etwa als Wahlhelfer*in.
  • Leistungsminderungen bei unentschuldigten Terminversäumnissen oder fehlender Mitwirkung betragen derzeit 10 bis 30 Prozent des Bürgergeldes. Sie gelten bis zu drei Monate.
  • Durch die Bagatellgrenze entfallen Rückforderungen von zu viel bezahltem Bürgergeld, sofern sich diese auf weniger als 50 Euro belaufen.
  • Die verpflichtende Frühverrentung ab 63 Jahren ist für Bürgergeld-Berechtigte ausgesetzt. Damit entfällt für sie die Pflicht, vorzeitig eine Rente mit Abschlägen zu beantragen.
  • Die Heizkostenerstattung soll sicherstellen, dass Bürgergeldberechtigte auch bei steigenden Energiekosten ihre Heizkosten bezahlen können.
  • Bürgergeld-Anträge sind künftig auch digital möglich.

Zusätzlich zu diesen Regelungen haben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Bundesagentur für Arbeit mit dem sogenannten Job-Turbo ein Programm aufgelegt, das Geflüchtete schneller als bisher in Arbeit bringen soll.

In aller Kürze

  • Das IAB hat die erste bundesweite Wiederholungsbefragung von Jobcentern in gemeinsamer und in kommunaler Trägerschaft gestartet und die dort Beschäftigten nach ihren Einschätzungen zu ausgewählten Elementen des Bürgergelds, also der reformierten Grundsicherung für Arbeitsuchende, gefragt.
  • Deren Einschätzungen sind insofern sehr hilfreich, als die Beschäftigten der Jobcenter die entsprechenden Gesetze und Weisungen vor Ort umsetzen.
  • Jobcenter-Beschäftigte bewerten einzelne Elemente des Bürgergeldes sehr unterschiedlich. Führungskräfte geben häufiger positivere Bewertungen ab als Beschäftigte der Beratung und Vermittlung sowie der Leistungsgewährung.
  • Jobcenter schätzen die Möglichkeit, hoch spezialisierte, individualisierte Förderungen anzubieten, darunter die ganzheitliche Betreuung und Teilhabe am Arbeitsmarkt.
  • Leistungsminderungen sind aus Sicht der Jobcenter wichtige Elemente des Bürgergeldes. Positive Arbeitsanreize bewerten Jobcenter deutlich besser. Darunter fällt zum Beispiel, dass Wahlhelfer*innen ihre Aufwandspauschale aus dem Ehrenamt nicht mehr mit dem Bürgergeld verrechnen müssen.

Literatur

Bernhard, Sarah; Osiander, Christopher; Ramos Lobato, Philipp (2024): Jobcenter-Führungskräfte sagen, ihnen fehle Geld für Personal und Arbeitsförderung, In: IAB-Forum, 11.9.2024.

Bernhard, Sarah; Senghaas, Monika (2021): Eingliederungsvereinbarungen im Jobcenter schaffen Verbindlichkeit, aber die Mitwirkungspflichten dominieren (Serie „Befunde aus der IAB-Grundsicherungsforschung 2017 bis 2020“). In: IAB-Forum, 7.7.2021.

Bernhard, Sarah; Nützel, Ulf; Osiander, Christopher; Ramos Lobato, Philipp; Zins, Stefan (2024): OnJoB: Die Online-Jobcenter-Befragung Bürgergeld. IAB-Forschungsbericht Nr. 17.

Fitzenberger, Bernd (2024): Warum die aktuelle Bürgergelddebatte nicht die richtigen Schwerpunkte setzt, In: IAB-Forum, 11.3.2024.

Gellermann, Jan; Ramos Lobato, Philipp (2024): Wirksame Instrumente mit punktuellem Verbesserungsbedarf: Impulse zur Weiterentwicklung des Teilhabechancengesetzes, In: IAB-Forum, 24.6.2024.

Krug, Gerhard; Trappmann, Mark; Wolf, Christof (2020): Rolle des sozialen Netzwerkes von Langzeitarbeitslosen: Mitgliedschaften in Vereinen und Hilfe bei Alltagsproblemen können Jobchancen erhöhen. IAB-Kurzbericht Nr. 22.

Senghaas, Monika; Bernhard, Sarah; Freier, Carolin (2020): Eingliederungsvereinbarungen aus Sicht der Jobcenter: Pflichten der Arbeitsuchenden nehmen viel Raum ein. IAB-Kurzbericht Nr. 5.

 

Bild: FAMILY STOCK/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20241118.01

Bernhard, Sarah; Osiander, Christopher; Ramos Lobato, Philipp (2024): Jobcenter-Beschäftigte finden die verschiedenen Elemente des Bürgergeldes unterschiedlich sinnvoll, In: IAB-Forum 18. November 2024, https://www.iab-forum.de/jobcenter-beschaeftigte-finden-die-verschiedenen-elemente-des-buergergeldes-unterschiedlich-sinnvoll/, Abrufdatum: 18. November 2024